Steve Leon & The Accusations – Borrowed Time Bonanza – CD-Review

Review: Michael Segets

Kurz nach ihrer Debüt-EP „Louche” bringen Steve Leon & The Accusations nun ihr erstes Album heraus. „Borrowed Time Bonanza“ knüpft an ihre erste Veröffentlichung an und bewegt sich weiterhin im Indie-Folk. Die Band zeigt sich jedoch gereift, wobei die Instrumentalisierung etwas voller erscheint und nun deutlicher in Richtung Alternative Country geht. Die zehn von Steve Leon geschriebenen Stücke wurden analog aufgenommen und in unveränderter Bandbesetzung wie die EP eingespielt. The Accusations sind weiterhin Mila Francis, Yannick Hermans, Bouke Cools, Kristof Van de Vliet und Tim Martens.

Das Sextett aus Belgien setzt auf Songs, die eine spezielle Mischung aus Indie und Country bieten. Das Songwriting wandelt eher auf Independent-Pfaden, die instrumentale Begleitung mit Pedal Steel und Dobro, für die Bouke Cools zuständig zeichnet, sowie Geige und Mandoline – jeweils von Mila Francis gespielt – ist eher für den Country charakteristisch. Der Opener „You Blind Me“ verweist mit seinem Rhythmus und Twang am deutlichsten auf den Country und auch die Single „Bound To Break“ kann dort noch verortet werden. Die anderen Stücke bleiben von ihrer Grundanlage eher im Independent-Bereich. Sie bewegen sich im unteren bis mittleren Tempobereich. Die Vorgeschichte der Bandmitglieder in diversen Punk-Bands scheint dabei nicht durch.

Die Songs bieten einige klangliche Einfälle und sind durchaus unterschiedlich aufgebaut. Die meisten Beiträge brennen sich aber nicht so ein, man sie lange im Ohr behält. Auffällig ist jedoch „Say It Out Loud“, das beinahe nach The Cure in einer countryfizierten Version klingt. Schöne Details finden sich in mehreren Stücken. Yannick Hermans hat bei „Clowns“ und dem getragenen „No Mirror“ gelungene Parts mit seiner Gitarre. Auch Mila Francis wertet die Songs auf, wenn sie ihren Ehemann Steve Leon am Mikro begleitet. Beispielsweise bei meinen beiden Favoriten auf dem Album der Ballade „Live Every Day“ und dem luftigen „Colours“ ergänzen sich die beiden prima.

So wie auf dem Cover Spielzeugcowboys neben Dinosauriern drapiert sind, treffen bei „Borrowed Time Bonanza“ mit Country und Independent-Music zwei Welten aufeinander, die sonst wenig Berührungspunkte haben. In sich ist das Werk stimmig, wenn man sich damit anfreunden kann, dass solche Stile gemixt werden. Die Songs von Steve Leon sind mit wenigen Ausnahmen im Indie-Folk verwurzelt und werden von ihm und The Accusations mit country-typischen Instrumenten und Arrangements versehen. Bei einer Einordnung der Musik als Alternative Country liegt die Betonung daher auf dem ersten Wort.

Off Label Records (2024)
Stil: Alternative Country

Tracks:
01. You Blind Me
02. Say It Out Loud
03. Bound To Break
04. Clowns
05. Live Every Day
06. Free
07. No Mirror
08. Until We Fall
09. Colours
10. Fiction

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Off Label Records
JohThema Promotions

Jason Isbell And The 400 Unit – Reunions – CD-Review

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Review: Michael Segets

Drei Jahre sind seit dem letzten Studioalbum „The Nashville Sound“ von Jason Isbell And The 400 Unit ins Land gegangen. In der Zwischenzeit war Isbell nicht untätig. So erschien der Konzertmitschnitt „Live From The Ryman“ (2018), die CDs „Jason Isbell And The 400 Unit“ sowie „Here We Rest“ wurden remastered und wieder auf den Markt geworfen. Darüber hinaus unterstütze Isbell Todd Snider und Josh Ritter auf ihren aktuellen Alben.

Nun erscheint „Reunions“ mit neuem Songmaterial. Wie für „The Nashville Sound“ und die Produktion der Reissues engagierte er Dave Cobb (Shooter Jennings, Chris Shiflett, Ian Noe, Bonnie Bishop, The Secret Sisters) und begab sich zusammen mit seiner Stammband The 400 Unit wieder in das RCA Studio A in Nashville. Der Titel „Reunions“ erscheint dahingehend passend. Er bezieht sich allerdings nicht auf die Wiedervereinigung mit seinen Kollegen, sondern auf alte, bislang unverarbeiteter Beziehungen.

Diese Geister der Vergangenheit holt Isbell hervor und stellt sich ihnen. Gedanken an vergangene Situationen mit Eltern, Kindern, Freunden und Liebhaberinnen ziehen in den Songs vorbei. Ebenso betrachtet er retroperspektiv seine Gefühlswelt, bevor der Erfolg einsetzte, und spürt dabei der Frage nach, wie er zu der jetzigen Person geworden ist. Insgesamt ist „Reunions“ also ein persönliches Werk geworden, bei dem Isbell die Politik außen vor lässt.

Mit „Reunions“ legt Jason Isbell einen überdurchschnittliche Longplayer vor, auf dem kein Titel abfällt. Um ihn als ganz großen Geniestreich zu bezeichnen, sind die herausragenden Ohrwürmer allerdings etwas zu spärlich gesät. Dies mag daran liegen, dass Isbell selten mit der Wiederholung eingängiger Refrains arbeitet. Eine Ausnahme bildet der Roots Rocker „It Gets Easier“, der sich unmittelbar in die Gehörgänge einbrennt.

Markant ist auch der Opener „What’ve I Done To Help“, bei dessen Refrain ein leichter Hall in der Stimme mitschwingt, der mich seltsamerweise an Simply Red erinnert.

Der Sound auf der CD wirkt voller und instrumental mehrschichtiger als auf früheren Veröffentlichungen. Isbell orientierte sich bei ihm nach eigener Aussage an The Smith und The Cure. Diese Verbindungen hätte ich nicht unbedingt als erstes gezogen. Am ehesten sind Parallelen bei dem dunklen „Be Afraid” zu hören, das zudem mit einem starken Finale punktet.

Die Abmischung von Cobb fängt Isbells Stimme differenziert ein. Der Klang seiner Stimme mag sich auch dadurch leicht verändert haben, dass er mit dem Rauchen aufgehört hat. Wie dem auch sei, beim Gesang präsentiert sich Isbell für seine Verhältnisse sehr variabel.

Dies kommt vor allem auch den langsameren Stücken zugute. Die reduzierte Ballade „St. Peter’s Autograph” gehört dabei ebenso wie das leicht Country-angehauchte „Letting You Go“, das mit stimmungsvoller Begleitung durch Klavier und Geige versehene „River“ sowie „Only Children“ zu den rundum gelungenen Beiträgen auf der Scheibe.

Im Background unterstützen David Crosby und Jay Buchanan (Rival Sons) als Special Guests Jason Isbell And The 400 Unit. Die Band zeigt sich bei der Umsetzung der Songs gewohnt souverän und eingespielt. Besonders hervorzuheben ist die Gitarrenarbeit von Sadler Vaden, der erst kürzlich mit seinem Solowerk „Anybody Out There?“ auf sich aufmerksam machte. Seine elektrische Gitarre setzt bei den rockigeren Stücken wie „Running With Our Eyes Closed“ und besonders bei „Overseas“ wunderbare Akzente.

Mit „Reunions” untermauert der vierfache Grammy-Gewinner seinen Ruf als einer der aktuell interessantesten Songwriter. Mögen die Songs thematisch die Vergangenheit aufarbeiten, führt die Spurensuche doch zu einem leicht veränderten Sound, der eine größere Klangtiefe als die früheren CDs erreicht. Hinsichtlich der Variabilität seines Gesangs legt Isbell ebenfalls deutlich zu.

Das Album stellt insgesamt keine Revolution in der musikalischen Entwicklung von Jason Isbell And The 400 Unit dar, zeigt jedoch einen evolutionären Fortschritt, dem man gerne folgt.

Southeastern Records/Thirty Tigers (2020)
Stil: Americana, Rock

Tracks:
01. What’ve I Done To Help
02. Dreamsicle
03. Only Children
04. Overseas
05. Running With Our Eyes Closed
06. River
07. Be Afraid
08. St. Peter’s Autograph
09. It Gets Easier
10. Letting You Go

Jason Isbell
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