Keith Urban – The Speed Of Now – Part 1 – CD-Review

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Als ich 1999 Keith Urbans nach sich selbst betiteltes Studioalbum rezensierte, kannte ihn hier in Deutschland so gut wie niemand, geschweige, dass von ihm berichtet wurde. Schon damals prophezeite ich (ich zitiere mich selbst): „Keith Urban, das ist so sicher wie das Amen in der Kirche, wird die Erfolgsleiter emporklettern und schon bald zu den nicht mehr wegzudenkenden Größen in Nashvilles New-Country-Szene gehören.“

2007, als ich ihn zum ersten Mal live im Kölner E-Werk erlebt hatte, stand er im Rahmen seiner Nicole Kidman-Liaison bereits in der Yellow-Press und auch musikalisch steckte er schon mitten im Big Business. Sein genreübergreifendes Talent war längst erkannt. Mit seinem ersten Nummer-1-Album „Be Here“ 2004 war der gebürtige Neuseeländer in die oberste Riege der Nashville-Stars aufgestiegen.

Seitdem arbeitet Urban höchsterfolgreich daran, die bestmögliche Schnittmenge zwischen Rock, Pop und Country auf seinen Alben zu realisieren und versucht, wenn nötig, auch noch weitere, von Aktualität bestimmte Strömungen, wie z. B. R&B oder Hip Hop, etc. wohl dosiert mit einzuflechten.

Und so verhält es sich auch auf seinem neusten Werk „The Speed Of Now – Part 1“, das mit 16 Stücken voll bepackt ist. Auch wenn der poppige Opener mit Gästen wie Breland und Disco-Ikone Nile Rogers (Chic) „Out The Cage“ schön schmissige und treibende Elemente aufweist, muss man als eher Country- und Rock-verwurzelter Kritiker erstmal tief durchatmen und hofft zugleich, dass dies nicht der rote Faden für den weiteren Verlauf des Werkes sein möge.

Dem ist dann auch nicht so (lediglich die unsäglichen, momentan leider wohl unverzichtbaren Drum-Loops in Dauerschleife nerven etwas), auch wenn es zunächst mit Chartblick, im Star-Duett mit Pop-Sternchen Pink, mit einem für beider Verhältnisse, eher braven Schmuse-Ballädchen, weitergeht.

Mit dem stadiontauglichen „Live With“ findet Urban dann aber in die Spur und serviert ein immer, auf ins Ohr gehende Melodien bedachtes Konglomerat aus Rock, Pop und Country in allen Tempi und Stimmungen, vollgestopft mit Hitpotential (potentielle Kandidaten: „Superman“, „Soul Food“, „Ain’t It Like A Woman“, „With You“,  das karibisch-angehauchte „Polaroid“), wobei er seine variablen Gitarren-, bzw. Ganjo-Künste immer wieder akzentuiert aufblitzen lässt.

Ja, beim starken Southern Rocker „Forever“ , wo er am Ende sogar mal richtig die ‚E-Gitarren-Sau‘ raushängen lässt, läuft er sogar zur Form seiner ganz frühen Tage auf. Auch das trashige, in Big & Rich-Manier polternde „Tumbleweed“ mit starkem Wah-Wah-Solo, macht richtig Laune. Und am Ende gibt es mit „We Were“ einen saustarken Song gleich in zweifacher Version: Einmal Urban solo (hätte ich persönlich aber eher irgendwo in den Anfangsbereich des Albums platziert) und direkt anschließend als finalen Track mit Eric Church als Co-Sänger, in dieser Fassung zusammen mit dem oben erwähnten „Forever“ für mich das Highlight des Longplayers.

Mit „The Speed Of Now – Part 1“ hat der ewig-junge Sonnyboy wieder sein Gespür für die Zeit erwiesen, und in diesen Tagen mit High-Speed, Platz 1 in den Billboard-Country-Album-Charts erklommen. Die Scheibe gefällt tatsächlich mit jedem Hördurchgang besser. Der Titel suggeriert bereits einen Nachfolger mit ähnlichem Konzept. Keith Urban scheint weiterhin heiß darauf zu sein, auch in Zukunft, ganz oben mitzumischen.

Capitol Nashville/Universal (2020)
Stil: New Country

01. Out The Cage (mit Breland & Nile Rogers)
02. One Too Many
03. Live With
04. Superman
05. Change Your Mind
06. Forever
07. Say Something
08. Soul Food
09. Ain’t It Like A Woman
10. With You
11. Tumbleweed
12. God Whispered Your Name
13. Polaroid
14. Better Than I Am
15. We Were
16. We Were (mit Eric Church)

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Universal Music

Brent Cobb – Keep ‚Em On They Toes – CD-Review

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Brent Cobb zählt mit seinen gerade mal 34 Lenzen schon zu den ganz großen Songwritern des Southern-umwobenen Country.  Nicht umsonst wurde der zwischenzeitlich in Nashville ansässige, heute aber wieder in seinem Ursprungsstaat Georgia mit seiner Familie lebende Cousin des bekannten Produzenten Dave Cobb, von Stars wie u. a. Luke Bryan, Miranda Lambert, Little Big Town, der Eli Young Band oder Kenny Chesney zwecks seiner Songideen heiß umworben.

Anders als auf seinen drei vorangegangenen Werken fokussiert sich Cobb auf seinem neuen, zehn Stücke umfassenden Werk (37 Minuten Spielzeit) auf eine, von Minimalismus geprägte Essenz, holt aber dennoch ein Maximum an Qualität und Schönheit aus den Tracks heraus.

Alles ist auf seinen ruhigen Storyteller-Gesang und eine klare Akustikgitarrenuntermalung ausgerichtet, hinzu kommen dann meist unaufgeregte percussionartige Rhythmus-Claps, ein wenig Orgel, Piano sowie die E-Gitarre, des öfteren  quietscht und raunzt eine Fiddle oder es quäkt eine Mundharmonika.

Grandios sind die oft in den Refrains eingebrachten weiblichen Harmoniegesänge, sensationell der quasi mit etwas Zeitversetzung parallel gelegte Gesang von Nikki Lane im herrlichen „Soap Box“, ganz großes Country-Kino. Gleiches gilt für das in den Solopassagen praktizierte heulende Twinspiel von Fiddle und Mundharmonika in „Shut Up And Sing“.

Mit „Good Times And Good Lovin'“ (schöner Schunkler mit Piano und Fiddle), „Sometimes I’m A Clown“ (Schwofer mit Fiddle-Solo), „This Side Of The River“ (herrlich hier das sanfte Southern Rock-E-Gitarren-Solo) gibt es drei Ohrwürmer am Stück, allesamt wieder mit diesen typisch-südstaatlichen weiblichen Harmonies.

Das einzig etwas flottere, bluesig gebrachte „Dust Under My Rug“ ist mein Adaptionstipp für keinen Geringeren als einen Herrn Eric Clapton, der dürfte ganz sicher großen Gefallen an diesem Stück mit unterschwelligem J.J. Cale-Flair haben.

Lediglich zum Schluss hätte ich alleine schon vom Titel her und dem Finale des atmosphärisch-progressiven Liedes „The World Is Ending“ (Brent singt nach dem letzten Refrain „end!“ und das Stück stoppt abrupt) mit dem in Gregg Allman-Manier gebrachten „Little Stuff“ in der Reihenfolge getauscht.

Großes Kompliment übrigens auch an Brad Cook für die wunderbar anschmiegsame Produktion. „Für mich fühlt es sich beim Hören dieses Albums an, als säße ich mit jemandem zusammen und führe ein Gespräch, wie mit einem alten Freund, den man schon lange nicht mehr gesehen hat. Es gibt nichts Schöneres, als einem Album zu folgen, das ruhig und gesprächig ist,“ so Brents Fazit zu seinem „Keep ‚Em On They Toes“-Gesamtwerk.

Und in der Tat – ich persönlich würde es als ‚warm and cozy Southern Country stuff‘ bezeichnen. Wirklich absolut vom Feinsten. Einfach famos dieser Brent Cobb! Ein ganz heißer Kandidat für das Album des Jahres! Kaufen!!!

Ol‘ Buddy Records (2020)
Stil: (Southern) Country

01. Keep ‚Em On They Toes
02. Shut Up And Sing
03. Good Times And Good Lovin‘
04. Sometimes I’m A Clown
05. This Side Of The River
06. Dust Under My Rug
07. Soap Box
08. When You Go
09. The World Is Ending
10. Little Stuff

Brent Cobb
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Elizabeth Cook – Aftermath – CD-Review

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Review: Stephan Skolarski

Dass amerikanische Country-Musik hierzulande manchmal auf wenige Superstars und eine Stilrichtung reduziert wird, hat für interessierte Fans dieses Genres mitunter den Nachteil einer erheblich eingeschränkten Berichterstattung. Sounds Of South hat es sich daher auch zur Aufgabe gemacht, einem hier kaum bekannten, aber gleichwohl (in den Staaten) arrivierten Kreis von Künstlern eine ‚Bühne‘ zu bieten.

Zu diesen in Deutschland leider bisher weitgehend unbeachtet gebliebenen ‚Country Women‘ gehört zweifellos Elizabeth Cook, die vor gut 20 Jahren in Nashville debütierte und mit ihren über 400 Auftritten in der Grand Old Opry eine Bestmarke hält. Cook, die aus Florida stammt und 2014 den AM-Award in der Kategorie „Outlaw Female“ gewann, moderiert seit Jahren zudem ihre eigene Radio Show „Apron Strings“ bei Sirius XM Radio. Ihre vier Auftritte in der Late Night Show von David Lettermann sind durchweg sehenswert und gekrönt von einem Duett mit Jason Isbell und dem Townes Van Zandt-Cover „Pancho And Lefty“.

Nach einer Zeit schmerzlicher, familiärer Einschnitte und Erfahrungen legt Elizabeth Cook nun mit „Aftermath“ ein autobiographisches Album vor und verarbeitet ihre Erinnerungen in 12 Eigenkompositionen. Zusammen mit Produzent Butch Walker (Weezer, Green Day, Taylor Swift) hat Cook eine Palette aus Americana, Folk und Country-Songs arrangiert, die ihre Reflektionen gefühlvoll, wie beim Opener „Bones“, im rhythmischen Psych-Rock oder bei „Bad Decisions“ als Alternativ-Track bodenständig wiedergeben. Diese Nachwirkungen ihrer persönlichen Rückschläge werden als ‚zweite Ernte‘, wie es Cook beschreibt (ein Synonym für „Aftermath“), ausgebreitet und auch akustisch-experimentell, z.B. in „When She Comes“ oder der ansprechenden Country-Ballade „These Days“, geradezu hautnah und verwundbar beschrieben.

Eindrucksvolle Story-Telling-Songs („Stanly By God Terry“ oder „Half Hanged Mary“) verbreiten ihre vertraulichen Lyrics im passenden Sound-Gewand, das etwas an Stevie Nicks erinnert. Old-School Country-Stücke werden bei „Thick Georgia Woman“, einer Ode über Südstaaten-Frauen und „Two Chords And A Lie“ wirkungsvoll aufgeboten, um das Spektrum des Albums in seiner Vielfalt des Great American Country zu unterstreichen. Hervorzuhebende Höhepunkte bilden gleichzeitig die intensive Ballade „Daddy, I Got Love For You“, sowie der an den John Prine-Klassiker angelehnte Song „Mary, The Submissing Years“ (im Original „Jesus, The Missing Years“), ein typischer Country Talking Blues, der zum Abschluss den Longplayer vollendet.

Elizabeth Cook, die von National Public Radio (einer gemeinnützigen US-Medienorganisation) als „Treasure Of The Americana Singer/Songwriter Scene“ bezeichnet wurde, hat mit ihrem 7. Album „Aftermath“ ein erfrischend authentisches Werk eingespielt, das ihre persönliche Unabhängigkeit und musikalische Resilienz nach schwierigen Zeiten bemerkenswert offen und ehrlich thematisiert – eine charismatische, Stimme aus Nashville, die ihr wirkungsvolles Songwriting erneut unter Beweis stellt.

Agent Love (2020)
Stil: Country

Tracklist:
01. Bones
02. Perfect Girls Of Pop
03. Bad Decisions
04. Daddy, I Got Love For You
05. Bayonette
06. These Days
07. Stanley By God Terry
08. Half Hanged Mary
09. When She Comes
10. Thick Georgia Woman
11. Two Chords And A Lie
12. Mary, The Submissing Years

Elizabeth Cook
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Tim McGraw – Here On Earth – CD-Review

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Hier auf Erden zählt Tim McGraw zu den zweifellos größten Countrystars der letzten Dekaden. Da können ihm von den heute lebenden Künstlern vielleicht gerade noch Garth Brooks, George Strait oder Alan Jackson, annähernd das Wasser reichen.

Ein kurzer Auszug in die ihn umgebende Superlative: Er hat weltweit mehr als 50 Millionen Platten verkauft und die Charts mit 43 weltweiten Nr. 1-Singles und 16 Nr. 1-Album-Veröffentlichungen dominiert. Er hat 3 Grammy Awards, 16 Academy of Country Music Awards, 14 Country Music Association Awards gewonnen. Zu seinen großen Erfolgen in seiner Karriere gehören die Ernennung zum meistgespielten Künstler des Jahrzehnts für alle Musikgenres beim BDS Radio und die Auszeichnung für „Something Like That“ als meistgespielter Song eines Jahrzehnts für alle Musikgenres.

Auch wenn meiner Ansicht nach die stärkste Zeit, von 1995 mit seinem Album „All I Want“ bis zum Werk mit seinen Dancehall Doctors 2002, recht lang zurückliegt, hält man jedoch bei einer Neuveröffentlichung von seiner Seite, immer gespannt den Atem an.

Nach einem kurzen Intermezzo mit Gattin Faith Hill bei Arista Nashville ist McGraw nun zu Big Machine Records zurückgekehrt und veröffentlicht mit „Here On Earth“ sein insgesamt 16. Studioalbum und hat passend dazu satte 16 Tracks eingesungen.

Angesichts seiner überragenden Erfolge ist der Protagonist nie auf großartige Kreativität angewiesen gewesen, bei ihm und seinem Langzeit-Spezi Byron Gallimore, der diesen Longplayer wieder mit Tim zusammen produziert hat, war es immer die Kunst, leibgeschneiderte Lieder einzukaufen.

So tauchen dann auch hier wieder eine Armada von arrivierten Songwritern (Tom Douglas, Shane McAnally, Wendell Mobley, Neil Thrasher, Marv Green, etc.) auf, die für absolute Topqualität und Hitgarantien stehen. Schön, dass Tim dann auch immer als Pusher für andere Musiker wie Jaren Johnston (The Cadillac Three), Lori McKenna oder den Warren Brothers fungiert, und kontinuierlich auf deren kompositorische Dienste zurückgreift.

Eingespielt haben die Songs natürlich auch die üblichen Qualitätsgaranten auf diesem Niveau wie u. a. Ilya Toshinsky, Gordon Mote, Shannon Forrest, Michael Landau, Glenn Worf und Dan Dugmore.

Am Anfang des Werkes hat man beim Streicher-untermalten „L.A.“, dem Elton John-inspirierten „Chevy Spaceship“ oder dem keltisch angehauchten Titelsong, so das Gefühl, als wenn der Protagonist, passend zum Sternen-verzierten Firmament auf dem Cover, musikalisch in neue Galaxien entschweben möchte.

Danach pendelt sich eigentlich aber alles im gediegenen Midtempobereich ein, der schön instrumentiert, seiner prägnanten Stimme den Raum zur Entfaltung gibt. Die stärkste Phase der CD spielt sich aus meiner Sicht zwischen den Tracks 6-8 ab, dem beschwingt groovenden „Good Taste In Women“, dem Piano-E-Gitarren-verzierten „Hard To Stay Mad At“ und McGraws Adelung von Sheryl Crow im gleichnamigen Song, wo er der Musikerin ein emotionales Denkmal (vermutlich für ihr Lebenswerk) setzt. Für mich das Highlight der CD.

Bei Stücken wie „7500 OBO“ und „If I Was A Cowboy (herrlich hymnisches E-Gitarren-Solo)“ lässt er sporadisch die Stärken aus seiner Frühzeit aufblitzen, mit dem zum Muttertag als Single mal wieder perfekt platzierten „I Called Mama“ gibt es den gefühlsbetonten Stoff für die US-Charts.

Klasse gemacht ist das spacige Cover-Artwork. Das Titelfoto gibt es auf er Rückseite des 9-seitigen Faltbooklets noch mal als Poster. Fazit: Tim McGraw erweist sich trotz allen Stardoms als geerdeter Künstler und festigt mit seinem neuen, durchgehend angenehm zu hörenden Longplayer „Here On Earth“ auch weiterhin den Status Quo als einer der maßgebenden (New) Countrymusiker dieser Zeit.

Big Machine Records/Universal (2020)
Stil: New Country

01. L.A.
02. Chevy Spaceship
03. Here On Earth
04. Damn Sure Do
05. Hallelujahville
06. Good Taste In Women
07. Hard To Stay Mad At
08. Sheryl Crow
09. Not From California
10. Hold You Tonight
11. 7500 OBO
12. If I Was A Cowboy
13. I Called Mama
14. Gravy
15. War Of Art
16. Doggone

Tim McGraw
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Universal Music

Lindsay Ell – Heart Theory – CD-Review

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Einen Grund, so grimmig drein zu schauen, wie auf dem Cover ihres neuen Longplayers „heart theory“, dürfte Lindsay Ell in Wirklichkeit eigentlich gar nicht haben. Denn es läuft, zumindest was die Musikkarriere betrifft, doch ausgesprochen gut.

Mit viel Fleiß und Können hat sich sich die gebürtige Kanadierin, in die Riege der weiblichen Nashville-Stars im Mainstream-New Country-Segment à la Underwood, Rimes, Morris, Ballarini, Barrett & Co. vorgearbeitet, nicht zuletzt wurde sie von großen Stars wie u. a. Keith Urban, Luke Bryan, Buddy Guy, Big & Rich, Ronnie Dunn oder Chris Isaak schon als Support bei ihren Touren gebucht.

Ell_450Dass sie sich aber auch nicht zu schade ist, ‚Klinken zu putzen‘, bewies sie z. B. gerade bei uns in Deutschland , wo sie zuletzt (noch in der Vor-Corona-Zeit) gleich zweimal im kleinen Kölner Blue Shell auftrat, einmal beim Gig mit Unterstützung von Walker McGuire, das andere Mal als Headlinerin der SOUND OF NASHVILLE-Reihe von Semmel Entertainment. Dabei entpuppte sie sich als kleiner lebenslustiger Wirbelwind ohne Berührungsängste, den man eigentlich sofort in sein Herz schließt.

Apropos Herz, wie es allerdings in ihrem Privat-, beziehungsweise ihrem Liebesleben aussieht, darüber kann man allerdings nur spekulieren. Die Texte ihrer Stücke des neuen Werkes, das in zwölf Tracks sieben Phasen der Trauer behandelt, lassen da allerdings nicht viel Gutes vermuten. Schock, Leugnung, Wut, Verhandeln, Depression, Austesten und Akzeptanz, sind die Schlagworte, um die es hier in erster Linie geht.

„Wenn Musiktheorie die Wissenschaft der Musik ist, dann ist ‚heart theory‘ die Wissenschaft des Herzens. Ich hoffe, dieses Album kann ein Trost sein, wenn man ihn braucht, eine Bestätigung, wenn man sich wieder mal selbst daran erinnern muss, an sich zu glauben – oder einfach ein Blick auf das, was einen zu dem gemacht hat, was man heute ist“, so die Protagonistin zur Intention ihres Handelns.

Der von Dann Huff produzierte Longplayer bringt dann Lindsays Stärken auch in allen Belangen auf den Punkt: Ihr Songwriting-Talent mittels eingängiger und melodischer Country Pop-Rock-Lieder, meistens mit Powerrefrains (darunter sind aber auch ein paar ruhigere Nummern), ausdrucksstarker Gesang und tolle Gitarrenarbeit. Ich glaube, kein anderer als Huff kann Gitarrensoli besser in Szene setzen, und hier ergänzen sich beide in nahezu allen Stücken exzellent. Damit der Nashville-Nimbus gewahrt bleibt, wurde natürlich auch die eine oder andere Steel-Eingabe untergebracht („i don’t lovE you“, „good on you“, „make you“).

Ell2In ihren Kölner-Konzerten vermerkte sie ihren ausgesprochenen Faible für John Mayer, den man hier in Tracks wie u. a. „Hits me“, „good on you“ oder „The oTHEr side“, besonders in den E-Gitarren-Soli, wiederfindet. Trotz aller überwiegend textlicher Negativ-Stimmung gibt es mit dem Titel „ReadY to love“ zum Abschluss, dann doch den positiven Blick nach vorne, wo Ell „I’m ready to feel, to trust and to love again“ energisch und voller Emotion intoniert.

Für den, der sich über die eigenartige Schreibweise der Titel wundert, hier die Auflösung: Die Großbuchstaben, ergeben aneinandergereiht, genau den Titel des Albums.

Stoney Creek Records (2020)
Stil: New Country

01. Hits me
02. how good
03. i don’t lovE you
04. wAnt me back
05. get oveR you
06. wrong girl
07. body language of a breakup
08. good on you
09. The oTHEr side
10. gO to
11. make you
12. ReadY to love

Lindsay Ell
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Luke Bryan – Born Here Live Here Die Here – CD-Review

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Luke Bryans Werdegang in Nashville ist seit Beginn des neuen Jahrtausends eine einzige Erfolgsgeschichte, auch wenn es zunächst einige Zeit brauchte, um in ‚Music City‘ Fuß zu fassen. Spätestens aber mit seinem Debütalbum „I‘ll Stay Me“ im Jahre 2007 und seinem ersten Nr.1-Werk „Tailgates & Tanlines“ hat sich der ursprünglich aus Leesburg, Georgia stammende Countrymusiker unter den Superstars der Szene etabliert.

Mit heimatverbunden Schlagwörtern „Born Here Live Here Die Here” schickt er seinen nun mehr 7. Longplayer ins Rennen um die Billboard-Pole-Position, der allerdings mit nur 10 Tracks und knapp 35 Minuten Spielzeit auch sein wohl kürzestes Stelldichein abgibt. Bei New Countrykünstlern wird ja die oft fehlende Authentizität kritisiert, oft heißt es, dass von Dingen gesungen wird, die man gar nicht erlebt hat.

Auch der der Titel seiner neuen CD könnte hierzu ein willkommener Anlass sein, denn Bryan hat seinen Lebensmittelpunkt ja längst vom ländlichen Georgia in die berühmte Musikmetropole Tennessees verlegt. Da er jedoch aufgrund des tödlichen Autounfalls seines Bruders lange seine Passion zu Gunsten der Familie hinten anstellte und von seinem Vater geradezu genötigt wurde, sein Glück in Nashville zu versuchen, hat das Titelstück bei ihm trotzdem durchaus seine glaubwürdigen Züge.

Was mir diesmal gut gefällt, ist das Bryan ein gutes Gespür für die im Moment schweren Zeiten der meisten seiner Landsleute aufweist. So trägt er diesmal, eigentlich unüblich für Künstler seines Status‘, alles andere als dick auf und serviert ein unaufgeregtes, angenehm ins Ohr fließendes Werk, bei dem man sehr gut entspannen kann.

Die Produzenten Jody und Jeff Stevens, die vielen bekannten Songwriter (diesmal mit starker Präsenz von dem uns auch gut bekannten Josh Thompson) und ausgezeichneten Musiker wie u. a. JT Corenflos, Adaam Shoenveld,  Rob McNelley, John Willis, Ilya Toshinsky, Greg Morrow, Mark Hill, tun ihr Übriges zum Gelingen des Projekts.

Den aufheiternden Momenten mit Stücken wie dem Opener „Knockin‘ Boots“, „What She Wants Tonight“, dem süffigen „One Margarita“ (mit integrierter Huldigung von Musikern wie Jimmy Buffett, Bob Marley und Kenny Chesney) und dem flockigen Rausschmeißer „Down To One“, stehen mit dem Titelstück, dem Ohrwurm „Too Drunk To Drive“ (Keith Urban-Anfangstage-Flair), dem retro-mäßigen „Little Less Broken“, dem Vater-Sohn-Stück „For A Boat“ und „Where Are We Goin’“ (geschrieben von Bryan und Brent Cobb, tolle Harmonies von Chancie Neal), eher unspektakuläre, einfühlsame Songs über das familiäre Alltagsleben gegenüber.

Emotionaler Höhepunkt, ist natürlich „Build Me A Daddy“, ein Song, in dem ein kleiner Junge seinen Vater (ein bei einem Einsatz verstorbener Soldat), von einem Handwerker in kindlicher Naiivität nahe seiner Idealvorstellungen nachgebildet haben möchte. Das dürfte besonders im patriotischen Amerika, natürlich den Nerv der Leute treffen.

Luke Bryan überrascht auf seinem neuen Werk „Born Here Live Here Die Here” mit Zurückhaltung und Einfühlsamkeit und liefert doch eines seiner stärksten Alben ab. Manchmal braucht es halt nicht viel mehr als einen guten Sänger, einige schöne Melodien mit einem klasse gespielten E-Gitarrensolo, um einen Musikkritiker wie mich zu überzeugen. Gut gemacht, Luke Bryan!

Capitol Records/ Universal Music (2020)
Stil: New Country

01. Knockin‘ Boots
02. What She Wants Tonight
03. Born Here Live Here Die Here
04. One Margarita
05. Too Drunk To Drive
06. Build Me A Daddy
07. Little Less Broken
08. For A Boat
09. Where we Are Goin‘
10. Down To One

Luke Bryan
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Universal Music

The Chicks – Gaslighter – CD-Review

cover The Chicks - Gaslighter_300

Dass es beim Comebackalbum „Gaslighter“ nach satten 14 Jahren Pause der ehemaligen, vielfach Grammy-prämierten Dixie Chicks nicht ohne großes Tamtam in diesen Zeiten einhergehen würde, war so sicher wie das Amen in der Kirche.

Die Ära Trump, #MeToo, Corona und die neu aufkommende Rassendiskussion boten da genügend Zündstoff, um sich als politisch motivierter Act, hochaktuell zu profilieren.

Da wurde zunächst mal das symbolträchtige Wort ‚Dixie‘ als Synonym für den Süden aus dem Bandnamen verbannt und publicity-wirksam neu unter The Chicks firmiert. Ich finde es persönlich ein wenig kurz gedacht. Zum einen hat das Wort die drei Damen, als es gut lief, lange Zeit nicht gestört, zum anderen sollte man, als Menschen, die gelernt haben, differenziert zu denken, Leute nicht anhand von Symboliken über einen Kamm scheren, sondern sie nach ihrem Handeln beurteilen. Viele Arschlöcher, aber auch genügend gute und anständige Menschen  (ich hoffe sogar überwiegend), gibt es überall auf der Welt, auch im Süden der USA.

Der Titel des Albums „Gaslighter“, der in der Psychologie eine Form von psychischer Gewalt bzw. Missbrauch durch Leute bezeichnet, mit der Opfer gezielt desorientiert, manipuliert und zutiefst verunsichert werden, kann natürlich breitgefächert interpretiert werden und bietet der Kritikerschaft, wer da jetzt alles angesprochen sein könnte, Diskussionsstoff en masse.

Das von Jack Antonoff (u. a. Taylor Swift, Lorde, St. Vincent, Lana Del Rey, Kevin Abstract, Carly Rae Jepsen) zusammen mit den Dreien produzierte Werk bietet insgesamt musikalisch eine solide New Countrykost.

Die immer noch etwas jungenhafte Stimme von Natalie Maines (Vater Lloyd ist mit ein paar Steeleinlagen auch vertreten), die man mögen muss, bildet den kräftigen Mittelpunkt, die Kolleginnen Marty Maguire und Emily Strayer sorgen für die obligatorischen Harmoniegesänge und beweisen, dass sie auf ihren Instrumenten (Violine, Viola, bzw. Banjo, Akusikgitarre, Mandoline, Dobro und Ukulele nichts verlernt haben.

Die wohl markantesten Tracks wie das Titellied „Gaslighter“ (eingängiger kräftiger Refrain) und das musikalisch schön swampig gestaltete „March March“ wirken natürlich mit den dazugehörenden plakativen Videos im Hintergrund noch besser.

Ansonsten bieten die restlichen Lieder, recht reduzierten, aber immer genau auf den Punkt gebrachten New Country, der in der zweiten Hälfte phasenweise allerdings auch ein wenig ermüdend wirkt.

Von einem Meisterwerk zu sprechen, halte ich von daher für etwas übertrieben. Im Prinzip ist den Chicks bei ihrer ‚Rückkehr‘ ein ordentliches Album mit ein paar Highlights gelungen, das musikalisch aber nicht viel mehr hergibt, als man es von Acts wie z. B. Little Big Town, The Highwomen oder Mary Gauthier, Lori McKenna, etc. in den letzten Jahren (aber natürlichvon weniger politischer Natur und unglamouröser inszeniert) bereits vielfach geboten bekommen hat.

Monument (Sony) (2020)
Stil: New Country

Tracklist:
01. Gaslighter
02. Sleep at Night
03. Texas Man
04. Everybody Loves You
05. For Her
06. March March
07. My Best Friend’s Weddings
08. Tights on my Boat
09. Julianna Calm Down
10. Young Man
11. Hope It’s Something Good
12. Set Me Free

The Chicks
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Another Dimension

Brett Eldredge – Sunday Drive – CD-Review

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Beim Namen Brett Eldredge befällt mich ein gewisser Wehmut. War er es doch als letzter New Country-Künstler, den ich in einem Live-Konzert erleben durfte und zwar im Kölner Carlswerk. Das war im Januar diesen Jahres. Dann kam irgendwann Corona…

Dort gab er sich, wie auch schon auf seinen ganzen Alben, als smarter, lebhafter und noch voller Tatendrang agierender Fronter, dessen Erfolg in Nashville nicht von ungefähr kommt. Dazu ist er noch ein echter Frauentyp und ausgestattet mit einer tollen Charakterstimme. Beim Konzert zeigte er, speziell im Akustikpart, allerdings auch seine gefühlvollere Seite.

Die rückt jetzt auch im neuen, von Daniel Tashian und Ian Fitchuk produzierten Album „Sunday Drive“ (beide zeichneten sich auch für Kacey Musgraves’ „Golden Hour“ verantwortlich) schwerpunktmäßig in den Fokus.

Bre_450Statt radiotauglichem pop-rockigem New Country für die Billboard-Charts, konzentriert Eldredge sich auf (besonders für ihn) zurückhaltend instrumentierten Singer/Songwriter-Stoff, bei dem Piano, Streicher (manchmal sogar auch ein wenig kammermusikartig) und Akustikgitarren, samt ganz dezenter Countryingredenzien (E-Gitarre, Mandoline, Steel) im Vordergrund stehen.

Besonderer Vorteil: Seine eh schon fantastische Stimme, rückt noch intensiver in den Vordergrund, teilweise kommen sogar Assoziationen mit Charismatikern wie Jackson Browne, Billy Joel, Ray Charles, Bruce Hornsby, sogar Frank Sinatra („Fix A Heart“, „Paris Illinois“) bis hin zu Phil Vassar, Radney Foster oder Pat Green (diese Scheibe erinnert mich z. B. sehr an seine „Songs We Wished We’d Written“-Sachen) aus dem countryesken Bereich auf.

Es macht wenig Sinn hier einzelne Tracks hervorzuheben, auch wenn ich nicht verhehlen möchte, dass das southern-soulige „Magnolia“, „When I Die“ (ABB-„Melissa“-Note“) und „Gabrielle“ (mit schöner pettyesken Akustikgitarren-Zwischenenhook), sicherlich zu meinen Favoriten zählen.

Brett Eldredges „Sunday Drive“ eignet sich gewiss nicht nur für ‚Sonntagsfahrer‘. Eigentlich kann man die CD bei nahezu jeder Gelegenheit als perfekte Hintergrundmusik nutzen, bei der sowohl schön entspannt, allerdings gerne auch intensiv zugehört werden darf. Tolle Scheibe, der neue Stil passt zu Brett Eldredge!

Warner Music (2020)
Stil: New Country

01. Where The Heart Is
02. The One You Need
03. Magnolia
04. Crowd My Mind
05. Good Day
06. Fall For Me
07. Sunday Drive
08. When I Die
09. Gabrielle
10. Fix A Heart
11. Then You Do
12. Paris Illinois

Brett Eldredge
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Oktober Promotion

Gabby Barrett – Goldmine – CD-Review

cover Gabby Barrett - Goldmine_300

Ob die recht häufig vorkommenden Doppelkonsonanten in Gabby Barretts Namen, Warner Music dazu animiert haben, eine Zweifach-Vermarkungsstrategie aus Country und Pop, mit der American Idol-Top3-Finalistin zu fahren, mag wohl eher unwahrscheinlich sein. Das Prinzip der Gewinnmaximierung liegt nun mal in der Natur eines fast jeden Großkonzerns.

Die Protagonistin hat allerdings auch eine so hervorragende und variable Stimme, dass sie sogar darüber hinaus, bis in Southern- oder auch Melodic Rock-Gefilde problemlos kompatibel wäre, wie es Stücke der Marke „Jesus And My Mama“ (da braucht sie sich wahrlich nicht hinter einer Dale Krantz verstecken) oder „Goldmine“ (da lassen Lita Ford, Lee Aaron oder Robin Beck grüßen), eindrucksvoll darlegen.

Dass es ihr auch nicht an Selbstbewusstsein zu mangeln scheint (wer steigt schon beim Debüt in jungen Jahren auf dem Cover direkt in einen goldenen Anzug?) und sie oben drauf vielversprechende kompositorische Fähigkeiten besitzt (Gabby hat bis auf zwei Tracks hier alle mitgeschrieben), macht sie zu einem echten Goldstück für das Label.

Mit dem Opener „I Hope“, den es am Ende noch mal im Duett mit Popsänger Charlie Puth gibt, hat sie auf jeden Fall direkt einen doppelten Paukenschlag gesetzt: mehr als 10 Millionen Streams in einer Woche, dazu die erste Debüt-Single einer Künstlerin in den US-Country-Radiocharts seit 2017, die Nr. 1 erreicht hat.

„Thank God“ und „Jesus And My Mama“ werden vermutlich, wie die Titel es schon suggerieren, zudem auch bei der in den USA nicht unwichtigen Christian-Musik-Gemeinde punkten können. Gleiches gilt textlich für „Got Me“.

Das von Russ Copperman produzierte Album setzt natürlich überwiegend auf poppigen modernen Charakter (Drum-Loops, dezent akzentuierte Synthies, chorale Harmoniegesänge, typische Powerrefrains, R&B-Noten), Vergleiche auch allein schon wegen wegen des Aussehens, mit Carrie Underwood, kommen unausweichlich in den Sinn. Bei manchen Tracks näselt sie sogar wie die gute Shania Twain („Write It On My Heart“, „You’re The Only Reason“, „Hall Of Fame“), in ihren besten Zeiten.

Für die Countrynote (z, B. bei „Hall Of Fame“ und „Rose Needs A Jack“), sorgen der sporadische Einsatz von Mandoline, Banjo und Steel. Stark auf diesem Album auch American Idol-Kollege und frischgebackener Ehemann Barretts, Cade Foehner, der hier einige tolle E-Gitarren-Soli ablässt, die in aller feinster Dann Huff-Manier klingen. Absolutes Highlight ist der stampfige Southern Rocker „Jesus And My Mama“.

Insgesamt eine überzeugende Leistung von Gabby Barrett, die hier erstmal eindrucksvoll zeigt, was sie gesanglich so alles drauf hat. Die Musik geht schön ins Ohr, trotz des überwiegenden Popanteils, deutlich angenehmer zu hören, als viele ihrer Kollegen, die ebenfalls in beiden Gefilden wildern.

Die ersten Goldbarren dürften mit „Goldmine“ für Warner eingefahren sein, ob es für eine ganze Goldgrube, in der noch weiterhin ordentlich geschürft werden kann, reichen wird, muss die Zeit noch zeigen. Die Anlagen sind bei Gabby Barrett in jedem Fall vorhanden! Klasse Debüt!

Warner Music (2020)
Stil: New Country Pop

Tracklist:
01. I Hope
02. Thank God
03. Write It On My Heart
04. Footprints On The Moon
05. You’re The Only Reason
06. Goldmine
07. The Good Ones
08. Jesus And My Mama
09. Hall Of Fame
10. Got Me (feat. Shane Shane)
11. Rose Needs A Jack
12. Strong
13. I Hope (feat. Charlie Puth)

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Christopher Griffiths – Midlife Pop Crisis – EP-Review

Griff

So langsam schlägt die Corona-Geschichte auch bei mir auf’s Gemüt. Neben dem Tod der Mutter vor einigen Wochen, einigen sehr schlimmen gesundheitlichen Dingen im privaten Umfeld, läuft hauptberuflich, aufgrund der Tatsache, dass meine Firma überwiegend ihr Geld (somit auch ich) mit der Vermarktung von Messemedien verdient, außer ein bisschen Home-Office, so gut wie gar nichts. Auf diesem Gebiet ist es noch völlig ungewiss, wann da wieder Messen von Rang wieder stattfinden, im Moment wird eine nach der anderen abgesagt oder bestenfalls ins nächste Jahr verschoben.

Ich will jetzt noch nicht klagen, im Moment kann ich mich mit dem wohl erarbeiteten Kurzarbeitergeld, noch ohne nennenswerte Einschränkungen über Wasser halten. Ein Lichtblick, dass ich jetzt dadurch die Gelegenheit habe, mit unserem über 16 Jahre alten Labrador Django, noch eine viel intensivere Zeit zu verbringen. Trotzdem fehlen einem doch mittlerweile die vielen Begegnungen und Gespräche, die man sonst mit anderen Menschen hatte. Und da wären wir dann auch beim Musikbusiness.

In dieser Hinsicht geht ja bekanntlich auch bei uns, außer ein paar Alben-Reviews und Bewegen in sozialen Netzwerken, ebenfalls recht wenig. Vor allem die Konzertbesuche, die immer ein schöner Ausgleich waren, vermisst man immens.

Auch hier hofft man inständig, dass die Politik endlich das Umfeld aus Clubbesitzern, Musikern, Veranstaltern, Agenturen, Labels etc. nennenswert unterstützt und passable Lösungen für ein Fortbestehen der Szene bietet. Allerdings wird einem da Angst und Bange. Oder kann sich jemand etwa vorstellen, dass beispielsweise ein gelackter Karrierist wie unser Gesundheitsminister Jens Spahn oder ein Karnevalsjeck der Marke Armin Laschet, jemals einen unserer geliebten Rockmusikclubs von innen gesehen haben?

Und auch mein Lieblingsverein Rot-Weiss Essen wird wegen des vorzeitigen Saisonabbruchs wieder nicht aufsteigen! Gründe also genug, um schnurstracks in eine Midlife-Crisis hineinzuschliddern.

Gefreut habe ich mich neulich aber über eine E-Mail von der Agentur Kaylor Girl Promotions, zu der ich sporadisch immer mal wieder sehr netten Kontakt in Sachen der Band Sister Hazel habe. Deren Chefin Mary Ann Kaylor, bat mich doch ein paar Gedanken über den Musiker Christopher Griffiths nieder zu schreiben, der mit „Midlife Pop Crisis“ jetzt als Debüt, eine 4-Song-EP veröffentlicht. Dem möchte ich hiermit natürlich gerne nachkommen.

Griffiths lebt in Nashville und hat diese Tracks während einer Corona-bedingten Quarantäne in seinem heimischen Schlafzimmer kreiert und eingespielt. „I wanted to do something fun and danceable. But all I had was my guitar, bass, Moog, and laptop,“ so der Protagonist zu seinem Werk. Aus ganzen 35 Tracks ist dann letztendlich ein Quartett übrig geblieben.

Als Referenzen hat der Multiinstrumentalist bisher einen Juno-Award für seine Songwriting-Beteiligung auf Crystal Shawandas „Just Like You“ und das Mitwirken als Bassist auf Will HogesMy American Dream“ und auch dem in Kürze folgenden „Tiny Little Movies“ (Besprechung demnächst im SoS) vorzuweisen.

Wer jetzt hofft, die vier auserkorenen Stücke gingen in Richtung der beiden zuvor erwähnten Künstler und deren Art Musik zu machen, kann sich das ganz schnell abschminken. Griffiths hat hier eine lupenreine, überwiegend fröhlich powernde Pop-EP kreiert (Andy Frasco fällt mir spontan als Anhaltspunkt im weitesten Sinne ein), wo fiepende Synthies und Drum-Loops den Takt vorgeben. Alle Stücke sind melodisch und tanzbar, selbst das einzig langsamere Lied „Painted Smile“ ist dann für eine Art Bewegung in Trance-ähnlicher Manier geeignet.

Dass Christopher sicherlich auch ganz anders kann (und sich persönlich auf kein Genre festgelegt sieht), deutet er zwischenzeitlich immer mal an, wenn er mit der E-Gitarre dazwischen shuffelt oder wie beim Opener „Dream My Adidas“ seinem Paradeinstrument, dem Bass, mal zu stärkerer Aufmerksamkeit verhilft. Klasse hier sein verspieltes Gezupfe zum Ausklang der Nummer.

Die vier Songs kann man sich bei Bedarf auf Christopher Griffiths‘ Homepage vollständig anhören. Ob sie dann erfolgreich als Mittel gegen eine Midlife-Crisis eingesetzt werden können, oder lediglich zu Aufbesserung der Laune oder wie auch immer dienen, muss jeder für sich selbst beurteilen…

Eigenproduktion (2020)
Stil: Pop

01. Dream My Adidas
02. Incredible Lie
03. Painted Smile
04. Without A Beat

Christopher Griffiths
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