Joe Ely – Driven To Drive – CD-Review

Review: Michael Segets

Mein erster Berührungspunkt mit der Musik von Joe Ely war „Letter To Laredo“ (1995). Entstanden ist mein damaliges Interesse dadurch, dass Bruce Springsteen auf der Scheibe mitwirkte. Danach nahm ich Ely noch als Mitglied von The Flatlanders und Los Super Seven wahr. Insgesamt habe ich also nur einen punktuellen Eindruck von seiner musikalischen Karriere, die in den siebziger Jahren startete. Die Stücke auf seiner aktuellen Veröffentlichung „Driven To Drive“ sind während dieser langer Zeit entstanden. Ely schrieb sie auf seinen Konzertreisen, ohne dass sie den Weg auf ein Album gefunden hätten. Nun fasst er die Songs, die thematisch um das Unterwegssein kreisen, zusammen.

Der Opener stellt zugleich das absolute Highlight der CD dar. „Drivin‘ Man“ erzeugt mit spärlichen Mitteln eine unglaubliche Wirkung. Vor allem Joel Guzman am Akkordeon gibt dem Stück ein besonders Feeling. Bei dem anschließenden „Odds Of The Blues“ ist Springsteen erneut mit von der Partie. Die ruhige Single ist zwar kein Ausfall, aber sie plätschert eher ohne Höhen und Tiefen dahin. Mit dem solo performten „San Antone Brawl“ und „Gulf Coast Blues“, bei dem Guzman wiederum die Begleitung übernimmt, widmet sich Ely später nochmals einer langsamen Spielart des Blues.

Ely nutzt souverän die Palette der Roots Musik. Zwischen Folk und Country bewegt sich „Watchin‘ Them Semis Roll“, „Slave To The Western Wind“ hat einen deutlichen Tex-Mex-Einschlag und „Ride A Motorcycle“ vertritt den Country Rock. Stark sind das titelgebende „Driven To Drive“ – das einzige Stück mit richtigen Drums – sowie „For Your Love“, mit denen Ely Liebhaber des Roots beziehungsweise Folk Rocks bedient.

Darüber hinaus findet sich ein Rock’n Roll der klassischen Machart auf der Scheibe („Didn’t We Robby“). Hier erweist sich Bill Guinn am Piano als Derwisch. Ely selbst untermalt das etwas experimentellere „Jackhammer Rock“ mit Synthesizer, der dort eine dunkle Atmosphäre verströmen. Die Stücke sind in kleiner, wechselnder Besetzung eingespielt. Ely wird auf dem Longplayer von Jeff Plankenhorn (Gitarre), Pat Manske (Schlagzeug), Richard Bowden (Geige), Eddie Beethoven (Gesang), Mitch Watkins (Gitarre, Synthesizer) sowie den beiden bereits erwähnten Joel Guzman und Bill Guinn begleitet.

Über mehr als fünf Dekaden erstreckt sich die musikalische Karriere von Ely. Er kann bislang auf dreiundzwanzig Longplayer sowie einen Grammy zurückblicken. Obwohl die Songs auf „Driven To Drive“ über mehrere Epochen seines Musikerlebens hinweg entstanden sind und in ihnen vielfältige Richtungen der Roots Musik einfließen, gibt es keine Brüche auf dem Album. Neben dem herausragenden Opener „Drivin‘ Man“ überzeugen vor allem die Uptempo-Tracks.

Rack ’Em Records – Thirty Tigers/Membran (2024)
Stil: Roots Rock and more

Tracks:
01. Drivin’ Man
02. Odds Of The Blues
03. For You Love
04. Watch’ Them Semis Roll
05. Didn’t We Robby
06. Nashville Is A Catfish
07. Ride A Motorcycle
08. San Antone Brawl
09. Slave To The Western Wind
10. Gulf Coast Blues
11. Driven To Drive
12. Jackhammer Rock

Joe Ely
Joe Ely bei Facebook
Thirty Tigers
Oktober Promotion

American Aquarium – The Fear Of Standing Still – CD-Review

Review: Michael Segets

Die Besetzung von American Aquarium wechselt ständig. In den achtzehn Jahren seit dem Bestehen der Band gab es eine kaum zu überschauende Fluktuation der beteiligten Musiker. Die einzige Konstante ist Songwriter und Frontmann BJ Barham. Auf „The Fear Of Standing Still“ begleiten ihn Shane Boeker (Guitar), Neil Jones (Pedal Steel), Rhett Huffman (Keys), Ryan Van Fleet (Drums) und Alden Hedges (Bass). Nach „Lamentations“ (2020) nimmt Shooter Jennings nun zum zweiten Mal auf dem Produzentensessel Platz.

BJ Barham unterstreicht mit der aktuellen Scheibe von American Aquarium erneut, dass er zu den wenigen hervorragenden Songwritern seiner Generation gehört, die durchgängig hohe Qualität abliefern. Nach dem überragenden „Chicamacomico“ (2022) folgt nun „The Fear Of Standing Still“ mit Texten, die eine vergleichbare Tiefe haben. Anders als auf dem vorangegangenen Album gibt Barham dem Roots Rock wieder mehr Raum. Im Zentrum stehen aber weiterhin Americana-Balladen, in denen er Einblicke in seine Gefühls- und Gedankenwelt gibt. Dabei schlägt Barham auch sozialkritische Töne an.

Gerahmt wird der Longplayer von zwei rockigen Stücken. Die erste Auskopplung „Crier“, die Barham zusammen mit Stephen Wilson Jr. schrieb, macht den Anfang. Im Video präsentiert sich Barham mit Oberlippenbart – das einzige Zugeständnis an derzeitige Modeerscheinungen. Ansonsten schrammelt sich die Band mit ordentlichen Riffs in bester Roots Rock-Manier durch den Song. Zum Abschluss gibt es dann den aufgekratzten Rock’n Roll „Head Down, Feet Moving“, das Huffman mit seinen Keys antreibt.

Bei „Messy As A Magnolia“ und „The Getting Home“ geht American Aquarium die Sache etwas zahmer an. Die Stücke sorgen aber dafür, dass das Album einen ausgewogenen Tempo-Mix aufweist. Es zeigt sich diesbezüglich abwechslungsreicher als der Vorgänger. Ab der Mitte des Longplayers liegt der Schwerpunkt auf balladesken Tönen, bei denen sich die Pedal Steel oftmals einmischt. Die Band behält damit ein Markenzeichen ihres Sounds bei. Vielleicht sind ein paar Melodien etwas weniger nuancenreich als auf „Chicamacomico“, was den Hörgenuss jedoch nicht schmälert.

Ein wiederkehrendes Thema der Songs ist die Zerrissenheit zwischen dem Drang in die Welt hinauszuziehen, neue Ufer zu entdecken und der Geborgenheit im Schoß der Familie („The Getting Home“, „The Fear To Stand Still“). Die Texte sind autobiographisch geprägt, auch wenn das stets präsente lyrische Ich natürlich nicht mit dem Songwriter identisch ist. So schwingt in den Lyrics etwas Überindividuelles mit, in dem sich der Hörer wiederfindet. Besonders einfühlsam und berührend ist die Perspektive, die „The Curse Of Growning Old“ auf das Altwerden und die Einsamkeit wirft, wenn Freunde und Verwandte vor einem gegangen sind.

Wie es sich für ernstzunehmende Songwriter gehört, scheut Barham nicht vor kontroversen Themen zurück. Er kommentiert soziale oder politische Ansichten, von denen man zwar annehmen könnte, dass sie sich in einer aufgeklärten Gesellschaft überholt haben, die dennoch jenseits des Atlantiks eine gewisse Aktualität besitzen. Hierzulande sind die immer noch bestehenden Konflikte zwischen dem Norden und dem Süden der USA wahrscheinlich weniger im Bewusstsein. Gemeinsam mit Katie Pruitt verfasste Barham „Southern Roots“, das sich mit der historisch geprägten Südstaaten-Identität auseinandersetzt. Ebenso greift Barham die in den Vereinigten Staaten wieder aufgeflammte Abtreibungsdebatte auf („Babies Having Babies“) und bezieht deutlich Stellung.

Unter Federführung von BJ Barham legt American Aquarium mit „The Fear Of Standing Still“ erneut ein tiefsinniges und scharfzüngiges Album vor. Gewohnt souverän bewegen sich die Songs zwischen Roots Rock und Americana. Die Angst vor Stagnation ist dabei unbegründet. American Aquarium führt den eingeschlagenen Weg mit dem aktuellen Markstein konsequent fort.

Losing Side Records – Thirty Tigers (2024)
Stil: Americana, Roots Rock

Tracks:
01. Crier
02. Messy As A Magnolia
03. Cherokee Purples
04. The Getting Home
05. Southern Roots
06. The Curse Of Growing Old
07. The Fear Of Standing Still
08. Piece By Piece
09. Babies Having Babies
10. Head Down, Feet Moving

American Aquarium
American Aquarium bei Facebook
Thirty Tigers
Oktober Promotion

the lethargics – Southern Living – Digital-EP-Review

Sicherlich eines der ungewöhnlichsten Reviews, die ich bisher vor der Brust hatte. Darral Mendenhall, der Mastermind von the lethargics schrieb mich per Mail an und erfragte ein Review zur aktuellen, aus vier Stücken bestehenden  EP „Southern Living“. 

Nach erster Recherche erwies sich die Musik sofort als Magazin-kompatibel und ich willigte natürlich ein, zumal diese eher unbekannten Sachen ja meist die reizvollsten sind, sowohl für mich persönlich, als auch. als auch unsere Leserschaft.

Mein erster Gedanke war zunächst, warum man sich eines Bandnamens bedient, der von vorne herein mit negativen Assoziationen behaftet ist. Da ich weder Social-Media-Aktivitäten noch Aussagekräftiges auf der Homepage über die Mitglieder finden konnte (der Bandname the lethargics suggeriert zumindest eine Mehrzahl) bat ich Darrel um weitere Infos.

Der sprach in seinen Antworten eher in Rätseln („I am a broken and broke hillbilly from Knoxville TN with a perhaps unusual brain and clear knowledge that The Horseman has chalked my door…“), sodass ich mich hier vermutlich zum Teil im Rahmen von Spekulationen bewege. Mendenhall lebt also in Knoxville, Tennessee. Um 2021 gab es die ersten Veröffentlichungen. Es gibt keine feste Bandstruktur, Leute kommen und gehen mit Ideen, spielen was vor, am Ende setzt der Protagonist, die Musik, in welcher Form auch immer, in die Realität um.

Es gibt keine Schubladen, auch wenn Stilrichtungen wie Rock, Blues, Punk, Country, Folk und Americana wohl den Nährboden bildeten, allerdings befinden sich unter den benannten Einflussgebern Interpreten wie Bob Dylan, Bruce Springsteen, Mark Knopfler, Joe Ely, The Clash, The Replacements oder die Stones. 

Diese EP ist allerdings zum Titel passend klar im Bereich zwischen Southern Rock und Roots Rock mit typischen Gitarrenelementen zu verorten, die prägnante Note ist hier die eigenwillige kauzig-kratzige Stimme Mendenhalls, die dem Ganzen eine Art ‚Tom Waits goes Southern (Rock)‘-Attitüde verpasst.

Den besten Eindruck erhält man tatsächlich, wenn man sich die über Spotify erhältlichen Songs anspielt oder die Videoclips zu anderen Titeln von Vorgängerwerken auf der Homepage anhört/ansieht, die sich durchaus in einem ähnlichen Rahmen bewegen. Mir gefällt das mit Kuhglockendrums vorangetriebene mit einem Stones-E-Gitarren-Touch versehene „Strange Customs“ mit am besten.

Die einfache Produktion beruht sicherlich nicht auf Mitteln, die man aus dem Staate Tennessee kennt, ist aber sehr authentisch, introvertiert, aber keinesfalls lethargisch und mit Herz am rechten Platz umgesetzt, sodass man Mendenhall auf jeden Fall ein hervorragendes Songwritingtalent bestätigen kann. Er stammt aus dem Süden, hat eine große Portion Southern Rock im Blut und kann auf „Southern Living“ somit ein kompetentes musikalisches Urteil über das Leben dort für sich beanspruchen.

Für Southern Rock-Freunde, die stetig auf der Suche nach neuem Stoff sind, sicherlich durchaus ein Geheimtipp!

Eigenproduktion (2024)
Stil: Southern Rock

Tracks:
01. Wasteland Of The South
02. Willow Jane
03. Strange Customs
04. Goodbye Is Always Implied

the lethargics

Joanne Shaw Taylor – Heavy Soul – CD-Review

Review: Stephan Skolarski

Seit 2009 hat die UK-Blues-Rock-Gitarristin Joanne Shaw Taylor mittlerweile ihr 9. Studioalbum aufgelegt: “Heavy Soul” ist ein bluesrockig-souliges Schwergewicht, ein Meisterwerk mit populärmusikalischen Einflüssen. Aufgenommen wurden die 10 neuen Eigenkompositionen wieder in Nashville, dieses Mal in den altehrwürdigen RCA Studios. Gelohnt hat es sich jedenfalls, Toningenieur und Freund Kevin Shirley (u. a. auch Iron Maiden, Aerosmith, The Black Crowes), der bereits 2016 beim Longplayer “Wild” die Regler bediente, wieder ins Boot zu holen.

Die aktuellen Stücke, angeführt vom Top-Blues Rock und musikalischen “Seelenöffner” “Sweet ‚Lil Lies”, besitzen ein energiegeladenes zeitgemäßes „Outfit“, das keine Langeweile aufkommen lässt. Unbändige, über die gesamte Tracklist verbreitete Spielfreude, treibt auch in “Black Magic” den Rhythmus der Boogie Gospel-Nummer kraftvoll voran und durchzieht, wie ein roter Faden den hitverdächtigen, melodischen Ohrwurm “A Good Goodbye”. “Wild Love” bringt in Ansätzen die legendäre, späte Fleetwood Mac-Magie temporeich in den Hörgenuss und begeistert im Titelsong mit großartigen, souligen Blues Rock erster Güte und dem Flair südstaatlich klingender E-Solo-Passagen.

In einem Interview zu ihrem Konzert in Pittsburgh schildert Taylor die Leidenschaft ihres Vaters für die Musik von Charley Patton (verst. 1934), die ihr von Kindesbeinen an den Blues vermittelte. Für die damals 13-jährige war es jedoch die eigene Begeisterung für die Spielweise von Stevie Ray Vaughan und Albert Collins, die bis heute ihre Gitarrenmusik beeinflusst. Bei “Devil In Me” werden diese ausgeprägten Southern-Inspirationen zum Selbstläufer, eine rasante Demonstration für modernen Südstaaten-Rock.

Die ausgewogene Zusammenstellung der Songs lässt auch Balladenliebhaber nicht zurück. “All The Way From America” und “Someone Like You” sind grandiose Beispiele für die Schönheit der Stilrichtung. Zu dieser Spitzenkategorie der auffallenden Titel erwächst “Drowning In The Sea Of Love” als Soul-Blues Rock erster Sahne. Insofern bleiben die powervollen Lyrics und souligen Melodien ebenfalls beim Abschlusstrack “Change Of Heart” auf diesem hohen Niveau und erinnern hier im Gesang etwas an die späte Tina Turner – ein schöner Ausklang der ausgereiften Produktion.

Die über die Jahre mit vielen Auszeichnungen geehrte Joanne Shaw Taylor hat mit “Heavy Soul” eben nicht eine sentimentale Seelenstimmung gemeint, sondern ein lockeres, sprühendes, immer wieder aufweckendes Werk hingelegt, das nun bei Joe Bonamassas Journeyman Records erscheint. Eine Scheibe, nicht nur für soulig geneigte Blues-Fans moderner Interpretationen – ganz im Gegenteil ist “Heavy Soul” für alle ein Must-Have-Album, die musikalische Ideenwelt und kreative Gitarrenkunst auf der Basis von Roots Music lieben.

Journeymen Records (2024)
Stil: Blues Rock, Roots Rock

Tracks:
01. Sweet ‚Lil Lies
02. All The Way From America
03. Black Magic
04. Drowning In A Sea Of Love
05. A Good Goodbye
06. Heavy Soul
07. Wild Love
08. Someone Like You
09. Devil In Me
10. Change Of Heart

Joanne Shaw Taylor
Joanne Shaw Taylor bei Facebook
Another Dimension

Leaving Spirit – Guide To The Spirit World – CD-Review

Review: Stephan Skolarski

Die Würzburger Band Leaving Spirit veröffentlicht mit “Guide To The Spirit World” innerhalb von 5 Jahren bereits ihr drittes Album. Der gesamte Produktionsprozess des Longplayers, einschließlich Songwriting, Mastering, Cover-Design und Promotion, ist komplett in Eigenregie abgelaufen.

Mit “Freak Show” beginnt die intensive Spurensuche auf dem Weg zur “Spirit World”, die, wie sie es ausdrücken, “durch staubige Wüsten, Kakteenlandschaften und unendliche Horizonte” führt. Die Ballade “Holy Mountain Man” – im Stile sehr früher Deep Purple oder Julie Driscoll Einflüsse – inklusive schöner Guitar/Organ-Soli und mit Frontfrau Paula Frecot an den Vocals wird so zu einem Favoriten des Longplayers.

Mit southern-soundigen Klängen erweitert “Bad Dream” die abwechslungsreiche Tracklist durch angenehm, warme, bluesige Stimmungsbilder. Die Song-Palette umfasst auch temporeiche, hard-rockin’ Tracks, auf denen (u. a. “I Don’t Care” und “Ol’ Frina”), die Keyboard-Sounds herausragen. Zum guten Schluss bietet “Old Austin” einen Ohrwurm Refrain, der seinen feinen Vorbildern im Südstaaten-Blues Rock gewachsen ist und zur Live-Hymne ausgebaut werden kann.

Nach den Alben “Things Change” (2019) und “100% Leaving Spirit” (2022) haben Leaving Spirit eine Scheibe eingespielt, die musikalische Identität und Verbundenheit mit dem Blues- und Roots Rock-Genre erkennen lässt. Auf der upcoming Tour, die insgesamt 40 Konzerttermine (davon 28 in Deutschland) umfasst, sollte jeder unbedingt die Live-Möglichkeit für den Southern Rock – Made in Germany – ergreifen.

Eigenproduktion (2024)
Stil: Blues Rock, Roots Rock, Southern Rock

Tracks:
01. Freak Show
02. Golden
03. Holy Mountain Man
04. Bad Dream
05. Ride A Wild Horse
06. I Don’t Care
07. Ol‘ Frina
08. Night Of Justice
09. Old Austin

Leaving Spirit
Leaving Spirit bei Facebook

INGVAY – One Magic Mile – CD-Review

Hinter dem Namen INGVAY verbirgt sich der weitgereiste Hannoveraner Musiker Ingo Schmidt, der mit „One Magic Mile“ nun mehr sein drittes Studiowerk nachlegt. ‚Bewegung‘, welcher Art auch immer, ist auch das übergreifende Thema dieser Scheibe, wie man es schon sofort an vielen Songtiteln beim Blick auf die Trackliste erkennen kann.

Der von JJ Cale begeisterte Protagonist (lead vocals, guitars) hat dazu seine langjährigen musikalischen Weggefährten Matthias ‚Maze‘ Meusel (drums), Uwe Seemann (bass, bgv) und Ulrich Rode (guitars, bgv) in seinem Magic Mile Music-Studio um sich versammelt und die sieben Eigenkreationen und vier Coverstücke an einem Tag eingespielt.

Seine mannigfaltigen Erfahrungen als Sound Engineer bescheren dem Hörer ein nahezu perfektes Blues Rock-Klangerlebnis. Unter den Coverversionen befinden sich u. a. demnach auch zwei Stücke aus dem Cale-Dunstkreis, wie das durch Lynyrd Skynyrd zu weiterer Popularität gelangte „Call Me The Breeze“ und „One Step Ahead of The Blues“ von seinem damaligen „Grasshoppers“-Album, geschrieben allerdings von Roger Tillison.

Zu den Highlights des Werkes zählen aber besonders Stücke aus der eigenen Feder wie die fluffigen „Midnight Journey“ und „Working Time“ (beide der Art ‚JJ Cale meets ZZ Top‚), das ein wenig an Tony Joe White erinnernde „I’m On My Way“ (mit schönem Bass-Intro) oder „Walk On By“ (mit „Cocaine“-Reminiszenzen und einem herrlichen E-Gitarren-Bass-Kombi-Outro).

Hinter letztgenanntem Track hätte ich persönlich die CD auch ausklingen lassen, das finale „Soulshine“ kann leider so garnicht mit dem Haynes-Original mithalten. Hier treten dann doch vor allem die stimmlichen Qualitätsunterschiede am deutlichsten hervor, die man schon meist eine Meile gegen den Wind hört, wenn sich deutsche Sänger an amerikanischem Liedgut ausprobieren. Hier bildet Ingo Schmidt leider auch keine Ausnahme.

Insgesamt aber ist „One Magic Mile“ von INGVAY eine klasse Scheibe mit vielen starken E-Gitarren, viel nostalgischem Spirit, tollem differenzierten Sound und auch einigem Southern-Flair. Es dürfen gerne weitere Musikmeilen, magisch hin oder her, in Angriff genommen werden!

Eigenproduktion (2023)
Stil: Blues Rock

Tracks:
01. Midnight Journey
02. Here We Go
03. Call Me The Breeze
04. Turn Your Life Around
05. Working Time
06. One More Ticket
07. One Step Ahead Of The Blues
08. I’m On My Way
09. Machine Gun Kelley
10. Walk On By
11. Soulshine

INGVAY
INGVAY bei Facebook
bangup bullet Promotion

Keegan McInroe – Agnes – CD-Review

Review: Stephan Skolarski

Die Kulisse einer kleinen, 100 Jahre alten Kirche im ehemaligen Minenarbeiterort Terlingua, Texas., diente als Live-Aufnahmestudio für Keegan McInroes neues Album “Agnes”. Offenbar ein toller Ort, denn der aus Fort Worth, Tx., stammende Songwriter, Sänger, Gitarrist, Weltenbummler und Poet hat auf seinem 6. Longplayer die außergewöhnliche Atmosphäre des verlassenen Gebäudes hörbar eingefangen. Das eigenständige Spektrum aus Old Blues, Old Country, Folk und Americana eröffnet die Trackliste mit dem dunkel sich dahinschleppenden Blues Titel “Old Road”.

Die starke Inszenierung des manchmal etwas an Tom Waits erinnernden Gesangs verleiht dem erstklassigen Blues-Song auch durch die raue Guitar/Harp Kombination ein düsteres Flair. Sehr ähnlich bewegt sich “Boom Or Bust”, im schnellen Blues Rhythmus und sozialkritischen Anti-Kriegs-Lyrics hat das Stück ebenfalls immer eine neue Runde verdient. Dieses interessante Dark-Blues-Konzept wird auf “Man In The Ground” noch einmal variiert, zeigt aber nur einen kleinen Teil von McInroes Songwriting Qualitäten.

Vielfach sind es die kleinen Anleihen bei erfolgreichen Stilrichtungen, die in durchweg guten Eigen- und Co-Kompositionen (z.B. “Old Road” mit Gitarrist Matt Tedder) kreativ eingearbeitet wurden. So prägen schöne Kris Kristofferson Storytelling-Ansätze die eingängige Americana-Ballade “La Puerta” und die Eagles ziehen bei “Stoned & Broken Hearted” melodisch in Bestform, wie früher ihre Country-Krise.

Unbedingt hervorzuheben sind auf jeden Fall die akustischen und poetischen Folk/Country-Tracks, wie der Titelsong “Agnes”. Herausragende Dichtkunst trifft auf ein Leonard Cohen Vorbild im Duett. Bei “Then You’ll Know” ist die Gesellschaftskritik textlich und politisch aktuell auf die Umweltzerstörung bezogen, die in den USA auch vor allem die Native Americans belastet. In der ursprünglichen Tradition der amerikanischen Liedermacher aus der Folkbewegung (z.B. Woody Guthrie, Pete Seeger und Bob Dylan) ist der “Talkin’ Site Unseen Blues”, ein gutes Beispiel eines akustischen Guitar Blues und Geschichtenerzählers, der sein Handwerk versteht. Hierzu gehört ohne Zweifel die letzte Boogie-Nummer „Chisos Mission Blues” – in Dylanschen Sprechgesang beim berühmten „Subterranean Homesick Blues”.

Keegan McInroe hat über die Jahre seiner Karriere bereits u.a. mit Leon Russell, Otis Taylor und der Band Of Heathens auf der Bühne gestanden und schon vor über 10 Jahren Tourneen in Deutschland absolviert. Sein American Roots Blues und Country-Folk ist in dem neuen Album “Agnes” mit bodenständigen Lyrics sehr eindrucksvoll an diejenigen adressiert, die eine ungehobelte musikalische Handschrift mögen. McInroe ist im Herbst wieder in Deutschland auf Tour.

Eigenproduktion (2023)
Stil: Americana, Country, Roots Rock

Tracks:
01. Old Road
02. Agnes
03. Boom Or Bust
04. Then You’ll Know
05. Talkin’ Site Unseen Blues
06. Stoned & Broken Hearted
07. La Puerta
08. Man In The Ground
09. Chisos Mission Blues

Keegan McInroe
Keegan McInroe bei Facebook
Smith Music

Dom Martin – Buried In The Hail – CD-Review

Review: Stephan Skolarski

Die westeuropäische Blues Rock-Szene bringt immer wieder neue, junge und talentierte Nachwuchshoffnungen hervor. Zu diesen besonders talentierten Personen zählt Dom Martin aus Nordirland. Der erst seit 2018 im Music Business aktive Gitarrist, Sänger und Songschreiber hat in den Jahren 2019 bis 2023 bereits eine Handvoll European bzw. UK Blues Awards gewonnen. Sein dritter Solo-Longplayer “Buried In The Hail” erscheint nun bei Forty Below Records.

Als Co-Produzenten der Scheibe fungieren die Grammy nominierten Dubliner Tonkünstler Chris O’Brien und Graham Murphy (u.v.a. Clannad, The Water Boys). Das Album listet 11 Songs, von denen drei vorab als Single erschienen sind, darunter auch der mächtige Track “Belfast Blues”. Getragen von Martins typischer nordirischer Blues-Voice und dem massiven Guitar-Sound schildert der Titel die Erlebnisse als Bühnenmusiker in den Pubs und Clubs der Heimatstadt.

Melodisch einfühlsam und komplett abweichend verarbeitet Martin die ganz persönlichen Erinnerungen an die Kindheit. Mit soulig-zärtlicher Stimmer covert er das Lieblingslied seiner Familie, Willie Nelsons Klassiker “Crazy”, und belegt damit auch sein weitreichendes Gespür für sehr emotionale Momente. Diese werden auf anderer Ebene, z.B. in der intensiven Fuzz-Nummer “Unhinged” (der 1. Single-Auskopplungl) bärenstark abgeliefert oder im traditionellen Blues-Rock “Howlin’” powerful intoniert. Atmosphärisch breit angelegt klingt hingegen der Album-Titelsong “Buried In The Hail”, der seinen Blues-Charakter von ganz unterschiedlichen Wurzeln zieht im Kontrast zum schweren Slow-Blues “Lefty 2 Guns”.

Martins Anspruch, sowohl “acoustic” als auch „electrifying“ Songs zu performen und sein großes Vorbild Rory Gallagher weiterhin nicht aus den Augen zu verlieren, ist für den noch jungen Nachwuchsgitarristen ein zukunftsweisendes Projekt. Wenn es eine Kunst ist, die verschiedenen Spielarten des Genres, im Bereich Blues, Roots, Rock zu vereinen, zu beherrschen und feinfühlig zu interpretieren, ist Dom Martin mit seinem neuen Album “Buried In The Hail” auf dem besten Weg, um in diese Fußstapfen zu treten.

Forty Below Records (2023)
Stil: Blues Rock, Roots Rock

Tracks:
01. Hello In There
02. Daylight I Will Find
03. Government
04. Belfast Blues
05. Crazy
06. Unhinged
07. The Fall
08. Howlin‘
09. Buried In The Hail
10. Lefty 2 Guns
11. Laid To Rest

Dom Martin
Dom Martin bei Facebook

T.G. Copperfield with Ben Forrester – Out In The Desert – CD-Review

Review: Stephan Skolarski

“Out In The Desert” ist das 10. Solo-Album von Singer/Songwriter und Gitarrist Tilo George Copperfield seit seinem Debut im Jahre 2016 und für ihn, so beschreibt er es im Beiheft, ein Meilenstein seiner Karriere. Die eingängigen und tiefgründigen Eigenkompositionen bewegen sich in der vollen Bandbreite von Roots Rock, Americana und Country, eine Desert Landscape auf dem Cover vermittelt die musikalische Verbundenheit zum Genre.

Der süddeutsche Musiker aus Regensburg hatte zuletzt 2022 mit dem Konzept-Longplayer “Snakes & Dust” ein hoch gelobtes Album veröffentlicht, das sich auch in den Lyrics mit legendären Wild West-Geschichten befasste. Für die neuen Aufnahmen konnte Copperfield den New Yorker Gitarristen Ben Forrester als kongenialen Partner begeistern, Forresters kraftvolle, aber ebenso einfühlsame Solo-Parts verstärken von Beginn an (“Born To Die”) den Soundtrack-Charakter der 11 Titel. Auch auf der Tournee, die schon bis in den Herbst 2023 terminiert ist, wird Ben Forrester mit dabei sein.

Imaginäre, düstere Bilder von atmosphärisch dunklen Western-Movies sind es, die Copperfields abwechslungsreiches Storytelling entstehen lässt, begleitet von melancholischen Songs und arrangiert von Produzent Robert Hoffmann. Entstanden sind phantasievoll in Szene gesetzte Titel, z.B. “The Old Man On The Mountain” oder “Sleeping In A Snakepit”, rauchiger Western-Charme inklusive. Mit “Start To Run” und “The End Of The World” gelingen wieder sehr catchy wirkende Tracks, die ihre Grower-Qualitäten sofort anmelden. Zum Schluß der Scheibe wird das Outlaw-Image im programmatischen Titel-Song noch einmal ausgiebig interpretiert und “ungefilterte Gefühle”, wie Copperfield es zu Recht beschreibt, bestimmen die Klangfarben an melodisch elegante Erinnerungen.

Das Album “Out In The Desert” ist ein hervorragendes Beispiel für die musikalisch sehr gereifte authentische Entwicklung von T.G. Copperfield, der in wenigen Jahren eine weitere, ausgefeilte, Handmade-Produktion eingespielt hat; ein jederzeit spannendes Studiowerk, das sein Stehvermögen auch gerade im internationalen Vergleich mühelos unter Beweis stellt.

Timezone Records (2023)
Stil: Roots Rock, Country, Americana

Tracks:
01. Born To Die
02. The Old Man On The Mountain
03. Jericho
04. Who Reigns The Wild Ones
05. Start To Run
06. Love Fool
07. Where Are You
08. Night Crawler
09. Sleeping In A Snakepit
10. The End Of The World
11. Out In The Desert

T.G. Copperfield
T.G. Copperfield bei Facebook
Brooke-Lynn Promotion

The Vandoliers – Same – CD-Review

Review: Michael Segets

Bei der Sichtung der Konzertprogramme der einschlägigen Clubs entdeckte ich eine interessante, mir bis dato unbekannte Band: The Vandoliers. Das vierte, selbtbetitelte Album des Sextetts aus Dallas, Texas, erschien im vergangenen Jahr. Die derzeitige Europatour sowie die Qualität des Werks rechtfertigen ein paar verspätete Worte zu dem Longplayer.

The Vandoliers mischen Rock und Country variantenreich und im richtigen Maß. Zudem lassen sie bei einzelnen Songs Punk- und Tejano-Elemente einfließen. „Bless Your Drunken Heart“ ist eine fetzige Cowpunk-Nummer, die Spaß macht. Am anderen Ende der Fahnenstange liegt „Too Drunk To Drink“. Mit Trompete und lateinamerikanischem Rhythmus schrammen The Vandoliers knapp am Schmalz vorbei. Das Stück dürfte wohl eher mit einem Augenzwinkern gespielt sein, zumal wenn man den Text verfolgt.

Mit seiner Trompete kommt Cory Graves nochmal bei „Before The Fall“ zum Einsatz. Die Akzente setzt jedoch meist die Geigenbegleitung von Travis Curry. Bei „Down And Out“ steht sie im Vordergrund. Auch bei „Steer Me Wrong“ nimmt sie einen zentralen Part ein. Auf „Howlin‘Every Saturday Night“ kann man in eine Traditionslinie mit John Mellencamp stellen, der die Folk-Instrumentierung im Rock salonfähig machte. Etwas rauer wirkt das kantige „Better Run“, das sich direkt in die Gehörgänge einbrennt und mein Favorit auf dem Album ist. „I Hope Your Heartache’s A Hit“ findet sicher in jedem Roadhouse oder jeder Dancehall mit dem flotten Bar-Piano seine Anhänger und auch für die Freunde des Country ist mit dem abschließenden „Wise County Friday Night“ gesorgt.

Insgesamt bietet die selbstbetitelte Scheibe der Vandolines eine bunte musikalische Mischung, bei der Frontmann Joshua Flemming mit seiner Truppe nie die Linie verliert. Die in Texas ansässige Band lässt verschiedene Richtungen der Roots Musik in ihre Songs einfließen, sodass ein abwechslungsreicher Longplayer zwischen Alternative Country und Rock herauskommt.

Die seit 2015 existierende Band war schon mit Old 97’s und Lucero auf Tour. Mit dem Material ihres noch aktuellen Albums empfehlen sie sich für einen Konzertbesuch. The Vandoliers sind derzeit auf Europareise, die sie durch die Niederlande, Deutschland, Italien und Spanien führt. Am kommenden Mittwoch, den 26.04.2023, gastieren die Amerikaner dann in der Krefelder Kulturrampe – ein Termin, der vorgemerkt ist.

Eigenproduktion (2022)
Stil: Alternative Country/Roots Rock

Tracks:
01. The Lighthouse
02. Every Saturday Night
03. Howlin’
04. Bless Your Drunken Heart
05. Down And Out
06. Better Run
07. Steer Me Wrong
08. Before The Fall
09. I Hope Your Heartache’s A Hit
10. Too Drunk To Drink
11. Wise County Friday Night

The Vandoliers
The Vandoliers bei Facebook