Obwohl „American Equator“ mein erster Kontakt mit der Musik von Pete Mancini ist, kann er kaum als Neuling in der Branche bezeichnet werden. Nach zwei Platten mit der Band Butchers Blind startete er 2017 mit „Foothill Freeway“ seine Solo-Karriere. Für seinen dritten Longplayer „Killing The Old Ways“ (2022) holte sich Mancini Matt Patton (Drive By Truckers) als Produzenten ins Boot. Nach eigener Aussage ein Quantensprung für seine musikalische Entwicklung. Die fruchtbare Zusammenarbeit wird auf dem nun vorliegenden Album Nummer vier fortgesetzt. Patton nahm für „American Equator“ also wieder auf dem Produzentenstuhl Platz, schrieb an einem Track mit („Spy Rock Road“) und steuerte Bass, Gitarre und Background Vocals bei.
Die ersten beiden Titel „Calamity People“ und „American Equator“ – mein Anspieltipp – rufen Erinnerungen an Tom Petty wach und ich scheue mich auch nicht, mit Steve Earle einen weiteren großen Namen ins Spiel zu bringen. Der Country-Rock „Skid Row Skyline“ weist Parallelen zu Songs aus der Frühphase des Hardcore Troubadours auf. Stimmlich liegt Mancini aber deutlich näher an der von Petty. Eigentlich ist es egal, wo man Verbindungslinien zieht, es ändert nichts an der Tatsache, dass Mancini richtig guten Roots Rock macht.
Mancini hütet sich vor überflüssigen Experimenten, was meinen Vorlieben sehr entgegenkommt. Die klar strukturierten Stücke bewegen sich in der Regel zwischen dreieinhalb und viereinhalb Minuten, oftmals mit kurzen Gitarrensoli gewürzt. Dabei sind die Titel klar unterscheidbar, zumal Mancini einige Variationen in Instrumentalisierung und Stimmung einbaut. „Stomping Ground“ steigt beispielsweise nur mit dem Bass ein. Als Intro von „Spy Rock Road“ gibt es hingegen kräftige Gitarrenriffs. Mancini holt sich für den Song Ken Kellum mit seiner Pedal Steel hinzu. Tim Lee zaubert auf seiner 12-String bei „Technicolor Days“ eine wunderbare Westcoast-Atmosphäre.
Bei „Leaving For Raleigh“ favorisiert Mancini die akustische Gitarre als leitendendes Instrument. Für die langsameren Beiträge wie „The Paris Hotel“ oder „Sun Came Up“ setzt er sich auch mal ans Klavier. Die Scheibe bietet klanglich also ein gewisses Spektrum, ohne ihren Faden zu verlieren.
Ein Fazit lautet: Schnörkelloser, aber dennoch abwechslungsreicher Roots Rock mit Songs, die den Vergleich mit Genreklassikern nicht zu scheuen brauchen. Die Hardcopies des Backkataloges von Pete Mancini sind vergriffen und hierzulande kaum zu bekommen. Wenn man sich eine LP oder eine CD vom aktuellen „American Equator“ sichern kann, macht man nichts verkehrt.
Paradiddle Records (2025)
Stil: Roots Rock
Tracks:
01. Calamity People
02. American Equator
03. Technicolor Days
04. Skid Row Skyline
05. Spy Rock Road
06. The Paris Hotel
07. Leaving For Raleigh
08. Stomping Ground
09. The Signal
10. Sun Came Up
2024 sind einige bemerkenswerte Live-Alben erschienen. Willie Nile, Jason Isbell und Steve Earle legten vor und nun reiht sich Ryan Bingham mit „Live At Red Rocks“ in die Liste ein. Digital ist das Konzert vom 25. Juni dieses Jahres bereits seit letzter Woche verfügbar. Vinyl und Silberlinge sind für den 22. November angekündigt. Dass das Publikum im restlos ausverkauften Red Rocks Amphitheatre leidenschaftlich mitging, lässt die Aufnahme erahnen. Jedenfalls fängt sie den frenetischen Jubel und die textsichere Begleitung – durchgängig bei „Nobody Knows My Trouble“ – des Hauptakteurs ein, der sich in sehr guter Form präsentiert.
Mit den beiden rockigen Stücken „Nothin Holds Me Down“ und „Jingle And Go“ von seinem letzten Longplayer „American Love Song“ (2019) nimmt Bingham das Auditorium vom Start an mit. Sehr stark ist das folgende „Top Shelf Drug”, das für mich neben „Hallelujah“ – eine Eigenkomposition von Bingham und kein Cover von Leonard Cohen – zu den Höhepunkten des durchweg überzeugenden Auftritts gehört. Neun Songs von seinem Debüt „Mescalito“ (2007) stehen auf der Setlist, wobei meine Favoriten „The Other Side“ und „Hard Times“ vertreten sind.
Natürlich darf auch sein mehrfach prämierter Hit „The Weary Kind“, der als Soundtrack zu „Crazy Heart“ bekannt wurde, nicht fehlen. Im Mittelteil des Konzerts setzt Bingham auf seine sanfteren, eher ein gemäßigtes Tempo anschlagenden Stücke. Hervorzuheben ist hier das Intro zu „Southside Of Heaven”, das er mit einer Mundharmonika bestreitet. Seine Spanisch-Kenntnisse lässt der in New Mexico geborene Songwriter bei „Boracho Station“ aufblitzen. Expressiver geht es zwischendurch bei dem zehnminütigen „Bluebird“ zu, bei dem einer gitarrendominierten Instrumentalpassage viel Raum gegeben wird. Zum Abschluss schlägt Bingham nochmal einen Bogen zurück zum rockigen Einstieg („Sunshine“, Bread & Water“).
Bingham legt bei seinen Studioveröffentlichungen keine besonders hohe Schlagzahl vor. Zurzeit ist er auf Konzerttour mit einem Tribute für The Last Walz von The Band und Robbie Robertson unterwegs. Mit von der Partie ist unter anderem Lukas Nelson. Bingham hat neben der Musik aber auch genug andere Betätigungsfelder für sich entdeckt. So besteht ein Dauerengagement bei der Fernsehserie „Yellowstone“, deren zweiter Teil der fünften Staffel gerade in Amerika anläuft. Darüber hinaus wirft er seine eigene Whiskey-Marke auf den Markt. Der Bourbon wird in Texas mit regionalen Zutaten produziert, ist dennoch in Zeiten des Online-Handles quasi weltweit zu erhalten. Aber auch ohne den edlen Tropfen lässt sich „Live At Red Rocks“ genießen.
Die Dopplung einiger Titel, die bereits auf seinem offiziellen Live-Album aus dem Jahr 2016 vertreten sind, mindert nicht die Qualität des aktuellen Auftritts von Ryan Bingham im Red Rocks Amphitheatre. Vielleicht hätte er seine neueren Stücke stärker berücksichtigen können, wie „What Would I’ve Become“ von seinem letzten Longplayer. Aber auch so bekommt man von einem souverän aufspielenden Songwriter eine Aufnahme, die die Konzertatmosphäre ohne Abstriche einfängt.
The Bingham Recording Company – Thirty Tigers/Membran (2024)
Stil: Americana, Roots Rock
Tracks:
01. Nothin Holds Me Down
02. Jingle And Go
03. Top Shelf Drug
04. The Other Side
05. Long Way From Georgia
06. Ghost Of Travelin’ Jones
07. Bluebird
08. Sunrise
09. Hard Times
10. Hallelujah
11. The Weary Kind
12. Southside Of Heaven
13. Boracho Station
14. Nobody Knows My Trouble
15. Sunshine
16. Bread & Water
Der Country-Star Dwight Yoakam muss hier wohl nicht eigens vorgestellt werden. Zuletzt fiel er mir als Schauspieler in „Cry Macho“ von Clint Eastwood auf. Mit rund vierzig Auftritten in Film- und Fernsehproduktionen fährt Yoakam also auf zwei künstlerischen Schienen. Seine größten musikalischen Erfolge feierte er in den 1980ern und 1990ern. 2022 war er mit Lucinda Williams und Steve Earle auf Tour, ansonsten ist es in den letzten Jahren deutlich stiller um ihn geworden. Sein vorangegangenes Studioalbum liegt nun schon acht Jahre zurück. An den Songs für „Brighter Days“ mit zwölf Originalbeiträgen und zwei Covern arbeitete er drei Jahre.
Yoakam muss nichts mehr beweisen und macht das, wofür er steht: New Traditional Country. Am Anfang seiner Karriere fasste er in Nashville nicht Fuß, da er sich mit den Pop-Einflüsse, die in der dortigen Country-Szene Einzug hielten, nicht anfreunden konnte. Der in Kentucky geborene Yoakam zog daher nach Los Angeles weiter. In seiner neuen Heimat perfektionierte er seinen eigenen Stil, der sich an den Bakersfield-Sound anlehnt. „California Sky“ atmet dann auch den Hauch der Westküste. „A Dream That Never Ends“ passt zu einem Sonnenuntergang über dem Pazifik. Der Song erinnert an The Traveling Wilburys, auch wenn der Harmoniegesang nicht so dominant ist wie bei der Supergroup.
Die meisten Beiträge auf „Brighter Days“ schwofen im Midtempo. Sie sind eingängig und radiotauglich, wirken aber rückwärtsgewandt. Überraschungen bleiben aus und auch wenn Yoakam sich bei „I Don’t Know How To Say Goodbye (Bang Bang Boom Boom)“ Post Malone ins Studio holt, kann kaum von einer Verjüngungskur gesprochen werden. Das Stück bleibt eine traditionsverbundene Nummer und passt sich so in das Album ein, das wenig Höhen und Tiefen kennt. Gelegentlich schlägt Yoakam gemäßigt rockende Töne an („If Only“), mal lässt er es ruhiger angehen („Hand Me Down Heart“). Unaufgeregt folgt Yoakam bekannten Pfaden.
Abwechslung bringt Yoakam auf die Scheibe, wenn er sich dem Rock ‘n Roll zuwendet. Dies tut er bei „Every Night“ und „Can’t Be Wrong“. Letztgenannter Track zählt neben dem Opener „Wide Open Heart“ zu den Songs, die mich am meisten mitnehmen. Gelungen ist auch die Country-Rock-Version von „Keep On The Sunny Side“ der Carter Family. Demgegenüber fällt das Cover „Bound Away“ im Vergleich mit dem Original von Cake ziemlich glatt aus.
Dwight Yoakam meldet sich mit „Brighter Days“ zurück. Professionell produziert, wie man es von ihm kennt, reiht sich das Album in die Liste seiner Veröffentlichungen ein. Yoakam bleibt seinem Stil treu und so werden die neuen Songs bei den Traditionalisten unter den Country-Fans und seinen 1.3 Millionen Facebook-Followern sicherlich positive Resonanz erzeugen. Im November promotet Yoakam sein Werk mit Konzerten in Florida und Texas, bei denen er mit The Mavericks, Gary Allen und Joshua Ray Walker unterwegs ist.
Via Records – Thirty Tigers (2024) Stil: Country
Tracks:
01. Wide Open Heart
02. I’ll Pay The Price
03. Bound Away
04. California Sky
05. Can’t Be Wrong
06. I Spell Love
07. A Dream That Never Ends
08. Brighter Days
09. I Don’t Know How To Say Goodbye (Bang Bang Boom Boom) (feat. Post Malone)
10. If Only
11. Hand Me Down Heart
12. Time Between
13. Keep On The Sunny Side
14. Every Night
Im Rahmen seiner „Townes”-Tour konnte ich Steve Earle nur mit Gitarre und Mundharmonika live erleben. Das ist nun auch schon fünfzehn Jahre her, aber seine Präsenz auf der Bühne und die Anekdoten, die sich damals hauptsächlich um seine Erlebnisse mit Townes Van Zandt drehten, sind mir noch gut in Erinnerung. Es liegen schon ein paar Konzerte und Aufnahmen von Earle vor, die er solo bestreitet. Diese ergänzt er mit „Alone Again … Live“. Das Album wurde bereits im Juli digital veröffentlicht, nun steht hierzulande die CD zum Verkauf und Vinyl folgt demnächst.
Einige seiner frühen Klassiker finden sich vor allem am Anfang der CD. „The Devil’s Right Hand“, „My Old Friend The Blues“, „Someday“, „Guitar Town“ und „I’Ain’t Ever Satisfied” werden zügig hintereinander weg gespielt. Zum Abschluss des Albums folgt mit „Copperhead Road” noch ein Titel aus den 1980ern, der im letzten Jahr zu einem offiziellen Song des Staates Tennessee erhoben wurde. Was immer das bedeuten mag.
Steve Earle wählt drei Tracks von „I Feel Alright“ (1996) („Now She’s Gone”, „South Nashville Blues” und „CCKMP”) und zwei von „Transcendental Blues”. Neben dem Titelstück seines Albums aus dem Jahr 2000 spielt er „The Galway Girl“, das nicht mit dem Lied von Ed Sheeran zu verwechseln ist. Earles Song ist älter und besser. Die Setlist überrascht dahingehend, dass Earle von seinen jüngeren Veröffentlichungen lediglich „It’s About Blood“ herausgepickt. Der Text dreht sich um ein Minenunglück in West Virginia und Earle nutzt die Gelegenheit, zu einem sozialkritischen Kommentar über Profiteure und Leidtragende des Systems.
Neben den relativ langen Ausführungen zu dem Stück, das von dem Album „Ghost Of West Virginia“ (2020) stammt, gibt Earle als Storyteller ein paar kürzere Anmerkungen und Anekdoten zum Besten. Sie sind persönlicher gehalten und mit einem Augenzwinkern versehen wie vor „Goodbye“ oder „Sparkle And Shine“. Ich finde, dass solche Zwischenbemerkungen zu Konzerten gehören, da sie zu deren speziellen Atmosphäre beitragen. Wenn man die Aufnahmen aber mehrmals gehört hat oder sich nur die Musik anhören möchte, ist ein Splitting von Vorteil, was sich bei der vorliegenden Scheibe zumindest bei „It’s About Blood“ angeboten hätte.
Steve Earle braucht nicht viel, um sein Publikum zu fesseln, wie „Alone Again … Live“ erneut beweist. Er vertraut auf die Kraft seiner Klassiker. Seine langjährigen Fans hätten sich eventuell eher Versionen seiner neueren Songs gewünscht, was nichts an der überzeugenden Vorstellung ändert, die der Mann aus Virginia gibt.
Missing Piece Records – Membran (2024)
Stil: Singer/Songwriter
Tracks:
01. The Devil’s Right Hand
02. My Old Friend The Blues
03. Someday
04. Guitar Town
05. I’Ain’t Ever Satisfied
06. Now She’s Gone
07. Goodbye
08. Sparkle And Shine
09. South Nashville Blues
10. CCKMP
11. Transcendental Blues
12. It’s About Blood
13. Dominick St.
14. The Galway Girl
15. Copperhead Road
Der vor sieben Jahren plötzlich verstorbene Tom Petty hinterließ tiefe Spuren in der Geschichte des Rock. Sein Werk dient vielen Musikern als Inspirationsquelle und dementsprechend oft werden seine Songs gecovert oder als Referenzpunkte herangezogen. Für „Petty Country – A Country Music Celebration Of Tom Petty“ fanden sich namhafte Vertreter der Country-Szene zusammen, um ihn und seine Musik zu feiern. Drei Viertel der Interpreten sind alte Bekannte bei Sounds-Of-South. Wie nicht anders zu erwarten, finden sich viele Hits von Petty unter den Titeln. Angesichts seines umfangreichen Outputs, verwundert es nicht, dass ebenso viele Stücke fehlen, die eine Aufnahme auf das Tribute-Album verdient hätten. Das hinterlassene Songmaterial hätte sicherlich ein Doppelalbum gerechtfertigt.
Sich an ein Cover von Tom Petty heranzuwagen, ist ja nicht ohne. Petty hatte seinen eigenen Stil, gesanglich ist er unverwechselbar und der Sound – auch wenn er ihn in seiner Laufbahn durchaus variierte – weist einen hohen Wiedererkennungswert auf. Ein bloßes Nachspielen funktioniert nicht. Die Herausforderung besteht darin, den Songs eine individuelle Note mitzugeben. Dies gelingt den Musikern auf dem Sampler durchgängig. Sie transformieren die jeweiligen Stücke meist behutsam, sodass sie direkt zu identifizieren bleiben. Die vorliegenden Versionen klingen insgesamt erdig, wie man es von Vertretern der Country Music erwartet. Wie Pettys Originale bleiben aber auch die entsprechenden Interpretationen oft dem Rock verhaftet, sodass das Album stellenweise durchaus in Richtung Roots oder Country Rock geht.
Die ausgewählten Titel decken die Jahrzehnte von Pettys Karriere ab. Der Bogen spannt sich von den frühen Klassikern aus den siebziger Jahren über seine großen Hits in den Achtzigern und Neunzigern bis zu seinem letzten Album mit der von ihm wiederbelebten Band Mudcrutch aus dem Jahr 2016. So dürfen natürlich „American Girl“ (Dierks Bentley) und „Breakdown“ (Ryan Hurd) von Pettys erstem Longplayer mit den Heartbreakern nicht fehlen. Wynonna liefert eine wunderbare Version von „Refugee“ und damit zugleich ein Highlight der CD ab.
Die achtziger Jahre vertreten Titel von den Alben „Southern Accents“ (1985) und „Full Moon Fever“ (1989). Ebenfalls dieser Dekade zuzuordnen ist „Stop Draggin‘ My Heart Around“. Lady A covert das ursprünglich von Stevie Nicks und Tom Petty gesungene Duett. Die starken Werke „Hard Promises“ (1981), „Long After Dark“ (1982) und „Let Me Up (I’ve Had Enough)“ (1987) sind zu meiner Überraschung nicht berücksichtigt. Von den Sessions zum letztgenannten Werk stammt allerdings „Ways To Be Wicked“, dem sich Margo Price annimmt. Bei der Konzeption des Tribute lag der Fokus nicht auf einer repräsentativen Werkschau, sondern auf den persönlichen Verbindungen der Interpreten zu den einzelnen Songs.
Dolly Parton gibt sich bei „Southern Accents“ die Ehre. Rhiannon Giddens macht aus dem ursprünglich aufgekratzten „Don’t Come Around Here No More“ eine langsame, soulige Nummer. Der Track verändert das Original erheblich, aber sehr gelungen. Mit „Runnin‘ Down A Dream“ (Luke Combs), „I Won’t Back Down” (Brothers Osborne), „Yer So Bad” (Steve Earle) und „Free Fallin’” (The Cadillac Three) sind gleich vier Songs des erfolgreichen „Full Moon Fever” auf dem Tribute zu finden.
Songs aus den Neunzigern suchten sich die Eli Young Band („Learning To Fly“), Midland („Mary Jane’s Last Dance“) und Thomas Rhett („Wildflowers“) aus. „You Wreck Me“ (Georg Strait) fällt etwas aus dem Rahmen, da es der einzige Live-Mitschnitt auf der CD ist. Altmeister Willie Nelson greift sich „Angel Dream (No. 2)“ heraus.
Nach „Wildflowers“ (1994) schuf Petty nach meiner Einschätzung keine durchweg überzeugenden Alben mehr. Von seiner Spätphase geht wahrscheinlich auch kein so prägender Einfluss auf andere Musiker aus. Auf der Zusammenstellung ist sie vielleicht aus diesem Grund unterrepräsentiert. Dass Petty aber auch im neuen Jahrtausend gute Songs produzierte, zeigt Chris Stapleton. Dieser macht aus „I Should Have Know It“ einen hervorragenden Roots Rocker, der zu meinen Favoriten auf der Compilation zählt. Schließlich spielt Jamey Johnson „Forgive It All“, sodass zumindest Pettys letzte Scheibe noch gewürdigt wird.
Zusammenfassend lässt sich festhalten: Hervorragendes Songmaterial von renommierten Musikern aus der Country-Ecke performt. Was kann da schief gehen? Nichts! Die Country-Gilde sitzt fest im Sattel und zieht die Hüte vor Tom Petty. „Petty Country“ ist eine posthume Verbeugung vor einem der ganz Großen der Rockgeschichte, die zeigt, dass Genregrenzen fließend sind.
Ein paar unveröffentlichte, von Tom Petty selbst eingespielte Stücke hält die am 18. Oktober erscheinende Deluxe-Version von „Long After Dark“ bereit.
Universal (2024) Stil: Country, Country Rock
Tracks: 01 I Should Have Known It – Chris Stapleton 02 Wildflowers – Thomas Rhett 03 Runnin’ Down A Dream – Luke Combs 04 Southern Accents – Dolly Parton 05 Here Comes My Girl – Justin Moore 06 American Girl – Dierks Bentley 07 Stop Draggin’ My Heart Around – Lady A 08 Forgive It All – Jamey Johnson 09 I Won’t Back Down – Brothers Osborne 10 Refugee – Wynonna 11 Angel Dream (No. 2) – Willie Nelson 12 Learning To Fly – Eli Young Band 13 Breakdown – Ryan Hurd 14 Yer So Bad – Steve Earle 15 Ways To Be Wicked – Margo Price 16 Mary Jane’s Last Dance – Midland 17 Free Fallin’ – The Cadillac Three 18 I Need To Know – Marty Stuart And His Fabulous Superlatives 19 Don’t Come Around Here No More – Rhiannon Giddens 20 You Wreck Me (live) – George Strait
Willie Nile rockt mit der Energie eines Jungspunds, obwohl er Mitte der Siebzig ist. 2022 arbeitete er eine temporeiche Setlist im New Yorker Daryl’s House Club ab, die einen Querschnitt durch seine Karriere widerspiegelt. Seit ich ihn vor einer Dekade live erleben durfte, scheint er nichts an Elan verloren zu haben. Seine letzten Konzert-Aufnahmen, die auf CD gepresst wurden, stammen aus dem Jahr 2011. Danach veröffentlichte Nile sieben Studio-Werke, sodass ein aktuelles Live-Album längst überfällig wurde.
Einen leichten Schwerpunkt bei der Liedauswahl legt Nile auf „New York At Night“ (2020). Von dem Longplayer sind neben dem Titeltrack zwei weitere vertreten („Lost And Lonely World“, „Run Free“). Ansonsten präsentiert er fast von jedem seiner Alben einen Song. Vom Anfang seiner Karriere wählt er „Shoulders“. Das einzige langsame Stück auf der CD leitet Nile mit einem Klavier ein. Hier gibt er Jimi Bones für ein längeres Gitarrensolo Raum. Der Break zwischen den straight forward gespielten Rockern, bei denen Jon Weber am Schlagzeug und Johnny Pisano am Bass für den richtigen Druck sorgen, liegt genau in der Mitte des Albums und ist so geschickt platziert, um ein kurzes Durchatmen zu gestatten.
Die musikalische Karriere von Nile wurde von Rechtsstreitigkeiten behindert und verlief daher nicht ohne längere Unterbrechungen. Aus den 1990ern finden sich „Places I Have Never Been“ und „Black Magic And White Lies”. Richtig in Schwung gekommen ist Nile dann in der ersten Dekade des neuen Jahrtausends. Mit „House Of A Thousand Guitars“ (2009), „The Innocent Ones“ (2010) und das auf Blue Rose Records veröffentlichte „American Ride“ (2013) legte der in Buffalo, New York, gebürtige Songwriter drei stake Longplayer in Folge vor. „House Of A Thousand Guitars“, „One Guitar“ und „ This Is Our Time“ stammen von diesen Werken.
Die CD „World War Willie“ (2016) ist mit „Trouble Down In Diamond Town“ vertreten, während die Balladen von „If I Was A River“ (2014) nicht berücksichtigt werden. Die Titelauswahl ist gelungen, auch wenn einige meiner Favoriten nicht auftauchen. Der charismatische Songwriter hätte also genug Material in der Hinterhand für weitere Live-Mitschnitte.
Neben Stücken, die einfach Spaß machen, schlägt Nile auch sozialkritische Töne an, die vor allem seine letzen Veröffentlichungen prägen. „Earth Blues“ und „The Day The Earth Stood Still“ sind hier beispielsweise zu nennen. In diese Kategorie fällt auch „Wake Up America“. Der bislang auf keinem Studio-Album vertretene Track wurde im Original 2022 als Duett mit Steve Earle veröffentlicht.
Die Setlist des Konzerts im Daryl’s House Club gibt einen Überblick über Willie Niles mehr als vierzigjährige Karriere. Nile wählt aus seinem Katalog an Eigenkompositionen fast ausschließlich rockige Nummern, die er mit unbändiger Dynamik performt. Wer authentischen Gitarrenrock mag, kommt auch heute noch an Willie Nile nicht vorbei.
River House Records (2024)
Stil: Rock
Tracks:
01. Places I Have Never Been
02. This Is Our Time
03. Black Magic And White Lies
04. Earth Blues
05. Lost And Lonely World
06. The Day The Earth Stood Still
07. Shoulders
08. New York At Night
09. Trouble Down In Diamond Town
10. Wake Up America
11. House Of A Thousand Guitars
12. Run Free
13. One Guitar
Letztes Jahr feierte die Radioshow „Mountain Stage“ ihr vierzigstes Jubiläum. Aus diesem Anlass erscheint ein Querschnitt der dort aufgetretenen Musiker: „Live On Mountain Stage – Outlaws And Outliers”. Die von Larry Groce ins Leben gerufene, wöchentlich ausgestrahlte Sendung ist nach Grand Ole Oprey die landesweite Radioshow mit der längsten Laufzeit in den USA. Sie wird normalerweise im Culture Center Theater in Charleston, West Virginia, vor Publikum aufgenommen. Im Herzen der Appalachen gelegen verschreibt sich die Show der Roots-Musik. Seit 2021 moderiert Kathy Mattea die zweistündige Sendung. Sie steuert das sanfte „Red-Winged Blackbird” dem Album bei.
Die Compilation entstand in Zusammenarbeit mit Oh Boy Records, sodass ein Beitrag des verstorbenen Labelgründers John Prine („Souvenirs”) obligatorisch ist. Daneben geben sich einige namhafte Musikerinnen und Musiker ein Stelldichein, die sich in der SoS-Interpretenskala wiederfinden: Lucinda Williams („Joy”), Eric Church („Sinners Like Me”), Margo Price („Hurtin’ (On The Bottle)”), Steve Earle („You Know The Rest”), James McMurtry („Canola Fields”) und Jason Isbell („Traveling Alone”). Besonders bemerkenswert ist der Beitrag von Wilco mit dem David-Bowie-Cover „Space Oddity“. Ebenfalls geläufig dürften The Indigo Girls sowie Alison Krauss sein, die mit „Closer To Fine” beziehungsweise „Let Me Touch You For A While” zwei Highlights des Longplayers abliefern. Die Fans der jeweiligen Musikerinnen oder Musiker kommen also in den Genuss einer höchstwahrscheinlich unbekannten Live-Performance.
Darüber hinaus bieten Various-Artist-Sampler oftmals die Möglichkeit neue Bands zu entdecken und „Live On Mountain Stage – Outlaws And Outliers” bildet da keine Ausnahme. Die markante Stimme von Andrew Martin des Duos Watchhouse („The Wolves“) lässt aufhorchen. Bei der Auswahl der Titel wurde eine ausgewogene Verteilung von weiblichen und männlichen Lead Vocals berücksichtigt. Einen Akzent setzen Bela Fleck und Abigail Washburn mit ihrem Beitrag banjogetriebenen „What’cha Gonna Do”.
Die meisten Stücke sind dem bodenständigen Americana mit fließenden Übergängen zum Folk oder Bluegrass zuzuordnen. Sie kommen ohne technische Spielereien aus und spiegeln in diesem Rahmen Varianten der traditionellen Roots-Musik wider. Tyler Childers sticht mit dem rockigen „Going Home” dabei heraus. Zwei bis drei Songs liegen nicht auf meiner Linie, aber das verwundert bei einundzwanzig Titeln unterschiedlicher Musikern nicht wirklich.
Insgesamt feiert die Radioshow Mountain Stage mit „Outlaws And Outliers“ ihr Vierzigjähriges angemessen mit einer bunten Mischung an etablierten und weniger bekannten Interpretinnen und Interpreten. Die Zusammenstellung bietet so eine Fundgrube für rare Liveaufnahmen und Neuentdeckungen. Die Palette handgemachter Musik bewegt sich vorwiegend im Americana mit einer Nähe zum Folk oder Bluegrass.
Oh Boy Records – Thirty Tigers/Membran (2024) Stil: Americana
Tracks: 01 Wilco – „Space Oddity” 02 Watchhouse – „The Wolves” 03 Molly Tuttle – „You Didn’t Call My Name” 04 Tyler Childers – „Going Home” 05 Lucinda Williams – „Joy” 06 Eric Church – „Sinners Like Me” 07 Margo Price – „Hurtin’ (On The Bottle)” 08 Gillian Welch and David Rawlings – „One More Dollar” 09 Birds of Chicago – „Lodestar” 10 Kathy Mattea – „Red-Winged Blackbird” 11 The Indigo Girls – „Closer To Fine” 12 John Prine – „Souvenirs” 13 Steve Earle – „You Know The Rest” 14 Bela Fleck and Abigail Washburn – „What’cha Gonna Do” 15 Sierra Ferrell – „I’d Do It Again” 16 Tim O’Brien – „Cup of Sugar” 17 Rhiannon Giddens – „Black Is The Color” 18 Alison Krauss – „Let Me Touch You For A While” 19 James McMurtry – „Canola Fields” 20 Jason Isbell – „Traveling Alone” 21 Sam Baker – „Isn’t Love Great”
Ryan Bingham befindet sich zuletzt in einem eher langsamen Veröffentlichungsmodus. Vier Jahre liegen zwischen „Fear And Saturday Night“ (2015) und „American Love Song“ (2019). Nach weiteren vier Jahren meldet er sich nun mit der EP „Watch Out For The Wolf“ zurück. Untätig war er in der Zwischenzeit aber nicht, so spielte er bei der Fernsehserie „Yellowstone“ eine Nebenrolle und steuerte zusammen mit Nikki Lane einen hervorragenden Beitrag zum Tribute für Billy Joe Shaver bei.
Entstanden ist sein aktuelles Werk in der Einsamkeit einer Berghütte in Montana. In diese hatte sich Bingham mit zwei Gitarren, Mandoline und Keyboard zurückgezogen. „Watch Out For The Wolf“ lässt sich als musikalische Version eines Selbstfindungstrip a la „Into The Wild“ verstehen. Zurückgeworfen auf sich allein sind so sieben Songs fernab jeglicher Lagerfeuerromantik entstanden. Bingham spricht davon, in der Abgeschiedenheit der Natur emotionale und spirituelle Erfahrungen gemacht zu haben, die ihn veränderten. Jenseits des persönlichen Wertes eines solchen Experiments, überzeugt auch das musikalische Ergebnis fast durchgängig.
Im Opener „Where My Wild Things Are“ thematisiert er den Rückzug in die Natur, bei dem die Lasten der Vergangenheit zwar mitgetragen werden, aber in weite Ferne rücken. Mit einem gleichmäßigen Rhythmus rollt der Song vor sich hin, getragen von Binghams sonorem Gesang. Dabei entwickelt er eine Aufbruchsstimmung, die langen Autofahrten eigen ist. „Shivers“ erscheint ebenfalls atmosphärisch dicht, nicht zuletzt, weil Bingham hier viel Leid in seine Stimme legt. Es erzielt mit Hilfe des Keyboards eine hypnotische Wirkung und erinnert an die letzten Scheiben von Paul Cauthen. Mit den elektronischen Klängen übertreibt Bingham etwas bei „Automated“. Zwar ähnlich wie die beiden anderen angelegt, spricht der Track mich überhaupt nicht an. Dass der Rhythmus aus der Retorte stammt, fällt bei ihm besonders auf. Ein echtes Schlagzeug hätten den Songs insgesamt sicherlich gut getan. Ob aber Bingham Schlagzeug spielen kann, weiß ich nicht, und zudem wäre es ein logistisches Problem geworden, dieses in die Waldhütte zu schaffen.
Nach dem eher getragenen Einstieg in die EP setzt das rockige „Instrumental“ eine Zäsur. Danach folgen zwei starke Titel, bei denen Bingham zur Mandoline greift. Beim Aufbau des country-rockigen „River Of Love“ kommt Steve Earle als Vergleichspunkt in den Sinn. Während Bingham hier seine elektrische Collins-Gitarre sprechen lässt, steht bei „Devil Stole My Style“ eine alte Gibson im Zentrum der Begleitung. Er setzt bei dem Stück einen Hall-Effekt ein, sodass der Song nicht als rein akustisch gelten kann. Der Hall intensiviert dabei die Wirkung von Binghams ausdrucksstarkem Gesang.
Den Abschluss bildet „This Life“, mit dem „Watch Out For The Wolf” inhaltlich zu einem optimistischen Ende geführt wird. Bingham setzt hier mit seinen Pfeifeinlagen einen Akzent und greift damit ein Element des ersten Song wieder auf. Der Konzeptcharakter der EP wird damit unterstrichen.
Insgesamt kann das Soloprojekt „Watch Out For The Wolf” von Ryan Bingham als ein gelungenes Experiment bezeichnet werden. Mit Gitarren, Mandoline und Keyboard ausgerüstet spielte er im Alleingang in der Abgeschiedenheit einer Waldhütte sieben Songs ein und übernahm auch deren Produktion sowie die Abmischung. Die EP zeigt also Bingham pur, wobei er sich nicht allzu weit von seinen bisherigen Veröffentlichungen entfernt.
The Bingham Recording Company/Thirty Tigers/Membran (2023)
Stil: Americana
Tracks:
01. Where My Wild Things Are
02. Automated
03. Shivers
04. Instrumental
05. River Of Love
06. Devil Stole My Style
07. This Life
Gerade mal 18 Lenze zählt Logan Halstead und legt ein Singer/Songwriter-Album vor, das jedem Routinier zur Ehre gereichen würde. Im Wesentlichen auf akustische Gitarre, Geige und Gesang konzentriert ist „Dark Black Coal“ ein minimalistisches Album geworden, das bei jedem Durchlauf weiter wächst.
Vor drei Jahren veröffentlichte Halstead den Titelsong, der mehrere Millionen Klicks im Internet verbucht. Durch Arlo McKinley wurde er endgültig in die Riege der aufstrebenden Songwriter aufgenommen, indem sie zusammen „Back Home“ performen. Als Inspirationsquellen führt Halstead Sturgill Simpson und Cole Chaney, dessen „The Flood“ auf dem Longplayer seinen Platz gefunden hat, an. Von Richard Thompson interpretiert Halstead „1952 Vincent Black Lightning“. Ansonsten stammen die Stücke aus seiner eigenen Feder. Lawrence Rothman (Amanda Shires, Margo Price, Courtney Love) übernahm die Produktion des Debütalbums.
Steve Earle setzte mit „Ghost Of West Virginia“ (2020) dem Leben in der amerikanischen Bergbauregion ein Denkmal. Halstead verbrachte seine Kindheit eben dort in Comfort, einem Ort mit wenigen hundert Einwohnern. Er kennt also das Leben mit dem Kohlestaub, fernab vom Glanz der Großstätte, aus eigener Erfahrung. In dieser eher trist erscheinenden Umgebung bleiben wohl nicht viele Freizeitaktivitäten für Heranwachsende. Ein Glück für die Musikwelt, dass Halstead zur Gitarre griff. Er erzählt biographisch geprägte Geschichten, die stellvertretend für viele Menschen stehen, die sich mit harter Arbeit durchschlagen und von einer besseren Zukunft träumen.
Der Einstieg in das Album ist phänomenal: „Good Ol‘ Boys With Bad Names“. Am Ende findet sich ein Edit des Tracks. Ich höre keine großen Unterschiede, aber es macht überhaupt nichts, den kurzen Song zweimal in einem Durchlauf zu hören. Weitere Highlights sind die bereits vorab veröffentlichten „Man’s Gotta Eat“ sowie das intensive „Coal River“. Zum Kreis meiner Favoriten zählt auch der an klassische Folksinger wie Woody Guthrie erinnernde Track „Far From Here“. Einzelne Titel aus dem Gesamtwerk herauszuheben, wird ihm eigentlich nicht gerecht. So stellt auch die erste Single „Kentucky Sky“ ebenso einen sehr gelungenen Song dar.
Der Longplayer erscheint homogen. Dennoch gibt es einige Nuancen zu entdecken. So mischt sich beispielsweise bei „Uneven Ground“ mal eine Mandoline ein, bei „Bluefoot“ eine Mundharmonika. Einen verhältnismäßig leichten Rhythmus schlägt Halstead bei „Mountain Queen“ an. So stellen sich keine Abnutzungserscheinungen ein, wie sie bei akustischen Folkalben gelegentlich auftreten.
Pur und unverstellt präsentiert der junge Logan Halstead sein Debüt „Dark Black Coal“, das musikalisch und textlich von einer außerordentlichen Reife zeugt. Ein vergleichbar starkes Erstlingswerk in reiner Folkmanier hat es in den letzten Jahren – vielleicht Jahrzehnten – nicht gegeben. Wenn es da keine Auszeichnungen und Preise regnet, …
Logan Halstead Records/Thirty Tigers – Membran (2023)
Stil: Folk
Tracks:
01. Good Ol’ Boys With Bad Names
02. The Flood
03. Man’s Gotta Eat
04. Dark Black Coal
05. Mountain Queen
06. Kentucky Sky
07. Coal River
08. Far From Here
09. 1952 Vincent Black Lightning
10. Uneven Ground
11. Bluefoot
12. Good Ol’ Boys With Bad Names (Edit)
2022 jährte sich die Gründung der Rolling Stones zum sechzigsten Mal. Anlässlich dieses Jubiläums findet sich auf „Stoned Cold Country“ das Who-Is-Who des Country ein, um sich vor der legendären Band zu verneigen. Viele Songs der Stones sind in das kulturelle Bewusstsein eingegangen und gehören zur Sozialisation dazu, egal welche Musikrichtung man favorisiert.
Die Stones prägten nicht ausschließlich den Rock, sondern strahlten mit ihrem Werk in weitere Bereiche der populären Musik aus. Produzent Robert Deaton verfolgte daher die Idee, eine Hommage aus Sicht des Country auf die Beine zu stellen. Dafür versammelte er gestandene und aufstrebende Musikerinnen und Musiker der Szene, die nun mit ihren eigenen Versionen von Stones-Klassikern auf „Stoned Cold Country“ vertreten sind.
Vielleicht überrascht es auf den ersten Blick, dass bei einem Tribute zum Sechzigsten nicht die gesamte Schaffenszeit bei der Songauswahl berücksichtigt wurde. Die neu interpretierten Titel decken lediglich eine Periode von eineinhalb Dekaden ab. Stimmig gewählt ist der Opener des Samplers „(I Can’t Get No) Satisfaction“ – performt von Ashley McBryde – als erster Nummer-1-Hit der Stones in den USA, dem Heimatland des Country. Der Track aus dem Jahr 1965 stellt zugleich das älteste Stück dar, das für den Longplayer ausgewählt wurde. „Miss You“ (1978) ist das jüngste, das von Jimmy Allen gesungen wird.
Das Konzept des Jubiläumsalbums erhebt also nicht den Anspruch einer repräsentativen Werkschau der Stones durch die Brille des Country, sondern verfolgt die Idee, dass die jeweiligen Musiker die Titel aussuchen, die für sie besondere Bedeutung besitzen. Dass dabei überwiegend die Wahl auf die Klassiker der Rolling Stones fiel, verwundert dann schließlich doch nicht. Zugleich wird deutlich, dass die Band vor allem in den sechziger und siebziger Jahren Maßstäbe setzte, die bis heute nachwirken. Ihre Songs dieser Zeit üben einen weitaus größeren Einfluss auf nachfolgende Musikergenerationen aus als die späteren Werke. Besonderen Nachhall findet „Sticky Fingers“ (1971) auf dem Tibute. Marcus King wählt von der Scheibe die aufgekratzte Nummer „Can`t You Hear Me Knocking“, Maren Morris und Little Big Town die Balladen „Dead Flowers“ beziehungsweise „Wild Horses“.
Die Versionen auf der Compilation orientieren sich deutlich an den Originalen, die stets sofort wiederzuerkennen sind. Es wird nicht krampfhaft versucht, die Songs völlig neu zu erfinden. Stattdessen covern die Musiker die Klassiker mit ihren Mitteln und in ihrem Stil. Insgesamt hört man natürlich mehr Slide, Geige oder Mandoline, sodass die Song vom Classic Rock in den Roots Rock übertragen werden.
Newcomer Elvie Shane liefert eine beeindruckende Version von „Sympathy For The Devil“ ab. Weiterhin finden sich eine Handvoll Musiker, die noch nicht in der Interpretenskala von SoS auftauchen. Zu diesen gehört auch Koe Wetzel, der mit „Shine A Light“ das Album beschließt. Zu den weniger bekannten Interpreten zählt The War And Treaty, die zusammen mit den Brothers Osborne die erste Single „It’s Only Rock ’N‘ Roll (But I Like It)“ bestreiten. Vielleicht überrascht die Beteiligung von Elle King („Tumbling Dice“). Ihre ersten Single-Erfolge sind ja nicht unbedingt dem Country zuzuordnen, allerdings zeigt sie mit ihrem aktuellen Longplayer „Come Get Your Wife“ eine beachtenswerte Wendung zum New Country.
Eher zu erwarten war die Mitwirkung von Steve Earle („Angie“). Earle mischt ja gerne bei Tribute-Alben mit, beispielsweise bei denen für Billy Joe Shaver oder Neal Casal. Dabei sind seine Beiträge stets hörenswert. Darüber hinaus finden sich weitere alte Bekannte wie Brooks & Dunn („Honky Tonk Women“) und Eric Church („Gimme Shelter“) für die Zusammenstellung ein.
Da die Qualität der musikalischen Interpretationen durchweg hoch ist, erscheint es unangemessen, einzelne besonders hervorzuheben. Dennoch sei auf die Titel der Zac Brown Band und von Lainey Wilson hingewiesen. Die Version von „Paint It Black“ der Zac Brown Band übertrifft in meinen Ohren das Original. Lainey Wilson gewinnt „You Can’t Always Get What You Want“ eine neue, wunderbar ausgewogene Facette ab.
Eine beachtliche Riege von Country-Musikerinnen und -Musikern nimmt sich den Hits der Rolling Stones aus den sechziger und siebziger Jahren an. Solche Klassiker zu interpretieren, stellt eine Herausforderung dar, die sämtliche Beiträge meistern. Den Musikern gelingen eigenständige Versionen, bei denen der Respekt vor dem Original mitschwingt. Mit genretypischer Instrumentalisierung und erdigem Sound entsteht so eine Hommage, die die Stones-Songs in den Roots Rock transformiert.
Erstklassige Songs und erstklassige Musikerinnen und Musiker – was soll da auf „Stoned Cold Country“ schon schiefgehen? Die Interpreten aus der Country-Szene beweisen, dass sie rocken können. So bleibt das Tribute-Album vielleicht nicht nur eine Retroperspektive und Verneigung vor den Rolling Stones, sondern gibt ihnen einen Impuls, auch zukünftig die Verbindung von Rock und Country zu suchen.
New West Records – Redeye/Bertus (2023) Stil: New Country / Roots Rock
Tracks: 01. (I Can’t Get No) Satisfaction – Ashley McBryde 02. Honky Tonk Women – Brooks & Dunn 03. Dead Flowers – Maren Morris 04. It’s Only Rock ’N’ Roll (But I Like It) – Brothers Osborne & The War And Treaty 05. Miss You – Jimmy Allen 06. Tumbling Dice – Elle King 07. Can’t You Hear Me Knocking – Marcus King 08. Wild Horses – Little Big Town 09. Paint It Black – Zac Brown Band 10. You Can’t Get Always What You Want – Lainey Wilson 11. Sympathy For The Devil – Elvie Shane 12. Angie – Steve Earle 13. Gimme Shelter – Eric Church 14. Shine A Light – Koe Wetzel