2024 sind einige bemerkenswerte Live-Alben erschienen. Willie Nile, Jason Isbell und Steve Earle legten vor und nun reiht sich Ryan Bingham mit „Live At Red Rocks“ in die Liste ein. Digital ist das Konzert vom 25. Juni dieses Jahres bereits seit letzter Woche verfügbar. Vinyl und Silberlinge sind für den 22. November angekündigt. Dass das Publikum im restlos ausverkauften Red Rocks Amphitheatre leidenschaftlich mitging, lässt die Aufnahme erahnen. Jedenfalls fängt sie den frenetischen Jubel und die textsichere Begleitung – durchgängig bei „Nobody Knows My Trouble“ – des Hauptakteurs ein, der sich in sehr guter Form präsentiert.
Mit den beiden rockigen Stücken „Nothin Holds Me Down“ und „Jingle And Go“ von seinem letzten Longplayer „American Love Song“ (2019) nimmt Bingham das Auditorium vom Start an mit. Sehr stark ist das folgende „Top Shelf Drug”, das für mich neben „Hallelujah“ – eine Eigenkomposition von Bingham und kein Cover von Leonard Cohen – zu den Höhepunkten des durchweg überzeugenden Auftritts gehört. Neun Songs von seinem Debüt „Mescalito“ (2007) stehen auf der Setlist, wobei meine Favoriten „The Other Side“ und „Hard Times“ vertreten sind.
Natürlich darf auch sein mehrfach prämierter Hit „The Weary Kind“, der als Soundtrack zu „Crazy Heart“ bekannt wurde, nicht fehlen. Im Mittelteil des Konzerts setzt Bingham auf seine sanfteren, eher ein gemäßigtes Tempo anschlagenden Stücke. Hervorzuheben ist hier das Intro zu „Southside Of Heaven”, das er mit einer Mundharmonika bestreitet. Seine Spanisch-Kenntnisse lässt der in New Mexico geborene Songwriter bei „Boracho Station“ aufblitzen. Expressiver geht es zwischendurch bei dem zehnminütigen „Bluebird“ zu, bei dem einer gitarrendominierten Instrumentalpassage viel Raum gegeben wird. Zum Abschluss schlägt Bingham nochmal einen Bogen zurück zum rockigen Einstieg („Sunshine“, Bread & Water“).
Bingham legt bei seinen Studioveröffentlichungen keine besonders hohe Schlagzahl vor. Zurzeit ist er auf Konzerttour mit einem Tribute für The Last Walz von The Band und Robbie Robertson unterwegs. Mit von der Partie ist unter anderem Lukas Nelson. Bingham hat neben der Musik aber auch genug andere Betätigungsfelder für sich entdeckt. So besteht ein Dauerengagement bei der Fernsehserie „Yellowstone“, deren zweiter Teil der fünften Staffel gerade in Amerika anläuft. Darüber hinaus wirft er seine eigene Whiskey-Marke auf den Markt. Der Bourbon wird in Texas mit regionalen Zutaten produziert, ist dennoch in Zeiten des Online-Handles quasi weltweit zu erhalten. Aber auch ohne den edlen Tropfen lässt sich „Live At Red Rocks“ genießen.
Die Dopplung einiger Titel, die bereits auf seinem offiziellen Live-Album aus dem Jahr 2016 vertreten sind, mindert nicht die Qualität des aktuellen Auftritts von Ryan Bingham im Red Rocks Amphitheatre. Vielleicht hätte er seine neueren Stücke stärker berücksichtigen können, wie „What Would I’ve Become“ von seinem letzten Longplayer. Aber auch so bekommt man von einem souverän aufspielenden Songwriter eine Aufnahme, die die Konzertatmosphäre ohne Abstriche einfängt.
The Bingham Recording Company – Thirty Tigers/Membran (2024)
Stil: Americana, Roots Rock
Tracks:
01. Nothin Holds Me Down
02. Jingle And Go
03. Top Shelf Drug
04. The Other Side
05. Long Way From Georgia
06. Ghost Of Travelin’ Jones
07. Bluebird
08. Sunrise
09. Hard Times
10. Hallelujah
11. The Weary Kind
12. Southside Of Heaven
13. Boracho Station
14. Nobody Knows My Trouble
15. Sunshine
16. Bread & Water
Die Motivation der niederländischen Band Harlem Lake, mutig über die Grenzen musikalischer Genres hinauszugehen und eine couragierte Verschmelzung verschiedenster Stilrichtungen konsequent zu verfolgen, hat ihr in kurzer Zeit zum Durchbruch verholfen.
Bodenständig und – wie sie es selbst beschreiben – mit beiden Beinen in den “muddy lowlands” ihrer Heimat verwurzelt, stehen Harlem Lake zu ihren blues-geprägten Ursprüngen, die sie sehr einfallsreich mit Americana, Rock und auch Pop verbinden. Southern-rockige Töne tun manchmal ein Übriges, um die kraftvollen und leidenschaftlichen Kompositionen souverän in eigenständige Soundcollagen zu tragen. Obwohl erst 2021 gegründet, gelang es der Band aus der Großstadt-Gemeinde Harlemmermeer bereits 2022, den prestigeträchtigen Preis der European Blues Challenge abzuräumen.
Wesentlich hierfür waren der Erfolg ihres Debutalbums “A Fool’s Paradise” (2021) sowie u. a. mitreißenden Tour-Auftritte wie im Schwarzen Adler, Rheinberg. Mit der selbst produzierten Scheibe “Volition Live” (2023) – inkl. Horn-Section und Background-Vocals wurden 13 begeisternde Titel mitgeschnitten. Das nun vorliegende 2. Album “The Mirrored Mask” festigt die Blues-basierte, dynamische Spielweise von Harlem Lake und präsentiert eine abwechslungsreiche Songlist. Produzent Guido Aalbers (z. B. Coldplay, Muse, No Doubt) balancierte die Tracks zwischen modernen und klassischen Arrangements.
Höhepunkte, u. a. die drei Vorabsingles (“Fooled Again”, “Carry On” und “The Thoughts Of You”), die vom rasanten Rhythmus-Groove à la Dire Straits, über Little Feat-betonte Guitar-/Horn-Sounds bis zum gefühlvollen Americana-Epos, sind reichlich vertreten. Immer vorne dabei die mitreißende und emotional wandlungsfähige Stimme von Janne Timmer, die auch als Frontfrau die starke Präsenz der Band mit verkörpert.
Ein mächtiger Bläser-Hintergrund fordert im Titelsong die Leidenschaft der Leadgitarre und der Vocals offen heraus und animieret nahezu unausweichlich zum Abschluss bei den schnellen Partyrockern “Temptation” und “Jack In The Box” (mit sich austobenden Gitarren und Keyboards) zum Tanzen!
Mit ihrem Follow-up “The Mirrored Mask” haben Harlem Lake erneut eine Blues-rockende Scheibe vorgelegt, die ihre vielen musikalischen Farben talentiert und liebevoll mit Americana und Soul anreichert und standesgemäß die Rock’n’Roll-Tradition als Herausforderung versteht. Ab dem 11.10. tourt die Band quer durch die Niederlande und Deutschland, und ein Konzertbesuch bietet die passende Gelegenheit, das Album in physischer Form (CD oder LP) gleich mit nach Hause zu nehmen.
Jazzhaus Records (2024) Stil: Blues Rock, Americana
Tracks: 01. Carry On 02. Fooled Again 03. To Tell You I’m Sorry 04. Beggars Can’t Choose 05. The Thought Of You 06. Crying IN The Desert 07. The Desert 08. Prelude 09. The Mirrored Mask 10. Temptation 11. Jack Is In The Box
Nach ein paar Begrüßungsworten, die Jason Isbell an das Publikum seiner fünfzigsten Show im Ryman Auditorium, Nashville, richtet, startet das Album mit „Save The World“. Es stammt wie das anschließende, mit einer langen von Sadler Vaden an der elektrischen Gitarre dominierten Instrumentalpassage versehene „King Of Oklahoma“ von seinem letzten Longplayer „Weathervanes“ (2023). Das mit zwei Grammys dekorierte Werk steht neben „Reunions“ (2020) im Zentrum des Doppelalbums.
Meine jeweiligen Favoriten – „It Gets Easier“ und „Death Wish“ – der beiden Longplayer tauchen nicht auf, ansonsten gibt es an der Songauswahl wenig zu bemängeln. Von „Reunions“ wählte Isbell die rockigsten Tracks („Overseas”, „Running With Our Eyes Closed“). Darüber hinaus ist das Album mit der Ballade „Only Children“ vertreten., die auch live auf der ganzen Linie überzeugt. Im Vergleich mit der Studioversion erscheint „River“ etwas schwächer. Hier macht sich das Fehlen von Amanda Shires mit ihrer Geige besonders bemerkbar. Mit „Dreamsicle” gibt es noch einen fünften Beitrag, der sich ursprünglich auf der 2020er Veröffentlichung findet.
Neben den beiden bereits erwähnten Songs greift Isbell auf sechs weitere von „Weathervanes“ zurück. Dabei darf das preisgekrönte „Cast Iron Skillet” natürlich nicht fehlen. Zusammen mit dem unmittelbar ins Ohr gehenden „Strawberry Woman” gehört es zu den ruhigeren Titeln, bei denen die akustische Gitarre den führenden Part übernimmt. Daneben kommen auch Stücke mit einem voluminöseren Sound zu Gehör. „Miles“ oder „This Ain’t It”, mit dem Isbell And The 400 Unit den Abschluss des Longplayers über neun Minuten hinweg zelebrieren, sind hier zu nennen. Zuvor lässt es die Band bei „When We Were Close“ mal richtig scheppern. Die Bühnen-Performance des Songs klingt etwas erdiger und unmittelbarer als die Studioversion, was für Live-Mitschnitte ja nicht ungewöhnlich ist. So oder so bleibt er ein starker Titel.
Es gibt keine Überschneidungen mit Tracks von seiner ersten „Live From The Ryman“ aus dem Jahr 2018. Das einzige ältere Stück von Isbell ist „The Last Song I Will Write“. Weiterhin covert Isbell „Room At The Top“. Ihm gelingt dabei eine gefühlvolle Hommage an Tom Petty, bei der er das Original in seinem eigenen Stil interpretiert.
Die Cover-Gestaltung des zweiten Albums aus dem Ryman Auditorium ist eng an die des ersten angelehnt und schafft so auch optisch eine Verbindung der beiden Werke. Vielleicht folgt in den nächsten Jahren ja noch eine dritte Veröffentlichung. Für Oktober sind bereits weitere Auftritte in dieser Location angesetzt.
Die neuen Aufnahmen aus dem Ryman widmen sich Titeln der Alben „Reunions“ und „Weathervanes“ mit einer ausgewogenen Mischung von Americana und Roots Rock. Dadurch, dass Amanda Shires mit ihrer Geige anders als auf „Vol. 1“ nicht mit von der Partie ist, unterscheiden sich manche Stücke nicht nur von den Studioaufnahmen, sondern auch die Soundatmosphäre des Liveauftritts ändert sich an einigen Stellen. Ungeachtet dessen, präsentieren Jason Isbell And The 400 Unit die aktuelleren, fast druchgängig starken Songs in gewohnt souveräner Art.
Southeastern Records – Thirty Tigers/Membran (2024) Stil: Rock, Americana, Roots Rock
Tracks:
01. Save The World
02. King Of Oklahoma
03. Only Children
04. Overseas
05. Dreamsicle
06. Running With Our Eyes Closed
07. Middle Of The Morning
08. The Last Song I Will Write
09. Strawberry Woman
10. Cast Iron Skillet
11. Miles
12. River
13. When We Were Close
14. Room At The Top
15. This Ain’t It
Thomas Kraft zieht in „Americana. Ein zerrissenes Land im Spiegel der Country Music“ Verbindungslinien zwischen Country Music und nationaler Identität der Vereinigten Staaten von Amerika. In dem Buch finden viele Musiker_innen Erwähnung, die in der Interpretenskala von Sounds-of-South vertreten sind, sodass es für unsere Leser_innen bereichernd sein könnte. Die Anregung für die erste Buch-Rezension bei SoS gab Andreas Reiffer, in dessen Verlag das Werk am 27.09.2024 erscheint.
Musik muss nicht politisch sein, aber ihre Entstehung ist stets durch den kulturellen und gesellschaftlichen Kontext geprägt. Offensichtlich wird die Verbindung von Musik und Politik, wenn sich die Künstler_innen öffentlich zu politischen oder gesellschaftlichen Problemen äußern oder solche Themen in ihren Texten verarbeiten. Für Politiker_innen wird die Musik interessant, wenn sie deren Popularität für ihre Zwecke instrumentalisieren können. Dass sich die Urheber_innen dagegen wehren, zeigen die zahlreichen Unterlassungsklagen gegen Trump, der ohne Zustimmung Musiktitel in seinem Wahlkampf einsetzt. Kraft zeichnet im ersten Kapitel seines Werks einige Skandale und Kontroversen nach, die im Spannungsfeld von Politik und Musik – speziell der Country Music – in den letzten Jahren aufflammten. Dabei reichen die Beispiele von den Dixie Chicks, den heutigen The Chicks, über Jason Aldeam bis zu Taylor Swift. Gefüllt mit hierzulande kaum wahrgenommenen Hintergrundinformationen bemüht sich Kraft um die Darstellung mehrerer Perspektiven. Deutlich wird dabei, dass die Country-Szene nicht nur in Bezug auf politische Ansichten, sondern auch hinsichtlich der dahinter stehenden Werte gespalten ist.
Eine zentrale Frage wird im zweiten Kapitel, in dem eine Analyse der gesellschaftlichen Situation in den Vereinigten Staaten von Amerika erfolgt, aufgeworfen: „Hat das Land seinen moralischen Kompass verloren?“ (S. 39) Diese Frage stellt sich nicht erst seit der Präsidentschaft von Trump, tritt seitdem aber immer offener zutage. Eine grundlegende These des Autors ist, dass Brüche in der nationalen Identität der USA bestehen, die historische Wurzeln haben. Obwohl sich die Vereinigten Staaten Freiheit und Demokratie auf die Fahnen schreiben, sieht die gesellschaftliche und soziale Realität anders aus. Der Umgang mit der indigenen Bevölkerung während der Kolonalisierung des Kontinents oder die Sklaverei haben Spuren hinterlassen, die bis heute nachwirken. Wie Kraft diagnostiziert, durchziehen tiefe Gräben die amerikanische Gesellschaft, die unter anderem in der Kluft zwischen arm und reich offensichtlich werden.
In weiten Teilen der Bevölkerung besteht ein Gefühl der Unsicherheit, der Benachteiligung oder gar der Existenzbedrohung sowie das Bedürfnis nach Orientierung in einer komplexen Welt. Damit geht ein Rechtsruck in der Gesellschaft einher. Der Ruf nach einem starker Mann, der Klarheit im Sinne einfacher Wahrheiten schafft und Sicherheit verspricht, wird nachvollziehbar. Kraft kommt zu dem Schluss, dass das Phänomen Trump erst aufgrund der existierenden Polaritäten möglich wurde, die er zugleich schürt. Für den Autor stellen sich die Vereinigten Staaten von Amerika als ein gespaltenes Land dar, dessen Risse sich in mehreren Dimensionen und damit auch in der Musik zeigen.
Vor dem Hintergrund dieser Gesellschaftsanalyse widmet sich Kraft in dem folgenden, umfangreichsten Kapitel des Buches wieder der Country Music. Er unterscheidet mehr als zwei Dutzend Spielarten des Country, die er unter dem Sammelbegriff „Americana“ zusammenfasst. Unabhängig davon, ob man alle angeführten Richtungen der Country Music oder dem Americana zuordnen möchte, verdeutlichen die Ausführungen, dass diese kein homogenes Bild abgibt. Der klassische Country, der in ländlichen Regionen seinen Ursprung fand, ist heute nur noch eine Sparte unter anderen. Er dreht sich thematisch um das Leben der arbeitenden Bevölkerung mit ihren mehr oder weniger alltäglichen Problemen. Als traditionelle Volksmusik ist er „weiß, männlich, patriotisch“ (S. 69).
Indem Kraft den Einfluss einzelner Musiker_innen auf den Country in lebendig geschilderten Episoden und Zitaten schildert, verfolgt er dessen Wandlungen und Entwicklungen. Dabei spannt er einen Bogen beginnend in den 1920ern bis in die Gegenwart. Die Verbindungen zum Rock in den sechziger Jahren sowie gesellschaftliche Faktoren wie die Friedens- und Protestbewegung vor dem Hintergrund des Vietnam-Krieges brachten neue Impulse in die Country Music, sodass sich spätestens seitdem die Frage stellt, was noch Country ist und was nicht. „Die Musiker hat diese Frage meist nicht interessiert. Sie wollen kreativ sein, experimentieren und neue Stilrichtungen ausprobieren.“ (S. 126) Gleiches gilt für Künstler_innen, die eher nicht aus der Country-Ecke kommen, aber deren Tradition aufgreifen und verarbeiten. Die Country Music verliert damit endgültig ihre klaren Abgrenzungen und differenziert sich aus, sodass Kraft den Oberbegriff „Americana“ für angemessen hält, um die Facetten neben dem klassischen Country zu erfassen.
Der Autor geht unterschiedlichen Spielarten nach und weist Verknüpfungen zu anderen Musikrichtungen auf, wobei er diese Entwicklungen unter den jeweiligen sozialen und gesellschaftlichen Aspekten im historischen Kontext beleuchtet. Seine Ausführungen sind gespickt mit vielen Details und Querverbindungen. So enthält das Buch auch eine Vielzahl von Informationen, die für die meisten Leser_innen wohl neu sind. Wer hätte gewusst, dass das „erste offen schwule Country-Album der Welt“ (S. 193) von Lavender Country bereits im Jahr 1973 veröffentlicht wurde?
Die Ausführungen machen deutlich, dass die Country Music nicht per se für ein tradiertes, typisch amerikanisches Wertebewusstsein steht. Sie widmet sich auch kritisch und progressiv gesellschaftspolitischen Fragen. Um die Verbindung zwischen Gesellschaft und musikalischer Offenheit zum Ausdruck zu bringen, wählt Kraft den Begriff „Americana“. Kraft beendet seine Ausführungen mit dem Appell in Richtung der Vereinigten Staaten von Amerika – und vielleicht auch in Richtung sämtlicher Country-Fans –, Co-Existenz und Vielfalt nicht als Bedrohung, sondern als Chance zu sehen und Freiheit tatsächlich ernst zu nehmen.
Dem weiten Begriff „Americana“ folgend stellt der Verfasser zum Abschluss eine Empfehlungsliste von rund 500 Alben mit Anspieltipps zusammen. Die Liste beginnt mit dem Jahr 1966 und umfasst auch Longplayer, die man vielleicht nicht unmittelbar im Bereich der Country Music verortet hätte. Die meisten Werke werden mit ein bis zwei Sätzen kommentiert. Manchmal fallen die Bemerkungen auch ausführlicher aus. Die Aufstellung bereitet Freude, wenn man bekannte Alben wiederfindet und zudem liefert sie Anregungen zur weiteren Auseinandersetzung und Recherche im weiten Bereich der Country affinen Tonträger. Von den sieben bereits aus dem laufenden Jahr in der Liste verewigten Longplayern sind zumindest zwei – „Chains & Stakes“ von The Death South sowie „Mellow War“ von Taylor McCall – auch bei SoS besprochen. Wünschenswert wäre ein Register über die Musiker_innen und Bands gewesen, um gezielt nachschlagen zu können. Ansonsten gibt es nicht viel an dem Buch auszusetzen. Hervorzuheben sind die vielen Fotographien von Musiker_innen, die den Text begleiten. Sie stammen oft von Helmut Ölschlegel.
Thomas Kraft liefert in seinem flüssig zu lesenden Buch eine Bestandsaufnahme der amerikanischen Gesellschaft und diagnostiziert ihr eine Identitätskrise. Zusammenhänge zwischen Politik, Gesellschaft und Country Music zeichnet er in unterhaltsamer, aber oft nachdenklich stimmender Weise nach. Dabei zeigt sich ein facettenreiches Bild des Country, der eben nicht mehr als die traditionsverbundene Volksmusik der Amerikaner zu betrachten ist. Country Music entwickelt sich, schafft kreative Verbindungen zu anderen Stilrichtungen und greift aktuelle und kontroverse Themen auf. Das Buch regt Musikliebhaber an, den Blick über den Tellerrand zu werfen, und eröffnet eine Perspektive, Country Music als „Americana“ neu zu hören und zu entdecken.
Der Schriftsteller und Literaturwissenschaftler Thomas Kreft ging bereits dem Einfluss literarischer Werke auf die Rockmusik nach. „Rock’n Read. Wie Literatur Rockmusik inspiriert“ erschien ebenfalls im Verlag Andreas Reiffer. Das Programm des seit fünfundzwanzig Jahren bestehenden Verlags legt einen Schwerpunkt auf Veröffentlichungen zur Popkultur und berücksichtigt dabei besonders Titel, die um Musik kreisen. Ein Besuch der Website mag sich daher lohnen.
Kraft, Thomas (2024) Americana. Ein zerrissenes Land im Spiegel der Country Music Verlag Andreas Reiffer. 320 Seiten. Hardcover, mit zahlreichen Fotographien von Helmut Ölschlegel und andern ISBN 978-3-910335-25-7 25,00 €
Die Besetzung von American Aquarium wechselt ständig. In den achtzehn Jahren seit dem Bestehen der Band gab es eine kaum zu überschauende Fluktuation der beteiligten Musiker. Die einzige Konstante ist Songwriter und Frontmann BJ Barham. Auf „The Fear Of Standing Still“ begleiten ihn Shane Boeker (Guitar), Neil Jones (Pedal Steel), Rhett Huffman (Keys), Ryan Van Fleet (Drums) und Alden Hedges (Bass). Nach „Lamentations“ (2020) nimmt Shooter Jennings nun zum zweiten Mal auf dem Produzentensessel Platz.
BJ Barham unterstreicht mit der aktuellen Scheibe von American Aquarium erneut, dass er zu den wenigen hervorragenden Songwritern seiner Generation gehört, die durchgängig hohe Qualität abliefern. Nach dem überragenden „Chicamacomico“ (2022) folgt nun „The Fear Of Standing Still“ mit Texten, die eine vergleichbare Tiefe haben. Anders als auf dem vorangegangenen Album gibt Barham dem Roots Rock wieder mehr Raum. Im Zentrum stehen aber weiterhin Americana-Balladen, in denen er Einblicke in seine Gefühls- und Gedankenwelt gibt. Dabei schlägt Barham auch sozialkritische Töne an.
Gerahmt wird der Longplayer von zwei rockigen Stücken. Die erste Auskopplung „Crier“, die Barham zusammen mit Stephen Wilson Jr. schrieb, macht den Anfang. Im Video präsentiert sich Barham mit Oberlippenbart – das einzige Zugeständnis an derzeitige Modeerscheinungen. Ansonsten schrammelt sich die Band mit ordentlichen Riffs in bester Roots Rock-Manier durch den Song. Zum Abschluss gibt es dann den aufgekratzten Rock’n Roll „Head Down, Feet Moving“, das Huffman mit seinen Keys antreibt.
Bei „Messy As A Magnolia“ und „The Getting Home“ geht American Aquarium die Sache etwas zahmer an. Die Stücke sorgen aber dafür, dass das Album einen ausgewogenen Tempo-Mix aufweist. Es zeigt sich diesbezüglich abwechslungsreicher als der Vorgänger. Ab der Mitte des Longplayers liegt der Schwerpunkt auf balladesken Tönen, bei denen sich die Pedal Steel oftmals einmischt. Die Band behält damit ein Markenzeichen ihres Sounds bei. Vielleicht sind ein paar Melodien etwas weniger nuancenreich als auf „Chicamacomico“, was den Hörgenuss jedoch nicht schmälert.
Ein wiederkehrendes Thema der Songs ist die Zerrissenheit zwischen dem Drang in die Welt hinauszuziehen, neue Ufer zu entdecken und der Geborgenheit im Schoß der Familie („The Getting Home“, „The Fear To Stand Still“). Die Texte sind autobiographisch geprägt, auch wenn das stets präsente lyrische Ich natürlich nicht mit dem Songwriter identisch ist. So schwingt in den Lyrics etwas Überindividuelles mit, in dem sich der Hörer wiederfindet. Besonders einfühlsam und berührend ist die Perspektive, die „The Curse Of Growning Old“ auf das Altwerden und die Einsamkeit wirft, wenn Freunde und Verwandte vor einem gegangen sind.
Wie es sich für ernstzunehmende Songwriter gehört, scheut Barham nicht vor kontroversen Themen zurück. Er kommentiert soziale oder politische Ansichten, von denen man zwar annehmen könnte, dass sie sich in einer aufgeklärten Gesellschaft überholt haben, die dennoch jenseits des Atlantiks eine gewisse Aktualität besitzen. Hierzulande sind die immer noch bestehenden Konflikte zwischen dem Norden und dem Süden der USA wahrscheinlich weniger im Bewusstsein. Gemeinsam mit Katie Pruitt verfasste Barham „Southern Roots“, das sich mit der historisch geprägten Südstaaten-Identität auseinandersetzt. Ebenso greift Barham die in den Vereinigten Staaten wieder aufgeflammte Abtreibungsdebatte auf („Babies Having Babies“) und bezieht deutlich Stellung.
Unter Federführung von BJ Barham legt American Aquarium mit „The Fear Of Standing Still“ erneut ein tiefsinniges und scharfzüngiges Album vor. Gewohnt souverän bewegen sich die Songs zwischen Roots Rock und Americana. Die Angst vor Stagnation ist dabei unbegründet. American Aquarium führt den eingeschlagenen Weg mit dem aktuellen Markstein konsequent fort.
Losing Side Records – Thirty Tigers (2024) Stil: Americana, Roots Rock
Tracks:
01. Crier
02. Messy As A Magnolia
03. Cherokee Purples
04. The Getting Home
05. Southern Roots
06. The Curse Of Growing Old
07. The Fear Of Standing Still
08. Piece By Piece
09. Babies Having Babies
10. Head Down, Feet Moving
Passend zu den Sommerferien bringt Johnny Blue Skies mit „Passage Du Desir“ einen entspannten Longplayer heraus, mit dem sich prima ein Abend in einer Strandbar ausklingen lässt. Die Songs sind dabei mit Cocktails oder Bier kompatibel – oder zur Not auch mit „Mint Tea“. Die Stücke machen den Eindruck, als wären sie solch müßigen Stunden entsprungen, in denen man die Ruhe findet, seinen Gedanken nachzuhängen.
Da werden Träume entsponnen, selbst eine Bar am Meer zu eröffnen und in den Tag hineinzuleben („Scooter Blues“). Aber auch über die Vergangenheit wird sinniert, wenn verlorene Freundschaften und abgebrochene Kontakte in den Sinn kommen („Jupiter’s Faerie“). Vor allem geht es in den Lyrics darum, sich selbst zu definieren und sich in Beziehungen nicht zu verlieren.
Die Texte weisen eine Schwere auf, die sich in den Melodien und den Arrangements nicht wiederfindet. Diese sind in einem positiven Sinne gefällig, mehrmals mit stimmungsvollen Intros oder Outros versehen. Getragen werden die Songs von der angenehmen Gesang von Johnny Blue Skies, der eine gewisse Wärme ausstahlt. Sollte einem die Stimme bekannt vorkommen, so hat das seinen Grund. Hinter Johnny Blue Skies verbirgt sich nämlich Sturgill Simpson.
Simpson nahm sich vor, lediglich fünf Alben unter seinem Namen zu veröffentlichen. Wieso er sich diese Limitation auferlegte, entzieht sich meiner Kenntnis. Die Rechnung geht sowieso nur auf, wenn die beiden Bluegrass-Scheiben „Cuttin‘ Grass – Vol. 1 & 2“ (2020) nicht mitzählen. Ob mit dem neuen Künstlernamen nun eine grundlegende Änderung seiner musikalischen Ambitionen einhergeht, lässt sich schwer beurteilen. Schon auf seinen bisherigen Veröffentlichungen wechselte Simpson die stilistischen Schwerpunkte.
„Passage Du Desir” folgt einer modernen Spielart des Americana. Bei einzelnen Tracks geht es in Richtung Country („Who I Am“), bei anderen scheinen nautische Einflüsse in Musik und Texten durch („Swamp Of Sadness“). Obwohl in Kentucky geboren, hat Simpson eine Vorliebe für die Seefahrt: So diente er mehrere Jahre in der Navy und sein Album aus dem Jahr 2019 trägt den Titel „A Sailors Guide To Earth“. Man darf gespannt sein, wohin der Wind Sturgill Simpson alias Johnny Blue Skies zukünftig trägt.
Zunächst ist eine ausgiebige Tour in Amerika geplant – die erste für Simpson seit der Pandemie. Angekündigt wird sie als „Sturgill Simpson featuring very special guest Johnny Blue Skies”. Er verspricht, bei den Konzerten auch auf älteres Material zurückzugreifen. Wahrscheinlich kommen dabei Titel seines bahnbrechenden Werks „Metamodern Sounds In Country Music“ (2014) zu Gehör, dessen zehnjähriges Jubiläum kürzlich mit einer Neuauflage des Albums gefeiert wurde.
High Top Mountain Music – Thirty Tigers/Membran (2024)
Stil: Americana/
Tracks:
01. Swamp Of Sadness
02. If The Sun Never Rises Again
03. Scooter Blues
04. Jupiter’s Faerie
05. Who I Am
06. Right Kind Of Dream
07. Mint Tea
08. One For The Road
Innerhalb von 13 Monaten ein weiteres Full-Length-Album vorzulegen, ist für eine “Newcomer”-Band zweifelsohne eine stramme Leistung. L.A. Edwards, die sich inzwischen in Seattle niedergelassen haben, vollbringen dieses Kunststück mit “Pie Town”. Nach dem hochgelobten “Out Of The Heart Of Darkness”, mit dem Netflix-Yellowstone (Season 5) Soundtrack “Let It Out”, sind die neuen 12 Studiosongs abwechslungsreiche Beispiele einer selbstbewussten, stilistischen Orientierung.
Die Scheibe beginnt mit dem Super-Anspieltipp “Don’t Know Better”, einer Guitar/Synthesizer Heartland-Hymne, die alte, 80er Jahre Sounds von Bob Seger und Bruce Springsteen reaktiviert. Ein Song, der mit diesem voluminösen Sound für größere Hallen geschrieben ist.
Gleichzeitig überwiegen jedoch harmonisch-melodische Nummern (z.B. “Just Forget It” und “Can You See Me”) mit melancholischen Arrangements (beispielhaft auch “Good Luck”), die ihre Ausstrahlung nicht zuletzt der charismatischen Stimme von Luke Andrew (L.A.) Edwards verdanken. Frontman Luke, gleichzeitig Sänger, Songschreiber und Produzent konzipierte zusammen mit “Soundmagier” Tom Lord-Alge (u.v.a. z. B. Stevie Winwood, Crash Test Dummies) einen “ausgedehnten, harmonischen Folk-Rock”, wie Edwards die musikalische Richtung beschreibt.
“I Won’t” und “For You” sind hierfür exemplarische Kompositionen, die sich in Anlehnung an Einflüsse von The War on Drugs oder The National gerne orientieren. Luke Edwards bestimmt die Richtung der Band: “Pie Town” ist der nächste Schritt auf dem ‘Heartland Trail’ für uns…!” Auf diesem Weg darf auch ein fast verborgener und erstmal unscheinbarer Top-Song der Scheibe, wie “El Camino” mit feiner Guitar Kreativität nicht fehlen, und natürlich ein Abschlusstrack, wie “Comin’ Around”, der zum Abschied nochmals zum vorbeikommen einlädt.
Aus den unterschiedlichen Wurzeln ihrer musikalischen Vorbilder haben L.A. Edwards mit “Pie Town” ein klangstarkes Americana-Album geschaffen, eine Country, Folk, Roots und Heartland Rock Mixtur, ausgestattet mit Eagles Harmonien, die eine optimistische Stimmungslage und positive Atmosphäre verbreitet. L.A. Edwards kommen im Juli mit ihren neuen Tracks für vier Termine erstmals als Headliner zu uns auf Tournee. Auf jeden Fall eine dringende Empfehlung für alle, um die Band noch in kleineren Locations zu erleben.
Bicgin Music Group/MARS Label Group (2024) Stil: Americana, Heartland Rock
Tracks: 01. Don’t Know Better 02. Little Sunshine 03. El Camino 04. Just Forget It 05. Can You See Me? 06. I Won’t 07. For You 08. Waterfall 09. Angel Wait 10. Gone 4U 11. Good Luck 12. Comin‘ Around
Nach Jack McBannons kürzlich erschienenen Album „Tennessee“ kommt nun ein weiterer Longplayer in die Regale, der belegt, dass die Amerikaner kein alleiniges Abo in Sachen Americana und Roots Rock beanspruchen können. Mit „Steppenwolf“ wildert der Regensburger Tilo Georg Copperfield ebenfalls in diesen Regionen. Copperfield beeindruckt mit seinem Output: „Steppenwolf“ ist seine elfte Veröffentlichung seit 2017. Zuletzt brachte er in Kooperation mit dem Gitarristen Ben Forrester (Allen-Forrester Band, Stone Water) „Out In The Desert“ (2023) heraus.
Copperfield setzt auf Unmittelbarkeit statt auf technische Mittel und lange Überarbeitungsprozesse, um das ursprüngliche Gefühl der Songs zu erhalten. Die acht Tracks der neuen Scheibe wurden Ende Januar an zwei Tagen live in der Mühle der Freundschaft, Bad Iburg, unter der Federführung von Marcus Praed (Tito & Tarantula) eingespielt. Laut Liner Notes plante Copperfield zunächst ein auf Gitarre und Gesang reduziertes Songwriter-Werk, holte dann aber doch seine bewährten Mitstreiter Michael Hofmann (Drums, Percussion, bgv), Claus Bächer (Keys) und Alexander Schott (Bass) mit ins Boot.
Der Titel des Albums geht auf den gleichnamigen Roman von Hermann Hesse zurück. Auch andere Songs spielen auf literarische Werke an. Bekannt sein dürften „The Lord Of The Flies“ von William Golding und „The Call Of The Wild“ von Jack London. Dazu gibt es dann noch biblische Bezüge („Jonah & The Whale“). In den Texten werden zumeist innere Spannungen aufgegriffen, die sich aus der Opposition zwischen dem Drang nach einem ungebunden Leben und dem Wunsch nach Geborgenheit in der Gemeinschaft ergeben. Von dieser Thematik hebt sich „Burn In Hell“ ab, bei dem Copperfield – inhaltlich in der Tradition von Dylans „Masters Of War“ – mit Kriegstreibern abrechnet. Der Antikriegssong ist der rockigste Track auf der CD.
Der Opener „From The Cradle To The Grave“ und „The Lord Of The Flies” folgen den musikalischen Spuren von Tom Petty und dessen Schaffensphase in den 2000ern rund um „Highway Companion“. Hervorzuheben ist darüber hinaus „Jonah & The Whale“. Der locker gespielte, von den Keys getragene Song geht ins Ohr. Später tritt Bächer nochmal deutlich in Erscheinung, wenn er „The Night Is Coming Down“ mit den Klängen seines Tasteninstruments unterfüttert. Unter die Songs, die sich irgendwo im Americana bewegen, schmuggelt sich mit „Highway Café“ eine Country-Nummer der klassischen Machart dazwischen.
„Steppenwolf“ klingt nicht so erdig, wie man nach der Entstehungsgeschichte vermuten könnte. T. G. Copperfield verfolgt eine moderne Spielart des Americana, knüpft dabei gelungen an Traditionen an und lässt gelegentlich seine Affinität zum Roots Rock sowie zum Country aufblitzen.
Die CD erscheint in einem hochwertigen Digi-Pack mit stimmig gestalteten Beiheft, in dem die Songtexte sowie Liner Notes abgedruckt sind. Das Album ist sicherlich auch bei seiner diesjährigen Tour durch den Süden Deutschlands erhältlich. Er gibt Shows als Akustik Trio und mit The Electric Band. Am zwölften November ist er solo als Support von Robert Jon & The Wreck in Obertraubing zu erleben.
Timezone Records – Timezone (2024) Stil: Americana
Tracks: 01. From The Cradle To The Grave 02. Burn In Hell 03. The Lord Of The Flies 04. My Dirty Mind 05. Jonah & The Whale 06. Highway Café 07. The Night Is Coming Down 08. The Call Of The Wild
Der Wuppertaler Thomas Willer veröffentlichte 2021 unter seinem neuen Künstlernamen Jack McBannon das Album „True Stories“. SoS-Kollege Stephan Skolarski hatte seinerzeit das Werk, mit dem sich McBannon aufmachte, seine Country-Wurzeln zu erkunden, als zukunftsweisend eingeschätzt. Recht hat er behalten. Für den nun vorliegende Nachfolger „Tennessee“ nutzte McBannon die Chance, an geschichtsträchtigem Ort den eingeschlagen Pfad weiter zu verfolgen. „True Stories“ überzeugte nämlich nicht nur den SoS-Redakteur, sondern auch John Carter Cash. Nachdem McBannon dem Sohn von Johnny Cash auf gut Glück eine Aufnahme von „True Stories“ geschickt hatte, erhielt er die Einladung, das Cash Cabin Studio in Hendersonville zu nutzen. Mit elf neuen Songs im Gepäck machte sich McBannon dann auf den Weg nach Tennessee und John Carter Cash übernahm die Produktion des Longplayers.
Zwischen Americana und Country angesiedelt gelingt McBannon mit „Tennessee“ ein Album, das sich nicht hinter denen amerikanischer Songwriter verstecken muss. Mit seiner angerauten Stimme bringt er Atmosphäre in die Stücke, egal ob sie getragen oder rockig ausfallen. Das Duett mit John Carter Cash „The Only Rule“ ist sehr reduziert in der instrumentalen Begleitung, ansonsten hat McBannon eine souverän aufspielende Band im Rücken, die mal mehr und mal weniger dominant auftritt. Vor allem bei „A Sinner’s Sin“ lässt sie es ordentlich krachen. Der Song mit einem Grunge-Einschlag gehört neben „Can You Hear Me“ – einem Roots Rocker vom Feinsten – zu den beiden schnelleren Tracks auf der Scheibe. Sie setzen Akzente zwischen den überwiegend balladesk gehaltenen Beiträgen.
Aber auch bei den langsamen Titeln baut McBannon Variationen ein. Manche Songs sind von Country-typischem Slide untermalt („Tennessee“, „Home“), der bei „Not Alone“ stimmungsvoll mit einem Klavier kombiniert wird. Atmosphärisch dicht – mit einem Hauch von Pathos – fällt der Opener „Back Then“ aus. Leidenschaft legt McBannon bei „Turn Around“ in seine Stimme, das in der zweiten Hälfte des Longplayers das Tempo nochmal etwas anzieht. Darauf folgt die runde Americana-Ballade „In Us I Believe“. „As Simple As That“ fällt in die gleiche Kategorie. Für den Abschluss wurden Streicher eingeflogen. Die Tracks wurden allesamt live im Cash Cabin Studio eingespielt, was sicherlich dazu beiträgt, das deren Sound direkt und erdig klingt.
Wenn man denkt, zwischen dem Bergischen Land und Amerika liegen Welten, dann irrt man sich in musikalischer Hinsicht. Jack McBannon überbrückt die kulturellen Diskrepanzen anscheinend mühelos. „Tennessee“ dient als Beweis, dass auch Musiker aus deutschen Landen in der Lage sind, ernsthafte Genrebeiträge zum Americana und Country zu liefern. McBannon hat den Sprung über den Atlantik gewagt und unter den Fittichen von John Carter Cash ein durchgehend überzeugendes Album geschaffen. Dabei offenbart er ebenso Qualitäten in Sachen Roots Rock, von denen in den nächsten Projekten gerne mehr gezeigt werden können.
My Redemption Records – Cargo (2024) Stil: Country / Americana
Tracks: 01. Back Then 02. Can You Hear Me 03. Tennessee 04. The Only Rule (feat John Carter Cash) 05. A Sinner’s Sin 06. Home 07. Not Alone 08. Turn Around 09. In Us I Believe 10. Dry County 11. As Simple As That
Hym For Her – kurz H4H – startete als Duo. 2008 brachte das Paar Lucy Tight und Wayne Waxing ihr Debüt heraus. Deren Tochter Diver stößt nun auf dem sechsten Album „Bloodier Than Blood“ hinzu und erweitert die Formation zu einem Trio. H4H ist jetzt also ein generationenübergreifendes Projekt. Der Titel des Longplayers soll die enge Bindung der Familie ausdrücken. In den Texten werden dementsprechend Familiengeschichten aufgegriffen. Ergänzung finden sie durch die Verarbeitung von Eindrücken und Erlebnissen während der Touren durch Amerika.
Manchmal schwingt ein Hauch der Seventies mit, auf die das Artwork der CD bereits Bezug nimmt. Die Songs sind von Harmoniegesängen geprägt, wobei jedes Familienmitglied beim Leadgesang zum Zuge kommt. So steht auch Diver mit ihrer klaren, hellen Stimme auf einigen Tracks im Vordergrund („Deer Isle“, „Things 2 Say 2 U“). Musikalisch bewegen sich die Songs hauptsächlich im Americana, der seine Basis im Folk hat. „Unseen“ und „Elders“ sind zwei sehr gelungene, eingängige Genrebeiträge. Lucy Tight, die unter anderem Ukulele und Cigar-Box-Guitar spielt, brilliert bei ihnen.
Darüber hinaus zeigen sich H4H anderen Musikrichtungen durchaus aufgeschlossen. Bei „Canine Calypso“ mischen sich beispielsweise karibische Rhythmen hinein. Eine Nähe zum Jazz weist „Stolen Heartbeat” auf. H4H gibt einzelnen Tracks einen poppigen Einschlag mit. Auffällig ist dieser auf „Dead To The World“, bei dem von Timothy Eaton arrangierte Bläser den Sound unterstützen.
Wenn Wayne Waxing am vorderen Mikro steht, geht es auch mal in Country-Gefilde wie bei „Been Drinkin“. Im positiven Sinne überraschend sind die etwas angeschrägten Titel. So wird Waxings Stimme auf „The Buzz“ technisch verzerrt. Imitiertes Hundegeheul wird in das vom Banjo getriebene „Skook“ eingeflochten. „Guns, Porn And Jesus” schrammelt schon fast in Richtung Cow-Punk. Die Stücke bilden ein gelungenes Gegengewicht zu den ruhigen Kompositionen, die auf dem Werk hauptsächlich vertreten sind. Sie stellen für mich die Highlights der Scheibe dar.
In ihrer Karriere arbeiteten H4H mit erfahrenen Tontechnikern zusammen, die die Abmischung der Tracks übernahmen. Phil Nicolo (Lauryn Hill), Jim Diamond (White Stripes), Vance Powell (Chris Stapleton) oder Mitch Easter (R.E.M.) sind hier zu nennen. An dem Mischpult betätigten sich diesmal Bud Snyder (Allman Brothers, Jeff Buckley, Gov’t Mule) und Mike Fahey. Die kompositorische Komplexität der Songs wird von ihnen eingefangen und auch klanglich gibt es an der CD nichts auszusetzen. Von den Live-Qualitäten der Band kann man sich bald selbst ein Bild machen, da im Rahmen ihrer Europa-Tournee im Juni und Juli einige Termine in Deutschland vorgesehen sind.
Hymn For Her, angewachsen durch die Tochter Diver von Lucy Tight und Wayne Waxing, präsentieren auf „Bloodier Than Blood“ Amricana-Songs der meist ruhigeren Gangart. Auch wenn bei der bunten Palette eingewobener Stile nicht jeder Track zu überzeugen weiß, finden sich doch einige stimmungsvolle Balladen und überraschend aufgekratzte Beiträge, die aus der Country-Ecke stammen, sodass ein Reinhören in das Album lohnt.
Eigenproduktion (2024)
Stil: Americana
Tracks:
01. Been Drinkin
02. Unsee
03. Deer Isle
04. Dead To The World
05. Guns, Porn And Jesus
06. Elders
07. Canine Calypso
08. Things 2 Say 2 U
09. Electric Love
10. Blue Cowboy Boots
11. Stolen Heartbeat
12. Skook
13. The Buzz
14. Sunset Ride