Melissa Etheridge – One Way Out – CD-Review

Review: Michael Segets

Beim ersten flüchtigen Durchlauf von „One Way Out” dachte ich, dass Melissa Etheridge wie in ihren frühen Jahren klingt. Dieser Eindruck täuschte nicht, denn die Ursprünge der Songs gehen tatsächlich bis in die 1980er zurück. Damals hatten die Stücke nicht den Weg auf ein Album gefunden. Diese Entscheidung muss aus irgendwelchen konzeptionellen Gründen gefallen sein, denn bei den Tracks handelt es sich nicht um Ausschuss- oder B-Ware.

Die Stücke gerieten in Vergessenheit, bis Etheridge ein Boxset über ihre Karriere plante. Sie trommelte ihre Weggefährten 2013 zusammen und spielte die Tracks gemeinsam mit Gitarrist John Shanks (Stevie Nicks, Sheryl Crow), Bassisten Kevin McCormick (Jackson Browne, Nils Lofgren) und Schlagzeuger Fritz Lewak (Jackson Browne, Vonda Shepard) ein.

Das Boxset wurde aufgrund eines Labelwechsels jedoch nie realisiert und Etheridge wandte sich neuen Projekten zu. Es gingen weitere sieben Jahre ins Land, bis ihr die Aufnahmen wieder ins Gedächtnis kamen. Angereichert mit zwei Livemitschnitten eines Konzerts von 2002 in Los Angeles liegen die sieben Songs auf „One Way Out“ nun als eigenständige Veröffentlichung vor.

Volle Gitarren, kräftige Mundharmonika und treibender Rhythmus dominieren den Titeltrack, der zugleich als erste Single ausgekoppelt wurde. „One Way Out“ erscheint vielleicht noch einen Tick härter als ich die Songs aus ihren musikalischen Anfangsjahren in Erinnerung habe. Auch sonst legt sich Etheridge mächtig ins Zeug. Mit Mundharmonika-Sprengseln nimmt beispielsweise „For The Last Time” Fahrt auf und steigert sich zu einem Refrain, bei dem sich Etheridge quasi die Seele aus dem Leib singt.

Die Studioaufnahmen wirken wie aus einem Guss, wobei sich die einzelnen Stücke voneinander abheben. In „As Cool As You Try” ist ein Gitarrensolo eingebaut – so cool wie der Titel verspricht. Die Hu-Hus auf „Save Myself” erinnern an die Rolling Stones. Mit „That Would Be Me” rockt Etheridge in für sie klassischer Manier, erneut unter Einsatz der Mundharmonika.

Neben den fünf allesamt erstklassigen Rockern streut Etheridge zwei langsamere Songs ein. Auch mit diesen knüpft die zweifache Grammy- und Oscar-Preisträgerin stilistisch an ihre frühen Erfolge an. Das Ende von „I’m No Angel Myself” untermalen gefühlvolle Gitarrenvibes. Während sie dort ihre Stimmgewalt zeigt, lebt „Wild Wild Wild“ von dem sensiblen Gesang, bei dem Etheridges markante Stimmfarbe voll zur Geltung kommt.

Mit den beiden Live-Mitschnitten hebt sich die Spiellänge der CD auf Album-Niveau, wobei sie die konzeptionelle Anlage des Werks durchbrechen. Ich bin kein Fan von Longplayern, auf denen Studio- und Liveaufnahmen gemischt sind, aber die beiden straight rockenden Songs „You Have No Idea” und „Life Goes On” lassen die Energie erahnen, die Etheridge auf der Bühne entwickelt. Es wäre schade gewesen, wenn die beiden, meines Wissens bislang unveröffentlichten, Titel weiterhin in der Schublade verschwunden geblieben wären. Als Bonus-Tracks stellen sie eine ideale Ergänzung des Streifzugs durch fast vergessene Aufnahmen dar.

Melissa Etheridge gräbt auf „One Way Out“ Schätze aus, die bislang in ihrem Fundus schlummerten. Durch die Bank wecken sie Erinnerungen an ihre ersten Veröffentlichungen. Auf den Songs rockt Etheridge fern jeglicher Nostalgie frisch wie in jungen Jahren.

Anmerkung der Red.: Der Veröffentlichungstermin der physischen Version ist kurzfristig auf den 01.10.2021 verschoben worden!

BMG Rights Management/Warner (2021)

Stil: Rock

Tracks:
01. One Way Out
02. As Cool As You Try
03. I’m No Angel Myself
04. For The Last Time
05. Save Myself
06. That Would Be Me
07. Wild Wild Wild
08. You Have No Idea (Live)
09. Life Goes On (Live)

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James McMurtry – The Horses And The Hounds – CD-Review

Review: Michael Segets

Hierzulande ist James McMurtry noch nicht so richtig über den Status des Geheimtipps hinausgekommen. Während der letzten fünfzehn Jahren konnte der Texaner in den Vereinigten Staaten allerdings seine Alben in diversen Charts platzieren. Seine Werke werden nicht nur von Kritikern hoch gelobt, sondern auch Kollegen wie John Mellencamp, der McMurtrys Debütalbum „Too Long In The Wasteland“ (1989) produzierte, und Jason Isbell sowie Schriftsteller Stephen King würdigen sein Songwriting.

Nach McMurtrys letztem Album „Complicated Game“ (2015) folgt nun „The Horses And The Hounds“. Um es vorweg zu nehmen: Das Album rangiert ganz weit oben unter den diesjährigen Neuerscheinungen. McMurtry liefert kraftvolle Songs, die klare Strukturen und eingängige Refrains mit formidablem Storytelling verbinden. Das Gefühl, von den Mitmenschen, von der Regierung, von dem Leben betrogen worden zu sein, durchzieht dabei das Werk ebenso wie das Eingeständnis eigener Unzulänglichkeiten. You can’t be young and do that – so lautet ein Vers der ersten Auskopplung „Canola Fields” und steht zugleich für das reife Songwriting von McMurtry.

Mit dem Opener „Canola Fields“ und dem folgenden „If It Don’t Bleed“ trifft McMurtry mitten ins Schwarze. Die erdigen Songs gehen unmittelbar ins Ohr und ins Herz. Besondere Intensität entwickelt ebenso „Decent Man“. Wie es McMurtry schafft, soviel Energie zu erzeugen bleibt dabei ein Rätsel. Der Gesang, der Chorus, der Rhythmus, die eingestreuten Gitarrensoli, der Text – sie greifen ineinander, sodass alles passt.

Bei „Operation Never Mind“ wird McMurtry politisch, indem er darauf hinweist, dass die Wahrnehmung von Kriegen heutzutage medial gesteuert wird und wir in der Regel auch nur das über sie wissen, was wir erfahren sollen. McMurtry sagt über sein Album, dass sich manche Gitarren nach Warren Zevon anhören. Tatsächlich werden Assoziationen zu dem 2003 verstorbenen Musiker besonders bei diesem Song geweckt.

Mit „Jackie“ schlägt McMurtry ruhigere Töne an. Das mit einem Cello unterlegte, sensible Stimmungsbild zeichnet ein tragische Frauenschicksal nach. Ein weiteres Portrait, das einem verstorbenen Freund gewidmet ist, malt „Vaquero“. Den Refrain der Ballade singt McMurty auf Spanisch. Den tempomäßigen Gegenpol bildet der gradlinige Rocker „What’s The Matter“. Beim Titelsong „The Horses And The Hounds” erhält David Grissom an der Gitarre die Gelegenheit sich mit härteren Riffs und zwei kurzen Soli auszuleben. Sehr schön ist auch der Background Gesang von Betty Soo und Akina Adderley. Die beiden Damen werten ebenso das textlastige „Ft. Walton Wake-Up Call“ auf.

Der Abschluss „Blackberry Winter” beginnt mit folgender Zeile: I don’t know what went wrong. Das Album hingegen bietet keinen Anlass für Selbstzweifel. McMurtry hat alles richtig gemacht. Einzig der Grund, warum das Album als Doppel-LP mit einer blanken Seite herauskommt, erschließt sich mir nicht. Die A-Seite ist durchgängig mit vier hochkarätigen Songs bestückt und auch auf den beiden anderen Seiten ist mit „Decent Man“ und „The Horses And The Hounds” jeweils ein ausgezeichneter Titel vertreten. Die anderen Stücke fallen lediglich im Vergleich mit den zahlreichen Delikatessen etwas ab, sind aber allesamt gute Kost.

Die musikalische Qualität garantieren die Begleitmusiker. McMurty hat für das Werk einige Veteranen der Szene zusammengetrommelt: David Grissom (John Mellencamp, Joe Ely, Storyville), Kenny Aronoff (Bob Dylan, John Fogerty, Jon Bon Jovi, Meat Loaf, Lynryd Skynyrd), Charlie Sexton (Arc Angels, Lucinda Williams, Shawn Colvin) Bukka Allen (Joe Ely, Alejandro Escovedo). Ross Hogarth (Melissa Etheridge, Van Halen) übernahm die Produktion und Abmischung.

James McMurtry zeigt einmal mehr, dass er zu den vorzüglichsten Songschreibern Amerikas gehört. Durch den erdigen Sound und die ausgefeilten Refrains ist ihm ein beeindruckendes Album gelungen, bei dem der Titeltrack „The Horses And The Hounds” sowie die ersten fünf Songs zurzeit in Dauerschleife laufen.

New West Records – PIAS-Rough Trade (2021)
Stil: Roots Rock

Tracks:
01. Canola Fields
02. If It Don‘t Bleed
03. Operation Never Mind
04. Jackie
05. Decent Man
06. Vaquero
07. The Horses And The Hounds
08. Ft. Walton Wake-Up Call
09. What‘s The Matter
10. Blackberry Winter

James McMurtry
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New West Records
Pias – Rough Trade
Oktober Promotion

Melissa Etheridge – 23.04.2015, Live Music Hall, Köln – Konzertbericht

 

Es war gestern beim Melissa Etheridge-Gig in der Domstadt irgendwie nicht mein Tag. Lange Schicht auf der Arbeit, danach unglaubliche 2½ Stunden Fahrtzeit von Essen nach Köln, dank Bahnstreik und einer Baustelle auf der A3. Das relativ späte Eintreffen an der Live Music Hall war aufgrund der Akkreditierung mit Fotopass (danke nochmal dafür an Mark Dehler von Netinfect) kein Problem, da ich mit den anderen Fotografen per Security separat zur Bühne geleitet wurde. Der sonst übliche Fotograben war hier zu einer Fotozelle umfunktioniert worden. Das Gatter war so dicht an die Bühne gepfercht worden, dass man sich, mit quasi null Bewegungsfreiheit, wie eines der bemitleidenswerten Tiere in der Massenhaltung vorgekommen ist (wenn auch nur für knapp vier Minuten). Jeder Schwerverbrecher hätte unter diesen Bedingungen wahrscheinlich sofort Amnesty International auf den Plan gerufen…

Dazu wurde nur die Erlaubnis erteilt, beim Opener „Ain’t It Heavy“ zu fotografieren. Für mich also unter diesen allürenhaften Bedingungen bei etwas größeren Events, zumal ich eh nicht der große Kameraprofi bin, Stress pur. War nicht so schön. Nach dem Abgeben der Ausrüstung durfte man sich dann wieder von hinten durch die fast voll besetzte Halle halbwegs nach vorne schlängeln. Danach die nächste Enttäuschung: Ich war in der Annahme zum Konzert gereist, die Kalifornierin mit Band zu sehen zu bekommen, da ich sie vor Jahren schon mal bei ihrer „Live And Alone“-Tour solo erlebt habe. Aber nix da. Melissa also wieder ‚leibhaftig und allein‘.

Na ja, zumindest hatte ich beim Studieren ihrer Setlists von 2015 die leise Hoffnung, dass sie wenigstens ihr neues Album „This Is M.E. ausführlich präsentieren würde, aber auch dem war leider nicht so. Später mehr dazu. Aber gut, genug gemeckert jetzt, kommen wir zu den erwähnenswerten Dingen des Abends. Die Live Music Hall war mit geschätzten 1300 Besuchern ziemlich gut gefüllt und als Hetero den Massenauflauf von vornehmlich gleichgeschlechtlichen weiblichen Paaren zu beobachten, war natürlich für den Bewohner einer mittelgroßen Kleinstadt wie mich, der den Christopher Street Day nur aus dem Fernsehen kennt, schon wieder etwas Besonderes (allerdings war ich durch den damaligen Konzertbesuch schon innerlich darauf vorbereitet).

Nach dem bereits erwähnten Eröffnungsstück ging es über „Chrome Plated Heart“ zu „Enough Of You“, wo die Etheridge kurz eine Anekdote, wie sie mal vor geraumer Zeit in den Kölner Karneval geriet, zum Besten gab. Mit „Take My Number“ gab es das erste Stück vom neuen Album. Auffällig, dass diese Tracks, und auch ein paar andere, immer wieder von Melissa durch eine Loop Machine (dazu schlug sie meist ein paar Mal auf eine Handpauke und einen Schellenring) playbackartig in Sachen Rhythmik unterstützt wurden, was den Ablauf zumindest nicht ganz so eintönig machte.

Vor „I Want To Come Over“ berichtete sie kurz von ihrem nahenden Auftritt in der NDR-Talkshow „3 nach9“, wo wohl ein Song von ihr mit dem ebenfalls anwesenden Howard Carpendale im Duett als Überraschung geplant sei. Und tatsächlich, neben „Monster“, sang sie am Ende mit diesem Springsteens „Dancing In The Dark“, das schonungslos offenbarte, dass der mutige, aber gesanglich hoffnungslos unterlegene Howie wohl besser seinem Schlagergenre beiwohnen bleiben sollte. Zu einem von ihr bisher unveröffentlichen Stück, „Ready To Love“ (das sie einem europäischen Superfan widmete, der angeblich über zehn Jahre fast alle Gigs von ihr im hiesigen Raume besucht haben soll), besetzte sie zum ersten Mal das Piano, das sie dann auch für das angenehme Joan Armatrading -Cover „The Weakness In Me“ später nochmals frequentierte. Schön auch ein weiterer aktueller Song „Like A Preacher“.

Nach „Must Be Crazy For Me“ brachte das in der Zuschauergunst recht hoch angesiedelte „Come To My Window“ erstmalig spürbare Emotionen in die Halle. Ein sehr schöner Song! Klasse, als sie für „Ain’t That Bad“ vom neuen Album mal eine schwarze Gibson Les Paul schulterte und das mit einer Mischung aus E-Gitarre und Dobro gespielte großartige „Monster“ bewies, dass sie auch richtig gut Alarm auf diesen Teilen machen kann. Hier bevorzugte sie die Slide-Variante und obendrauf gab es auch noch ein deftiges Harp-Solo. Ein Highlight! Das war es dann aber auch mit den neuen Sachen. Meine Favoriten „Do It Again“ und „All The Way Home“ blieben leider außen vor. Über „I’m The Only One“ ging es dann schon auf die Zielgerade. Das übliche und routiniert von ihr runtergespulte „Bring Me Some Water“ vom Debüt sollte dann nach knapp 1½ Stunden Spielzeit den Hauptteil beenden.

Klar war, dass als Zugabe dann nur noch „Like The Way I Do“ folgen konnte. Eigentlich bin ich ja nicht so der Fan von Stücken, die immer wieder im Radio gedudelt werden und über die Künstler von der gemeinen Masse meist ausnahmslos definiert werden. Aber was Melissa bei diesem Stück, in einer um die acht Minuten währenden Fassung, zum textsicheren Mitgesang des Publikums vom Stapel ließ, war schon sehens- und hörenswert, ja atemberaubend. Nach dieser bravourösen Darbietung konnte man das Ende des Gigs ohne weitere Lieder kritiklos hinnehmen.

Fazit: Die Etheridge ist auch heute noch zu jeder Zeit in der Lage, eine Location alleine zu rocken, trotzdem wäre ein Auftritt mit kompletter Band (zumindest aus meiner Sicht) trotz aller gegebener Mühe sicherlich deutlich interessanter und abwechslungsreicher gewesen. Die Foto-Geschichte von zu Anfang mit nur einem Lied, in Zeiten, wo alle eh mit dem Handy ständig zugange sind, halte ich unter den genannten Bedingungen, für völlig daneben. Irgendwie ist mir die intime Atmosphäre bei kleinen Clubkonzerten in weniger abgehobener Atmosphäre dann doch etwas lieber. Für mich persönlich gilt in Zukunft, was M. E. angeht, deshalb nur noch live, wenn ’not alone‘!

Line-up:
Melissa Etheridge (vocals, guitars, piano, harp, percussion)

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Live Music Hall Köln

Melissa Etheridge – This Is M.E. – CD-Review

Da ich Melissa Etheridge nicht persönlich kenne, sind nachführende Ausführungen von mir eher als Mutmaßungen zu betrachten! Ich habe bei ihr immer so das Gefühl, dass neue Alben oft stärker von ihren momentanen Befindlichkeiten geprägt sind, als es oft bei anderen Künstlern ihres Kalibers der Fall ist, von finanziellen Interessen der Plattenfirma oder der reinen Befriedigung des selbstverliebten Egos.

Hatte ich den Eindruck, dass ihr (auch von mir besprochenes), sehr kontrovers aufgenommenes letztes Werk „4th Street Feeling„, noch immer unter den Nachwirkungen ihrer überstandenen Krebserkrankung und mehr denn je in Bezug auf die Scheidung von ihrer zweiten Ehefrau Tammy Lynn Michaels, mit all den vermutlich unerfreulichen Begleiterscheinungen rund um solche Sachen, entstanden war, bin ich nunmehr fest davon überzeugt, dass der neue Longplayer „This Is M.E.“ der mittlerweile 53-jährigen, aus Leavenworth, Kansas stammenden Protagonistin in einer Art ‚emotionalen Hochphase‘ kreiert und eingespielt wurde.

Ein schönes Wortspiel übrigens der Titel mit der Zweideutigkeit ihrer Initialen! Und er impliziert natürlich auch damit, die einzig wahre Melissa Etheridge präsentiert zu bekommen. Die neue CD strotzt nur so von positiver Energie und es macht durchgehend Spaß, Melissas scheinbar neu gewonnenem Lebensmut und dem daraus resultierenden kreativen Tatendrang, Folge zu leisten. Ein Grund dafür ist sicherlich auch ihre erneute, im Juni 2014 geschlossene eheliche Liason mit der Produzentin und Regisseurin Linda Wallem, der sie mit dem Abschluss-Track „Who Are You Waiting For“ eine höchst-sentimentale Ballade widmete und quasi als eine Art Heiratsantrag zum Anlass ihrer Hochzeit vorspielte.

Da sieht man die zweifache Grammy-Gewinnerin und Inhaberin eines Sternes auf dem ‚Hollywood Walk Of Fame‘ auch schon vorm geistigen Auge zum Abschluss ihrer kommenden Live-Konzerte, ähnlich wie damals bei „Please Forgive Me“ von „Skin“ vor dem Piano hocken, und ihrer aktuellen Gefühlswelt freien Lauf und die Eindrücke der jüngsten Vergangenheit Revue passieren lassen.

Auch der Titel des schönen melodischen Openers „I Won’t Be Alone Tonight“ und vor allem, wie die Titelzeile herausschreit, spricht Bände. Hier erscheint es, als wenn sie doch einigen angestauten emotionalen Ballast von sich abgeworfen hätte. Viele Songs von ihr entstanden in Zusammenarbeit mit angesagten Leuten wie Jerrod Bettis (Adel, One Republic, Eric Hutchinson, Gavin DeGraw), Jon Levine (Nelly Furtado, K’Naan, Selena Gomez), dem Rapper RoccStar (der hier aber nur Harmoniegesänge beisteuern darf) oder Jerry Wonda (Fugees, Mary J. Blige, Akon).

So haben sich dadurch einige momentan unabdingbar erscheinende Sachen wie Synthies, Drum-Loops und chorale ‚Ohohoh‘- und ‚Ladidadidei‘-Harmoniegesänge, die mir gerade auch in meiner geliebten Nashville-New Country-Szene z. T. mächtig auf den Keks gehen, eingeschlichen. Sie passen aufgrund ihrer erträglich gehaltenen Dosierung aber hier zur Struktur der Lieder, meist im Stile ihres damals so erfolgreich eingeschlagenen Debütalbums gehalten, trotzdem ganz gut. Und ihre tolle variable Stimme leistet wie immer natürlich auch ein Übriges.

Weitere potentielle Hitkandidaten sind eingängige, zwischen Pop und Rock wandelnde Stücke wie das flockige „Take My Number“ , „A Little Hard Hearted“ (leicht beatleske Note), „Like A Preacher“ (mit schön passenden sakralen Piano- und Orgeltönen) oder das verspielt klingende „A Little Bit Of Me“, allesamt mit von hohem Wiedererkennungswert gekennzeichneten Refrains verziert.

Meine absoluten Favoriten sind allerdings das herrlich lässig, dezent bluesig, groovende „Do It Again“ (schöne Slide- und E-Gitarre), das an ihr „Bring Me Some Water“ erinnernde schroff rockende „Monster“, das cool dahinstampfende „All The Way Home“ (wieder klasse Gitarren, herrlich rotziger Gesang der Etheridge) oder das in der Tradition von Bon Jovis „Dead Or Alive“ gehaltene „Stranger Road“ (z. T. mit Banjo und Harp) mit viel staubigem Outlaw-Country-Flair.

Fazit. Melissa Etheridge legt auf dem deutschen Plattenlabel SPV mit „This Is M.E.“ ein sehr persönliches Album vor, das sie wieder in die Nähe ihrer stärksten Momente, wie beim Erstling oder bei „Skin“, bringt. Erstaunlich, wie gut sie es dabei schafft, moderne Komponenten mit ihrem doch eher sonst spartanisch angelegten Musikstil zu verbinden, ohne sich dabei allzu stark zu verleugnen. Ihre spürbar transportierte Euphorie wirkt dabei teilweise ansteckend und sehr authentisch. Alle Texte (wenn auch in absolut schwer lesbarer Mini-Miniaturschrift) und viele Bilder aus ihrem Musik- und Privatleben sind im beigefügten Booklet enthalten. Ein tolles weiterzuempfehlendes Werk!

SPV (2015)
Stil:  Rock & More

01. I Won’t Be Alone Tonight
02. Take My Number
03. A Little Hard Hearted
04. Do It Again
05. Monster
06. Ain’t That Bad
07. All The Way Home
08. Like A Preacher
09. Stranger Road
10. A Little Bit Of Me
11. Who Are You Waiting For

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Melissa Etheridge / 4th Street Feeling – Deluxe-Edition – CD-Review

Ich hatte zwar nach meinem ersten Hördurchgang schon eine gewisse Vorahnung, dass Melissa Etheridges neues Werk „4th Street Feeling“ kontroverse Reaktionen bei ihren Fans auslösen würde. Aber dass da dabei fast entweder nur absolut positive Statements oder im anderen Extrem Äußerungen wie »völlig daneben«, »Desaster« (in Anspielung auf Track sieben dieser CD) herauskommen würden, hat mich dann doch etwas überrascht.

Ob es meiner zunehmenden Altersweisheit geschuldet ist (der intensive Zuwachs des Grauanteils in einer Haarpracht in den letzten Jahren könnte ein Indiz dafür sein…), dass meine Beurteilung etwas entspannter und differenzierter ausfällt, lasse ich mal dahin gestellt. Aus meiner Sicht liegt die Wahrheit irgendwo mittendrin.
Obwohl ich zu der Künstlerin nie die ganz große Beziehung entwickelt habe, stelle ich fest, dass ich doch eine stattliche Anzahl ihrer musikalischen Outputs besitze, ihre ersten beiden Werke (aus der Zeit ihres kometenhaften Einstiegs ins Musikbusiness) sogar noch als LP. 1992 (ist das schon wieder so lange her?) nutze ich dann die Gelegenheit nach ihrer starken Scheibe „Skin“, sie mir mal leibhaftig in der Düsseldorfer Philipshalle im Rahmen ihrer „Live And Alone-Tour anzuschauen und war sichtlich beeindruckt von ihrem energiegeladenen und – für eine reine Soloperformance – ziemlich unterhaltsam gestalteten Auftritt.

Ich besorgte mir natürlich die kurz darauf folgende DVD und dann noch ihr „Lucky“-Album (1994), danach habe ich sie musikalisch ein wenig aus den Augen verloren. Ich habe natürlich ihre Krebserkrankung mitbekommen und mich gefreut, dass sie die Sache, so wie es übermittelt wurde, als geheilt geltend, überstanden hat. Sie ist halt eine überaus starke (nach meiner subjektiven Einschätzung aber auch recht schwierige und sehr auf sich fixierte) Persönlichkeit, wie es nicht nur der entschlossene Blick auf dem Cover des neuen Silberlings „4th Street Feeling“ vermuten lässt.

Ich halte die Deluxe-Version in den Händen (ergänzt um drei Bonus-Songs) und bin zunächst von der wuchtigen Aufmachung (inkl. des 28-seitigen eingesteckten Booklets, beindruckt. Sieht schon klasse aus, wenn man das Teil auseinander klappt und Frau Etheridge mit einem Golden Retriever vor einem 88er Delta (mit seiner ganzen Länge) posieren sieht. Das umfangreich bebilderte Heftchen beinhaltet alle Texte und einige handschriftliche Notizen Melissas zum Titeltrack, so dass man nachträglich ein wenig an der Intention und Entstehung des Songs teilhaben kann.

Laut eigener Aussage der 1961 geborenen, in Leavenworth, Kansas, aufgewachsenen Künstlerin, führt das Werk sie zu Ihren Anfängen zurück und arbeitet dabei auch so ein bisschen ihre Jugenderinnerungen auf, eine Phase, in der noch nichts von ihrem späteren Erfolg zu erahnen gewesen sei. Auf der 4th Street, der Hauptader ihres Geburtsorts (heute Highway 7), hing sie in ihrer Jugend mit ihren Bekannten wohl regelmäßig ab. Und so offerieren die beiden eröffnenden, geographisch betitelten, sehr schönen Lieder auch direkt den Bezug zur Intention des Werkes (das eingängige „Kansas City“ mit tollem Harp-Solo). Ein starker Auftakt – die Etheridge, wie man sie kennt und liebt.

Melissa hat übrigens alle Gitarrenparts im Alleingang bewältigt (eine absolut neue Herausforderung für sie) und den Rest durch die Mitglieder ihrer Tourband (Blair Sinta, Brett Simmons, Zac Rae) erledigen lassen. Für „Falling Up“ nutzte sie sogar eine Banjitar (sie hatte sie sich im Gutdünken, ein Banjo erworben zu haben, zugelegt).
Weitere starke Tracks wie „Disaster“, „I Can Wait“ oder „You Will“, die von der Melodik her mit auf „Skin“ hätten ihren Platz finden können, zählen zu meinen Favoriten.

Aber auch Songs wie das dezent Rockabilly-behaftete „Shout Now“, das mit schönen Stimmungswechseln versehene „The Shadow Of A Black Crow“, das cool groovende „Be Real“ oder das rockige „Sympathy“ (stoneskes Riff, hier hätte auch noch ein schönes HT-Piano ganz gut gepasst) sowie der relaxte, textlich toll konzipierte Schwofer „Rock And Roll Me“ wissen zu überzeugen.

Kommen wir zu den Sachen, die vermutlich der Auslöser für die zum Teil überzogene Kritik in negativer Hinsicht verantwortlich sein könnten. Mit „Enough Rain“, „A Sacred Heart“, und am Ende „The Beating Of My Heart“ sowie „Change The World“ (da passt der Refrain aus meiner Sicht so gar nicht zu den Strophen) gibt es hier sehr anstrengende, z. T. aggressiv und ein wenig psychedelisch angehauchte (was ja nicht unbedingt jedermanns Sache ist) und nicht gerade glücklich gewählte Phasen, die den Fluss und den Gesamtkontext des Albums stören.

Ich hätte an Ihrer Stelle im Hinblick auf 15 Songs mich doch eher für gelernte und eine etwas breitgefächerte Anzahl von Studiomusikern entschieden, die dem Werk, deutlich mehr Volumen und Abwechslung gegeben hätten. So ist dem hauptverantwortlichen Produzenten Jacquire King (Kings Of Leon, Norah Jones) zwar eine schön klare und künstlerbezogene (Etheridges einzigartiger Gesang und ihr Gitarrenspiel werden sehr transparent in den Mittelpunkt gestellt, vermutlich war das auch ihr Wunsch), rufen aber trotz der recht unterschiedlich gestalteten Lieder eine gewisse Monotonie (gerade was ihre Gitarrenkünste betrifft – oft sehr gleich klingende Intros) und Langatmigkeit hervor. Ich hätte hier persönlich eher zu einer Umsetzung durch die Nashville–Studiomusiker-Gilde, samt eines ihrer Erfolgsproduzenten, tendiert, die mit ihrem Können und ihrer spielerischen Kreativität für die Ausstaffierung solcher, eher ‚roh‘ klingender Songs prädestiniert gewesen wären.

Aber nichtsdestotrotz stehen auf „4th Street Feeling“ aus meiner Sicht elf gute Tracks vier, nicht ganz so prickelnden Sachen gegenüber, was im Prinzip zu einem überwiegend zufriedenstellenden Gesamtfazit führt. Mir hat die Begegnung mit Melissas Musik jedenfalls mal wieder ganz gut zugesagt. Imposant, wie bereits erwähnt, die tolle visuelle Aufmachung der Scheibe in der Deluxe-Version! Trotzdem bleibt „Skin“ dann doch weiterhin mit Abstand meine Lieblingsplatte von ihr.

Island Records (2012)
Stil:  Rock & More

01. Kansas City
02. 4th Street Feeling
03. Falling Up
04. Shout Now
05. The Shadow Of A Black Crow
06. Be Real
07. A Disaster
08. Sympathy
09. Enough Rain
10. A Sacred Heart
11. I Can Wait
12. Rock And Roll Me
13. You Will
14. The Beating Of Your Heart
15. Change The World

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