Wilco – Ashes Of American Flags – DVD-Review

Manchmal ist es als Online-Redakteur gut, seinen Intuitionen Folge zu leisten. So bei der Kult umwobenen Chicagoer Band Wilco, über die ich zwar schon viel gelesen habe (im Feuilleton der von mir abonnierten Tageszeitung werden oft Scheiben von ihnen und aus ihrem musikalischen Dunstkreis besprochen), an die ich mich trotz interessanter Kritiken aber nie so richtig herangetraut habe. Ihr Hang zu Klangexperimenten hatte mich immer davon abgeschreckt. Mittlerweile habe ich aber schon des öfteren mal Sachen aus dem Indie-, Roots- und Alternative Country-Bereich im Player liegen, so dass sich die Hemmschwelle deutlich verringert hat.

Jetzt erschien mir die Zeit reif zu sein, mich an ein Review heranzuwagen, als sich ihre neue DVD „Ashes Of American Flags“ in unserem Angebotstool befand. Ohne es wirklich zu wissen, hatte ich (eigentlich als Vertreter harmonischer Klänge) es ins Kalkül gezogen, dass sie gerade bei einer Live-Präsentation, den Geschrammel-Anteil vermutlich nicht allzu intensiv in den Vordergrund stellen würden. Damit sollte ich im Großen und Ganzen recht behalten.

Die DVD wurde an fünf verschiedenen Locations in fünf verschiedenen Staaten (Cain’s Ballroom, Tulsa, OK – Tiptina’s, New Orleans, LA – Mobile Civic Center, Mobile, AL – Ryman Auditorium, Nashville, TN – 9. 30 Club, Washington,DC) gefilmt. Veröffentlicht wurde sie in den Staaten am so genannten Music Store Day (18. April), der den vielen kleinen Plattenläden im Lande zu größerer öffentlicher Aufmerksamkeit verhelfen soll. Gerade Wilco-Frontmann Jeff Tweedy engagiert sich hier sehr stark, der (wie wir wohl alle) diese Läden quasi als Anlaufpunkt und Antriebsfeder für sich sah, sich mit Musik zu beschäftigen, bzw. auch aktiv zu betreiben.

Apropos Jeff Tweedy. Er steht ganz klar, trotz seiner hervorragend instrumentell agierenden Mitstreiter (vor allem der sich mit seiner eigenwilligen Schlagtechnik voll verausgebende Drummer Glenn Kotche, der unkonventionell spielende Lead-Gitarrist Nels Cline, Tweedy-Langzeit-Kumpel John Stirratt, Mikael Jorgensen und der vielseitige Pat Sansone), im Mittelpunkt dieser Dokumentation. Er wirkt in seiner juvenilen, dezent introvertiert wirkenden Charismatik schon jetzt wie eine geistesverwandte Mischung aus Johnny Cash, Van Morrison und Bob Dylan. Er besitzt neben seinen außergewöhnlichen Songwriterqualitäten eine in den Bann ziehende Stimme und Gestik. Dazu spielt er auch hervorragend Gitarre.

Das ausgewählte Songmaterial bietet schwerpunktmäßig einen Querschnitt ihrer letzten Alben „Sky Blue Sky“, „A Ghost Is Born“ und dem damals gefeierten „Yankee Hotel Foxtrot“ (Wilco kauften dem Label aufgrund strategischer Differenzen die Rechte für dieses Werk ab, um es dann mit großen Erfolg nach eigenen musikalischen Vorstellungen zu veröffentlichen). Die Musik ist über weite Phasen sehr eingängig und angenehm präsentiert (z.B. das soulige „Impossible Germany“ oder das beim Proben gefilmte, balladeske „Wishful Thinking“). Lediglich Clines manchmal kreischend gespielte Solopassagen (u.a. bei „Handshake Drugs“) und einige Synthie-unterstützte, psychedelisch anmutende Momente („Side With Seeds“, „Via Chicago“) unterbrechen die vorwiegend im Vordergrund stehende musikalische Harmonie (in einem zeitlich aber vertretbaren Rahmen).

Komischerweise gefällt mir der Extrateil sogar noch besser als der Hauptpart, weil hier die Countrynote doch ein wenig deutlicher in den Vordergrund gerückt wird. Bei „I’m The Man Who Loves You“ darf man sich an einem Honky Tonk-Piano erfreuen, beim Steel-untermalten „It’s Just That Simple“ erhält Basser John Stirratt Gelegenheit, seine gesanglichen Qualitäten und auch sein Akustikgitarrenspiel unter Beweis zu stellen (Tweedy bedient dafür im Gegenzug den viersaitigen Tieftoner). Auch Bläsereinsätze (wie bei „The Late Greats“ und „Hate It Here“) sind durchaus mit Wilco-Stücken wunderbar in Einklang zu bringen (passender Weise in New Orleans mit eingebracht).

Fazit:  Das von Brendan Canty und Christoph Green gefilmte Wilco-Dokument „Ashes Of American Flags“ macht beim Anschauen (u.a. auch noch mit atmosphärischen Landschafts- und Städteimpressionen, sowie einigen Statements und Backstage-Aufnahmen der Musiker aufgepeppt) und vor allem beim Zuhören großen Spaß. Nicht nur der brillante Klang weiß zu überzeugen, auch die Songauswahl und ihre interessante musikalische Umsetzung begeistert. Im Gegensatz zu vielen anderen Acts kann der Rezensent (auch Tweedys Ausstrahlung sei Dank) den Kultstatus von Wilco mittlerweile gut nachvollziehen. Ein wirklich beeindruckender Konzertfilm über eine extravagante Band! Klasse!

Nonesuch Records (2009)
Stil: Rock / Alternative Country

01. Ashes Of American Flags
02. Side With The Seeds
03. Handshake Drugs
04. The Late Greats
05. Kingpin
06. Wishful Thinking
07. Impossible Germany
08. Via Chicago
09. Shot In The Arm
10. Monday
11. You Are My Face
12. Heavy Metal Drummer
13. War On War

Extras.
14. I’m The Man Who Loves You
15. Airline To Heaven
16. It’s Just That Simple
17. At Least That’s What You Said
18. I Am Trying To Break Your Heart
19. Theologians
20. Hate It Here

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