Review: Michael Segets
Die etwas ruhigere Zeit um den Jahreswechsel nutze ich meist, um nochmal einen Blick zurück zu werfen auf das, was so in den letzten Monaten liegengeblieben ist. Mitte 2024 erschien bereits „Viva Lone Justice“. Lone Justice hat sich fast vierzig Jahre nach Bandauflösung die Zeit genommen, um in den Archiven zu stöbern. Dabei wurden zehn Songs zutage gefördert und neu überarbeitet. Nahezu alle Instrumente wurden mit Overdubs versehen. Die einzige Ausnahme ist das Schlagzeug, das in Erinnerung an den verstorbenen Drummer Don Heffington unverändert blieb. „Viva Lone Justice“ ist daher kein frisches Album der Band, sondern poliert deren Vergangenheit auf.
Außer „You Possess Me“, das vom Bassisten Marvin Etzioni geschrieben wurde, sind alle anderen Tracks Coverversionen, drei davon Traditionals. Die Country-Nummer „Jenny Jenkins“ wird von Maria McKee und Ryan Hedgecock im Duett gesungen. Die Band nimmt sich weiterhin dem Bluegrass „Rattlesnake Mama“ und dem vielfach interpretierten Gospel „Wade In The Water“ an. Die anderen Songs bewegen sich meist in klassischen Country-Gefilden. Tammy Rogers unterstützt die Band einige Male an der Geige und arrangiert die Streicher. Benmont Tench (Tom Petty And The Heartbreakers) ist als Gastmusiker auf drei Tracks vertreten.
Die CD verläuft überwiegend in ruhigen Bahnen, wobei McKees Stimme und Gesang, die Lone Justice stets eine besondere Note verliehen, auch hier wieder eine tragende Rolle spielt. Bemerkenswert ist die reduziert arrangierte Version von „I Will Always Love You“, die im extremen Kontrast zur Bombast-Interpretation von Whitney Houston steht. Der Song stammt übrigens aus der Feder von Dolly Parton. Aus dem Rahmen fällt die Single „Teenage Kicks“. Bei dem Cover von The Undertones zeigt sich Lone Justice von ihrer punkigen Seite. Ansonsten findet sich mit „Sister Anne“ nur noch ein Uptempo-Titel auf der Scheibe. Dieser fängt gut an, endet aber mit einem gewöhnungsbedürftigen Bläser-Outro.
Lone Justice schaut auf nur zwei reguläre Longplayer in ihrer kurzen Karriere zurück. Das selbstbetitelte Debüt wurde von Jimmy Iovine produziert und brachte 1985 frischen Wind und eine neue, markante Stimme in die Country Rock-Szene. Ein Jahr später folgte das deutlich schwächere, mit mehr Pop-Anteilen versehene „Shelter“, bei dem Little Steven bei der Produktion mitmischte. Danach kam es zur Auflösung der Band. Im Nachgang erschienen noch Live-CDs und ein paar Compilations mit bis dato unveröffentlichte Aufnahmen. „Viva Lone Justice“ reiht sich dort ein, auch wenn sich für die Neubearbeitung der Songs die noch lebenden Bandmitglieder nochmal zusammengefunden haben.
Lone Justice schuf seinerzeit mit ihrem Debüt ein Album, dass die Zeit überdauerte und auch heute noch hörenswert ist. „Viva Lone Justice“ ist ein Abgesang auf diese glorreichen Tage. Die Neubearbeitung von altem Material, das sich fast ausschließlich aus Coverstücken zusammensetzt, zeigt an einigen Stellen, was aus Lone Justice hätte werden können. Es zeigt auch, dass sich die Zeit nicht zurückdrehen lässt. Letztlich bleibt es ein rückwärtsgewandtes Album, das die Hoffnung auf eine späte Wiederbelebung der Band nicht einlöst.
Afar Records – Cargo (2024)
Stil: Country
Tracks:
01. You Possess Me
02. Jenny Jenkins
03. Rattlesnake Mama
04. Teenage Kicks
05. Wade In The Water
06. Nothing Can Stop Me Loving You
07. Skull And Cross Bones
08. Alabama Baby
09. I Will Always Love You
10. Sister Anne