Brandy Clark – Same – CD-Review

Review: Michael Segets

Vermutlich ist es der Rezension des Chefredakteurs zum vorangegangenen Album „Your Life Is A Record“ zu verdanken, dass Brandy Clark die orchestralen Töne auf ihrem neuen Werk deutlich reduziert hat. Die offizielle Version zur Entstehungsgeschichte zum selbstbetitelten Longplayer lautet überraschenderweise anders.

Nicht zuletzt aufgrund mehrerer biographischer Parallelen fanden Clark und Brandi Carlile schnell einen Draht zueinander, nachdem sie über eine gemeinsame Freundin bekannt gemacht wurden. Der zusammen aufgenommene Song „Same Devil“ heimste eine Grammy-Nominierung ein und legte den Grundstein für die weitere Kollaboration. Carlile produzierte das aktuelle Album von Clark und singt einen Part des Duetts „Dear Insecurity“.

Sie arbeitete auch darauf hin, dass Clark ihre Stärken als Sängerin ausspielt. So wurde kaum Overdubs verwendet, wodurch der Sound pur und unverstellt wirkt. Dennoch werden hin und wieder Streicher eingesetzt – so auch auf dem flottesten Stück „Northwest“, bei dem ihnen am Ende viel Raum gegeben wird.

Der Einstieg „Not Enough Rocks“ erinnert anfänglich an Sheryl Crow, für die Clark bereits geschrieben hat. Derek Trucks (Tedeschi Trucks Band) steuert hier seine Gitarrenkünste bei und gibt der Nummer eine rockige Note. Ansonsten finden sich hauptsächlich ruhige Songs im unteren Tempobereich auf der Scheibe. Sehr stimmungsvoll ist „She Smoked In The House“, das neben „Buried“ und dem bereits erwähnten „Northwest“ als Singles herausgegeben wurde.

Zwei starke Stücke sind gegen Ende des Werks platziert: „All Over Again“ entwickelt einen schönen Drive; „Best Ones” wird von einer Mundharmonika begleitet, die nochmal einen anderen Sound in das Album bringt. Die Klavierbegleitung steht bei „Take Mine“ im Vordergrund. Der Titel erscheint ebenso wie „Up Above The Clouds (Cecilia???s Song)” etwas altbacken. Auffälliger ist „Tell Her You Don’t Love Her”, auf dem Clark von Lucius unterstützt wird.

Selbst wenn nicht jeder Song einen Volltreffer darstellt, beweist Clark erneut, dass sie zu Recht zur führenden Riege der Songwriterinnen im Country- beziehungsweise Americana-Bereich zählt. Nicht umsonst greifen viele Kolleginnen und Kollegen auf ihre Kompositionen zurück. LeAnn Rimes und Kacey Musgraves oder Billy Currington und Toby Keith sind hier exemplarisch zu nennen.

Hat sich Clark bislang primär als Songwriterin verstanden, die auch singt, gewann sie durch die Zusammenarbeit mit Carlile mehr Selbstvertrauen als Sängerin. Dass die Selbstzweifel hinsichtlich ihres Gesangs allerdings unbegründet sind, zeigten schon ihre bisherigen Veröffentlichungen und ihre Duette wie „In The Mean Time“ mit Hayes Carll.

Brandy Clark nimmt auf ihrem vierten Album die instrumentale Unterlegung zurück und legt den Focus auf den Ausdruck der Songs und ihrer Stimme. Mit Brandi Carlile als Produzentin im Rücken sowie den Gastmusikern Derek Trucks und Lucius gelingt ihr ein über weite Strecken überzeugendes Werk, sodass es möglich erscheint, dass Clark nach zahlreichen Nominierungen in der Vergangenheit nun auch mal einen Grammy nachhause trägt.

Warner Records/Warner Music (2023)
Stil: Country, Americana

Tracks:
01. Ain’t Enough Rocks (feat. Derek Trucks)
02. Buried
03. Tell Her You Don’t Love Her (feat. Lucius)
04. Dear Insecurity (feat. Brandi Carlile)
05. Come Back To Me
06. Northwest
07. She Smoked In The House
08. Up Above The Clouds (Cecilia???s Song)
09. All Over Again
10. Best Ones
11. Take Mine

Brandy Clark
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Warner Records
Oktober Promotion

American Aquarium – Chicamacomico – CD-Review

Review: Michael Segets

„In meiner sechzehnjährigen Karriere war ich noch nie stolzer auf eine Reihe von Songs, weder textlich noch stilistisch. Sie haben Gewicht, aber sie sind nicht beschwert. Es ist eine traurige Platte, die einem ein gutes Gefühl gibt.“ Mit diesen Worten beschreibt BJ Barham sein neues Album „Chicamacomico“, das er mit seiner Band American Aquarium einspielte. Nun ist immer Vorsicht geboten, wenn Musiker über ihr aktuelles Werk sprechen. Tendenziell ist es stets das beste ihrer Karriere. Im Falle von „Chicamacomico“ bin ich aber geneigt, der Einschätzung von Barham zu folgen.

Mit der CD legt American Aquarium den insgesamt stärksten Longplayer der Bandgeschichte vor, bei dem jeder Song ein ziemlich hohes Niveau hält. Auf ihren früheren Veröffentlichungen finden sich zwar herausragende Songs, die als Einzeltitel die neuen Tracks toppen, als Gesamtwerk ist „Chicamacomico“ allerdings die erste Wahl aus dem Bandkatalog, auch wenn es mit seinen zehn Tracks nur auf eine gute halbe Stunde Spielzeit kommt.

Die Songtexte handeln von Verlust, Trennung und Abschied. Jede Textzeile wirkt authentisch und persönlich. Die aufgegriffenen Situationen, wie beispielsweise der Tod von Familienangehörigen oder das Ende von Beziehungen, durchlebt wohl jeder Mensch, daher haben die Texte etwas allgemeingültiges. Die Gefühle und Gedanken, an denen uns Barham teilhaben lässt, zeugen von einer hohen Sensibilität und einer schonungslosen Reflexivität. Diese wird beispielsweise bei „Little Things“ deutlich, wenn er davon singt, wie sich sein Selbstverständnis im Laufe der Zeit wandelte. Verstand er sich früher als Musiker mit Familie, fühlt er sich nun als Vater und Ehemann, der Musik macht. In den nuancierten Lyrics liegt ein Grund, warum Barham zu den besten Songwritern seiner Generation zählt.

Die Kraft der Musik, die helfen kann, mit dem Leiden an dem Schicksal umzugehen, beschwört er beim abschließenden „All I Needed“. Der Schlusstrack ist zugleich das rockigste Stück auf der CD. Bei „Built To Last“ schlagen American Aquarium ebenfalls kräftigere Töne an, ansonsten bewegt sich das Album in ruhigen Gefilden. Nicht nur thematisch, auch musikalisch stellt sich „Chicamacomico“ daher als sehr homogen dar. Die einzelnen Songs bleiben dennoch gut unterscheidbar, was vor allem an den eingängigen und ausgefeilten Refrains liegt. Unterstützung beim Songwriting holte sich Barham bei Lori McKenna und Hayes Carll.

Jeder Titel entwickelt seinen eigenen Reiz, der mit mehrmaligen Hören noch wächst. Daher bleibt es eigentlich überflüssig, einzelne hervorzuheben. Bei den ersten Durchläufen fallen „Little Things“ und „Wildfire“ auf. Mittlerweile sprechen mich der Titeltrack sowie „The First Year“ besonders an. Bei dem vorangegangenen Album „Lamentations“ (2020) fuhren American Aquarium bereits die Country-Einflüsse zurück. Auf „Chicamacomico“ sind sie minimiert – am deutlichsten noch bei „Just Close Enough“ durchscheinend – und auch die Pedal Steel ist insgesamt nicht mehr so dominant wie auf einigen früheren Werken. Gesanglich zeigt sich Barham auf der Höhe und setzt mit ihm überraschende Akzente („The Hardest Thing“).

Das Line-Up von American Aquarium weist wenig Kontinuität auf. Als derzeitige Mitglieder begleiten Zack Brown (Klavier), Bill Corbin (Bass), Colin DiMeo (Gitarre), Ryan Johson (Gitarre), Kevin McClain (Schlagzeug) und Whit Wright (Pedal Steel) Barham bei seinem Bandprojekt. Brad Cook löst Shooter Jennings, der beim sozialkritischen „Lamentations“ mitarbeitete, als Produzent ab.

Mit „Chicamacomico“ ist American Aquarium, der Band von BJ Barham, ein Geniestreich gelungen. Wie das Cover zunächst unscheinbar wirkend entwickelt jeder einzelne Song bei näherer Betrachtung Tiefe. Trotz der schweren Thematik, die um Verluste kreist, hat das Werk eine reinigende und befreiende Wirkung jenseits aller Durchhalteparolen. Die Konstanz der Songqualität macht „Chicamacomico“ zum bislang gelungensten Longplayer von American Aquarium und wahrscheinlich auch zum besten Americana-Album dieses Jahres.

Losing Side Records – Thirty Tigers/Membran (2022)
Stil: Americana

Tracks:
01. Chicamacomico
02. Little Things
03. Just Close Enough
04. The First Year
05. Built To Last
06. Wildfire
07. The Things We Lost Along The Way
08. Waking Up The Echoes
09. The Hardest Thing
10. All I Needed

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Thirty Tigers
Oktober Promotion

Hayes Carll – You Get It All – CD-Review

Review: Michael Segets

Der mehrfach ausgezeichnete Hayes Carll bringt nach zwei Jahren den Nachfolger zu „What It Is“ heraus. „You Get It All“ knüpft nahtlos an seine vorherige Scheibe an. Sie bietet wieder feine Songs mit sensiblen Texten, die mehrmals mit einer Prise scharfzüngigem Humor gewürzt sind. Insgesamt gelingt Carll ein Album, das das hohe Niveau noch konstanter als der Vorgänger hält. Einen Vergleich mit Musikern wie John Prine, Hank Williams, Jr. oder Randy Travis braucht er nicht zu scheuen.

Carll sieht seine musikalischen Wurzeln im Country, was am Anfang der CD augenfällig wird. Der zusammen mit den Brothers Osborne geschriebene Opener „Nice Things“, der Titeltrack mit besonders eingängigem Refrain oder auch das klassisch anmutende „Any Other Way“ zeigen, dass er die Spielregeln des Genres beherrscht. Er performt die Stücke erdig, gradlinig und locker heraus. Vor allem in der ersten Hälfte des Longplayers kommen Geige und dezenter Slide zum Einsatz. Dabei trifft Carll genau das richtige Maß.

Im hinteren Abschnitt des Albums setzt der Texaner dann verstärkt auf die Begleitung durch das Klavier („If It Was Up To Me“), teilweise ergänzt durch eine Orgel („The Way I Love You“), oder arrangiert einzelne Tracks etwas opulenter („Leave It All Behind“). Insgesamt dominieren die Balladen auf dem Werk. Textlich bewegend ist „Help Me Remember“. Aus der Perspektive eines an Demenz leidenden Mannes schildert er dessen Ängste und seinen Kampf um Identitätswahrung. Musikalisch bringt das Duett mit Brandy Clark, die „In The Mean Time“ mitkomponierte, Abwechslung.

„To Keep From Being Found“ überrascht durch seinen rockigen Einschlag. Der Country-Rocker im Geist der 80er mit Bar-Piano und flotter elektrischer Gitarre unterbricht die eher getragene Stimmung der Balladen. Eine expressive E-Gitarre hört man auf dem bluesigen „Different Boats“. Zu den Highlights des Albums zählt sicherlich der Outlaw-Country „She’ll Come Back To Me“. Nach der atmosphärischen Einstimmung durch eine akustische Gitarre setzt ein stampfender Rhythmus ein, der ins Blut geht. Die Geigen-Passage erinnert leicht an den Soundtrack von Gangstagrass zu der Fernsehserie „Justified“.

Bei manchen Songs können Ähnlichkeiten hinsichtlich des Songwriting-Stils mit Steve Earle ausgemacht werden. Der Vergleich mag vielleicht auf wenig Gegenliebe bei Carll stoßen, da seine Ehefrau Allison Moorer, die die CD co-produzierte und auch bei „If It Was Up To Me“ beteiligt war, dessen ehemalige Partnerin war. Aber der Hardcore-Troubadour ist ja musikalisch keine schlechte Referenz.

Mit „You Get It All“ lässt Hayes Carll dem vorangegangenen „What It Is” ein mindestens ebenbürtiges Werk folgen. Zwischen Country und Americana spielt Carll seine Stärken aus, die in seinem Songwriting sowie in den pointierten Texten liegen. Die Melodien scheinen ihm mühelos von der Hand zu gehen. Die Titel wirken selbst bei schweren Themen unverkrampft und unverstellt.

Dualtone Records (2021)
Stil: Americana, Country

Tracks:
01. Nice Things
02. You Get It All
03. Help Me Remember
04. Any Other Way
05. Different Boats
06. In The Mean Time
07. She’ll Come Back To Me
08. To Keep From Being Found
09. Leave It All Behind
10. The Way I Love You
11. If It Was Up To Me

Hayes Carll
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Jason Ringenberg – Rhinestoned – CD-Review

Ringenberg 300

Review: Michael Segets

Hat sich Jason Ringenberg nach langer Abstinenz 2019 mit „Stand Tall“ eindrucksvoll zurückgemeldet, legt er nun mit „Rhinestoned“ nach. Zum Teil stammen die Songs noch aus der Phase seines vorangegangenen Albums – so „Nashville Without Rhinestones“, auf dem Ringenberg seinem Überdruss an den Entwicklungen im Musikbusiness Ausdruck verleiht. Dass sich Ringenberg entschlossen hat, dennoch weiterhin Alben zu veröffentlichen, ist ein Glücksfall, denn die Musik des Cowpunk-Rockers macht einfach Spaß.

Die neue CD weist einen stärkeren Country-Einschlag auf als der Vorgänger. Dies ist auch ein Grund dafür, dass „Stoned On Rhinestones“ erst auf dem aktuellen Longplayer seinen Platz fand. In dem flotten Track, den Ringenberg mit seiner typischen sarkastischen Attitüde vorträgt, nimmt er Bezug zu Hank Williams beflügelnder Musik. Da wundert es nicht, dass mit „You Win Again“ ein Song der Country-Ikone auf dem Album vertreten ist.

Ringenberg wollte verschiedene Phasen der Country-Musik aufgreifen. Er covert dazu das locker und gradlinig rockende „Time Warp“ von den Ozark Mountain Daredevils sowie „The Storms Are On The Ocean“ von der Carter Family. Kristi Rose übernimmt beim letztgenannten Stück die Rolle seiner Duett-Partnerin. Fats Kaplin (Hayes Carll, Tom Russell) steuert Geige und Akkordeon bei. Auf anderen Tracks ist er mit der Steel Pedal zugange. Schließlich widmet sich Ringenberg einem alten Kirchenlied und verpasst ihm eine punkige Erfrischungskur. Auf „Christ The Lord Is Risen Today“ wurde er durch seine Töchter Addie und Camille aufmerksam, die im Harmoniegesang zu hören sind.

Die stärksten Songs des Albums stellen allerdings die neueren Eigenkompositionen dar. Ringenberg musste sich diese nach eigener Aussage während der Pandemie förmlich abringen. Lediglich „The Freedom Rides Weren’t Free“ und „I Rode With Crazy Horse“ entstanden in einem Rutsch quasi über Nacht. Das eine ist eine starke Rocknummer in typischer Manier Ringenbergs, das andere ist ein ebenso typischer Midtempo-Song, der – wie bei ihm üblich – einen deutlichen Schritt neben dem Mainstream liegt. Beide sind klasse. „The Freedom Rides Weren’t Free“ setzt sich inhaltlich mit den Protesten gegen die Rassentrennung in den 1960 auseinander. Ringenberg schrieb das Stück kurz vor den Unruhen in den USA und der Black-Lives-Matters-Bewegung. Ringenberg war seiner Zeit mal wieder voraus.

Zu den weiteren Highlights zählt der Opener „Before Love And War“ mit Harmonien von Kristi Rose und schön staubigem Gitarrensound. George Bradfute spielt mehrere Gitarren und lässt diese auf „Keep That Promise“ kräftig scheppern. Ringenberg arbeitete mit Bradfute bereits zu Zeiten der Jason And The Scorchers zusammen und vertraute ihm auch diesmal die Produktion an.

Neben diesen beiden starken Country Rockern schlagen das selbstreferenzielle „My Highway Songs“ sowie das abschließende „Windows Town“ in die gleiche Bresche, sind aber etwas zahmer angelegt. Die eingängigen Refrains gehen ins Ohr und der unverwechselbare Gesang von Ringenberg sorgt dafür, dass sie dort bleiben.

Mit seinen angeschrägten Coverversionen von klassischen Country-Songs setzt Ringenberg sie nochmal in ein innovatives Licht. Allerdings läuft er vor allem bei seinen rockigen Eigenkompositionen erneut zur Hochform auf. „Rhinestoned“ ist kein polierter Strass, sondern ein ungeschliffenes Juwel – so wie Country Rock sein sollte.

Courageous Chicken Entertainment (2021)
Stil: Country Rock

Tracks:
01. Before Love And War
02. The Freedom Rides Weren’t Free
03. Nashville Without Rhinestones
04. The Storms Are On The Ocean
05. Christ The Lord Is Risen Today
06. I Rode With Crazy Horse
07. My Highway Songs
08. Time Wrap
09. You Win Again
10. Stoned On Rhinestones
11. Keep That Promise
12. Window Town

Jason Ringenberg
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Allison Moorer – Blood – CD-Review

Moorer_300

Review: Michael Segets

Mit „Blood“ legt Allison Moorer jetzt ihr zehntes Studio-Album vor. Ursprünglich aus der Country-Ecke kommend erhielt sie für ihren Beitrag zum Film-Soundtrack „Der Pferdeflüsterer“ eine Oscar-Nominierung. Bekannt dürfte Moorer vor allem auch durch ihre Kooperationen mit Kid Rock und Steve Earle – mit dem sie einen Sohn hat – sein. Vor zwei Jahren brachte sie „Not Dark Yet“ zusammen mit ihrer älteren Schwester Shelby Lynne heraus. Moorer co-produzierte den Longplayer „What It Is“ von Hayes Carll, den sie vor kurzem heiratete.

Musikalisch und privat führte Allison Moorer ein bewegtes Leben. Dieses verarbeitet sie in ihrem Buch „Blood“, das nahezu zeitgleich mit dem Album erscheint. Prägend war das traumatische Ereignis ihrer Kindheit, als sie und ihre Schwester miterlebten, wie ihr Vater zuerst ihre Mutter und dann sich selbst erschoss.

Als Moorer fühlte, dass sie ihre Erinnerungen und Fragen nicht nur in epischer, sondern auch in lyrischer beziehungsweise musikalischer Form ausdrücken musste, entstanden die meisten Songs parallel zu ihrem Buch. Bis auf „I’m The One To Blame“, das von Shelby Lynne und Franklin Moorer geschrieben wurde, stammen alle Stücke aus der Feder von Allison Moorer. „Cold Cold Earth“ erschien allerdings bereits als Hidden-Track auf ihrem zweiten Album „The Hardest Part“ (2000).

„Blood“ ist insgesamt ein ruhiger Longplayer. Wie bei dem wunderbar sanften Titelstück steht bei der Begleitung meist die akustische Gitarre im Zentrum. Manchmal kommen dezente Streicher zum Einsatz („Set My Soul Free“), bei „Nightlight“ eine melodiöse Trompete. Etwas voller instrumentiert sind „Bad Weather“ und „The Ties That Bind“.

„All I Wanted (Thanks Anyway)“ erhält mit kräftigem Schlagzeug eine rockige Note. Beim kratzigen „The Rock And The Hill“ dreht Moorer richtig auf. Der Roots-Rocker mit eingängigem Refrain setzt einen starken Kontrapunkt zu den Balladen. Nach jeweils drei langsameren Songs sind die beiden Tracks zudem geschickt auf dem Album angeordnet.

Zum Abschluss setzt sich Moorer ans Klavier und begleitet sich bei „Heal“ sehr stimmungsvoll. Diese Instrumentalisierung bringt nochmal Abwechslung, wobei sich der von Mary Gauthier coverfasste Titel nahtlos in die Atmosphäre des Longplayers einfügt.

Auf dem autobiographischen „Blood“ gibt Allison Moorer Einblicke in ihre Gefühls- und Gedankenwelt. In zumeist ruhigen Tönen erzählt sie ihre Geschichten, denen man gerne lauscht. Beim ersten Hören wirken die sorgfältig arrangierten Songs zunächst puristischer als sie sind. Eher als Folkalbum konzipiert überrascht es zudem durch zwei rockige Titel, von denen „The Rock And The Hill“ für Southern-Freunde besonders interessant ist.

Autotelic Records/Thirty Tigers (2019)
Stil: Folk, Americana

Tracks:
01. Bad Weather
02. Cold Cold Earth
03. Nightlight
04. The Rock And The Hill
05. I’m The One To Blame
06. Set My Soul Free
07. The Ties That Bind
08. All I Wanted (Thanks Anyway)
09. Blood
10. Heal

Allison Moorer
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Thirty Tigers
Oktober Promotion

Hayes Carll – What It Is – CD-Review

Carll_300

Review: Michael Segets

2017 heimste Hayes Carll sieben Austin Music Awards ein, im Jahr davor erhielt sein Song „Chances Are” in der Interpretation von Lee Ann Womack eine Grammy-Nominierung als bester Country-Song. Nun möchte der Texaner aus Houston mit seinem sechsten Album „What It Is“ an seine Erfolge anknüpfen.

In seinen aktuellen Texten entwirft Carll allerdings keine großen Zukunftspläne und arbeitet auch die Vergangenheit nicht auf, wie es Singer/Songwriter des Öfteren tun. Stattdessen propagiert er das Leben im Moment. „Es ist, wie es ist“ lautet eine frei übersetzte Zeile aus dem Titelstück. Das ständige Hinterfragen verhindert den Genuss des Augenblicks. Manchmal ist es für ihn hilfreicher, etwas auf sich beruhen zu lassen. Diese Grundaussage lässt sich aus den beiden starken Songs „None’ya“ und „Things You Don’t Wanna Know“ heraushören.

Carll, der für seine klaren, oft mit einer Portion Sarkasmus gewürzten Worte bekannt ist, hält sich auf „What It Is“ mit politischen Äußerungen weitgehend zurück, auch wenn diese in manchen Zwischentönen wie bei dem rockigen und mit schönen Twang versehenen „Times Like These“ anklingen. So fällt „American Dream“ anders als vielleicht erwartet, nicht als bittere Abrechnung mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit in den Staaten aus. Die fast sanfte Melodie lädt sogar eher zum Träumen ein.

Die Songs erwecken den Eindruck, dass sie Carll mühelos von der Hand gehen. Manchmal erscheinen die Stücke aber etwas zu eingängig und gewollt arrangiert. Die Streicher auf „Be There“ oder auf „Fragile Men“, bei dem ihre Passagen beinahe orchestrale Ausmaße annehmen, sind mir etwas zu viel, obwohl auch die Songs durchaus ihre Qualitäten haben. Geige und etwas Slide untermalen das vorab ausgekoppelte „Jesus And Elvis“ hingegen sehr stimmungsvoll.

Die für Americana- und Country-Musik typischen Instrumente setzt Carll abwechslungsreich ein. Beim Titelsong „What It Is“ sind Banjo sowie Mandoline zu hören, bei „Beautiful Thing“ ein Klavier und beim bluesigen „Wild Pointy Finger“ eine Mundharmonika.

Die Titel der Scheibe sind überwiegend im unteren Tempobereich angesiedelt, wobei sie nie langweilig werden. Es finden sich ebenfalls einige schnellere Country-Nummern. Zu diesen zählt „If I May Be So Bold“. Der Song hätte auch auf „No Free Lunch“ von Green On Red gepasst. Die Klangfarbe von Hayes Carlls Stimme ist allerdings eine gänzlich andere als die von Dan Stuart. Carll variiert seine angenehme Stimme bei den verschiedenen Songs und lässt sie mal weicher, mal kratziger klingen.

Insgesamt zeigt sich der Singer/Songwriter auf „What It Is” musikalisch und textlich entspannt. Ob es Hayes Carll gelingt, den Erfolg der Vorgänger „KMAG YOYO“ (2011) und „Lovers And Leavers“ (2016) fortzusetzen, bleibt abzuwarten. Zu wünschen wäre es ihm.

Dualtone Records (2019)
Stil: Americana/Country

Tracks:
01. None’ya
02. Times Like These
03. Things You Don’t Wanna Know
04. If I May Be So Bold
05. Jesus And Elvis
06. American Dream
07. Be There
08. Beautiful Thing
09. What It Is
10. Fragile Men
11. Wild Pointy Finger
12. I Will Stay

Hayes Carll
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Oktober Promotion
Dualtone Records