Reckless Kelly – American Jackpot / American Girls – CD-Review

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Review: Michael Segets

Für Freunde des Southern Way of Music ist der diesjährige Mai tatsächlich ein Wonnemonat, in dem sich einige alte Bekannte zurückmelden. Nach American Aquarium, Jason Isbell & The 400 Unit, Robert Jon & The Wreck sowie Steve Earle & The Dukes gibt nun auch Reckless Kelly ein Lebenszeichen von sich – und das direkt im Doppelpack.

Vergangenes Jahr erschien zwar das digitale Live-Album „Bulletproof Live“, doch das letzte Studiomaterial wurde vor fast vier Jahren auf „Sunset Motel“ veröffentlicht. Es war also wieder Zeit, ein Studio anzumieten. Willy Braun, der zusammen mit seinem älteren Bruder Cody und dem Schlagzeuger Jay Nazz Reckless Kelly 1996 gründete, übernahm die Rolle des Produzenten und „American Jackpot“ wurde zügig und deutlich schneller eingespielt als zuvor kalkuliert. Die übrige gebuchte Studiozeit nutzte die Band, um zusätzlich „American Girls“ unter Dach und Fach zu bringen.

Während „American Jackpot“ einen homogenen und durchkonzeptionierten Eindruck erweckt, punktet „American Girls“ mit stilistischer Varianz und rockigeren Tönen. Die Stücke auf beiden Scheiben überzeugen schon beim ersten Durchlauf, legen aber beim mehrmaligen Hören noch weiter zu.

Willy Braun wollte ein Album machen, dass die Verbundenheit mit seinem Heimatland einfängt. Dieses Vorhaben setzt er mit „American Jackpot“ um, ohne übermäßig politisch oder plakativ zu sein. Indem er sich aber gegen Anti-Immigrations-Parolen wendet, scheint aber doch etwas Sozialkritik durch.
Dabei ließ er sich durch das Gedicht „The New Colossus“ von Emma Lazarus inspirieren, das in den Sockel der Freiheitsstatur eingraviert ist.

Auf „North American Jackpot“ und „Goodbye Colorado“ verarbeitet er diese Anregung. Die beiden Titel bilden den Auftakt und Abschluss der ersten CD. Vor allem der letztgenannte glänzt durch seine Kombination von Piano und Mandoline, die von Cody Braun gespielt wird.

Die Stimmung unterschiedlicher Landschaften ihres Heimatlandes thematisiert die aus Idaho stammende Band auf „Thinkin‘ ‘Bout You All Night“. Ein Stück amerikanischer Geschichte lassen Reckless Kelly bei „Grandpa Was A Jack Of All Trades“ vorbeiziehen, wobei durch den Slide ein Hauch von Country mitschwingt.

Für einzelne Gesangsparts haben Willy und Cody Braun ihren Vater Muzzie und für die Mundharmonika ihren Onkel Gary engagiert. Dass der Familie Braun die Musik im Blut liegt, beweisen auch die beiden jüngeren Brüder Micky und Gary, die als Micky And The Motorcars unterwegs sind.

Meine Favoriten auf „American Jukebox“ sind die Hommage an Tom Petty „Tom Was A Friend Of Mine“ und die Balladen „Put On Your Brave Face Mary“ sowie „42“, das Bukka Allen mit einer Ballpark-Orgel begleitet. Richtig Spaß macht auch der Good Old Rock’n Roll „Mona“, bei dem Bob Seger grüßen lässt.

Ein rockiger Rhythmus, für den neben Drummer Jay Nazz Bassist Joe Miller verantwortlich zeichnen, treibt „Company Of Kings“. Elektrische Gitarre und die von Eleanor Whitmore (Steve Earle &The Dukes) arrangierten Geigen sind hier miteinander verwoben und ergänzen sich auf originelle Weise. In den Folk-Rocker „Another New Year’s Day“ bauen Reckless Kelly die Melodie des Silvesterklassikers „Auld Lang Syne“ („Nehmt Abschied, Brüder“) ein und zeigen so ein weiteres Mal ihre Kreativität.

„American Jackpot“ bringt das Kunststück fertig, ein harmonische Gesamtbild zu entwerfen und dennoch musikalisch abwechslungsreich zu sein. Während der Sound auf dieser CD durchgängig erdig ausgerichtet ist, wird er auf „American Girls“ stellenweise opulenter – so auf dem Titeltrack, der in den Gitarrenpassagen an die frühen REM erinnert, oder „Miss Marissa“.

Auch der Opener „I Only See You With My Eyes Closed“ klingt voll, nicht zuletzt durch die zusätzliche Gitarre von Charlie Sexton (Bob Dylan, Arc Angels, Ryan Bingham). An dem Song hat ebenso wie an „Lonesome On My Own“ Jeff Crosby mitgeschrieben.

Wie bereits erwähnt, zeigen Reckless Kelly ihre rockigere Seite auf „American Girls“. Diese reicht vom Roots Rock („All Over Again (Break Up Blues)“) über Heartland (“Don’t Give Up On Love”) bis zum Tex Mex (“Lost Inside The Groove”). Der Tex-Mex-Titel führt die Tradition von Doug Sahm (Texas Tornados) fort, was nicht verwundert, wenn man weiß, dass der Anstoß für den Song von dessen Sohn Shawn kam.

Mit dem starken „No Dancing in Bristol“ greifen Reckless Kelly auf den Irish Folk zurück. Das Duett „Anyplace Is Wild“ zwischen Willy Braun und Suzy Boggus könnte als Soundtrack zu einem Western dienen und zählt zu den Highlights der zweiten CD. Ein amüsantes Detail bei ihm ist, dass die Musiker mit Sporen stampften, um den Klang eines Tamburins zu erhalten. Das bunte Potpourri auf „American Girls“ rundet das ruhige „My Home Is Where Your Heart Is“ ab.

Den beiden Scheiben des Doppelalbums jeweils einen eigenen Titel zu geben, ist gut nachvollziehbar. „American Jackpot“ ist eine stimmige und stimmungsvolle Sache geworden, bei „American Girls“ überwiegt die Freude am Rock und der Roots Music, mit welcher sich Reckless Kelly von einem engen konzeptionellen Rahmen lösen. Die gemeinsame Veröffentlichung entbindet von der Entscheidung, wonach einem mehr der Sinn steht, denn beide Longplayer haben für sich genommen Klasse. Mit dem Doppelschlag erinnern Reckless Kelly daran, dass sie ganz vorne im Roots-Rock-Regal stehen sollten.

No Big Deal Records/ThirtyTigers-Membran (2020)
Stil: Roots Rock

Tracks:
American Jackpot
01. North American Jackpot
02. Thinkin‘ ‚Bout You All Night
03. Tom Was A Friend Of Mine
04. 42
05. Mona
06. Another New Year’s Day
07. Grandpa Was A Jack Of All Trades
08. Put On Your Brave Face Mary
09. Company Of Kings
10. Goodbye Colorado

American Girls
01. I Only See You With My Eyes Closed
02. American Girls
03. All Over Again (Break Up Blues)
04. Miss Marissa
05. Lonesome On My Own
06. Anyplace That’s Wild
07. Lost Inside The Groove
08. No Dancing In Bristol
09. Don’t Give Up On Love
10. My Home Is Where Your Heart Is

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Reckless Kelly – Bulletproof Live – CD-Review (digital)

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Wenn man sich mit Red Dirt-Rockmusik beschäftigt, kommt man am Namen der Familie Braun nicht vorbei. Deren vier Söhne spielen in gleich zwei maßgeblichen Acts des Genres eine gewichtige Rolle. Und zwar zum einen die beiden jüngeren Micky und Gary bei Micky And The Motorcars, sowie Willy und Cody bei Reckless Kelly.

Bei beiden Bands hatte ich schon mal das Vergnügen, live zugegen zu sein, was allerdings schon längere Zeit her ist. Micky And The Motorcars tauchten 2010 mal völlig überraschend in Duisburg auf, und spielten, weil sie kaum einer kannte, vor einer sehr überschaubaren Anzahl von Leuten.

Bei Reckless Kelly war es anders, die trumpften zu Zeiten, als es noch das tolle Blue Highways Festival im niederländischen Utrecht gab, im großen, prall gefüllten Saal auf, ein Highlight der damaligen Veranstaltung im Jahr 2004.

2008 spielten Reckless Kelly ihr kontrovers angenommenes Album „Bulletproof“ ein, das sich 2018 zum zehnten Mal jährte und im Rahmen ihrer US-Sommer-Tour noch einmal live eingespielt und in gleicher Abfolge zusammengestellt wurde, lediglich ergänzt um den uralten Jimmie Rodgers-„California Blues (Blue Yodel #4)“.

Geboten bekommt man natürlich den typischen Reckless Kelly-Sound mit Willy Brauns charismatischem Gesang. Treibende Red Dirt-Rocksongs, die mit einer Bruce Springsteen-ähnlichen Wucht und Art voranpreschen („Ragged As The Road“, „Love In Her Eyes“, „American Blood“, „Wandering Eye“), aber auch unter die Haut gehende, melancholische Balladen und Ohrwürmer wie „I Never Had A Chance“, „How Was California?“, „Don’t Say Goodbye“, „God Forsaken Town“ sowie das grandiose Titelstück mit seinem furiosem, psychedelisch anmutenden Instrumentalfinale.

Der mittlerweile ausgeschiedene Gitarrist David Albeyta liefert sich herrliche Scharmützel mit Mandolinen- und Fiddle-Spieler Cody Braun. Einen nicht unerheblichen Teil am Gelingen des Projekts haben allerdings auch die omnipräsenten Orgelklänge, die dem RK-Sound ordentliches Zusatz-Volumen verabreichen.

Auch die Harp-Einlage bei „A Guy Like Me“ und sporadische Akkordeon-Klänge bei „I Never Had A Chance“ und dem Jimmie Rodgers-Stück (zweifach integrierte Solokombi aus Fiddle, E -Gitarre und Akkordeon), bieten immer wieder herrliche Farbtupfer.

„Bulletproof Live“ huldigt in würdiger Weise ein vergangenes Kapitel der Texaner und bietet einen schönen Vorgeschmack auf die anstehenden Live-Termine. Es erscheint am 21. Juni in digitaler Form. Warum der Westen bei der Tour dieser tollen Truppe leider nur im abgelegenen musikalischen Niemandsland berücksichtigt wurde, bleibt allerdings das Geheimnis der federführenden Booking-Agentur.

Reckless Kelly auf Tour ab 27. Juni:
27.06. Eppstein, Wunderbar Weite Welt
28.06. Neustadt an der Weinstrasse, Kulturhalle Lachen
29.06. Bad Rappenau, Schlosshof Bonfeld
01.07. Arnstadt, Kulisse
02.07. Olsberg, Linie 73 Alter Bahnhof Bigge
03.07. Nürnberg, Kuenstlerhaus Kantine
04.07. Hamburg-Bergedorf, Club am Donnerstag
05.07. Isernhagen, Blues Garage
06.07. Lauchhammer, Real Music

No Big Deal Records (2019)
Stil: Country Rock/ Red Dirt

01. Ragged As The Road
02. You Don’t Have To Stay Forever
03. Love In Her Eyes
04. Passin‘ Through
05. I Never Had A Chance
06. One False Move
07. A Guy Like Me
08. American Blood
09. How Was California?
10. California Blues (Blue Yodel #4)
11. Mirage
12. Don’t Say Goodbye
13. God Forsaken Town
14. Wandering Eye
15. Bulletproof

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