Mathias Schüller – Dunkel: Rot – CD-Review

Review: Michael Segets

Ich höre relativ wenig deutschsprachige Musik. Das erste Problem mit ihr ist, dass ich die Texte unmittelbar verstehe und nicht weghören kann, was oft angebracht wäre. Ein beiläufiges Hören ist daher nicht möglich, was zum zweiten Problem mit ihr führt: Die musikalischen Darbietungen sprechen mich zumeist nicht so an, dass ich mir die Zeit nehmen würde, mich aus diesem Grund einem Longplayer ausgiebig zu widmen. Dennoch gibt es in Sachen Deutschrock auch Ausnahmen, bei denen Texte und Musik stimmen. Zu diesen gehört Matthias Schüller, der mit „Dunkel:Rot“ sein viertes Album vorlegt.

Auf dem Nachfolger zum – für den Preis der deutschen Schallplattenkritik nominierten – „Wodka Wodka Superstar“ (2020) verfolgt Schüller weiterhin seine eigene Linie, die als deutschsprachiger Americana umrissen werden kann, und zwischen Rock und Singer/Songwriter angesiedelt ist. Das Cover lehnt sich ebenfalls an den erfolgreichen Vorgänger an, indem das Titelbild übernommen und lediglich durch eine andere Farbgebung verändert wurde: Dunkel wie die Nacht und Rot wie die Liebe. So heißt es im Pressetext.

Insgesamt durchzieht das Album eine düstere Schwere ohne dabei depressive Züge anzunehmen. Kritische Selbstreflexion und trotzige Selbstbehauptung gehen in den Texten Hand in Hand. Schüller wirft einen distanzierten Blick auf sich – sofern die Songs eine autobiographische Basis haben – und lässt dabei Stimmungen und Gefühle aus Episoden seines Lebens wieder aufleben. So untertitelt er den Opener „Das Feuer brennt“ als Liebesgeschichte aus dem Winter 78/79. Um die Liebe und das Verliebtsein drehen sich auch die beiden folgenden Stücke „Lass mich rein“ und „Idiot“. Wie die Songtitel schon erahnen lassen, enden die Beziehungen eher unglücklich. Letztlich gibt es aber in „Paradiesvogel“ doch noch ein Happy End.

Ein weiteres Motiv, das das Album durchzieht, liegt im Ausbruch aus dem bisherigen Leben („Sorgenfrei“) und dem Aufbruch in ein neues. Der Kampf um eine gelingende Existenz muss gemäß Schüller im Hier und Jetzt geführt werden, da man auf ein „Kartenhaus“ baut, wenn man an eine jenseitige Belohnung glaubt. Die Hoffnung auf einen wirklichen Neuanfang und ein glückliches Dasein mag sich letztlich als Selbstbetrug herausstellen, wie „Hotel zur besten Illusion“ andeutet. Bei dem Song steuert HB Hövelmann wie zuvor bereits bei „Idiot“ die Lead Guitar bei. Ansonsten spielt Schüller alle Instrumente selbst. Nach eigener Aussage entdeckte er nun die Slide Gitarre („Schwarzer Bullermann“) und die Orgel, welche man bei „Der Sturm“ deutlich heraushört. Im letztgenannten Track, der den krönenden Abschluss des Albums bildet, spielt Schüller mit den Dualismen, die das Innenleben so ausmachen. Als persönliches Minimalziel setzt er sich den Anspruch, kein Arschloch zu sein.

Folgerichtig ist dann auch seine Warnung vor rechten Tendenzen („Theaterdonner“). Noch deutlicher in der Ablehnung rechtsgerichteter Gesinnung wird Schüller bei „Schwarze Milch“. Er bedient sich der bekannten Metapher von Paul Celan, auch wenn der Lyriker den Song nach Einschätzung des Urhebers wohl nicht gemocht hätte. Hier wird nochmal die sympathische Distanz zur eigenen Person deutlich, die Schüller an den Tag legt. Das balladeske Stück setzt nach dem eher rockigeren Einstieg eine Zäsur auf dem Album. Es erinnert an Westernhagen, als dieser noch Müller im Namen trug.

In klassischer Liedermacher-Tradition ist „Jelena“ gehalten. Ein Schelm, wer denkt, dass dies ein Song über Helene Fischer sei – nur weil sie als Inspirationsquelle in den Credits genannt wird. Die Anregungen für seine Stücke zieht er aus seinem persönlichen Umfeld und Erfahrungen sowie aus Literatur und Film, wobei es Freue macht, Übereinstimmungen mit Werken zu finden, die man selbst kennt und schätzt. Schüller führt zudem eine lange Liste von Musikern an, die ihn beeinflussten. Bei SoS findet man von ihnen Bruce Springsteen, Joseph Parsons, Ryan Adams und Rich Hopkins.

Mathias Schüller, Spezialist für deutschsprachigen Americana, beleuchtet in oftmals autobiographisch gefärbten Texten einige Seiten- und Schieflagen des Lebens. Die zwölf quasi im Alleingang eingespielten Tracks wirken handgemacht und ehrlich. „Dunkel:Rot” ist ein erwachsenes, inhaltlich sicherlich kein leichtes Album. Vor allem, wenn man sich in einer mittleren Lebensphase befindet, lohnt sich das Eintauchen in die Welt von Schüller, weil man einige Parallelen und Anknüpfungspunkte zur eigenen Gedanken- und Gefühlswelten aufspürt.

Ab Februar kommenden Jahres geht Schüller auf Deutschland-Tour und streift beispielsweise mit seinen Auftritten in Wesel und Leverkusen auch die SoS-Region.

Timezone Records (2023)
Stil: Deutschrock, Americana

Tracks:
01. Das Feuer brennt
02. Lass mich rein
03. Idiot
04. Kartenhaus
05. Schwarze Milch
06. Jelena
07. Theaterdonner
08. Schwarzer Bullemann
09. Sorgenfrei
10. Paradiesvogel
11. Hotel zur besten Illusion
12. Der Sturm

Mathias Schüller
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