Israel Nash – Ozarker – CD-Review

Review: Michael Segets

Mit dem Titel „Ozarker” gibt Israel Nash ein Bekenntnis zu seiner Herkunft ab. Aus Missouri stammend hat er das Lebensgefühl der Menschen im Gebiet der Ozark Mountains verinnerlicht, obwohl er mittlerweile in Texas beheimatet ist. Harte Arbeit, die Familie und Verpflichtungen auf der einen Seite und die Gedanken an einen Aufbruch, einen Neuanfang und die Sehnsucht nach etwas Besserem auf der anderen Seite bilden das thematische Spannungsfeld, in dem sich jeher der Rock aus dem mittleren Westen bedient. An diese Tradition knüpft Nashs „Ozarker“ an.

Die ersten drei Tracks des Albums sind bereits als Singles vorab herausgegeben worden: „Can’t Stop“, „Roman Candle“ sowie das Titelstück. Wenn man möchte, kann man hier durchaus Ähnlichkeiten zu maßgeblichen Werken des Heartland Rock ziehen, die für Nashs frühe musikalische Sozialisation entscheidende Bedeutung hatten. Etwas von Bruce Springsteens „Born In The USA“, von Tom Pettys „Full Moon Fever“ oder von Bob Segers „Night Moves“ schwingt bei den Songs mit. Auch wenn Nash nicht über die markante Stimme seiner Vorbilder verfügt, macht er seine Sache als Sänger gut und tritt als deren Epigone an, die Fahne des Heartland Rocks hochzuhalten.

Inhaltlich wirft Israel Nash, eigentlich Israel Nash Gripka, ebenfalls einen Blick zurück. In den Texten finden sich die Menschen und Erzählungen wieder, die ihn prägten. Seine Mutter notierte ihm Familiengeschichten, mit denen er sich zunächst zurückzog, um daraus die Songs im Alleingang zu entwickeln. So dienen beispielsweise Episoden aus dem Leben seines Urgroßvaters als Vorlage für den Titeltrack. Danach holte er weitere Musiker – Curtis Roush (Gitarre), Patrick Hallahan (Schlagzeug), Seth Kauffmann (Bass) und Eric Swanson (Pedal Steel) – zusammen, um die Stücke instrumental einzuspielen. Schließlich setzte sich Nash mit dem Produzenten Kevin Ratterman hin und fügte seinen Gesang, zusätzliche Gitarren und Synthesizer hinzu.

Am Ende dieses Prozesses stehen nun zehn zeitlose und molodiöse Rocksongs, die mit vollem Sound, hallenden Gitarren und überwiegend voluminösen Klangteppich aus den Lautsprechern schallen. Den hymnischen Charakter des Einstiegs behalten einige langsamere Titel bei. In dieser Kategorie ist besonders das eingängige „Pieces“ hervorzuheben. Nash gibt den Titeln im Schnitt klassische viereinhalb Minuten. Einzig „Going Back“ knackt die Fünf-Minuten-Marke mit Tempowechsel, längerer Bridge und abschließendem Gitarrensolo.

In der zweiten Hälfte versieht Nash die Stücke mit einem etwas erdigeren Sound. Dadurch nimmt einen die sehnsuchtsvolle Ballade „Lost In America“ besonders mit. Auch „Shadowland“, mit punktgenauem E-Gitarreneinsatz, überzeugt durch die intensive Performance. Etwas lockerer geht es Nash mit „Travel On“ an. Die Struktur des Tracks erinnert in manchen Passagen an John Hiatt. Die drei Titel sind jenseits der voluminösen Hymnen die heimlichen Highlights des Albums.

Israel Nash ruft die gute alte Zeit des Heartland Rocks in Erinnerung. Er verordnet dieser Spielart des Rocks eine moderate Verjüngungskur und greift dabei musikalisch und thematisch auf die bekannten Ingredienzien zurück. Nash belegt mit „Ozarker“, dass der Heartland Rock etwas zu bieten hat, das die Seele berührt, und daher noch lange nicht begraben ist.

Loose Music – Rough Trade (2023)
Stil: Heartland Rock

Tracks:
01. Can’t Stop
02. Roman Candle
03. Ozarker
04. Pieces
05. Going Back
06. Firedance
07. Lost In America
08. Midnight Hour
09. Travel On
10. Shadowland

Israel Nash
Israel Nash bei Facebook
Pias/Rough Trade
Oktober Promotion

Buddy & Julie Miller – In The Throes – CD-Review

Review: Michael Segets

Wenn ich anfangen würde, die Musiker aufzuzählen mit denen Buddy Miller im Laufe seiner Karriere zusammengearbeitet hat, dann müsste ich eine lange Reihe von Verlinkungen zu der Interpretenliste von SoS einfügen. Ich beschränke mich daher auf zwei kurze Hinweise: sein Mitwirken auf der aktuellen Scheibe von Lucinda Williams sowie auf Jim Lauderdale, mit dem er einen gemeinsamen Longplayer aufnahm. Die Veröffentlichung seines sechsten und bislang letzten eigenen Studioalbums liegt allerdings schon ein Dutzend Jahre zurück.

Seine Ehefrau Julie brachte eine Vielzahl von Longplayern heraus und kollaborierte mehrfach mit Patty Griffin und Größen wie John Hiatt oder Shawn Colvin. Sowohl Buddy als auch Julie sind also in der Songwriter-Szene fest verhaftet. Seit Anfang der 2000er treten die Millers als Paar in Erscheinung und scheinen sich mittlerweile auf gemeinsame Werke zu konzentrieren.

Die Songs auf „In The Throes“ schrieb Julie in einem Rutsch. Einzig „Don’t Make Her Cry“ ist ein Gemeinschaftsprojekt von Bob Dylan und Regina McCrary, dem sie den letzten Schliff mitgab. Das Ehepaar teilt sich die Gesangparts auf der CD. Die Stimme von Julie schmeichelt sich nicht unmittelbar ein, während Buddys Gesang den Songs einen weicheren Touch mitgibt. Gerade vom Zusammenklang der beiden leben die Stücke, wie beispielsweise das herausragende „Niccolo“.

Harmonisch wirken die ruhigen Tracks, bei denen Buddys Gesang im Vordergrund steht. Neben dem bereits erwähnten „Don’t Make Her Cry“ fallen „Tattooed Tear“ und „I’ll Never Live It Down“ in diese Kategorie. Alle drei Titel sind schöne Balladen, die markanteren Beiträge stellen aber die Tracks dar, auf denen Julie die Lead Voices übernimmt. So bekommt der Opener „You’re My Thrill“ eine leicht angeschrägte Note, die ihn unverwechselbar macht. In Sachen Expressivität legt das rockige Titelstück noch eine Schippe drauf. Stark ist zudem „The Painkillers Ain’t Workin‘“, bei dem Julies Stimme ebenfalls dominiert. Gurf Morlix tritt hier als Gastmusiker auf.

Einhören muss man sich bei dem bluesigen „I Been Around“, das fast schon psychodelische Züge trägt. Eingängig ist hingegen das mehrstimmig angelegte „We’re Leavin‘“ mit Stuart Duncan an der Geige. Der Refrain lädt zum Mitsingen ein, wenn man sich an dem religiös angehauchten Text nicht stört.

Emmylou Harris gibt sich bei „The Last Bridge You Will Cross“ die Ehre. Das Cello von Matt Slocum unterstreicht die getragene Stimmung der Ode an den 2020 verstorbenen Bürgerrechtler John Lewis, dem bereits Willie Nile auf „The Day The Earth Stood Still“ ein musikalisches Denkmal setzte. Die Themen der anderen Songs drehen sich zumeist um Freude und Frustration in einer Beziehung. Wer wie die Millers seit über dreißig Jahren verheiratet ist, wird davon wohl selbst ein Lied singen können. Schön ist, wenn nach dieser Zeit noch ein gegenseitiges „I Love You“ ausgesprochen wird.

Das Gemeinschaftsprojekt von Buddy und Julie Miller „In The Throes“ zeigt erneut, wie gut das Ehepaar harmoniert. Julie liefert das Songmaterial, Buddy arrangiert es kongenial. Ihr Gesang steuert expressive Töne bei, seiner stellt einen ausgeleichenden Gegenpol dar. Dabei kommt eine spannende Mischung zwischen progressiven und traditionsverbundenem Americana heraus. In diesem Genre sichern sich die Millers mit „In The Throes“ einen Platz auf der Bestenliste 2023.

New West Records – Redeye/Bertus (2023)
Stil: Americana

Tracks:
01. You’re My Thrill
02. In The Throes
03. Don’t Make Her Cry
04. Niccolo
05. I Love You
06. The Last Bridge You Will Cross
07. The Painkillers Don’t Workin’
08. Tattooed Rose
09. I Been Around
10. I’ll Never Live It Down
11. We’re Leavin’
12. Oh Shout

Buddy & Julie Miller
Buddy & Julie Miller bei Facebook
V2 Records Promotion GSA

Los Lobos – Native Sons – CD-Review

cover Los Lobos - Native Sons 300

Review: Michael Segets

Just another band from East L. A. – so bezeichneten sich Los Lobos selbst, dabei besteht für die Wölfe kein Grund zur Bescheidenheit. Spätestens mit ihrem internationalen Superhit „La Bamba“ sind sie über die Grenze ihrer Heimatstadt hinaus bekannt. Dennoch ist die Band in der kalifornischen Metropole tief verwurzelt und besinnt sich mit „Native Sons“ auf die musikalischen Einflüsse, die sie prägten. Bis auf den Titeltrack, der eine Eigenkomposition darstellt, covern Los Lobos eben die Bands und Musiker, die eng mit L. A. verbunden sind.

Seit den 1980ern gelten Los Lobos als Inbegriff des Tex-Mex und haben dem Tejano mit ihrem eigenständigem Sound einen Stempel aufgedrückt. In der Folgezeit erweiterte die Band ihre Bandbreite, sodass die musikalische Richtung ihrer Alben kaum abzusehen ist. „Kiko“ (1992) gilt unter Kritikern als ein Höhepunkt unter den Veröffentlichungen, wobei „The Neighborhood“ (1990), mit den Gastmusikern Levon Helm und John Hiatt, bereits den Aufbruch zu neuen Ufern markierte.

In der letzten Dekade tourten sie mit Neil Young, der Tedeschi Trucks Band und den North Mississippi Allstars, bevor es um die Combo stiller wurde. Mit „Native Sons“ melden sich Los Lobos nun wieder zurück, allerdings ohne neues Eigenmaterial zu präsentieren, sieht man von dem Titelsong ab. Dass die Mannen aus L. A. bei ihren Covern den jeweiligen Songs eigene Facetten und einen veränderten Klang mitgeben können, haben sie ausgiebig auf mehreren Tribute-Alben bewiesen und so hört sich „Native Sons“ ganz nach Los Lobos an.

„Never No More“ von Percy Mayfield und „Flat Top Joint“ von Dave Alvin (The Blasters) sind im Stil des klassischen Rock ’n Roll gehalten. Ein hohes Tempo geht auch „Farmer John“. Der Song ist bereits auf diversen Live-Mitschnitten von Los Lobos zu finden. Einzelne Tracks haben einen Funk-Einschlag („Love Special Delivery“), gehen in Richtung R&B („Misery“) oder kombinieren beides („The World Is A Ghetto“). Wie häufig bei den Longplayern von Los Lobos finden sich zudem spanische Titel auf „Native Sons“, die beim Uptempo oft einen zirzensischen Eindruck hinterlassen oder leicht in schmalzige Regionen abdriften. Der Salsa „Los Chucos Suaves” und das schmachtende „Dichoso” bilden da keine Ausnahme.

Die Band um David Hidalgo liefern darüber hinaus Versionen von Musikern ab, die eher ins SoS-Spektrum fallen. Von Jackson Browne interpretieren sie „Jamaica Say You Will “ und von Stephen Stills „Bluebird/For What It’s Worth”. Die beiden Songs von Stills sind auf CD oder LP als Medley gespielt, auf der digitalen Ausgabe sind sie als Einzeltitel getrennt. Gelungen ist auch „Sail On, Sailor”, das durch die Beach Boys bekannt ist. Als Abschluss der CD gibt es das Instrumentalstück „Where Lovers Go“, das als Rausschmeißer seit langer Zeit von Los Lobos live erprobt ist.

Der spezielle Sound von Los Lobos wird nicht zuletzt durch das Saxophon von Steve Berlin geprägt. Steve Berlin, der Mitte der 1980er der Band beitrat, hat sich mit seinem Instrument und als Produzent einen Namen gemacht. So unterstützte er beispielsweise Sheryl Crow, Joan Osborne und The Suitcase Junket. Los Lobos holten für „Native Sons“ einige Gastmusiker mit an Bord und David Hidalgo Junior sitzt bei der Hälfte der Stücken am Schlagzeug.

So bunt schillernd wie man sich das Leben in L.A. vorstellt, ist auch die Liebeserklärung „Native Sons“ von Los Lobos an ihre Heimatstadt ausgefallen. Bei der Auswahl der Coverversionen greifen David Hidalgo, Steve Berlin und ihre Mitstreiter unterschiedliche musikalische Stile auf. Gemeinsam ist den Songs nicht nur, dass sie von Musikern stammen, die die Szene in L. A. prägten, sondern auch, dass sie durch den typischen Sound von Los Lobos zusammengeschweißt werden.

New West Records/Pias-Rough Trade (2021)
Stil: Rock and more

Tracks:
01. Love Special Delivery
02. Misery
03. Bluebird/For What It’s Worth
04. Los Chucos Suaves
05. Jamaica Say You Will
06. Never No More
07. Native Son
08. Farmer John
09. Dichoso
10. Sail On, Sailor
11. The World Is A Ghetto
12. Flat Top Joint
13. Where Lovers Go

Los Lobos
Los Lobos bei Facebook
Oktober Promotion

Danny Brooks & Lil Miss Debi – Are You Ready? The Mississippi Sessions – CD-Review

DBMD_300

Review: Michael Segets

Texassippi Soul Man Danny Brooks und seine Frau Lil Miss Debi haben den Output ihrer Mississippi Sessions auf eine randvolle CD gepackt. Mit den zwanzig Songs unternehmen sie einen Streifzug durch Blues, Americana und Rock. „Are You Ready?“ wirkt unverstellt und handgemacht und liefert in allen Stilbereichen Titel mit hoher Qualität.

Danny Brooks klärt darüber auf, dass der Blues der Vater des Rock ‘n Roll ist („Rock N Roll Was The Baby“) und das bereits Jesus den Blues besaß („Jesus Had The Blues“). Es bietet sich daher an, die Blues-Titel zu Beginn des Reviews in den Blick zu nehmen. Die konkreteren Wurzeln seiner Musik verortet Brooks im Mississippi Delta. Seine rauchig angekratzte Stimme passt auch prima zu diesem. Auf „The Battle” klingt Brooks beinahe wie Tom Waits. Zusätzlichen Drive erhält der Titel durch die Bläser, die auch mehrere andere Stücke aufwerten.

Die Mehrzahl seiner Blues-infiltrierten Songs legt einen flotteren Gang ein („Me And Brownie McGhee“) und gelegentlich lässt er es mit Resonator-Gitarre und Mundharmonika richtig scheppern („One More Mile (To Mississippi)“). Bei dem Duett mit Lil Miss Debi „No Easy Way Out“ reduziert Brooks das Tempo etwas, der Song bleibt aber kraftvoll.

Das starke „We Do Whatever It Takes“ bewegt sich zwischen Blues und Americana. Mit „Where Will you Stand“ legt Brooks noch einen großartigen Track in dieser Richtung drauf. Wenn Brooks sich dem Americana zuwendet, erinnern seine Songs zum Teil an John Hiatt („When I’m Holding You“). Lil Miss Debi steuert eine gefühlvolle Version von John Prines „Angel From Montgomery“ dem Werk bei. Mit Ausnahme dieses Klassikers stammen alle Songs von Brooks. Dass er selbst ebenfalls stimmungsvolle Balladen singen kann, zeigt er auf „Climb That Mountain“.

Bietet „Are You Ready?“ bereits im Blues und Americana einige Leckerbissen, sind die rockigen Titel doch der Höhepunkt des Menüs. Ganz im Stil des frühen Southside Johnnys serviert Brooks seinen Rock mit einer gehörigen Portion Soul. Beim Titeltrack und bei „Coming Home“ glänzt James Lawlis am Saxophon. Mundharmonika und Orgeln in Verbindung mit einem kräftigen Backgroundchor lassen mit „Without Love“ die guten alten Zeiten wiederaufleben.

Etwas aus der Reihe fallen „Jamaica Sun“, das einen leichten Reggae-Anflug aufweist, sowie die Schunkel-Nummer „Put A Little Rock N‘ Roll In Your Soul“, die Dancehall-Flair in einer Verbindung von Cajun und Country erzeugt. Dennoch integrieren sich die Tracks ohne Bruch in das Gesamtwerk. Dessen musikalische Bandbreite wird mit „Let Me Know“ noch erweitert, das vom Gospel beeinflusst ist.

Andere Musiker hätten aus dem umfangreichen Material zwei, vielleicht stärker konzeptionell orientierte Veröffentlichungen gemacht. Aber wer will sich über ein reichhaltiges Angebot beschweren, wenn die Auslage so verlockend ist?

Dem von Lil Miss Debi gestalteten Begleitheft gebührt noch besondere Erwähnung. Auf 24 Seiten sind neben den Texten und kurzen Kommentaren zu den Liedern ebenfalls Fotos mit Informationen zu den beteiligten Musikern abgedruckt.

Danny Brooks geht nun langsam auf die Siebzig zu und legt zusammen mit Lil Miss Debi ein frisches, fast 80 Minuten langes Album vor, auf dem er zeigt, dass er sich in Blues, Americana und Rock auskennt. Trotz der unterschiedlichen stilistischen Einflüsse bleibt „Are You Ready?“ ein authentisch wirkendes Werk, das die verschiedenen Musikrichtungen, die ja durchaus in verwandtschaftlichen Beziehungen stehen, gekonnt verbindet.

His House Records (2020)
Stil: Blues and more

Tracks:
01. Are You Ready
02. Jesus Had The Blues
03. Jamaica Sun
04. We Do Whatever It Takes
05. Let Me Know
06. No Easy Way Out
07. Angel From Montgomery
08. Coming Home
09. One More Mile (To Mississippi)
10. Rock N Roll Was The Baby
11. Where Will You Stand
12. Hold On To Love
13. Broken
14. Climb That Mountain
15. Put A Little Rock N’ Roll In Your Soul
16. Without Love
17. Me And Brownie McGhee
18. Tell Me About It
19. When I’m Holding You
20. The Battle

Danny Brooks
Danny Brooks bei Facebook

Nick Lowe – Lay It On Me – EP-Review

Lowe_300

Review: Michael Segets

Der englische Musiker und Produzent Nick Lowe taucht bestimmt irgendwo in der gut sortierten Rocksammlung auf, selbst wenn dort kein Album von ihm vertreten ist. Als Bassist bei Little Village veröffentlichte er mit John Hiatt, Ry Cooder und Jim Keltner 1982 ein Album. Er spielte mit einer Vielzahl von Künstlern und Bands wie Dave Edmunds, Rockpile, John Lee Hooker, Tanita Tikaram, Blackie And The Rodeo Kings oder Wilco.

Seine Songs wurden von etlichen Interpreten aufgenommen. Seine Exfrau Charlene Carter, Johnny Cash, Diana Ross, Linda Ronstadt, The Mavericks, George Thorogood, Rod Stewart, Simple Minds – um nur einige zu nennen – gehören dazu. Auch seine Liste als Produzent ist lang. Beispielsweise Werke von Graham Parker, Dr. Feelgood, The Fabulous Thunderbirds oder von The Pretenders wurden von ihm betreut. Vor allem mit Elvis Costello arbeitete er über acht Alben hinweg zusammen. Dieser machte den von Lowe geschriebenen Song „(What`s So Funny ‘Bout) Peace, Love And Understanding” zu einem Hit.

In der Musikszene hat der einundsiebzigjährige Lowe unabhängig von seinen sechzehn eigenen Alben also deutliche Spuren hinterlassen. Vor sieben Jahren veröffentlichte er seinen bislang letzten im Studio eingespielten Longplayer. 2018 folgte die EP „Tokyo Bay“. Mit der EP „Lay It On Me“ gibt Lowe nun erneut ein Lebenszeichen von sich.

Gemeinsam mit den Los Straitjackets spielte er drei Songs ein. Die beiden Eigenkompositionen „Lay It On Me Baby” und „Don’t Be Nice To Me” ergänzt „Here Comes That Feeling”, das von Dorsey Burnette geschrieben und durch die Version von Brenda Lee bekannt wurde. Im Stil des 50er Jahre Rock ’n Roll gehalten und mit einer Prise Soul gewürzt verströmen die Stücke einen angenehmen Retro-Charme.

Schließlich findet sich noch eine instrumentale Interpretation von „Venus“ auf der EP. Dem Song von Shocking Blue, der durch Bananarama in den Achtzigern ein Revival erlebte, geben Los Straitjackets einen Surf-Rock-Anstrich. Den Titel hat Lowe lediglich produziert.

Mit seinen knapp zwölf Minuten stellt „Lay It On Me” ein kurzes Vergnügen dar. Die Fans von Nick Lowe wird das neue Material aber dennoch freuen. Die unverkrampften Songs sind wunderbar geeignet, einen lockeren und entspannten Sommerabend auf der Terrasse einzuläuten.

Yep Roc Records (2020)
Stil: Rock

Tracks:
01. Lay It On Me Baby
02. Don’t Be Nice To Me
03. Here Comes That Feeling
04. Los Straitjackets – Venus

Nick Lowe
Nick Lowe bei Facebook
Yep Roc Records
Redeye Worldwide

Drew Holcomb & The Neighbors – Dragons – CD-Review

Holcomb_300

Review: Michael Segets

Die tänzerischen Qualitäten von Drew Holcomb stellen die von John Travolta oder Michael Jackson deutlich in den Schatten, wie er in dem Video zu „Family“ beweist. Ich mühe mich seit Tagen vor dem Spiegel, um seine Moves so ausdrucksstark rüberzubringen. Der Gute-Laune-Song eröffnet „Dragons“, die neue Scheibe von Drew Holcomb & The Neighbors.

Fröhliche Stimmung versprüht auch „End Of The World“ – entgegen dem, was der Titel verspricht. Die leicht poppige Nummer verbreitet Party-Laune und geht ebenfalls direkt ins Tanzbein. Nach dem mitreißenden Beginn der CD nimmt Holcomb das Tempo zurück. Die optimistische Grundton des Einstiegs durchzieht aber weiterhin den gesamten Longplayer, obwohl auch ernstere Zwischentöne angeschlagen werden. Erst am Ende wird das Werk mit der aktuellen Single „You Never Leave My Heart“ und „Bittersweet“ getragener.

Im Mittelteil des Longplayers widmet sich Holcomb ganz dem Americana, seiner bevorzugten Musikrichtung. Dabei gelingen ihm einige starke Genrebeiträge. Das mit akzentuiertem Rhythmus und sanfter Klavierbegleitung versehene „But’ll Never Forget The Way You Make Me Feel“ ist einer davon. Noch einen Tick stärker erscheint der Titelsong, den Zach Williams mitgeschrieben hat. Die „Dragons“ sind dabei eine Metapher für die Hindernisse, die es im Leben zu überwinden gilt.

Aber auch die Kooperation mit Lori McKenna bei „You Want What You Can’t Have“ und beim rockigeren „Make It Look So Easy“ macht sich bezahlt. „See The World“ ist sehr harmonisch, aber mit der Lap Steel etwas glatt, sodass es mich nicht so mitnimmt wie die anderen Songs. „Maybe“ punktet hingegen durch den variablen Einsatz der Gitarren. Für diese ist neben Holcomb Nathan Dugger verantwortlich. Mit Rich Brinsfield am Bass und Jonathan Womble am Schlagzeug sind The Neighbors dann komplett. Holcombs Frau Ellie ist offiziell aus der Band ausgeschieden und verfolgt mittlerweile eine Solo-Karriere.

Holcomb ist mit seiner aus Tennessee stammenden Band seit 2005 unterwegs. Er tourte mit einigen illusteren Kollegen wie John Hiatt, Ryan Adams, Marc Broussard, Robert Earl Keen oder Susan Tedeschi. In den letzten fünf Jahren konnten Drew Holcomb & The Neighbors einige Alben vor allem in den amerikanischen Folk- und Independent-Charts platzieren.

Das neue Werk hat sicherlich das Potential, an diese Erfolge anzuknüpfen. Die beiden Auskopplungen „Family“ und „You Never Leave My Heart” stecken dabei die beiden emotionalen Extrempunkte der Scheibe ab. Dazwischen bietet „Dragons“ sehr gelungene Americana-Songs mit eingängigen Melodien und eindringlichen Texten.

Thirty Tigers (2019)
Stil: Americana

Tracks:
01. Family
02. End Of The World
03. But I’ll Never Forget The Way You Make Me Feel
04. Dragons
05. See The World
06. You Want What You Can’t Have
07. Maybe
08. Make It Look So Easy
09. You Never Leave My Heart
10. Bittersweet

Drew Holcomb
Drew Holcomb bei Facebook
Thirty Tigers
Oktober Promotion

John Hiatt – The Eclipse Sessions – CD-Review

Hiatt_300

Review: Michael Segets

Obwohl ihm die ganz großen Verkaufszahlen bisher verwehrt blieben, zählt John Hiatt doch zu den renommierten amerikanischen Singer-Songwritern, dessen Stücke von vielen Künstlern aufgenommen wurden. Rosanne Cash, Eric Clapton und B. B. King, David Crosby, Bob Dylan, Willie Nelson, Bonnie Raitt, Bob Seger sowie Bruce Springsteen reihen sich in die Liste der Interpreten seiner Songs ein.

Musikalisch bewegt sich Hiatt auf seinen Veröffentlichungen zwischen Folk Rock und Heartland Rock mit Einflüssen von Blues und Americana. Am bekanntesten dürfte seine Single „Have A Little Faith In Me” (1987) sein. Mit seiner Scheibe „Walk On“ hat er 1995 ein (unterschätztes) Meisterwerk abgeliefert. Von der Kritik hoch gelobt ist sein „Spätwerk“. Seit 15 Jahren veröffentlicht er bei New West beständig neue Alben.

Im Sommer vergangenen Jahres zog sich Hiatt mit Bassist Patrick O’Hearn und Schlagzeuger Kenneth Blevins in das Heimstudio von Kevin McKendree zurück, um als Trio „The Eclipse Sessions“ innerhalb von wenigen Tagen einzuspielen. McKendree produzierte den Tonträger, steuerte selbst noch einige Keys bei und holte seinen Sohn Yates für eine ergänzende E-Gitarre hinzu. Herausgekommen ist ein typisches John-Hiatt-Album.

Die CD beginnt mit zwei starken Midtempo-Stücken. Die Anlage von „Cry For Me“ erinnert mich an Songs von Warren Zevon, was vielleicht auch an der Klavierbegleitung liegt. Das rootsige, mit gleichmäßigem Rhythmus unterlegte „All The Way To The River“ punktet durch Hiatts Gesang und schöne E-Gitarrenpassagen. An Intensität wird es nur noch durch das herausragende „Nothing In My Heart“ übertrumpft. Hier stellen sich bei mir Assoziationen zu Gurf Morlix ein.

Dabei ist die markante Stimme von Hiatt natürlich ein Alleinstellungsmerkmal. Diese kommt vor allem bei den akustisch angelegten „Aces Up Your Sleeve“ und „Hide Your Tears“ ebenso wie auf dem bluesigen „I Like The Odds Of Loving You“ zur Geltung. Wenn Hiatt höher singt, wie auf „Outrunning My Soul” oder „One Stiff Breeze”, wirkt das eher ungewöhnlich und gewöhnungsbedürftig. Dennoch entwickeln die Stücke – wenn man ihnen eine Chance gibt – bei mehrmaligen Hören ihren Reiz.

Eine groovende Uptempo-Nummer liefert Hiatt mit „Poor Imitation Of God“. Yates McKendree setzt hier und bei „Over The Hill” gelungene Akzente mit seiner elektrischen Gitarre. Harmonisch klingen „The Eclipse Sessions“ mit „Robber’s Highway” aus.

Im Vorfeld der Sessions überlegte John Hiatt, ob er eine Solo-Scheibe aufnehmen soll und sich lediglich mit akustischer Gitarre begleitet. Man weiß nicht, was dabei herausgekommen wäre. Auf „The Eclipse Sessions“ hat er sich für die Begleitband entschieden und das Ergebnis lässt sich gut hören. Wie auf den meisten Werken von John Hiatt finden sich wieder einige hervorstechende Titel, die durch den Drive, die die größere Instrumentalisierung erzeugt, profitieren.

New West (2018)
Stil: Folk Rock

Tracks:
01. Cry To Me
02. All The Way To The River
03. Aces Up Your Sleeve
04. Poor Imitation Of God
05. Nothing In My Heart
06. Over The Hill
07. Outrunning My Soul
08. Hide Your Tears
09. I Like The Odds Of Loving You
10. One Stiff Breeze
11. Robber’s Highway

John Hiatt
John Hiatt bei Facebook
New West Records
Rough Trade