James McMurtry – The Horses And The Hounds – CD-Review

Review: Michael Segets

Hierzulande ist James McMurtry noch nicht so richtig über den Status des Geheimtipps hinausgekommen. Während der letzten fünfzehn Jahren konnte der Texaner in den Vereinigten Staaten allerdings seine Alben in diversen Charts platzieren. Seine Werke werden nicht nur von Kritikern hoch gelobt, sondern auch Kollegen wie John Mellencamp, der McMurtrys Debütalbum „Too Long In The Wasteland“ (1989) produzierte, und Jason Isbell sowie Schriftsteller Stephen King würdigen sein Songwriting.

Nach McMurtrys letztem Album „Complicated Game“ (2015) folgt nun „The Horses And The Hounds“. Um es vorweg zu nehmen: Das Album rangiert ganz weit oben unter den diesjährigen Neuerscheinungen. McMurtry liefert kraftvolle Songs, die klare Strukturen und eingängige Refrains mit formidablem Storytelling verbinden. Das Gefühl, von den Mitmenschen, von der Regierung, von dem Leben betrogen worden zu sein, durchzieht dabei das Werk ebenso wie das Eingeständnis eigener Unzulänglichkeiten. You can’t be young and do that – so lautet ein Vers der ersten Auskopplung „Canola Fields” und steht zugleich für das reife Songwriting von McMurtry.

Mit dem Opener „Canola Fields“ und dem folgenden „If It Don’t Bleed“ trifft McMurtry mitten ins Schwarze. Die erdigen Songs gehen unmittelbar ins Ohr und ins Herz. Besondere Intensität entwickelt ebenso „Decent Man“. Wie es McMurtry schafft, soviel Energie zu erzeugen bleibt dabei ein Rätsel. Der Gesang, der Chorus, der Rhythmus, die eingestreuten Gitarrensoli, der Text – sie greifen ineinander, sodass alles passt.

Bei „Operation Never Mind“ wird McMurtry politisch, indem er darauf hinweist, dass die Wahrnehmung von Kriegen heutzutage medial gesteuert wird und wir in der Regel auch nur das über sie wissen, was wir erfahren sollen. McMurtry sagt über sein Album, dass sich manche Gitarren nach Warren Zevon anhören. Tatsächlich werden Assoziationen zu dem 2003 verstorbenen Musiker besonders bei diesem Song geweckt.

Mit „Jackie“ schlägt McMurtry ruhigere Töne an. Das mit einem Cello unterlegte, sensible Stimmungsbild zeichnet ein tragische Frauenschicksal nach. Ein weiteres Portrait, das einem verstorbenen Freund gewidmet ist, malt „Vaquero“. Den Refrain der Ballade singt McMurty auf Spanisch. Den tempomäßigen Gegenpol bildet der gradlinige Rocker „What’s The Matter“. Beim Titelsong „The Horses And The Hounds” erhält David Grissom an der Gitarre die Gelegenheit sich mit härteren Riffs und zwei kurzen Soli auszuleben. Sehr schön ist auch der Background Gesang von Betty Soo und Akina Adderley. Die beiden Damen werten ebenso das textlastige „Ft. Walton Wake-Up Call“ auf.

Der Abschluss „Blackberry Winter” beginnt mit folgender Zeile: I don’t know what went wrong. Das Album hingegen bietet keinen Anlass für Selbstzweifel. McMurtry hat alles richtig gemacht. Einzig der Grund, warum das Album als Doppel-LP mit einer blanken Seite herauskommt, erschließt sich mir nicht. Die A-Seite ist durchgängig mit vier hochkarätigen Songs bestückt und auch auf den beiden anderen Seiten ist mit „Decent Man“ und „The Horses And The Hounds” jeweils ein ausgezeichneter Titel vertreten. Die anderen Stücke fallen lediglich im Vergleich mit den zahlreichen Delikatessen etwas ab, sind aber allesamt gute Kost.

Die musikalische Qualität garantieren die Begleitmusiker. McMurty hat für das Werk einige Veteranen der Szene zusammengetrommelt: David Grissom (John Mellencamp, Joe Ely, Storyville), Kenny Aronoff (Bob Dylan, John Fogerty, Jon Bon Jovi, Meat Loaf, Lynryd Skynyrd), Charlie Sexton (Arc Angels, Lucinda Williams, Shawn Colvin) Bukka Allen (Joe Ely, Alejandro Escovedo). Ross Hogarth (Melissa Etheridge, Van Halen) übernahm die Produktion und Abmischung.

James McMurtry zeigt einmal mehr, dass er zu den vorzüglichsten Songschreibern Amerikas gehört. Durch den erdigen Sound und die ausgefeilten Refrains ist ihm ein beeindruckendes Album gelungen, bei dem der Titeltrack „The Horses And The Hounds” sowie die ersten fünf Songs zurzeit in Dauerschleife laufen.

New West Records – PIAS-Rough Trade (2021)
Stil: Roots Rock

Tracks:
01. Canola Fields
02. If It Don‘t Bleed
03. Operation Never Mind
04. Jackie
05. Decent Man
06. Vaquero
07. The Horses And The Hounds
08. Ft. Walton Wake-Up Call
09. What‘s The Matter
10. Blackberry Winter

James McMurtry
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New West Records
Pias – Rough Trade
Oktober Promotion

Bruce Springsteen – Letter To You – CD-Review

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Review: Michael Segets

Nach seinen Dauerengagement am Broadway und dem letztjährigen Werk „Western Stars“ trommelte Bruce Springsteen die E Street Band wieder zusammen und nahm „Letter To You“ innerhalb von vier Tagen quasi live ohne Overdubs in seinem Heimstudio auf. Herausgekommen ist sein bestes Album seit „Wrecking Ball“ (2012).

Wenn Springsteen seine Stammband mit ins Boot holt, verspricht dies eine rockige Ausrichtung seiner Platten. Diese Erwartung erfüllt „Letter To You“. Der Titeltrack als erste Single sowie das ebenfalls vorab ausgekoppelte, sehr starke „Ghosts“ sind für den Sound des Albums repräsentativ. Dabei lässt der Boss es mal kräftiger („Burnin‘ Train“), mal sanfter rocken („I’ll See You In My Dreams“).

Bereits bei den ersten Durchläufen setzen sich „Rainmaker“ und „Last Man Standing“ in den Ohren fest. Bei den Titeln steigt wie bei „The Power Of Prayer“ nach einem melodiösen Intro die Band wuchtig ein. Die für Springsteen-Kompositionen charakteristischen Saxophon-Einlagen finden sich vor allem bei den beiden letztgenannten Stücken. Sie werden seit 2012 von Jake Clemons gespielt.

Die älteren Mitglieder der E Street Band Roy Bittan, Garry Tallent, Max Weinberg, Stevie van Zandt alias Little Steven, Nils Lofgren und Patty Scialfa sind allesamt dem Ruf des Bosses gefolgt. Neu in der eingeschworenen Gemeinschaft ist Charlie Giordano (Orgel, Backgroundgesang), der zwar seit dem Tod von Danny Federici die Band unterstützte, nun aber als vollwertiges Mitglied in den Credits geführt wird.

Bei der Produktion und der Abmischung setzt Springsteen ebenfalls auf seine bewährten Mitstreiter Ron Aniello und Bob Clearmountain. Auf Streicher verzichtet er diesmal. Bis auf diesen Unterschied hätte der Opener „One Minute You’re Here“ sich auch in das Vorgängeralbum eingefügt. Er ist der einzige Track mit dezenter Instrumentalisierung.

Einige Songtitel kommen bekannt vor. „House Of A Thousand Guitars“ sollte nicht mit dem gleichnamigen Song von Willie Nile verwechselt werden und auch „Janny Needs A Shooter“ unterscheidet sich von „Jeannie Needs A Shooter“, den Springsteen zusammen mit Warren Zevon schrieb. Bis auf einige Textbausteine im Refrain handelt es sich um eine völlig andere Komposition. Volle Orgeln und klasse Mundharmonika machen den Track zu einem Höhepunkt des Longplayers.

Ein weiteres Glanzlicht setzt das wortgewaltige und sich lyrisch überschlagende „If I Was The Priest“, das wie „Songs For Orphans“ in der Mitte der 1960er Jahre entstand. Zu der Zeit war Springsteen mit der mit der Band Castiles unterwegs. Als Live- und Bootleg-Versionen sind die Stücke den Insidern sicherlich geläufig. Die Stimme von Springsteen hat sich im Vergleich zu der Frühzeit seiner Karriere jedoch deutlich verändert und wirkt gereifter.

Springsteen hat die Siebzig mittlerweile überschritten und „Letters To You“ krönt sein bisheriges Alterswerk. Er rockt wie ein junger Mann, aber die Texte und auch die Auswahl der Stücke erscheinen wie eine Retroperspektive. Standen früher der Ausbruch aus dem gewohnten Leben und der Aufbruch zu neuen Ufern thematisch öfter im Zentrum seiner Lyrics, prägen nun Reminiszenzen an vergangene Zeiten und Personen den Inhalt seiner Songs.

In einem lockeren Gespräch mit Stephen Colbert  beschreibt Springsteen das Verhältnis zu seiner Vergangenheit so, als ob er mit seinen jüngeren Ichs in einem Auto sitzt, wobei jedes einmal das Steuer übernimmt. Die Fähigkeit sich in unterschiedliche Gefühls- oder Lebenslagen hineinzuversetzen und diese in Songs und Texte zu kleiden, die ein hohes Identifikationspotential aufweisen, zeichnet den Boss aus.

Bruce Springsteen kann es noch! Auf „Letter To You“ rockt er in typischer Manier kongenial begleitet von der E Street Band. Anders als auf den letzten drei Alben begeistert die Hälfte der Songs auf Anhieb. Da es keine Ausfälle gibt und es für die Titel vom Boss nicht ungewöhnlich ist, dass sie mit der Zeit wachsen, macht man nichts verkehrt, wenn man das Werk durchlaufen lässt und durchlaufen lässt und durchlaufen lässt.

Columbia Records/Sonic Music Entertainment (2020)
Stil: Rock

Tracks:
01. One Minute You’re Here
02. Letter To You
03. Burnin’ Train
04. Janey Needs A Shooter
05. Last Man Standing
06. The Power Of Prayer
07. House Of A Thousand Guitars
08. Rainmaker
09. If I Was The Priest
10. Ghosts
11. Song For Orphans
12. I’ll See You In My Dreams

Bruce Springsteen
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Columbia/Sony Music

US Rails – Mile By Mile – CD-Review

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Review: Michael Segets

Vor einigen Jahren sah ich die US Rails in Essen noch als Quintett auf der Bühne. Nach dem Ausstieg von Joseph Parsons, machten die übrigen Bandmitglieder fleißig weiter. Sie tourten regelmäßig auch durch unsere Region, wo Sound-Of South sie zweimal in Wesel besuchte, und veröffentlichten Alben in hoher Taktzahl. Ein Freund, mit dem ich seinerzeit das Konzert in Essen erlebte, machte mich auf das sechste Studioalbum „Mile By Mile“ der US Rails aufmerksam.

Auf der vorangegangenen Scheibe „We All Been Here Before“ coverte die Truppe unter anderem Kompositionen von Jackson Browne, Neil Young, Warren Zevon, Fleetwood Mac, den Beatles und den Stones. In dem Spannungsfeld diesen Musik tummelt sich die Band seit ihrer ersten Veröffentlichung vor zehn Jahren. Besondere Markenzeichen der US Rails sind wechselnde Leadstimmen sowie mehrstimmige Harmoniegesänge.

Ben Arnold, Scott Bricklin, Tom Gillam und Matt Muir funktionieren als Team und obwohl jeder mindestens einen Song verfasste, kommt bei „Mile By Mile“ wieder ein Gesamtpaket ohne Brüche heraus. Im Vergleich zu den früheren Scheiben ist die neue etwas rockiger ausgerichtet und hat anders als „Ivy“, dem 2016er Album mit Eigenkompositionen, einen direkteren und erdigeren Sound.

Vor allem bei den ersten drei Stücke rocken die US Rails locker und unverkrampft los. Den Anfang macht Bassist Scott Bricklin mit „Take You Home“, gefolgt von Tom Gilliams „Mile By Mile“ und Ben Arnolds „Trash Truck“. Eine erste Verschnaufpause bietet dann „Water In The Well”, das aus der Feder von Matt Muir stammt. Der Schlagzeuger steuert selten Songs bei, legt hier aber eine sehr schöne, dynamische Ballade vor. Aufgepeppt wird sie durch einen gospelig-souligen Chor, Gilliams elektrische Gitarre sowie den Keys von Ben Arnold.

Ben Arnolds angeraute Stimme hebt sich von denen seiner Mitstreiter ab. Sie gibt sowohl Balladen („Slow Dance”) als auch schnelleren Nummern („What You Mean To Me“) einen gewissen Touch. Besonders der erdige Roots Rocker „Tombstones & Tumbleweeds” profitiert von dem mitschwingenden Blues seiner Stimme. Dem herausstechenden Song folgt „See The Dream”, der zwar etwas weniger rockig angelegt ist, dafür aber eine wunderbar eingängige Melodie hat. Er stammt ebenso wie „Hard Headed Woman” von Scott Bricklin.

Nach dem eingangs erwähnten Titelsong kommt Tom Gilliam noch zweimal mit seinen Ideen zu Wort. Neben dem routinierten Midtempo-Rock „Fooling Around” performt der humorvolle Aktivposten der Live-Shows „Easy On My Soul” mit herrlichem Westcoast-Ambiente inklusive Slide-Passagen.

Die US Rails zeigen keine Ermüdungserscheinungen. Seit einer Dekade unterhalten sie auf Bühne und Tonträgern hervorragend. Ihrem Stil bleiben sie weiterhin treu, der etwas rockigere Einschlag von „Mile By Mile“ steht ihnen dabei gut zu Gesicht. Das Album ist insgesamt das stärkste des Quartetts. Die melodischen Songs passen atmosphärisch prima zu einem geselligen Sommerabend.

BlueRose Records (2020)
Stil: Rock, Americana/

Tracks:
01. Take You Home
02. Mile By Mile
03. Trash Truck
04. Water In The Well
05. What You Mean To Me
06. Hard Headed Woman
07. Easy On My Soul
08. Tombstones & Tumbleweeds
09. See The Dream
10. Fooling Around
11. Slow Dance

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BlueRose Records