Trampled By Turtles – Alpenglow – CD-Review

Review: Michael Segets

Als begeisterter Skifahrer ist mir das Alpenglühen nicht fremd. Das rötliche Leuchten der Bergspitzen beim Sonnenuntergang ist schon sehr stimmungsvoll. Das Lichtphänomen gibt es auch beim Sonnenaufgang. Da habe ich es aber seltener beobachtet. Nicht bewusst war mir, dass „alpenglow“ im Englischen ein Begriff ist. Diese Bildungslücke konnte ich jetzt anhand des zehnten Albums von Trampled By Turtles schließen.

Das Sextett aus Minnesota setzt ausschließlich auf Saiteninstrumente. Songwriter und Sänger Dave Simonett spielt Gitarre, Erik Berry Mandoline, Ryan Young Geige, Dave Carroll Banjo, Tim Saxhaug Bass und Eamonn McLain Cello. Die Instrumentierung ohne Schlagzeug entspricht der des Bluegrass‘. Dieser wird ja meist mit dem Country assoziiert, „Alpenglow“ hört sich aber nicht nach Country an, sondern ist eine Folk- oder Americana-CD.

In den Vereinigten Staaten stürmten vorangegangene Alben von Trampled By Turtles die entsprechenden Genre-Charts. Obwohl sie bereits 2004 ihren ersten Longplayer herausbrachten, dürfte die Band in Europa lediglich einem Nischenpublikum bekannt sein. Geläufiger ist sicherlich der Name Jeff Tweedy von Wilco. Tweedy produzierte das Album und schrieb „A Lifetime To Find“ für es. Alle anderen Stücke stammen von Simonett.

Simonett betont zwar, dass Trampled By Turtles kein Konzeptalbum vorlegen, aber „Alpenglow“ wirkt musikalisch und thematisch homogen. Es versammelt insgesamt ruhige Songs, die sich um Reflexionen über Leben und Tod oder Fernweh und Geborgenheit drehen. Die ernsten Inhalte werden in harmonische Melodien verpackt, die angenehm zu hören sind und das fehlende Schlagzeug auch nicht vermissen lassen. Die Tracks zeugen von einer hohen Songwriting-Qualität und zeigen zudem in den Arrangements eine gewisse Variabilität. Allerdings setzen sie sich nicht unbedingt beim ersten Hören fest. Gegen Ende des Albums nehmen mich einzelne Titel nicht mehr so mit, aber das kann sich nach weiteren Durchläufen noch ändern.

Neben dem langsamen und reduzierten „Central Hillside Blues“ finden sich auch Stücke, die eine Nuance flotter gehalten sind („Starting Over“, „Burlesque Desert Window“). Bei einzelnen Songs bekommt mal das Banjo („All The Good Times Are Gone“) oder das Cello („We’re Alright“) mehr Raum. Auch der mehrstimmige Gesang, wie er beim Bluegrass häufig anzutreffen ist, wird von Trampled By Turtles genutzt („Nothing But Blue Skies“, „Quitting Is Rough“).

Eine nette Idee sei noch am Rande erwähnt: Die Band hatte bei ihren Konzerten um die Einsendung von Fotos gebeten. Eine Auswahl von diesen wurde in das Video zu „It’s So Hard To Hold On“ eingearbeitet. Und wenn wir schon beim Visuellen sind: Die CD ist ausdrucksstärker, als ihr graphisches Cover, das wohl eine abstrahierte Bergwelt darstellt, vermuten lässt.

Jenseits eines Square-Dance-Gefiedels legt Trampled By Turtles mit typischer Bluegrass-Instrumentierung ein ruhiges, stimmiges Americana-Album vor. „Alpenglow“ fängt die etwas wehmütige Abendatmosphäre beim Sonnenuntergang ein, bei der man seinen Gedanken nachhängen kann – unabhängig davon, ob man im Hochgebirge oder am Niederrhein lebt.

Banjodad – Thirty Tigers (2022)
Stil: Americana

Tracks:
01. It’s So Hard To Hold On
02. Starting Over
03. Central Hillside Blues
04. On The Highway
05. A Lifetime To Find
06. Nothing But Blue Skies
07. Burlesque Desert Window
08. All The Good Times Are Gone
09. We’re Alright
10. Quitting Is Rough
11. The Party’s Over

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