Rodney Crowell – The Chicago Sessions – CD-Review

Review: Michael Segets

Rodney Crowell besinnt sich auf seine Anfänge. In kleiner Bandbesetzung spielte er „The Chicago Sessions“ mit dem Produzenten Jeff Tweedy (Wilco) ein. Mit deutlich reduzierter Soundfülle gegenüber dem vorangegangenen Album „Triage“ (2021) konzentriert sich Crowell auf die pure Wirkung seiner Songs. Bereits das Cover lässt den Brückenschlag zurück erahnen. Das schräggestellte Foto vor neutralem Hintergrund ist an die Covergestaltung sein Debüts „Ain’t Living Long Like This“ vor 45 Jahren angelehnt. Der aktuelle Longplayer verfolgt auch musikalisch einen Vintage-Stil, wirkt dabei aber nicht angestaubt. Er ist routiniert und unaufgeregt eingespielt sowie klar produziert und abgemischt.

Mit zwei Ausnahmen sind die Stücke neueren Datums. „You’re Supposed To Be Feeling Good“ stammt aus seinen Anfangstagen als Songwriter und wurde 1977 von Emmylou Harris aufgenommen. Rodney covert zudem Townes Van Zandts „No Place to Fall“. Das Piano, gespielt von Catherine Marx, begleitet den Song unaufdringlich, sodass sich die Version von dem Original unterscheidet, aber nicht allzu weit entfernt.

Marx eröffnet das Album mit einem Bar-Piano-Intro bei „Lucky“. Auch bei dem bluesrockigen „Ever The Dark“ hat sie ihre Finger im Spiel und lässt die Tasten klimpern. Gitarrist Jedd Hughes erhält hier zudem die Gelegenheit, seine Kunstfertigkeit an den Saiten in Szene zu setzen. Neben Marx und Hughes nahm Zachariah Hickman am Bass an den Sessions durchgehend teil. Für das Schlagzeug wurden John Perrine und Spencer Tweedy, der Sohn von Jeff, verpflichtet.

Crowells Songs schlagen insgesamt ein gemäßigtes Tempo an. „Somebody Loves You“ groovt locker mit einer Blues-Note. Diese weist auch „Oh Miss Claudia” auf, dem es gelingt trotz gleichförmigem Gesang und gleichbleibenden Rhythmus einen Akzent auf dem Album zu setzen. Die countryfizierte Ballade „Making Lovers Out Of Friends“ bewegt sich Crowell in strikt traditionellen Bahnen. In eine ähnliche Richtung geht „ Loving You Is The Only Way To Fly“. Das sanfte Stück ist mit seinem Harmoniegesang allerdings stärker und wurde zu Recht vorab herausgegeben. Beim abschießenden „Ready To Move On“ frönt Crowell zunächst dem Sprechgesang, um dann doch noch etwas melodiösere Töne anzustimmen.

Deutlich eingängiger stellt sich „Everything At Once“ dar, das Crowell und Jeff Tweedy zusammen schrieben und gemeinsam performen. Die erste Auskopplung des Longplayers will als Auseinandersetzung mit der Reizüberfrachtung unserer Lebenswelt, der Dauerbeschallung und Bilderflut, verstanden sein. Crowell reagiert mit seinen Texten also auf aktuelle Themen, beschäftigt sich aber vorwiegend mit zeitlosen, allgemein menschlichen wie Liebe und Vergänglichkeit.

Sein Marketing befindet sich auf einer zeitgemäßen Spur. Neben der digitalen Veröffentlichung und der CD wird das Album in vier unterschiedlichen Vinyl-Editionen erhältlich sein. Über die Standardpressung hinaus gibt Crowell drei farbige, jeweils limitierte Varianten heraus. Je nach finanziellen Ressourcen schlägt daher das Sammlerherz entweder höher oder verzweifelt. Jedenfalls ist es unabhängig von der Version nicht verkehrt, das Album im Regal – oder auf der Festplatte – zu haben. Ein Pflichtkauf ist es allerdings nicht unbedingt. Mehrere Songs gehen ins Ohr, setzen sich aber nach den ersten Durchläufen nicht nachhaltig in den Gehörgängen fest.

„The Chicago Sessions“ ist ein routiniertes Werk von Rodney Crowell, bei dem er sich bewusst den Traditionen verschreibt, die er selbst mit geprägt hat. Sein Können als Songwriter bewies er in den letzten fünf Dekaden hinlänglich. Von ihm profitiert auch sein neues Werk.

New West Records – Bertus (2023)
Stil: Americana

Tracks:
01. Lucky
02. Somebody Loves You
03. Loving You Is The Only Way To Fly
04. You’re Supposed To Be Feeling Good
05. No Place To Fall
06. Oh Miss Claudia
07. Everything At Once
08. Ever The Dark
09. Making Lovers Out Of Friends
10. Ready To Move On

Rodney Crowell
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New West Records
Oktober Promotion

Trampled By Turtles – Alpenglow – CD-Review

Review: Michael Segets

Als begeisterter Skifahrer ist mir das Alpenglühen nicht fremd. Das rötliche Leuchten der Bergspitzen beim Sonnenuntergang ist schon sehr stimmungsvoll. Das Lichtphänomen gibt es auch beim Sonnenaufgang. Da habe ich es aber seltener beobachtet. Nicht bewusst war mir, dass „alpenglow“ im Englischen ein Begriff ist. Diese Bildungslücke konnte ich jetzt anhand des zehnten Albums von Trampled By Turtles schließen.

Das Sextett aus Minnesota setzt ausschließlich auf Saiteninstrumente. Songwriter und Sänger Dave Simonett spielt Gitarre, Erik Berry Mandoline, Ryan Young Geige, Dave Carroll Banjo, Tim Saxhaug Bass und Eamonn McLain Cello. Die Instrumentierung ohne Schlagzeug entspricht der des Bluegrass‘. Dieser wird ja meist mit dem Country assoziiert, „Alpenglow“ hört sich aber nicht nach Country an, sondern ist eine Folk- oder Americana-CD.

In den Vereinigten Staaten stürmten vorangegangene Alben von Trampled By Turtles die entsprechenden Genre-Charts. Obwohl sie bereits 2004 ihren ersten Longplayer herausbrachten, dürfte die Band in Europa lediglich einem Nischenpublikum bekannt sein. Geläufiger ist sicherlich der Name Jeff Tweedy von Wilco. Tweedy produzierte das Album und schrieb „A Lifetime To Find“ für es. Alle anderen Stücke stammen von Simonett.

Simonett betont zwar, dass Trampled By Turtles kein Konzeptalbum vorlegen, aber „Alpenglow“ wirkt musikalisch und thematisch homogen. Es versammelt insgesamt ruhige Songs, die sich um Reflexionen über Leben und Tod oder Fernweh und Geborgenheit drehen. Die ernsten Inhalte werden in harmonische Melodien verpackt, die angenehm zu hören sind und das fehlende Schlagzeug auch nicht vermissen lassen. Die Tracks zeugen von einer hohen Songwriting-Qualität und zeigen zudem in den Arrangements eine gewisse Variabilität. Allerdings setzen sie sich nicht unbedingt beim ersten Hören fest. Gegen Ende des Albums nehmen mich einzelne Titel nicht mehr so mit, aber das kann sich nach weiteren Durchläufen noch ändern.

Neben dem langsamen und reduzierten „Central Hillside Blues“ finden sich auch Stücke, die eine Nuance flotter gehalten sind („Starting Over“, „Burlesque Desert Window“). Bei einzelnen Songs bekommt mal das Banjo („All The Good Times Are Gone“) oder das Cello („We’re Alright“) mehr Raum. Auch der mehrstimmige Gesang, wie er beim Bluegrass häufig anzutreffen ist, wird von Trampled By Turtles genutzt („Nothing But Blue Skies“, „Quitting Is Rough“).

Eine nette Idee sei noch am Rande erwähnt: Die Band hatte bei ihren Konzerten um die Einsendung von Fotos gebeten. Eine Auswahl von diesen wurde in das Video zu „It’s So Hard To Hold On“ eingearbeitet. Und wenn wir schon beim Visuellen sind: Die CD ist ausdrucksstärker, als ihr graphisches Cover, das wohl eine abstrahierte Bergwelt darstellt, vermuten lässt.

Jenseits eines Square-Dance-Gefiedels legt Trampled By Turtles mit typischer Bluegrass-Instrumentierung ein ruhiges, stimmiges Americana-Album vor. „Alpenglow“ fängt die etwas wehmütige Abendatmosphäre beim Sonnenuntergang ein, bei der man seinen Gedanken nachhängen kann – unabhängig davon, ob man im Hochgebirge oder am Niederrhein lebt.

Banjodad – Thirty Tigers (2022)
Stil: Americana

Tracks:
01. It’s So Hard To Hold On
02. Starting Over
03. Central Hillside Blues
04. On The Highway
05. A Lifetime To Find
06. Nothing But Blue Skies
07. Burlesque Desert Window
08. All The Good Times Are Gone
09. We’re Alright
10. Quitting Is Rough
11. The Party’s Over

Trampled By Turtles
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Oktober Promotion

The Flatlanders – Treasure Of Love – CD-Review

cover The Flatlanders - Treasure Of Love 300

Review: Michael Segets

The Flatlanders spielten ihr erstes Album 1972 ein, die Plattenfirma veröffentlichte es aber nicht. Nach diesem Fehlstart löste sich die Band erst einmal auf. In den folgenden Jahren kursierten einige Liveaufnahmen und Bootlegs, durch die das Trio, bestehend aus Joe Ely, Jimmie Dale Gilmore und Butch Hancock, einen legendären Ruf erwarb.

Erst 1990 kam das gemeinsame Debüt in leicht abgewandelter Form heraus und wurde ein kommerzieller Erfolg, an dem die Urheber allerdings keine Beteiligung erfuhren. Mittlerweile hatten die Musiker Solokarrieren eingeschlagen. Den Kontakt verloren die drei Freunde allerdings nie. Sporadisch ergaben sich Kollaborationen und für den Soundtrack zum Film „Der Pferdeflüsterer“ steuerten sie als The Flatlanders einen Track bei.

In der ersten Dekade der 2000er entstanden noch drei gemeinsame Alben. Ein weiteres Werk wurde begonnen, jedoch nicht vollendet, bis die Pandemie die Termin- und Tourkalender leerte. Die Zwangspause nutzten Ely, Gilmore und Hancock, um das Projekt fertigzustellen. Dafür engagierten Sie Lloyd Maines (The Chicks, Wilco, Kris Kristofferson, Loretta Lynn), der „Treasure Of Love“ zusammen mit Ely und dessen Frau Sharon produzierte.

Unter den fünfzehn Songs des Longplayers sind ältere und neuere Eigenkompositionen sowie einige Cover vertreten. The Flatlanders interpretieren „She Belongs To Me” von Bob Dylan, „Snowin‘ on Raton” von Townes Van Zandt, „Give My Love To Rose” von Johnny Cash und „Treasure of Love” von George Jones. Der Klassiker „Sittin‘ On Top Of The World“, mit dem die Band gerne ihre Konzerte beendet, beschließt auch das Album. Das Video zur ersten Single besticht durch die historischen Aufnahmen aus der frühen Bandgeschichte.

„Treasure Of Love“ umweht der Hauch der Siebziger, der bei „Ramblin‘ Man“ besonders deutlich spürbar ist. Das Album ist gradlinig produziert und verzichtet auf Modernisierungen oder Schnörkel. Die Texaner gelten als Mitinitiatoren des Alternative Country und bleiben dessen Ursprüngen in jedem Song verbunden. Die Instrumentierung bewegt sich daher auch in genretypischen Bahnen und setzt bei mehreren Stücken auf ausgiebigen Slide. Beim Opener „Moanin’ Of The Midnight Train” treffen The Flatlanders dabei genau das richtige Maß, zumal das kräftige Schlagzeug eine gelungen Gegenpol liefert.

Das Wimmern der Saiten ist auf manchen Tracks etwas viel, wie bei „The Ballad Of Honest Sam“. „I Don’t Blame You” geht in eine ähnliche Richtung, wenn es auch nicht ganz so süßlich wirkt. Besser gelungen ist die Country-Ballade „Love Oh Love Please Come Home”. Neben den getragenen Stücken präsentieren The Flatlanders einige flotte Nummern wie „Mobile Blue“ oder auch „She Smiles Like A River“. Ordentlichen Swing gibt die Band „Mama Does The Kangaroo” mit. Schließlich finden sich Bluegrass-Elemente („Satin Shoes“) und mehrstimmige Gesangseinlagen („Long Time Gone“) auf dem Album, sodass dessen Linie zwar erhalten bleibt, Variationen im Sound aber einfließen.

Wenn Charley Crockett, Colter Wall oder auch Vincent Neil Emerson als Vertreter des New Traditional Country gehandelt werden, dann vertreten The Flatlanders einen Old Alternative Country. Was vor fünfzig Jahren einen innovativen Schub in die Country-Musik brachte, klingt heute eher altbekannt. Dass die Neuauflage des Alten aber nicht schlecht sein muss, sondern durchaus einen eigenen Charme entwickeln kann, beweisen Ely, Gilmore und Hanock auf „Treasure Of Love“. Schätze liegen ja manchmal längere Zeit verborgen, bis sie wieder ans Tageslicht gehoben werden.

Rack’Em Records – Thirty Tigers/Membran (2021)
Stil: Alternative Country

Tracks:
01. Moanin’ Of The Midnight Train
02. Long Time Gone
03. Snowin’ On Raton
04. She Smiles Like A River
05. Love Oh Love Please Come Home
06. Give My Love To Rose
07. Treasure Of Love
08. Satin Shoes
09. The Ballad Of Honest Sam
10. Mama Does The Kangaroo
11. She Belongs To Me
12. I Don’t Blame You
13. Mobile Blue
14. Ramblin’ Man
15. Sittin’ On Top Of The World

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Thirty Tigers
Oktober Promotion

Nick Lowe – Lay It On Me – EP-Review

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Review: Michael Segets

Der englische Musiker und Produzent Nick Lowe taucht bestimmt irgendwo in der gut sortierten Rocksammlung auf, selbst wenn dort kein Album von ihm vertreten ist. Als Bassist bei Little Village veröffentlichte er mit John Hiatt, Ry Cooder und Jim Keltner 1982 ein Album. Er spielte mit einer Vielzahl von Künstlern und Bands wie Dave Edmunds, Rockpile, John Lee Hooker, Tanita Tikaram, Blackie And The Rodeo Kings oder Wilco.

Seine Songs wurden von etlichen Interpreten aufgenommen. Seine Exfrau Charlene Carter, Johnny Cash, Diana Ross, Linda Ronstadt, The Mavericks, George Thorogood, Rod Stewart, Simple Minds – um nur einige zu nennen – gehören dazu. Auch seine Liste als Produzent ist lang. Beispielsweise Werke von Graham Parker, Dr. Feelgood, The Fabulous Thunderbirds oder von The Pretenders wurden von ihm betreut. Vor allem mit Elvis Costello arbeitete er über acht Alben hinweg zusammen. Dieser machte den von Lowe geschriebenen Song „(What`s So Funny ‘Bout) Peace, Love And Understanding” zu einem Hit.

In der Musikszene hat der einundsiebzigjährige Lowe unabhängig von seinen sechzehn eigenen Alben also deutliche Spuren hinterlassen. Vor sieben Jahren veröffentlichte er seinen bislang letzten im Studio eingespielten Longplayer. 2018 folgte die EP „Tokyo Bay“. Mit der EP „Lay It On Me“ gibt Lowe nun erneut ein Lebenszeichen von sich.

Gemeinsam mit den Los Straitjackets spielte er drei Songs ein. Die beiden Eigenkompositionen „Lay It On Me Baby” und „Don’t Be Nice To Me” ergänzt „Here Comes That Feeling”, das von Dorsey Burnette geschrieben und durch die Version von Brenda Lee bekannt wurde. Im Stil des 50er Jahre Rock ’n Roll gehalten und mit einer Prise Soul gewürzt verströmen die Stücke einen angenehmen Retro-Charme.

Schließlich findet sich noch eine instrumentale Interpretation von „Venus“ auf der EP. Dem Song von Shocking Blue, der durch Bananarama in den Achtzigern ein Revival erlebte, geben Los Straitjackets einen Surf-Rock-Anstrich. Den Titel hat Lowe lediglich produziert.

Mit seinen knapp zwölf Minuten stellt „Lay It On Me” ein kurzes Vergnügen dar. Die Fans von Nick Lowe wird das neue Material aber dennoch freuen. Die unverkrampften Songs sind wunderbar geeignet, einen lockeren und entspannten Sommerabend auf der Terrasse einzuläuten.

Yep Roc Records (2020)
Stil: Rock

Tracks:
01. Lay It On Me Baby
02. Don’t Be Nice To Me
03. Here Comes That Feeling
04. Los Straitjackets – Venus

Nick Lowe
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Yep Roc Records
Redeye Worldwide

Son Volt – Union – CD-Review

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Review: Michael Segets

Mit ihrem Debüt „Trace” (1995) erntete Son Volt viel Kritikerlob. Der kommerzielle Erfolg blieb jedoch aus und so endete nach zwei weiteren Alben und einem Werkschau-Sampler die Zusammenarbeit mit Warner. Bandleader Jay Farrar, der seine ersten Sporen bei Uncle Tupelo verdiente, widmete sich anschließend seiner Solo-Karriere, bevor er Mitte der 2000er nach einem totalen Umbruch der Besetzung Son Volt wiederbelebte. Zurzeit sind neben Farrar der Multiinstrumentalist Mark Spencer (Blood Oranges), Gitarrist Chris Frame, Bassist Andrew DuPlantis und Schlagzeuger Mark Patterson mit an Bord.

Stilistisch ist Son Volt, die mehrmals mit Wilco verglichen wurden, dem Americana beziehungsweise dem alternativen Rock oder Country zuzuordnen. Auf „Union“ sind explizite Country-Einflüsse kaum zu hören, am ehesten scheinen sie noch auf „The Reason“ durch. Die dunkle Gitarre auf „Broadsides“ lässt beispielsweise eine Affinität zum Rock erkennen, aber insgesamt trifft die Bezeichnung Americana wohl am besten die Richtung der CD. Obwohl das Album in unterschiedlichen Studios eingespielt wurde, wirkt es wie aus einem Guss. Die Titel bewegen sich im unteren – wie das Titelstück – bis mittleren Tempobereich – wie der Opener „While Rome Burns“.

Sein Vorhaben, ein Album mit politischer Aussage zu machen, setzt Farrar mit „Union“ in die Tat um. Die Texte sind dabei oftmals sehr poetisch. Bei „Lady Liberty“ lässt Farrar die personifizierte Freiheit Tränen vergießen, während sie die Situation in der Welt und vor allem in den USA betrachtet. Mit „The Symbol“ portraitiert Farrar einen mexikanischen Immigranten, der half, nach dem Sturm Katrina New Orleans wieder aufzubauen, und der sich nun mit Fremdenfeindlichkeit und Repressalien aufgrund seiner Herkunft konfrontiert sieht.

Der Song entwickelt trotz seiner ruhigen Gangart eine hohe Intensität. Bei ihm hat sich Farrar an einem Text von Woody Guthrie orientiert. Der legendäre Folkbarde dient für die nachfolgenden Generationen an Songwritern immer noch als Inspirationsquelle, so auch kürzlich für Todd Snider. Manchmal bedarf es aber keiner ausgefeilten Lyrics, um ein Statement abzugeben, sondern der Titel reicht aus wie bei dem kurzen Instrumentalstück „Truth To Power Blues“.

Zu den politischen Stücken wollte Farrar einen Ausgleich mit weniger sozialkritischem Habitus für das Album schaffen. „Holding Your Own“ und „Slow Burn“ gehören in diese Kategorie. Beide Songs werden ebenso wie „Reality Winner“ von Mark Spencer am Klavier begleitet. Bei den meisten Titeln steht die akustische Gitarre von Farrer im Zentrum, aber die unaufdringliche Unterstützung der Band gibt den Stücken nochmal eine besondere Würze. Sie leben daher auch von den Zwischentönen, die Son Volt anschlagen. So unterlegt beispielsweise Spencer „Rebel Girl“ sehr schön mit dezentem Slide. Die musikalischen Highlights von „Union“ sind für mich das mit eingängigem Refrain versehene „Devil May Care“ und das durch eine hervorragende elektrische Gitarre geprägte „The 99“.

Son Volts „Union“ ist ein ruhiges, aber durchweg gelungenes Album geworden. Jay Farrars Kompositionen und seine bemerkenswerten Texte werden von seinen Mitstreitern – allen voran Mark Spencer – kongenial umgesetzt. Die Songs kommen ohne Effekthascherei aus, aber sie wirken.

Transmit Sound/Thirty Tigers (2019)
Stil: Americana

Tracks:
01. While Rome Burns
02. The 99
03. Devil May Care
04. Broadsides
05. Reality Winner
06. Union
07. The Reason
08. Lady Liberty
09. Holding Your Own
10. Truth To Power Blues
11. Rebel Girl
12. Slow Burn
13. The Symbol

Son Volt
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Thirty Tigers
Oktober Promotion

Wilco – Ashes Of American Flags – DVD-Review

Manchmal ist es als Online-Redakteur gut, seinen Intuitionen Folge zu leisten. So bei der Kult umwobenen Chicagoer Band Wilco, über die ich zwar schon viel gelesen habe (im Feuilleton der von mir abonnierten Tageszeitung werden oft Scheiben von ihnen und aus ihrem musikalischen Dunstkreis besprochen), an die ich mich trotz interessanter Kritiken aber nie so richtig herangetraut habe. Ihr Hang zu Klangexperimenten hatte mich immer davon abgeschreckt. Mittlerweile habe ich aber schon des öfteren mal Sachen aus dem Indie-, Roots- und Alternative Country-Bereich im Player liegen, so dass sich die Hemmschwelle deutlich verringert hat.

Jetzt erschien mir die Zeit reif zu sein, mich an ein Review heranzuwagen, als sich ihre neue DVD „Ashes Of American Flags“ in unserem Angebotstool befand. Ohne es wirklich zu wissen, hatte ich (eigentlich als Vertreter harmonischer Klänge) es ins Kalkül gezogen, dass sie gerade bei einer Live-Präsentation, den Geschrammel-Anteil vermutlich nicht allzu intensiv in den Vordergrund stellen würden. Damit sollte ich im Großen und Ganzen recht behalten.

Die DVD wurde an fünf verschiedenen Locations in fünf verschiedenen Staaten (Cain’s Ballroom, Tulsa, OK – Tiptina’s, New Orleans, LA – Mobile Civic Center, Mobile, AL – Ryman Auditorium, Nashville, TN – 9. 30 Club, Washington,DC) gefilmt. Veröffentlicht wurde sie in den Staaten am so genannten Music Store Day (18. April), der den vielen kleinen Plattenläden im Lande zu größerer öffentlicher Aufmerksamkeit verhelfen soll. Gerade Wilco-Frontmann Jeff Tweedy engagiert sich hier sehr stark, der (wie wir wohl alle) diese Läden quasi als Anlaufpunkt und Antriebsfeder für sich sah, sich mit Musik zu beschäftigen, bzw. auch aktiv zu betreiben.

Apropos Jeff Tweedy. Er steht ganz klar, trotz seiner hervorragend instrumentell agierenden Mitstreiter (vor allem der sich mit seiner eigenwilligen Schlagtechnik voll verausgebende Drummer Glenn Kotche, der unkonventionell spielende Lead-Gitarrist Nels Cline, Tweedy-Langzeit-Kumpel John Stirratt, Mikael Jorgensen und der vielseitige Pat Sansone), im Mittelpunkt dieser Dokumentation. Er wirkt in seiner juvenilen, dezent introvertiert wirkenden Charismatik schon jetzt wie eine geistesverwandte Mischung aus Johnny Cash, Van Morrison und Bob Dylan. Er besitzt neben seinen außergewöhnlichen Songwriterqualitäten eine in den Bann ziehende Stimme und Gestik. Dazu spielt er auch hervorragend Gitarre.

Das ausgewählte Songmaterial bietet schwerpunktmäßig einen Querschnitt ihrer letzten Alben „Sky Blue Sky“, „A Ghost Is Born“ und dem damals gefeierten „Yankee Hotel Foxtrot“ (Wilco kauften dem Label aufgrund strategischer Differenzen die Rechte für dieses Werk ab, um es dann mit großen Erfolg nach eigenen musikalischen Vorstellungen zu veröffentlichen). Die Musik ist über weite Phasen sehr eingängig und angenehm präsentiert (z.B. das soulige „Impossible Germany“ oder das beim Proben gefilmte, balladeske „Wishful Thinking“). Lediglich Clines manchmal kreischend gespielte Solopassagen (u.a. bei „Handshake Drugs“) und einige Synthie-unterstützte, psychedelisch anmutende Momente („Side With Seeds“, „Via Chicago“) unterbrechen die vorwiegend im Vordergrund stehende musikalische Harmonie (in einem zeitlich aber vertretbaren Rahmen).

Komischerweise gefällt mir der Extrateil sogar noch besser als der Hauptpart, weil hier die Countrynote doch ein wenig deutlicher in den Vordergrund gerückt wird. Bei „I’m The Man Who Loves You“ darf man sich an einem Honky Tonk-Piano erfreuen, beim Steel-untermalten „It’s Just That Simple“ erhält Basser John Stirratt Gelegenheit, seine gesanglichen Qualitäten und auch sein Akustikgitarrenspiel unter Beweis zu stellen (Tweedy bedient dafür im Gegenzug den viersaitigen Tieftoner). Auch Bläsereinsätze (wie bei „The Late Greats“ und „Hate It Here“) sind durchaus mit Wilco-Stücken wunderbar in Einklang zu bringen (passender Weise in New Orleans mit eingebracht).

Fazit:  Das von Brendan Canty und Christoph Green gefilmte Wilco-Dokument „Ashes Of American Flags“ macht beim Anschauen (u.a. auch noch mit atmosphärischen Landschafts- und Städteimpressionen, sowie einigen Statements und Backstage-Aufnahmen der Musiker aufgepeppt) und vor allem beim Zuhören großen Spaß. Nicht nur der brillante Klang weiß zu überzeugen, auch die Songauswahl und ihre interessante musikalische Umsetzung begeistert. Im Gegensatz zu vielen anderen Acts kann der Rezensent (auch Tweedys Ausstrahlung sei Dank) den Kultstatus von Wilco mittlerweile gut nachvollziehen. Ein wirklich beeindruckender Konzertfilm über eine extravagante Band! Klasse!

Nonesuch Records (2009)
Stil: Rock / Alternative Country

01. Ashes Of American Flags
02. Side With The Seeds
03. Handshake Drugs
04. The Late Greats
05. Kingpin
06. Wishful Thinking
07. Impossible Germany
08. Via Chicago
09. Shot In The Arm
10. Monday
11. You Are My Face
12. Heavy Metal Drummer
13. War On War

Extras.
14. I’m The Man Who Loves You
15. Airline To Heaven
16. It’s Just That Simple
17. At Least That’s What You Said
18. I Am Trying To Break Your Heart
19. Theologians
20. Hate It Here

Wilco
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Nonesuch Records
Warner Music Group Germany