Jason Isbell And The 400 Unit – Live From The Ryman, Vol. 2 – CD-Review

Review: Michael Segets

Nach ein paar Begrüßungsworten, die Jason Isbell an das Publikum seiner fünfzigsten Show im Ryman Auditorium, Nashville, richtet, startet das Album mit „Save The World“. Es stammt wie das anschließende, mit einer langen von Sadler Vaden an der elektrischen Gitarre dominierten Instrumentalpassage versehene „King Of Oklahoma“ von seinem letzten Longplayer „Weathervanes“ (2023). Das mit zwei Grammys dekorierte Werk steht neben „Reunions“ (2020) im Zentrum des Doppelalbums.

Meine jeweiligen Favoriten – „It Gets Easier“ und „Death Wish“ – der beiden Longplayer tauchen nicht auf, ansonsten gibt es an der Songauswahl wenig zu bemängeln. Von „Reunions“ wählte Isbell die rockigsten Tracks („Overseas”, „Running With Our Eyes Closed“). Darüber hinaus ist das Album mit der Ballade „Only Children“ vertreten., die auch live auf der ganzen Linie überzeugt. Im Vergleich mit der Studioversion erscheint „River“ etwas schwächer. Hier macht sich das Fehlen von Amanda Shires mit ihrer Geige besonders bemerkbar. Mit „Dreamsicle” gibt es noch einen fünften Beitrag, der sich ursprünglich auf der 2020er Veröffentlichung findet.

Neben den beiden bereits erwähnten Songs greift Isbell auf sechs weitere von „Weathervanes“ zurück. Dabei darf das preisgekrönte „Cast Iron Skillet” natürlich nicht fehlen. Zusammen mit dem unmittelbar ins Ohr gehenden „Strawberry Woman” gehört es zu den ruhigeren Titeln, bei denen die akustische Gitarre den führenden Part übernimmt. Daneben kommen auch Stücke mit einem voluminöseren Sound zu Gehör. „Miles“ oder „This Ain’t It”, mit dem Isbell And The 400 Unit den Abschluss des Longplayers über neun Minuten hinweg zelebrieren, sind hier zu nennen. Zuvor lässt es die Band bei „When We Were Close“ mal richtig scheppern. Die Bühnen-Performance des Songs klingt etwas erdiger und unmittelbarer als die Studioversion, was für Live-Mitschnitte ja nicht ungewöhnlich ist. So oder so bleibt er ein starker Titel.

Es gibt keine Überschneidungen mit Tracks von seiner ersten „Live From The Ryman“ aus dem Jahr 2018. Das einzige ältere Stück von Isbell ist „The Last Song I Will Write“. Weiterhin covert Isbell „Room At The Top“. Ihm gelingt dabei eine gefühlvolle Hommage an Tom Petty, bei der er das Original in seinem eigenen Stil interpretiert.

Die Cover-Gestaltung des zweiten Albums aus dem Ryman Auditorium ist eng an die des ersten angelehnt und schafft so auch optisch eine Verbindung der beiden Werke. Vielleicht folgt in den nächsten Jahren ja noch eine dritte Veröffentlichung. Für Oktober sind bereits weitere Auftritte in dieser Location angesetzt.

Die neuen Aufnahmen aus dem Ryman widmen sich Titeln der Alben „Reunions“ und „Weathervanes“ mit einer ausgewogenen Mischung von Americana und Roots Rock. Dadurch, dass Amanda Shires mit ihrer Geige anders als auf „Vol. 1“ nicht mit von der Partie ist, unterscheiden sich manche Stücke nicht nur von den Studioaufnahmen, sondern auch die Soundatmosphäre des Liveauftritts ändert sich an einigen Stellen. Ungeachtet dessen, präsentieren Jason Isbell And The 400 Unit die aktuelleren, fast druchgängig starken Songs in gewohnt souveräner Art.

Southeastern Records – Thirty Tigers/Membran (2024)
Stil: Rock, Americana, Roots Rock

Tracks:
01. Save The World
02. King Of Oklahoma
03. Only Children
04. Overseas
05. Dreamsicle
06. Running With Our Eyes Closed
07. Middle Of The Morning
08. The Last Song I Will Write
09. Strawberry Woman
10. Cast Iron Skillet
11. Miles
12. River
13. When We Were Close
14. Room At The Top
15. This Ain’t It

Jason Isbell
Jason Isbell bei Facebook
Thirty Tigers
Oktober Promotion

Jason Isbell And The 400 Unit – Weathervanes – CD-Review

Review: Michael Segets

Nach dem Coveralbum „Georgia Blue” (2021) präsentiert Jason Isbell neues Material aus eigener Feder, das es in sich hat. Wie bei „The Nashville Sound“ (2017) und „Reunions“ (2020), die Jason Isbell zusammen mit seiner Band The 400 Unit einspielte, überschlagen sich die positiven Kritiken zum neuen Album „Weathervanes“. Diese sind durchaus begründet.

Das bereits vorab herausgegebene „Death Wish“ ist ein hammermäßiger Song, dessen Intensität von keinem anderen Track auf dem Werk erreicht wird. Dennoch liefern Jason Isbell And The 400 Unit durchgängig bemerkenswerte Songs ab, sodass der Longplayer insgesamt als ein neuer Meilenstein in der Bandgeschichte gelten kann. The 400 Unit sind weiterhin Sadler Vaden, Derry deBorja, Jimbo Hart und Chad Gamble. Amanda Shires wird in den Credits nicht mehr als Bandmitglied, sondern lediglich als Special Guest geführt. Warum sich ihr Status geändert hat, entzieht sich meiner Kenntnis.

Shires Geigenspiel ist weiterhin auf dem Album präsent („King Of Oklahoma“, „If You Insist“). Vor allem bei „Cast Iron Skillet“ harmoniert die Violine mit dem Akkordeon von deBorja hervorragend. Hauptdarsteller auf den Songs ist jedoch Isbells Gesang, der auch tontechnisch vor den Instrumenten liegt. Der Frontmann setzt seine Stimme, bei der häufig eine innere Zerrissenheit mitschwingt, in seiner typischen, expressiven Weise ein. Aber auch wenn er ruhige und melodiöse Töne anstimmt, entfaltet sie ihre Wirkung. Auf „Middle Of The Morning“ kombiniert er beide Facetten seiner Sangeskünste.

Neben semi-akustischen Tracks wie „White Beretta“ und dem wunderbaren „Strawberry Woman“, bei dem Mickey Raphael für die Mundharmonika als Gast in die Blackbird Studios eingeflogen wurde, finden sich auch einige Rockstücke. Auf dem stärksten Rocker der Scheibe „When We Were Close” nutzt Vaden die Gelegenheit härtere Riffs anzuschlagen. Filigrane Gitarrensoli steuert er zum dynamischen „This Ain’t It” bei.

Längere Instrumentalpassagen verzeichnet die siebenminütige Hymne „Miles”. Sie verströmt den Charme der Seventies und beschließt das Album. Zwischen den Americana- und Rock-Beiträgen unternimmt „Vestavia Hills“ einen Ausflug in Country-Gefilde. Etwas Slide und gelungene Gitarrenparts zeichnen den Track aus. „Weathervanes“ bietet so durchaus Abwechslung ohne von der musikalischen Linie, für die Isbell bekannt ist, abzuweichen.

Die Texte haben Tiefgang. Isbell kennt sich mit Krisen aus, die Kindheit, Beziehungen und Erkrankungen mit sich bringen können. In seinen Lyrics scheint immer etwas von seinen eigenen Erfahrungen durch. Der Blick in die Vergangenheit verklärt diese stets. Als Gegenmodell zu den „Glory Days“, wie sie beispielsweise Bruce Springsteen besingt, legt Isebell den Focus auf die früheren Belastungen und geführten Auseinandersetzungen, die bis in die Gegenwart hineinwirken. Der Wunsch, die ermüdenden Kämpfe hinter sich zu lassen, und die Vergeblichkeit des Versuchs, ihnen zu entgehen, bringt der Songwriter in „Volunteer” ungeschönt zum Ausdruck. Ein bewegendes Stück, das Isbells und Shires‘ Gesang kongenial in Szene setzt.

Einen persönlichen Einblick in sein Leben und seine musikalische Entwicklung dokumentiert „Jason Isbell: Running With Our Eyes Closed“. Der von Regisseur Sam Jones gedrehte Film entstand im Zusammenhang mit der Veröffentlichung von „Reunions“ und ist seit zwei Monaten auf HBO Max zu sehen. „Reunions“, das eine Top-Ten-Plazierung und Spitzenplätze in den einschlägigen Sparten-Charts erreichte, lässt diesbezüglich kaum Steigerungen zu. „Weathervanes“ spielt jedoch in einer anderen Liga und hat das Zeug, sich zum Klassiker zu entwickeln.

„Weathervanes“ ist ein großes Album, mit dem Jason Isbell über sich hinauswächst. Mit The 400 Unit und Amanda Shires im Rücken legt er ein tiefgründiges, musikalisch überzeugendes Werk vor, das seine früheren Veröffentlichungen – mindestens die der letzten fünf Jahre – in den Schatten stellt.

Southeastern Records – Thirty Tigers/Membran (2023)
Stil: Rock, Americana

Tracks:

01. Death Wish
02. King of Oklahoma
03. Strawberry Woman
04. Middle Of The Morning
05. Save The World
06. If You Insist
07. Cast Iron Skillet
08. When We Were Close
09. Volunteer
10. Vestavia Hills
11. White Beretta
12. This Ain’t It
13. Miles

Jason Isbell
Jason Isbell bei Facebook
Thirty Tigers
Oktober Promotion

Drayton Farley – Twenty On High – CD-Review

Review: Michael Segets

„Twenty On High“ hat seine Gänsehautmomente. Die sind vor allem Farleys Gesang geschuldet, der an manchen Stellen brüchig oder verletzlich wirkt und so pures Gefühl transportiert. Drayton Farley zählt zu einer neuen Generation von Songwritern, die einen frischen Wind in die Americana-Szene bringen. Ich denke da beispielsweise an die Kollegen Ian Noe, Arlo McKinley oder Vincent Neil Emerson. Farley tourte bereits mit Nikki Lane und promotet sein neues Album unter anderem mit Wiskey Myers, Lukas Nelson & Promise Of The Real sowie 49 Winchester.

Farleys vierter Longplayer mit zehn Eigenkompositionen erscheint auf seinem eigenen Label Hargrove Records. Als Produzenten konnte er Sadler Vaden (Jason Isbell And The 400 Unit) und für die Tontechnik Matt Ross-Spang (Lucero) gewinnen. „Twenty On High“ ist Farleys erstes Album, das er mit kompletter Bandbesetzung einspielte. Die Band gibt meinem Favoriten und zugleich der ersten Auskopplung „Norfolk Blues“ dann auch einen kräftigen Drive mit.

Die anderen Stücke sind ruhiger und lassen den Melodien Raum. Der Titeltrack oder auch der Opener „Stop The Cloud“ sind eingängige und stimmungsvolle Songs im Midtempo. „Above My Head“ wirkt zunächst etwas zahm, hat aber im hinteren Teil seine dynamischen Momente. Eine besondere Intensität entwickeln „Wasted Youth“ durch das Slide-Gitarrenspiel sowie „How To Feel Again“, das zwischen semi-akustischen und opulent arrangierten Parts wechselt. Die Ausflüge, die Farley in Richtung Country mit „Something Wrong (Inside My Head)“ und mit „Devil’s In NOLA“ unternimmt, bewegen sich in bekannten Bahnen und nehmen mich nicht so mit.

Bei den beiden Balladen am Ende des Albums scheint dann aber wieder seine Klasse als Songwriter auf. Katie Crutchfield (Waxahatchee) unterstützt Farley gesanglich auf „The Alabama Moon“. Hier sorgen Klavier und Geige für eine atmosphärische Untermalung. Beim abschließenden „All My Yesterdays Have Passed“ konzentriert sich die Begleitung auf die akustische Gitarre. Die Musik soll nach Farleys Vorstellung den Texten dienen. Über diese gibt er seiner Gefühls- und Gedankenwelt Ausdruck. Die persönlichen Einblicke, die er gewährt, wirken authentisch und sind manchmal mit einer Prise humorvoller Distanz gewürzt.

Drayton Farley hofft, dass ihm mit „Twenty On High” der Durchbruch gelingt. Es wäre ihm zu wünschen. Als Sänger mit eindringlicher Stimme und als Songwriter, der etwas zu erzählen hat, liefert er eine beachtenswerte Scheibe ab, die einige großartige Momente bereithält.

Hargrove Records – Thirty Tigers/Membran (2023)
Stil: Americana

Tracks:
01. Stop The Cloud
02. Norfolk Blues
03. Wasted Youth
04. Above My Head
05. Twenty On High
06. Something Wrong (Inside My Head)
07. Devil’s In NOLA
08. How To Feel Again
09. The Alabama Moon
10. All My Yesterdays Have Passed

Drayton Farley
Drayton Farley bei Facebook
Thirty Tigers
Oktober Promotion

Jason Isbell And The 400 Unit – Georgia Blue – CD-Review

Review: Michael Segets

Jason Isbell And The 400 Unit geben mit dem Titel „Georgia Blue” ein politisches Statement ab, ohne dass sich die Songs um Politik drehen würden. Aus Freude vor dem knappen Wahlsieg der Demokraten – deren Farbe Blau ist – in Georgia nahm Isbell ein musikalisches Projekt in Angriff, das ihn schon längere Zeit umtrieb. Obwohl Isbell in Alabama geboren wurde und in Tennessee lebt, steht ihm die Musik aus Georgia besonders nah. Auf dem Coveralbum würdigen er und seine Band Künstler unterschiedlicher Couleur, die in dem Bundesstaat beheimatet sind beziehungsweise waren. Herausgekommen ist ein Potpourrie unterschiedlicher musikalischer Stile, das durch die Vielzahl an Gastmusikerinnen, die den Leadgesang übernehmen, zusätzlich an Farbe gewinnt.

Jason Isbell And The 400 Unit bestreiten lediglich fünf Songs ohne weitere Unterstützung. Die Stücke „I’ve Been Loving You Too Long” von Soul-Legende Otis Redding, „Reverse” von der weniger bekannten Indie-Band Now It’s Overhead und „I’m Through”, das Vic Chestnutt geschrieben hat, präsentieren sie in der üblichen Rollenverteilung. Isbells Ehefrau Amanda Shires übernimmt beim psychodelisch angehauchten „Cross Bones Style“ den Gesang, Gitarrist Sadler Vaden steht bei dem kräftig rockenden „Honeysuckle Blue“ im Rampenlicht.

Der Song, der im Original von Drivin‘ N‘ Cryin‘ stammt, stellt neben dem Black-Crowes-Cover „Sometimes Salvation“ meinen Favorit auf dem Album dar. Die Version des Klassikers von James Browne „It’s A Man’s, Man’s, Man’s World“ kann zusätzlich auf der Habenseite verbucht werden. Ebenso wie bei „Midnight Train To Georgia” ist Brittney Spencer dort am Mikro. Neben Spencer wurden drei weitere Gastsängerinnen für das Georgia-Tribute-Werk gewonnen: Adia Victoria („The Truth“), Brandi Carlile und Julien Baker („Kid Fears“).

Jason Isbell And The 400 Unit berücksichtigen in ihrer Auswahl The Allman Brothers Band und – mit zwei Titeln vertreten – R.E.M. Beim über zwölfminütigen Instrumentalstück „In Memory Of Elizabeth Reed“ wirkt Peter Levin, der eher in der Jazz-Ecke angesiedelte Keyboarder, mit. Die R.E.M.-Stücke bilden den Auftakt und Abschluss des Longplayers. Mit „Nightswimming” steigt er ruhig und akustisch ein. Das flottere „Driver 8” sorgt für seinen gelungenen Ausklang.

Die persönliche Auswahl der Cover auf „Georgia Blue“ zeigt zum einen die Vielfalt der musikalischen Einflüsse, die Jason Isbell And The 400 Unit inspirieren. Es sind Blues, Soul und diverse Spielarten des Rock – von Indie bis Southern – vertreten. Auf der anderen Seite ist das Konzept so offen, dass der Longplayer droht, seine Linie zu verlieren. Unterstützt wird dieser Eindruck durch den wechselnden Leadgesang. Insgesamt erscheint er daher eher als eine Compilation zur Abbildung der Musikszene Georgias als ein Isbell-Album. Aber bei dem angebotenen musikalischen Spektrum wird fast jede Geschmacksrichtung gelegentlich bedient und vielleicht gewinnen Jason Isbell And The 400 Unit so neue Hörer hinzu.

Eine neue Veröffentlichungspolitik einiger Labels, die seit diesem Jahr verstärkt zu beobachten ist, verwundert. Die Herausgabe als CD und/oder LP erfolgt in mehreren Fällen deutlich später als die in digitaler Form. So sind die Hardcopies für „Georgia Blue“ erst für den 26.11.2021 angekündigt. Positiv zu verzeichnen ist hingegen, dass die Erlöse von „Georgia Blue“ an Black Voters Matter, Georgia Stand Up und Fair Fight gehen.

Southeastern Records – Thirty Tigers/Membran (2021)
Stil: Rock and more

Tracks:
01. Nightswimming (feat. Bèla Fleck and Chris Thile)
02. Honeysuckle Blue (feat. Sadler Vaden)
03. It’s A Man’s, Man’s, Man’s World (feat. Brittney Spencer)
04. Cross Bones Style (feat. Amanda Shires)
05. The Truth (feat. Adia Victoria)
06. I’ve Been Loving You Too Long
07. Sometimes Salvation (feat. Steve Gorman)
08. Kid Fears (feat. Brandi Carlile and Julien Baker)
09. Reverse
10. Midnight Train To Georgia (feat. Brittney Spencer and John Paul White)
11. In Memory Of Elizabeth Reed (feat. Peter Levin)
12. I’m Through
13. Driver 8 (feat. John Paul White)

Jason Isbell
Jason Isbell bei Facebook
Thirty Tigers
Oktober Promotion

Reckless Kelly – American Jackpot / American Girls – CD-Review

ReckJack_300

Review: Michael Segets

Für Freunde des Southern Way of Music ist der diesjährige Mai tatsächlich ein Wonnemonat, in dem sich einige alte Bekannte zurückmelden. Nach American Aquarium, Jason Isbell & The 400 Unit, Robert Jon & The Wreck sowie Steve Earle & The Dukes gibt nun auch Reckless Kelly ein Lebenszeichen von sich – und das direkt im Doppelpack.

Vergangenes Jahr erschien zwar das digitale Live-Album „Bulletproof Live“, doch das letzte Studiomaterial wurde vor fast vier Jahren auf „Sunset Motel“ veröffentlicht. Es war also wieder Zeit, ein Studio anzumieten. Willy Braun, der zusammen mit seinem älteren Bruder Cody und dem Schlagzeuger Jay Nazz Reckless Kelly 1996 gründete, übernahm die Rolle des Produzenten und „American Jackpot“ wurde zügig und deutlich schneller eingespielt als zuvor kalkuliert. Die übrige gebuchte Studiozeit nutzte die Band, um zusätzlich „American Girls“ unter Dach und Fach zu bringen.

Während „American Jackpot“ einen homogenen und durchkonzeptionierten Eindruck erweckt, punktet „American Girls“ mit stilistischer Varianz und rockigeren Tönen. Die Stücke auf beiden Scheiben überzeugen schon beim ersten Durchlauf, legen aber beim mehrmaligen Hören noch weiter zu.

Willy Braun wollte ein Album machen, dass die Verbundenheit mit seinem Heimatland einfängt. Dieses Vorhaben setzt er mit „American Jackpot“ um, ohne übermäßig politisch oder plakativ zu sein. Indem er sich aber gegen Anti-Immigrations-Parolen wendet, scheint aber doch etwas Sozialkritik durch.
Dabei ließ er sich durch das Gedicht „The New Colossus“ von Emma Lazarus inspirieren, das in den Sockel der Freiheitsstatur eingraviert ist.

Auf „North American Jackpot“ und „Goodbye Colorado“ verarbeitet er diese Anregung. Die beiden Titel bilden den Auftakt und Abschluss der ersten CD. Vor allem der letztgenannte glänzt durch seine Kombination von Piano und Mandoline, die von Cody Braun gespielt wird.

Die Stimmung unterschiedlicher Landschaften ihres Heimatlandes thematisiert die aus Idaho stammende Band auf „Thinkin‘ ‘Bout You All Night“. Ein Stück amerikanischer Geschichte lassen Reckless Kelly bei „Grandpa Was A Jack Of All Trades“ vorbeiziehen, wobei durch den Slide ein Hauch von Country mitschwingt.

Für einzelne Gesangsparts haben Willy und Cody Braun ihren Vater Muzzie und für die Mundharmonika ihren Onkel Gary engagiert. Dass der Familie Braun die Musik im Blut liegt, beweisen auch die beiden jüngeren Brüder Micky und Gary, die als Micky And The Motorcars unterwegs sind.

Meine Favoriten auf „American Jukebox“ sind die Hommage an Tom Petty „Tom Was A Friend Of Mine“ und die Balladen „Put On Your Brave Face Mary“ sowie „42“, das Bukka Allen mit einer Ballpark-Orgel begleitet. Richtig Spaß macht auch der Good Old Rock’n Roll „Mona“, bei dem Bob Seger grüßen lässt.

Ein rockiger Rhythmus, für den neben Drummer Jay Nazz Bassist Joe Miller verantwortlich zeichnen, treibt „Company Of Kings“. Elektrische Gitarre und die von Eleanor Whitmore (Steve Earle &The Dukes) arrangierten Geigen sind hier miteinander verwoben und ergänzen sich auf originelle Weise. In den Folk-Rocker „Another New Year’s Day“ bauen Reckless Kelly die Melodie des Silvesterklassikers „Auld Lang Syne“ („Nehmt Abschied, Brüder“) ein und zeigen so ein weiteres Mal ihre Kreativität.

„American Jackpot“ bringt das Kunststück fertig, ein harmonische Gesamtbild zu entwerfen und dennoch musikalisch abwechslungsreich zu sein. Während der Sound auf dieser CD durchgängig erdig ausgerichtet ist, wird er auf „American Girls“ stellenweise opulenter – so auf dem Titeltrack, der in den Gitarrenpassagen an die frühen REM erinnert, oder „Miss Marissa“.

Auch der Opener „I Only See You With My Eyes Closed“ klingt voll, nicht zuletzt durch die zusätzliche Gitarre von Charlie Sexton (Bob Dylan, Arc Angels, Ryan Bingham). An dem Song hat ebenso wie an „Lonesome On My Own“ Jeff Crosby mitgeschrieben.

Wie bereits erwähnt, zeigen Reckless Kelly ihre rockigere Seite auf „American Girls“. Diese reicht vom Roots Rock („All Over Again (Break Up Blues)“) über Heartland (“Don’t Give Up On Love”) bis zum Tex Mex (“Lost Inside The Groove”). Der Tex-Mex-Titel führt die Tradition von Doug Sahm (Texas Tornados) fort, was nicht verwundert, wenn man weiß, dass der Anstoß für den Song von dessen Sohn Shawn kam.

Mit dem starken „No Dancing in Bristol“ greifen Reckless Kelly auf den Irish Folk zurück. Das Duett „Anyplace Is Wild“ zwischen Willy Braun und Suzy Boggus könnte als Soundtrack zu einem Western dienen und zählt zu den Highlights der zweiten CD. Ein amüsantes Detail bei ihm ist, dass die Musiker mit Sporen stampften, um den Klang eines Tamburins zu erhalten. Das bunte Potpourri auf „American Girls“ rundet das ruhige „My Home Is Where Your Heart Is“ ab.

Den beiden Scheiben des Doppelalbums jeweils einen eigenen Titel zu geben, ist gut nachvollziehbar. „American Jackpot“ ist eine stimmige und stimmungsvolle Sache geworden, bei „American Girls“ überwiegt die Freude am Rock und der Roots Music, mit welcher sich Reckless Kelly von einem engen konzeptionellen Rahmen lösen. Die gemeinsame Veröffentlichung entbindet von der Entscheidung, wonach einem mehr der Sinn steht, denn beide Longplayer haben für sich genommen Klasse. Mit dem Doppelschlag erinnern Reckless Kelly daran, dass sie ganz vorne im Roots-Rock-Regal stehen sollten.

No Big Deal Records/ThirtyTigers-Membran (2020)
Stil: Roots Rock

Tracks:
American Jackpot
01. North American Jackpot
02. Thinkin‘ ‚Bout You All Night
03. Tom Was A Friend Of Mine
04. 42
05. Mona
06. Another New Year’s Day
07. Grandpa Was A Jack Of All Trades
08. Put On Your Brave Face Mary
09. Company Of Kings
10. Goodbye Colorado

American Girls
01. I Only See You With My Eyes Closed
02. American Girls
03. All Over Again (Break Up Blues)
04. Miss Marissa
05. Lonesome On My Own
06. Anyplace That’s Wild
07. Lost Inside The Groove
08. No Dancing In Bristol
09. Don’t Give Up On Love
10. My Home Is Where Your Heart Is

Reckless Kelly
Reckless Kelly bei Facebook
Thirty Tigers
Oktober Promotion

Jason Isbell And The 400 Unit – Reunions – CD-Review

Jasis_300

Review: Michael Segets

Drei Jahre sind seit dem letzten Studioalbum „The Nashville Sound“ von Jason Isbell And The 400 Unit ins Land gegangen. In der Zwischenzeit war Isbell nicht untätig. So erschien der Konzertmitschnitt „Live From The Ryman“ (2018), die CDs „Jason Isbell And The 400 Unit“ sowie „Here We Rest“ wurden remastered und wieder auf den Markt geworfen. Darüber hinaus unterstütze Isbell Todd Snider und Josh Ritter auf ihren aktuellen Alben.

Nun erscheint „Reunions“ mit neuem Songmaterial. Wie für „The Nashville Sound“ und die Produktion der Reissues engagierte er Dave Cobb (Shooter Jennings, Chris Shiflett, Ian Noe, Bonnie Bishop, The Secret Sisters) und begab sich zusammen mit seiner Stammband The 400 Unit wieder in das RCA Studio A in Nashville. Der Titel „Reunions“ erscheint dahingehend passend. Er bezieht sich allerdings nicht auf die Wiedervereinigung mit seinen Kollegen, sondern auf alte, bislang unverarbeiteter Beziehungen.

Diese Geister der Vergangenheit holt Isbell hervor und stellt sich ihnen. Gedanken an vergangene Situationen mit Eltern, Kindern, Freunden und Liebhaberinnen ziehen in den Songs vorbei. Ebenso betrachtet er retroperspektiv seine Gefühlswelt, bevor der Erfolg einsetzte, und spürt dabei der Frage nach, wie er zu der jetzigen Person geworden ist. Insgesamt ist „Reunions“ also ein persönliches Werk geworden, bei dem Isbell die Politik außen vor lässt.

Mit „Reunions“ legt Jason Isbell einen überdurchschnittliche Longplayer vor, auf dem kein Titel abfällt. Um ihn als ganz großen Geniestreich zu bezeichnen, sind die herausragenden Ohrwürmer allerdings etwas zu spärlich gesät. Dies mag daran liegen, dass Isbell selten mit der Wiederholung eingängiger Refrains arbeitet. Eine Ausnahme bildet der Roots Rocker „It Gets Easier“, der sich unmittelbar in die Gehörgänge einbrennt.

Markant ist auch der Opener „What’ve I Done To Help“, bei dessen Refrain ein leichter Hall in der Stimme mitschwingt, der mich seltsamerweise an Simply Red erinnert.

Der Sound auf der CD wirkt voller und instrumental mehrschichtiger als auf früheren Veröffentlichungen. Isbell orientierte sich bei ihm nach eigener Aussage an The Smith und The Cure. Diese Verbindungen hätte ich nicht unbedingt als erstes gezogen. Am ehesten sind Parallelen bei dem dunklen „Be Afraid” zu hören, das zudem mit einem starken Finale punktet.

Die Abmischung von Cobb fängt Isbells Stimme differenziert ein. Der Klang seiner Stimme mag sich auch dadurch leicht verändert haben, dass er mit dem Rauchen aufgehört hat. Wie dem auch sei, beim Gesang präsentiert sich Isbell für seine Verhältnisse sehr variabel.

Dies kommt vor allem auch den langsameren Stücken zugute. Die reduzierte Ballade „St. Peter’s Autograph” gehört dabei ebenso wie das leicht Country-angehauchte „Letting You Go“, das mit stimmungsvoller Begleitung durch Klavier und Geige versehene „River“ sowie „Only Children“ zu den rundum gelungenen Beiträgen auf der Scheibe.

Im Background unterstützen David Crosby und Jay Buchanan (Rival Sons) als Special Guests Jason Isbell And The 400 Unit. Die Band zeigt sich bei der Umsetzung der Songs gewohnt souverän und eingespielt. Besonders hervorzuheben ist die Gitarrenarbeit von Sadler Vaden, der erst kürzlich mit seinem Solowerk „Anybody Out There?“ auf sich aufmerksam machte. Seine elektrische Gitarre setzt bei den rockigeren Stücken wie „Running With Our Eyes Closed“ und besonders bei „Overseas“ wunderbare Akzente.

Mit „Reunions” untermauert der vierfache Grammy-Gewinner seinen Ruf als einer der aktuell interessantesten Songwriter. Mögen die Songs thematisch die Vergangenheit aufarbeiten, führt die Spurensuche doch zu einem leicht veränderten Sound, der eine größere Klangtiefe als die früheren CDs erreicht. Hinsichtlich der Variabilität seines Gesangs legt Isbell ebenfalls deutlich zu.

Das Album stellt insgesamt keine Revolution in der musikalischen Entwicklung von Jason Isbell And The 400 Unit dar, zeigt jedoch einen evolutionären Fortschritt, dem man gerne folgt.

Southeastern Records/Thirty Tigers (2020)
Stil: Americana, Rock

Tracks:
01. What’ve I Done To Help
02. Dreamsicle
03. Only Children
04. Overseas
05. Running With Our Eyes Closed
06. River
07. Be Afraid
08. St. Peter’s Autograph
09. It Gets Easier
10. Letting You Go

Jason Isbell
Jason Isbell bei Facebook
Thirty Tigers
Oktober Promotion

Sadler Vaden – Anybody Out There? – CD-Review

Vaden_300

Review: Michael Segets

Demjenigen, der die Line-Up von Bands aus der SoS-Hemisphäre aufmerksam liest, dürfte der Name Sadler Vaden schon einige Male über den Weg gelaufen sein. Vor allem als Mitglied von The 400 Unit, der Truppe von Jason Isbell, heimste Vaden viel Lob und zwei Grammys ein. 2019 unterstützte er Josh Ritter und Trigger Hippy mit seinem Gitarrenspiel. Seit knapp zehn Jahren bringt Sadler immer wieder mal eigene Songs heraus und veröffentlicht jetzt mit „Anybody Out There?“ sein zweites Album.

Auf diesem bestätigt sich, dass in Sadler im Grunde ein Rock-Herz schlägt. Bereits der Opener „Next To you“ legt entsprechend mit kräftigen Akkorden und stampfendem Schlagzeug los. Ganz im Stil von Tom Petty zelebriert Sadler dort den Heartland Rock. Ebenso könnten manche Gitarrenpassagen auf „Tried And True” von Heartbreaker Mike Campbell stammen.

Ein weiteres gitarrengetriebenes Stück ist „Peace + Harmony“, das Aaron Lee Tasjan mitgeschrieben hat. Einen etwas härteren Gang legt Vaden bei dem titelgebenden „Anybody Out There?“ ein. Nach einem Schlagzeug-Intro offenbart Sadler Shouter-Qualitäten und bearbeitet ausgiebig die Saiten seiner elektrischen Gitarre. Dabei bleibt der Song aber stets melodiös. Die Verbindung von ausdrucksstarken Gitarrenriffs und eingängigen Harmonien bekommt Vaden bei „Good Man“ besonders gut hin.

Neben der rockigen Seite zeigt Vaden auch seine sanfte. Das Midtempo-Stück „Modern Times“ wird von einem Chor und Mellotron begleitet, das langsame „Curtain Call“ von Streichern unterstützt. Die stärkste Ballade auf der Scheibe ist „Be Here, Right Now“ mit energiegeladenen Spannungsbögen und hervorragender Gitarrenarbeit, die in einem längeren Solo gipfelt.

„Don’t Worry“ lädt zum Träumen ein und versprüht Westcoast-Feeling. Dieses schwingt ebenfalls bei dem lockeren „Golden Child“ mit. Der Gute-Laune-Song arbeitet mit einem akzentuierten Rhythmus, der in die Beine geht und diese automatisch wippen lässt.

Sadler Vaden legt mit „Anybody Out There?“ eine ausgewogene CD vor, die von straightem Rock über eingängige Midtempo-Nummern bis hin zu gefühlvollen Balladen die Palette abdeckt, die ein abwechslungsreicher Longplayer bieten sollte. Seine gitarrenorientierten, handgemachten Songs fügen sich zu einer runden Sache zusammen. Vielleicht fehlt ein herausragendes Highlight, aber in Gänze betrachtet bleibt „Anybody Out There?“ ein starkes Album.

Von Sadler Vaden höre ich gerne mehr. So trifft es sich, dass Jason Isbell And The 400 Unit für Mai ein neues Album ankündigt, bei dem er wieder mit von der Partie ist.

Dirty Mag Records/Thirty Tigers (2020)
Stil: Rock/

Tracks:
01. Next To You
02. Don’t Worry
03. Golden Child
04. Anybody Out There?
05. Curtain Call
06. Modern Times
07. Peace + Harmony
08. Good Man
09. Be Here, Right Now
10. Tried And True

Sadler Vaden
Sadler Vaden bei Facebook
Thirty Tigers
Oktober Promotion

Jason Isbell And The 400 Unit – Here We Rest – CD-Review

Isb_300_

Review: Michael Segets

Turnusmäßig brachte Jason Isbell seit 2007 alle zwei Jahre ein Studioalbum heraus. Aktuelles Material scheint derzeit noch nicht in Sicht. Stattdessen veröffentlicht Isbell seine ersten beiden Zusammenarbeiten mit seiner Band The 400 Unit im Doppelschlag erneut. Zum zehnjährigen Jubiläum von „Jason Isbell And The 400 Unit“ und für die Neuausgabe von „Here We Rest“ (2011) holte sich Isbell Grammy-Gewinner Dave Cobb hinzu, der die Tracks remixte und remasterte.

„Here We Rest“ war einen Tick erfolgreicher als das vorangegangene Album. So wurde „Alabama Pines“ 2012 als bester Song mit einem Americana Music Award ausgezeichnet. „Go It Alone“ taucht später in einer Folge von der Fernsehserie „Sons Of Anarchy“ auf.

Im Vergleich zu seinem Album aus dem Jahr 2009 klingt „Here We Rest“ erdiger und weniger voluminös. Jason Isbell geht mit ihm konsequent weiter in die Richtung, die ihm in den folgenden Jahren mit „Southeastern“ (2013), „Something More Than Free“ (2015) sowie „The Nashville Sound“ (2017) den Durchbruch bescherte.

Die Tracklist von „Here We Rest“ ist identisch geblieben. Bei den Änderungen der einzelnen Songs handelt es sich um – soweit ich die ursprünglichen Versionen hören konnte – eher um Nuancen. The 400 Unit spielt auf dem Album noch in ursprünglicher Bandbesetzung. Mittlerweile hat Sadler Vaden Browan Lollar an der Gitarre abgelöst.

Americana-Balladen sind Isbells Spezialität. „We’ve Met“, „Stopping By“, das akustisch gehaltene „Daisy Mae“ und das sehr getragenen „Save It For Sunday“ sind solche charakteristischen Songs. Das andere Ende von Isbells musikalischer Bandbreite markiert „Never Could Believe“ – ein Rock ’n Roll in guter alter Machart. Eine sommerliche, locker flockige und leicht poppige Nummer schiebt Isbell mit „Heart On A String“ ein.

Seine Affinität zum Country lebt Isbell bei dem gelungenen „Tour Of Duty” und dem Highlight der Platte „Codeine“ aus. Amanda Shires (The Highwomen) glänzt hier mit ihrer Geige und zusammen mit Abby Owens beim Harmoniegesang. Derry DeBorja gibt bei dem Walzer „The Ballad Of Nobeard” ein kurzes Intermezzo am Akkordeon.

Auch acht Jahre nach der Erstveröffentlichung ist „Here We Rest“ immer noch ein hörenswertes Album, was für die Qualität von Jason Isbell als Songwriter spricht. Mit „Alabama Pines“ und „Codeine“ sind zwei zeitlose Songs vertreten, die zu Recht zu den Fan-Favoriten zählen.

Southeastern Records/Thirty Tigers (2019)
Stil: Americana

Tracks:
01. Alabama Pines
02. Go It Alone
03. We’ve Met
04. Codeine
05. Stopping By
06. Daisy Mae
07. The Ballad Of Nobeard
08. Never Could Believe
09. Heart On A String
10. Save It For Sunday
11. Tour Of Duty

Jason Isbell
Jason Isbell bei Facebook
Thirty Tigers
Oktober Promotion

Jason Isbell And The 400 Unit – Same – CD-Review

Isbell_Same_300

Review: Michael Segets

Jason Isbell schwimmt derzeit auf einer Erfolgswelle. Vor allem seitdem er von The 400 Unit begleitet wird, verzeichnete er einige Chart-Platzierungen. Nach seinem letztjährigen Album „Live From The Ryman“ sorgte er mit einigen Kooperationen (Todd Snider, Josh Ritter) dafür, dass er im Gespräch bleibt.

Seine Band trommelte Jason Isbell zuerst 2009 für das Album „Jason Isbell And The 400 Unit“ zusammen. Sie bestand derzeit aus Browan Lollar (Gitarre), Jimbo Hart (Bass), Derry DeBorja (Keyboards), Chad Gamble (Schlagzeug) sowie Isbells jetziger Lebensgefährtin Amanda Shires (Geige).

Seinerzeit hatte ich das Album nicht wahrgenommen. Das war ein Fehler, denn mittlerweile wird die längst vergriffene CD mit dreistelligen Summen gehandelt.

Mit der Wiederveröffentlichung kommt Isbell also der Nachfrage seiner neu hinzugekommenen Fans nach, die Musik noch in den Händen halten wollen. Für eingefleischte Fans der ersten Stunde liefert Isbell eine von Dave Cobb (Shooter Jennings, Ian Noe, Chris Shiflett) remasterte und remixte Version. Bei der Neuausgabe sind die elf Originaltitel vertreten, wobei deren Anordnung sich leicht unterscheidet.

Das instrumentale „Coda“ ist an das Ende des Albums gewandert. Die damalige Deluxe-Edition bot zusätzlich „When My Baby’s Beside Me“, das auf der jetzt erscheinenden Ausgabe ebenfalls hinzugenommen wurde, sowie drei akustische Tracks, die anscheinend nicht in das Konzept passten und daher entfallen.

Die neue Abmischung macht sich an einzelnen Stellen bemerkbar, betrachtet man beispielsweise die Länge der einzelnen Stücke. Bei den meisten weichen die aktuellen Varianten zwar nur wenige Sekunden ab, allerdings sind „Sunstroke“ und „Good“ jetzt circa eine halbe Minute kürzer. Geschnitten wurden, soweit ich das herausgehört habe, die Instrumentalpassagen – einmal in der Mitte, einmal am Ende.

Die eingesparte Zeit wurde bei „The Blue“ drangehängt. Dieses ist nun durch den veränderten Abschluss fast eine Minute länger. Den genauen Unterschieden nachzuspüren, bleibt eine Herausforderung für die eingefleischten Fans von Isbell.

Wie auch seine späteren Veröffentlichungen bietet „Jason Isbell And The 400 Unit“ Americana mit einem rockigen Einschlag, bei dem er sich auf die breite Unterstützung seiner Band verlassen kann. Dadurch erhalten auch die langsameren Songs einen vollen Sound. Unter den Balladen ist sicherlich „Cigarettes and Wine“ hervorzuheben, unter den rockigen Titeln „However Long“. Von den Stücken im mittleren Tempo gefällt besonders der Opener „Seven-Mile Island“ mit starker Rhythmusarbeit.

Wer das Glück hat, die Erstausgabe zu besitzen, braucht bei der Scheibe nicht erneut zuzuschlagen, da die remasterten und remixten Versionen nur behutsam die vorherigen verändern. Sammler und Fans von Isbells Musik werden dennoch nicht umhin kommen, die Neuausgabe zu kaufen, da eben doch an der einen oder anderen Stelle leichte Unterschiede zu hören sind. Für alle anderen bietet sich nun die Gelegenheit, das Frühwerk von Isbell And The 400 Unit zu einem akzeptablen Preis kennenzulernen.

Southeastern Records/Thirty Tigers (2019)
Stil: Americana

Tracks:
01. Seven-Mile Island
02. Sunstroke
03. Good
04. Cigarettes and Wine
05. However Long
06. The Blue
07. No Choice in the Matter
08. Soldiers Get Strange
09. Streetlights
10. The Last Song I Will Write
11. When My Baby’s Beside Me
12. Coda

Jason Isbell
Jason Isbell bei Facebook
Thirty Tigers
Oktober Promotion

Trigger Hippy – Full Circle & Then Some – CD-Review

TRHi_300

Review: Michael Segets

Trigger Hippy ist das Projekt von Schlagzeuger Steve Gorman (Black Crowes) und Bassist Nick Govrik (Highwater). Die beiden kennen sich schon lang Zeit und gründeten vor zehn Jahren Trigger Hippy. Das selbstbetitelte Debütalbum erschien aber erst 2014 mit Sängerin Joan Osborne und Jackie Greene an der Gitarre.

Für „Full Circle & Then Some“ hat sich die Band neu formiert. Amber Woodhouse übernimmt die femininen Gesangsparts, Ed Jurdi (The Band Of Heathens) singt ebenfalls und steuert mehrere Instrumente bei. Als Gastgitarrist ist Sadler Vaden (Jason Isbell And The 400 Unit) mit von der Partie.

Trigger Hippy greift tief in die Trickkiste und verarbeitet viele unterschiedliche stilistische Einflüsse von Country, Rock, R&B über Funk bis zu Psychedelic. Ein roter Faden oder eine verbindende Grundkonzeption konnte ich auf dem Longplayer nicht ausmachen. So wirkt das Werk als Ansammlung von Einzelstücken, bei denen nur gelegentlich ein Funke überspringt.

Der Opener „Don’t Wanna To Bring You Down“ kommt locker und leicht poppig mit einer Prise Soul daher. Govrik, Jurdi und Woodhouse geben sich hier das Mikro weiter. Wechselnde Lead-Vocals finden sich auf mehreren Stücken und sind sicherlich eine Stärke der Band. Schön zur Geltung kommt er auf dem rockigen Titelsong, bei dem Passagen auch mehrstimmig gesungen werden.

Die besten Stücke der CD bewegen ich aber im unteren Tempobereich. Hörenswertes Highlight ist dabei die von Govrik geschriebene und gesungene Southern-Ballade „Goddamn Hurricane“. Ebenfalls gelungen ist das swampige „Long Lost Friend“, das aus der Feder von Gorvik, Jurdi, Osborne und Will Hoge stammt.

Durch die Blues-Harp von Mickey Raphael (Willie Nelson) erhält auch „Dandelion“ eine gewisse Erdung. Einen Country-Einschlag weist „Strung Out On The Rain“ auf. In Richtung Country-Rock geht „Low Down Country Song”. „One Of Them” erinnert mit seinem Soul an Southside Johnny. Die Titel sind noch auf der Haben-Seite des Albums zu verbuchen.

Wenig überzeugt hingegen „The Butcher’s Daughter“ mit seinem Mix aus Sprechgesang, Funk und Pop. Ebenfalls keinen rechten Zugang gewinne ich zu „Paving The Road“, dem eher eintönigen „The Door” und dem über acht Minuten langem, psychedelisch angehauchten „Born To Be Blue“.

Mit wechselnden Stimmen und unterschiedlichen musikalischen Stilelementen bietet Trigger Hippy eine hohe Soundvarianz. Leider kommt dabei keine richtig runde Sache raus. Durch die Streuung landet „Full Circle & Then Some“ vor allem in der zweiten Hälfte dann aber doch ein paar Treffer.

Turkey Grass Records/Thirty Tigers (2019)
Stil: Rock, R&B and more

Tracks:
01. Don’t Wanna To Bring You Down
02. The Butcher’s Daughter
03. Strung Out On The Pain
04. Born To Be Blue
05. The Door
06. Full Circle And Then Some
07. Dandelion
08. Goddamn Hurricane
09. Long Lost Friend
10. One Of Them
11. Low Down Country Song
12. Paving The Road

Trigger Hippy
Trigger Hippy bei Facebook
Thirty Tigers
Oktober Promotion