Review: Michael Segets
Wer hätte 2010 gedacht, dass die US Rails ein so langlebiges Bandprojekt von Ben Arnold, Scott Bricklin, Tom Gillam und Matt Muir werden? Und wer hätte gedacht, dass die US Rails noch besser werden? Schon bei dem vorangegangenen „Mile By Mile“ (2020) zeichnete sich ab, dass die Band vermehrt rockige Töne anschlägt. Diesen Trend setzt sie auf „Live For Another Day“ fort, ohne die melodiöse Seite bei ihren Songs zu vernachlässigen.
Oftmals lösen sich die Bands, die aus mehreren gestandenen Solomusikern bestehen, nach zwei oder drei Alben wieder auf. Der bisherige Output der US-Rails bewegt sich mittlerweile im zweistelligen Bereich. Dieser Umstand deutet bereits darauf hin, dass die Musiker die US Rails nicht als Side-Projekt ansehen, sondern quasi nebenher ihre Solokarrieren verfolgen. Lediglich Gründungsmitglied Joseph Parsons verließ die Band und setzte andere musikalische Schwerpunkte.
Vor allem die Live-Präsenz der US Rails in Europa ist deutlich höher als die der einzelnen Bandmitglieder. Von den Tourneen 2016 und 2018 berichtete SoS aus dem Karo in Wesel. Die für 2020 geplanten Konzerte fielen dann aus den bekannten Gründen ins Wasser. Die Freude der Akteure zusammen auf der Bühne zu stehen, ist bei den Auftritten zu spüren, sodass es nicht wundert, dass die US Rails – nachdem die Live-Vorstellung des Albums „Mile After Mile“ pandemiebedingt ausfiel – nun wieder intensiv loslegen.
Zwischen Februar und April gastieren sie mit fast vierzig Shows in Europa. Die obligatorische Station im Karo (20.03.2023) ist selbstredend eingeplant. Ansonsten sind der Niederrhein und das Ruhrgebiet als SoS-Kerngebiet, abgesehen von zwei privaten Veranstaltungen, leicht unterrepräsentiert. Aber auch längere Anfahrten sollten in Kauf genommen werden, um die Band zu sehen. Vor allem das Material der letzten beiden CDs verspricht mitreißende Konzertabende.
Die Besonderheit der US Rails besteht darin, dass es keinen Bandleader gibt. Sowohl das Songwriting als auch der Leadgesang verteilen sich gleichmäßig auf Arnold, Bricklin und Gillam. Jeder steuert drei Tracks zu „Live For Another Day” bei. Muir setzt meist nur einzelne Akzente mit seinen Eigenkompositionen, so auch auf der neuen Scheibe mit dem straighten „Walk Away“. Der Drummer übernahm allerdings die Tontechnik und Abmischung. Der Teamgeist zeigt sich ebenfalls in den typischen, ausgiebigen Harmoniegesängen, die sicherlich zu einem zentralen Erkennungsmerkmal der Band gehören.
Arnold eröffnet mit dem Titeltrack das Album und beschließt es mit „End Of Time“. Auf den beiden im mittleren Tempobereich angesiedelten Stücken kommt Arnolds Gesang voll zur Geltung. Seine markante, von denen seiner Mitstreiter gut zu unterscheidende Stimme prägt auch das soulige „No Better Love“. An den Keys setzt Arnold zudem bei manch anderem Stück Akzente.
Bricklin legt seine drei Songs unterschiedlich an. „Can’t Let It Go“ wird bei der Ankündigung der Veröffentlichung durch Blue Rose Records in die Nähe der Hooters gerückt. Tatsächlich sind Parallelen zu hören. Bricklin, seines Zeichens Bassist der Band, greift hier zur Mandoline. Die gefühlvolle Ballade „What Did I Do” überzeugt auf ganzer Linie. Gillam unterlegt den ruhigen Song im richtigen Maß mit seiner Slide-Gitarre. Weiterhin steuert Bricklin („Lay Your Head On Me”) – ebenso wie Gillam („Feels Like A Heartache”) – eine eingängige Midtempo-Nummer dem Longplayer bei.
Gillam vertritt meist die stärker am Rock orientierten Tracks auf den Alben. Auch diesmal liefert er mit dem gradlinigen Rock’n Roll „The Road To Hell” sowie dem besonders starken „Too Much Is Never Enough“ erneut in dieser Richtung ab. Beim letztgenannten Stück schwingt vielleicht etwas von den Georgia Satellites mit. Jedenfalls hat Gillam einen wunderbaren, runden Song geschaffen, der Genreklassikern in nichts nachsteht.
Die US Rails stecken die Corona-Unterbrechung locker weg. Mit frischen Songs melden sie sich zurück. Unverändert besinnt sich die Band auf ihre Stärken als Team. Der Wechsel der Leadsänger und Songwriter sorgen wie gewohnt für Abwechslung. Dabei wirkt „Live For Another Day“ homogener und noch stimmiger als die vorangegangenen Alben. Die Songs ergänzen sich hervorragend, ohne dass sich ein Schwachpunkt ausmachen ließe.
Blue Rose Records (2023)
Stil: Rock, Americana
Tracks:
01. Live For Another Day
02. Can’t Let It Go
03. Too Much Is Never Enough
04. Walk Away
05. What Did I Do
06. No Better Love
07. Feels Like A Heartache
08. Lay Your Head On Me
09. The Road To Hell
10. End Of Time