Steve Earle & The Dukes – Ghost Of West Virginia – CD-Review

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Review: Michael Segets

Steve Earle, Country-Outlaw der zweiten Generation, meldet sich mit „Ghost Of West Virginia” wieder zu Wort. In seinen Texten greift er regelmäßig gesellschaftliche und politische Themen auf, die gerade bei konservativen Kreisen in Amerika heftige Reaktionen auslösten, denkt man beispielsweise an seinen „John Walker’s Blues“.

Auf seinem zwanzigsten Album setzt er sich mit dem Bergbau in West Virginia auseinander. Earle lehnt zwar den Energiegewinn aus fossilen Brennstoffen ab, versucht aber, sich in die Mentalität der Bevölkerung dieser Kohleregion einzufühlen, um so die Basis für einen Dialog zu schaffen, der auf der gegenseitigen Toleranz unterschiedlicher Sichtweisen beruht. Vor allem der Minenunfall von Upper Big Branch im Jahr 2010, bei dem 29 Männer ihr Leben verloren, hat sich in das kollektive Gedächtnis West Virginias eingebrannt. In „It’s About Blood“ nennt Earle alle Namen der Verunglückten, die auch auf dem Cover zu lesen sind.

Seinem Tribute „Guy“ (2019), eine Hommage an seinen verstorbenen Freund und Mentor Guy Clark, lässt Earle nun also ein weiteres Konzeptalbum folgen – diesmal aber mit zehn Eigenkompositionen. Bei diesen erweist er sich ein weiteres Mal als Meister seines Faches. Trotz der offenen Sozialkritik scheint in den lyrischen Zeilen eine Menschenfreundlichkeit durch, die man Earle – denkt man an seine wilden Zeiten – früher nicht zugetraut hätte.

In seinen Texten erweckt Earle schlüssige Figuren mit ihren Träumen und Fehlern zum Leben, ohne sie bloßzustellen. Earle zeigt sich als sensibler Beobachter und gereifter Songwriter, der vor kritischen Tönen nicht zurückschreckt, dabei aber ein tiefes Verständnis für die Menschen aufbringt.

Das Werk beginnt mit dem vokalen Gospel „Heaven Ain’t Goin‘ Nowhere“, das die Kraft eines klassischen Spiritual verströmt. Äußerst stimmungsvoll steht dort seine rau-kratzige Stimme in Kontrast zu dem mehrstimmigen Chor, der den Refrain singt.

Den Abschluss des Albums bildet die typische Steve-Earle-Ballade „The Mine“ mit eingängigen Textzeilen und frischer Geigenbegleitung. Zwischen den beiden Highlights finden sich acht abwechslungsreiche Stücke auf der kurzweiligen Scheibe. Dabei ist die Kürze der CD, deren Laufzeit keine halbe Stunde umfasst, der einzige Kritikpunkt.

Das von einem Banjo getriebene und mit Geige sowie E-Gitarre begleitete „Devil Put The Coal In The Ground“ entwickelt einen vollen Sound. Ähnlich dunkle Atmosphäre verströmen „Black Lung“ – bei dem Earles Mandoline zur Geltung kommt – und das schon erwähnte „It‘s About Blood“. Der ungeschliffene Klang der Songs in Verbindung mit Earles markantem Gesang machen sie zu meinen weiteren Favoriten auf dem Longplayer.

„Time Is Never On Our Side” und „If I Could See Your Face Again” schlagen sanftere Töne mit poetischen Texten an. Beim letztgenannten Titel überlässt Earle Eleanor Whitmore die Vocals. Auf früheren Alben finden sich zwar Duette, beispielsweise mit Lucinda Williams, Maria McKee (Lone Justice) oder seiner Ex-Ehefrau Allison Moorer, aber dass Earle den Gesangspart vollständig abtritt, ist ein Novum. Dies passt jedoch in das Gesamtkonzept des Werkes, da der Song die Perspektive der Witwe eines Minenarbeiters einnimmt.

Wenn es um den Kampf zwischen Mensch, Maschine und Gestein geht, darf natürlich die Legende um John Henry nicht fehlen. Diese wurde schon mehrfach musikalisch verarbeitet. Earles Song „John Henry Was A Steel Drivin’ Man” hat Ähnlichkeit mit dem Pete Seeger Klassiker „John Henry“, der spätestens durch das Cover von Bruce Springsteen bekannt sein dürfte. Charley Crockett verarbeitet unlängst ebenfalls die Geschichte des Hünen bei „9 Pound Hammer“.

Seine Wurzeln im Country offenbart Earle bei „Union, God And Country“ und auch der Boogie „Fastest Man Alive” weist Anleihen bei diesem Genre auf. Die schnelleren Stücke sorgen für zusätzliche Abwechslung auf dem Longplayer.

Steve Earle gelingt mit „Ghost Of West Virginia“ ein Konzeptalbum, auf dem sich der unterschiedliche Sound der Einzeltitel in Verbindung mit hervorragenden Texten zu einem stimmigen Gesamtbild zusammenfügt. Der Fünfundsechzigjährige legt mit seinem Werk die Messlatte für die jüngere Generation an Songwriter musikalisch und inhaltlich hoch.

New West Records/Pias – Rough Trade (2020)
Stil: Outlaw Country

Tracks:
01. Heaven Ain’t Goin’ Nowhere
02. Union, God And Country
03. Devil Put The Coal In The Ground
04. John Henry Was A Steel Drivin’ Man
05. Time Is Never On Our Side
06. It’s About Blood
07. If I Could See Your Face Again (featuring Eleanor Whitmore)
08. Black Lung
09. Fastest Man Alive
10. The Mine

Steve Earle
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New West Records
Pias – Rough Trade
Oktober Promotion

Wild Rabbit Salad – Trouble In Town – CD-Review

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Review: Michael Segets

„Trouble In Town“ klingt irgendwie nach Independent-Aufnahme. Die Tonqualität ist völlig in Ordnung, aber die Instrumentalisierung sowie der Sound von Wild Rabbit Salad wirken wenig voll. Vielleicht begründet sich der Eindruck auch darin, dass die Songstrukturen oft nicht außerordentlich komplex sind. Dennoch unterhält das Album über weite Strecken gut. Dies liegt vor allem an dem wechselnden Lead-Gesang von Marietta Roebuck und Bucky Goldberg, die zusammen als Wild Rabbit Salad ihren dritten Longplayer rausbringen.

Roebuck, die klassischen Gesang studierte, übernimmt das Mikro bei den meisten Balladen, so beim countryfizierten „Tecumseh Valley“, dem 50er Jahre Barsong „Lying“ und dem sehr getragenen, tief gesungenen „When They Rise“. Überzeugend ist der rockige Touch in Roebucks Stimme auf „Killing Flood In Houston”, dem stärksten Track des Albums.

Insgesamt markanter ist die Stimme von Bucky Goldberg, was besonders beim Duett „Drop Top Cadillac” deutlich wird. Auf „Mine No. 9“ steuert Roebucks den Refrain, Goldberg die Strophen bei. Goldbergs Part in dem beschwingten Stück erinnert an Songs von Pete Seeger.

Pfiffig ist das rockige „Four Days Sober” durch die Kombination von Perspektivwechsel im Text sowie entsprechendem Gesang durch Mann und Frau. „Everybody Loves My Hat” hat ebenso witzige Lyrics. Anders als beim Refrain des süßlichen Midtempo-Stücks „Amelia“ streut Roebuck dort keine Harmonien ein, was den Sound erdiger macht.

Das Titelstück „Trouble In Town“ ist der songtechnisch am meisten ausgefeilte Beitrag. Er erinnert streckenweise an Balladen der späten Achtziger von Bruce Springsteen. Mit „Waiting Around To Die“ bildet ein atmosphärischer Countrysong den Abschluss der Scheibe. Bei beiden Stücken übernimmt Goldberg den Leadgesang.

Auf der CD sind vier Live-Tracks eingestreut. Die Mischung von Live- und Studio-Aufnahmen finde ich meist störend, aber hier integrieren sich die Mitschnitte der Auftritte unauffällig. Das Publikum ist nur am Schluss mancher Titel dezent zu hören.

Das Album wirkt nicht konzeptionell durcharrangiert. Dadurch bleibt es aber beim ersten Hören spannend. Es ist nämlich nicht abzusehen, was als nächstes kommt und wer den Gesangspart übernimmt. Nach ein paar Durchläufen kristallisieren sich schnell die Highlights des Albums heraus. Die Stripped-Down-Produktion „Trouble In Town“ von Wild Rabbit Salad wird kein Dauerbrenner im CD-Player, hält jedoch ein paar lohnende Songs parat.

REGI Music (2020)
Stil: Americana

Tracks:
01. Drop Top Cadillac
02. Tecumseh Valley
03. Mine No. 9 (live)
04. Everybody Loves My Hat (live)
05. Killing Flood In Houston
06. Amelia
07. Lying (live)
08. Four Days Sober
09. When They Rise (live)
10. Trouble In Town
11. Waiting Around To Die

Wild Rabbit Salad
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Two Side Moon Promotion

Ted Z And The Wranglers – Southland – CD-Review

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Review: Michael Segets

Vor zwei Jahren gastierten Ted Z And The Wranglers in der Kulturrampe. In Vorbereitung auf das Konzert hörte ich mir den Backkatalog – bestehend aus zwei EPs und zwei Alben – ausgiebig an und war sofort begeistert. Ted Zakka komponiert melodiöse Songs mit guten Texten und setzt diese sowohl im Studio als auch auf der Bühne mit seinem ausdrucksvollen Gesang hervorragend um. Mit dem Auftritt in Krefeld spielte sich der sympathische Kalifornier dann auch endgültig in mein Herz.

Obwohl schon längere Zeit angekündigt, verzögerte sich das Erscheinen von „Southland“ immer wieder. Anders als der vorherige entstand der neue Longplayer in Eigenproduktion. Mittlerweile hat sich also nicht nur der Label-Status geändert, sondern ebenso die Bandbesetzung. Von den Musikern der Tour von 2017 ist keiner mehr dabei. The Wranglers sind jetzt Collin Mclean (Bass), Jackson Leverone (Gitarre) und Jordan Lipp (Schlagzeug).

Allerdings konnte ich nicht alle beteiligten Musiker recherchieren. So weiß ich beispielsweise nicht, wem die weibliche Stimme bei dem Duett „Sweet Loretta“ gehört. Vielleicht ist Rachel Perry erneut mit von der Partie. Wie dem auch sei: Das Warten hat sich gelohnt. „Southland“ schließt sich ohne musikalischen Bruch an die bisherigen Veröffentlichungen von Ted Z an.

Ted Z And The Wranglers präsentieren ihren Outlaw Country, in einer Mischung aus Balladen und schnelleren Nummern mit rockigen Gitarreneinlagen. Bei den langsameren Stücken wie „San Antone“, „Angels“ oder „Bottles And Bar Rooms“ ergänzen eine Slide-Gitarre und harmonischer Backgroundgesang die variable Stimme von Ted Z. Mühelos umschifft er selbst bei diesen sanfteren Songs den Kitsch. Die Titel laden zum Träumen ein, bleiben aber stets spannend.

Mit „Wimberly“ und „101“ legt die Band einen klassischen Country-Rhythmus vor, gewinnen ihm jedoch nette Facetten ab. Am besten gelingt dies bei „Setting Sun“, dem stärksten Beitrag auf dem Album. Das erstklassige Intro erzeugt einen dieser Gänsehautmomente, die mich bei Ted Z so begeistern.

Weit vorne ist auch der Gute-Laune-Titel „Guests On Sunday Morning“. Dieser geht ebenso wie das beschwingte „Corner Store“ direkt ins Tanzbein. Der mit einem gospeligen Background unterlegte Chorus erinnert streckenweise an Pete Seeger. Sehr schön ist auch, dass hier mal eine Mundharmonika ausgepackt wird.

Die quietschige E-Gitarre von Jackson Leverone setzt dem tollen Country-Rocker „Back In The Southland“ das Sahnehäubchen auf. Insgesamt sind knackige Rockstücke auf dem neuen Album weniger vertreten als auf dem Vorgänger „Ghost Train“ (2015), aber bei „Rambler“ schlägt die Band nochmals kräftigere Töne an. Eine ausgeklügelte Dynamik entwickelt die Rock-Ballade „Desiree“ vor allem durch das Trommeln von Jordan Lipp im Zusammenspiel mit Jackson Leverone, der erneut an seinem Instrument glänzt.

Vielleicht ist das neue Album nicht die stärkste Scheibe der Bandgeschichte, aber es bietet Outlaw Country, der kreativ mit den Traditionen umgeht und dadurch außerordentlich frisch wirkt. Bislang habe ich auf jedem Tonträger von Ted Z And The Wranglers mindestens einen hervorragenden Song ausgemacht, der es in meine persönlichen Charts schaffte.

„Southland“ bricht nicht mit dieser Tradition. Warum die Band keinen Vertrag bei einem Label hat, bleibt mir ein Rätsel. An der Musikqualität kann es nicht liegen.

Eigenproduktion (2019)
Stil: Outlaw Country

Tracks:
01. Guests On Sunday Morning
02. Back In The Southland
03. San Antone
04. Angels
05. Wimberly
06. Sweet Loretta
07. Corner Store
08. Setting Sun
09. Rambler
10. 101
11. Desiree
12. Bottles And Bar Rooms

Ted Z And The Wranglers
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Charley Crockett – The Valley – CD-Review

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Review: Michael Segets

Charley Crockett hatte vergangenen Monat in der Kulturrampe im Rahmen seiner diesjährigen Europatournee Halt gemacht. Die letzten Konzerte in Spanien sind gerade gelaufen und die nächsten in den Vereinigten Staaten angekündigt. Nicht nur, wenn Crockett auf Konzertreise ist, erscheint er als rastloser Geist. Bereits als Jugendlicher trampte er durch die Staaten, lebte später in Europa und Afrika.

Ständig on the Road charakterisiert er seine selbst gewählte Lebensweise auf „The Way I’m Livin‘ (Santa Rosa)“ oder „Motel Time Again“. Ebenfalls autobiographische Züge trägt der Titelsong des neuen Albums „The Valley“. Bei ihm schildert Crockett seine Herkunft und die Anfänge seiner Sehnsucht, die ihn immer wieder in die Ferne zieht.

So unstet sein Lebenswandel auch erscheint, so bleibt er doch musikalisch auf seiner Linie, die zwischen Country und Blues liegt. Hatte er sich auf seinem Chart-Erfolg „Lil G.I.‘s Blue Bonanza“ (2018) dem Blues zugewandt, schlägt die Nadel bei „The Valley“ wieder stärker in Richtung Country aus, was sich ja bereits bei der Show in der Kulturrampe abzeichnete.

Da sind schnellere Varianten vorhanden, wie das einprägsame „Big Gold Mine“, oder auch langsame, wie „10,000 Acres“ und „Change Yo‘ Mind“. Die meisten Country-Nummern (u. a. „Excuse Me“ oder „Maybelle“), bewegen sich aber im mittleren Tempo. Die Titel orientieren sich von Machart und Instrumentalisierung mit Geige, Steel Pedal und Slide an den Genreklassikern. Sie haben den typischen Twang. Den erzielt Crockett auch auf „River Of Sorrow“, bei dem er Orgel und Trompete einbaut.

Unter den Country-Songs, die dem herkömmlichen Muster folgen, heben sich „It’s Nothing To Me“, auf dem Crockett etwas tiefer singt, und „Borrowed Time“ besonders hervor. Die Single, die Crockett zusammen mit Evan Felke (Turnpike Troubadours) geschrieben hat, glänzt durch einen sofort ins Ohr gehenden Refrain, auf dem Crocketts besonderer, metallischer Gesang hervorragend zur Geltung kommt.

Intensiv sind die beiden Songs „5 More Miles“ und „7 Come 11“. Bei ihnen wendet sich Crockett mehr seiner bluesigen Seite zu. „If Not The Fool“ ist in zwei Versionen auf dem Album vertreten. Die längere Version enthält ein gedämpft schnarrendes Trompetensolo, unterscheidet sich aber sonst nicht wesentlich von der anderen. Selbst in der Langversion knackt der langsame Blues nicht die vier Minutenmarke. Crocketts Stücke sind sowieso meist sehr kurz und selten länger als drei Minuten.

Schließlich findet sich ein vom Banjo begleiteter Folksong auf der Scheibe, der die Legende um John Henry aufgreift. Mit „9 Pound Hammer“ reiht sich Crockett ebenbürtig in die Tradition von Pete Seeger, Leadbelly oder Johnny Cash ein. Mit ihm erhöht Crockett die Klangvarianz auf seinem Longplayer, der insgesamt von ähnlich aufgebauten Country-Nummern geprägt wird.

Die Differenzierungen im Country-Bereich stellen ja eine Wissenschaft für sich dar. Ich habe letztens gelesen, dass es so etwas wie New-Traditional-Country gibt. Die Bezeichnung trifft die Mehrzahl der Songs von Crockett auf „The Valley“ ganz gut. Dabei gelingen ihm einige sehr schöne, eingängige Genrebeiträge. Tendenziell stechen aber die starken Titel mit Blues-Einschlag auf dem Album hervor. Sie bringen Abwechslung in das Werk und bleiben von ihm eher im Gedächtnis.

Son Of Davy / Thirty Tigers
Stil: Country, Blues

Tracklist:
01. Borrowed Time
02. The Valley
03. 5 More Miles
04. Big Gold Mine
05. 10,000 Acres
06. The Way I’m Livin‘ (Santa Rosa)
07. 7 Come 11
08. If Not the Fool (Long Version)
09. If Not the Fool (Short Version)
10. Excuse Me
11. It’s Nothing To Me
12. Maybelle
13. 9 Pound Hammer
14. River Of Sorrow
15. Change Yo‘ Mind
16. Motel Time Again

Charley Crockett
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Oktober Promotion

Ryan Bingham – American Love Song – CD-Review

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Review: Michael Segets

Fünfzehn neue Stücke stellt Ryan Bingham auf „American Love Song“ vor. Persönliche Erfahrungen und gesellschaftskritische Stellungnahmen verpackt er in unterschiedliche Facetten der Roots-Music. So steht „Beautiful And Kind“ ganz in der Tradition der Folk-Sänger a la Pete Seeger oder Woody Guthrie. Dem Blues frönt er mit „Hot House“ und „Got Damn Blues“, das sich am Ende in Richtung Gospel entwickelt. Rockige Töne schlägt Bingham bei „Nothin‘ Holds Me Down“ und beim Rolling Stones infiltrierten „Pontiac“ an.

Die überwiegende Anzahl der Titel lässt sich dem weiten Feld des Americana zurechnen, wobei Bingham mit dessen Ingredienzien spielerisch umgeht. Auf „Lover Girl“ ist mal eine Steel Guitar zu hören, auf „Time For My Mind“ schlägt er einen Rhythmus an, der beinah an die Karibik erinnert. Mehrere Stücke werden von dem leidenden Gesang Binghams getragen. „Stones“ beginnt sanft, entwickelt aber eine Dynamik, die mitnimmt. Dagegen fällt das klagende und etwas überladene „Blue“ etwas ab.

Mit dem vorab herausgegebenen „Wolves“ hat Bingham alles richtig gemacht. Bei der akustisch gehaltenen Ballade kommt sein eindringlicher Gesang besonders gut zur Geltung. Ebenso vollständig überzeugt „What Would I’ve Become“, das er nicht weniger intensiv, aber mit mehr Drive spielt. Ein weiterer Favorit ist der rumplige Opener „Jingle And Go“ mit dominantem Bar-Piano, das für einen Umtrunk in einer lauten Kneipe bestens geeignet erscheint.

Deutliche Worte zur Lage der Nation findet Bingham auf „Situation Station“. Er setzt auf die verbindende Kraft der Musik und wendet sich gegen Aus- und Abgrenzung, die er in Amerikas Politik verstärkt wahrnimmt. Auch „America“ schlägt inhaltlich in eine ähnliche Kerbe. Sein ausdrucksstarker Gesang wird hier von einer gleichmäßigen, sanften akustischen Gitarre untermalt. Bingham gibt sich dabei mahnend, aber nicht resignativ. Der Song könnte auch von Bruce Springsteen geschrieben sein.

Zum Abschluss des Albums würdigt Bingham mit „Blues Lady“ die starken Frauen seines Landes. Dabei hat er seine verstorbene Mutter ebenso wie Janis Joplin oder Aretha Franklin vor Augen.

Zusammen mit dem Co-Produzenten Charlie Sexton (Bob Dylan, Arc Angels, Sue Foley) bewegt sich Bingham sicher in den Spielarten der Roots Musik. Er komponiert tolle Songs, bei dem Texte und Musik stimmen. Vielleicht halten einzelne Titel nicht ganz die hohe Qualität des insgesamt starken Albums, bei der Anzahl der Stücke fällt das aber kaum ins Gewicht.

Axster Bingham Records/Thirty Tigers/Alive (2019)
Stil: Americana and more

Tracks:
01. Jingle And Go
02. Nothin‘ Holds Me Down
03. Pontiac
04. Lover Girl
05. Beautiful And Kind
06. Situation Station
07. Got Damn Blues
08. Time For My Mind
09. What Would I’ve Become
10. Wolves
11. Blue
12. Hot House
13. Stones
14. America
15. Blues Lady

Ryan Bingham
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Thirty Tigers

John Mellencamp – Other People’s Stuff – CD-Review

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Review: Michael Segets

Nach dem hervorragenden Live-Album „Plain Spoken – From The Chicago Theatre” meldet sich John Mellencamp in diesem Jahr mit „Other People’s Stuff” erneut zu Wort – allerdings nicht mit eignen Songs.

Als konzeptionelle Idee steckt hinter dem Album, dass er von ihm gecoverte Songs geschlossen auf einer Scheibe zusammenfasst. Herauskommen soll dabei ein persönliches American Songbook.

Dafür greift Mellencamp bei der Hälfte der Titel auf seine Alben zu. Er geht bis „Human Wheels“ (1993) zurück, auf dem „To The River“ erstmals erschien, und berücksichtigt mit „Mobile Blue” ebenfalls seine letzte Studio-Veröffentlichung „Sad Clowns & Hillbillies“ (2017). Zwei Stücke („Teardrops Will Fall” und „Stones in My Passway”) von seinem 2003er-Album „Trouble No More“ finden ebenso Aufnahme in die aktuelle Zusammenstellung wie „In My Time of Dying“ von „Rough Harvest“ (1997). Auf diesem Werk liefert Mellencamp auch eine sehr gefühlvolle Interpretation von „Farewell Angelina“, die sich zwar musikalisch nahtlos in „Other People’s Stuff“ eingefügt hätte, aber dort nicht erscheint.

Warum nicht mehr seiner Cover-Versionen auf dem neuen Album vertreten sind, erschließt sich mir nicht. Da „Other People’s Stuff“ keine 35 Minuten Spielzeit aufweist, wäre noch Platz für den einen oder anderen Titel gewesen.

Mellencamp drückt den Originalen seinen eigenen Stempel auf, sodass sie durchaus hörenswert sind. Da die bisher genannten Songs allerdings auf regulären Alben zu finden sind, dürften sie den Liebhabern seiner Musik bekannt sein. Interessanter sind daher die anderen fünf Songs.

Dazu zählt vor allem die bisher unveröffentlichte Aufnahme aus dem Jahr 2010 des Klassikers „Eyes on the Prize“. Mellencamp performt den Titel von Pete Seeger mit sehr intensiven Gitarrenspiel. Noch stärker ist „Dark As A Dungeon”. Mit tiefer und rauchiger Stimme, begleitet von Harmoniegesang und Geige, schaukelt Mellencamp den irisch angehauchten Folksong grandios. Der Titel stammt von der Dokumentation „From The Ashes“ des National Geographic Channels.

Daneben finden sich noch drei Stücke, die bereits auf diversen Samplern erschienen sind. Von „The Songs of Jimmie Rodgers – A Tribute” stammt „Gambling Bar Room Blues”. Während bei dem Song eine Blues-Note mitschwingt, hat „Wreck of the Old 97“ von „The Rose and The Briar” einen leichten Country-Einschlag. Schließlich ist noch Stevie Wonders „I Don’t Know Why I Love You” vertreten. Zuerst wurde es auf „An Interpretation of Stevie Wonder’s Songs“ 2003 herausgebracht.

Gegen die Idee, Cover-Stücke zusammenzufassen, lässt sich nichts einwenden. Besonders gelungen wäre die Umsetzung, wenn ausschließlich unveröffentlichte oder verstreut erschienene Werke zusammengefasst worden wären. Als EP hätten mich die fünf zuletzt aufgeführten Titel begeistert. Wenn auf Versionen regulärer Alben zurückgegriffen wird, hätte der Raum der CD auch genutzt werden können, um Vollständigkeit anzustreben. So bleibt ein Album in Erinnerung, das zwar gute Musik bietet, aber doch Stückwerk bleibt.

Republic Records/Universal Music (2018)
Stil: Folk/Folk Rock

Tracks:
01. To The River
02. Gambling Bar Room Blues
03. Teardrops Will Fall
04. In My Time of Dying
05. Mobile Blue
06. Eyes on the Prize
07. Dark As A Dungeon
08. Stones in My Passway
09. Wreck of the Old 97
10. I Don’t Know Why I Love You

John Mellencamp
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Republic Records