The Gaslight Anthem – History Books – CD-Review

Review: Michael Segets

Nachdem Brian Fallon auf Solopfaden wandelte, blieb lange Zeit unklar, ob und wie es mit The Gaslight Anthem weitergeht. „History Books“ beantwortet nun diese Fragen. Fallon trommelte Alex Roamilia (Gitarre), Benny Horowitz (Schlagzeug) und Alex Levine (Bass) wieder zusammen, um da weiterzumachen, wo The Gaslight Anthem mit „Get Hurt“ (2014) vorerst aufhörten. Trotz der langen Pause zeigt sich eine Kontinuität des Sounds, die durchaus beabsichtigt ist. Das Quintett wollte sich nicht neu erfinden und das ist gut so.

The Gaslight Anthem steht für einen eigen Klang, der irgendwo zwischen Heartland und Punk Rock angesiedelt ist. Das Zusammenspiel zwischen härteren Riffs und leiseren Tönen sind dabei ein Markenzeichen der Band. Vor allem Fallons Gesang verbindet oftmals in seiner eigenen Art Aggressivität mit Sensibilität, wodurch er Gänsehautmomente erzeugt. Diese stellen sich auf dem neuen Album insgesamt seltener ein. Die Intensität von Fallons Gesang reicht nach dem Eindruck der ersten Durchläufe nicht ganz an die früherer Songs heran.

Diese Kritik soll aber über das Niveau der aktuellen Scheibe nicht hinwegtäuschen. Sie mag auch verzerrt sein, da sich vor allem „Keepsake“ und „Too Much Blood“ als Vergleichspunkte bei mir eingebrannt haben. Die beiden Songs tönen seit elf Jahren mehr oder minder regelmäßig durch meine Lautsprecher. Sie stammen von „Handwritten“, auf dem sich die beiden starken Stücke „Spider Bites“ und „I Live In The Room Above“ gut integriert hätten. Die Titel zeigen, dass The Gaslight Anthem den Wechsel von brachialen Gitarren und gefühlvollen Passagen immer noch perfekt beherrschen. Obwohl die Songs um die vier Minuten kreisen, gelingt das Spiel mit der Dynamik erneut hervorragend.

Die bisherigen Singles spiegeln die aggressive Seite des Albums wieder. So gehen „Positive Charge“ und „Little Fires“, bei dem Stefan Babcock (PUP) mit von der Partie ist, ohne Kompromisse straight forward. Auch der bereits herausgegebene Titelsong „History Books“ rockt mit straffen Rhythmus. Bruce Springsteen tritt hier als Duett-Partner von Fallon auf. Die beiden fühlen sich schon längere Zeit verbunden – nicht nur aufgrund der gemeinsamen Herkunft aus New Jersey. Die Anregung für die Zusammenarbeit stammt vom Boss und Fallon ergriff die Chance, dass einer seiner musikalischen Heroen einem selbstgeschriebenen seine Stimme leiht.

Die Auswahl der Singles ist nicht repräsentativ für den Longplayer. Bei fast der Hälfte der Songs schlägt die Band gemäßigte Töne an. „Michigan, 1975“ sowie das von Keys dominierte „Empires“ sind sanfte, aber intensive Balladen. Auch mit „Autumn“, bei dem ein leicht keltischen Einschlag durchscheint, gelingt der Band eine runde Sache. „The Weatherman“ sticht unter den melodiösen Beiträgen hervor und stellt meinen Favoriten auf der Scheibe dar. Der Track lässt ebenso wie das abschließende „A Lifetime Of Preludes“ Verbindungslinien zu „Local Honey“ (2020), dem – lässt man seine Weihnachtsplatte unberücksichtigt – letzten Soloalbum von Fallon, aufblitzen.

Protest und Widerstand bleiben weiterhin Bestandteile der greifbaren Poesie in den Texten. Der Titel „History Books” umschreibt die thematische Ausrichtung des Albums. Die Auseinandersetzung mit vergangene Kapiteln des Lebens an dem Punkt abzuschließen, an dem es zur Belastung wird, an ihr festzuhalten, mag sich als essentielle Empfehlung herauskristallisieren. Dass Fallon und Co. das Kapitel der gemeinsamen Geschichte noch nicht beendet haben, sondern die Vergangenheit aufleben lassen, stellt für die Hörer einen Glücksfall dar.

Das Comeback von The Gaslight Anthem knüpft nahtlos an die früheren Alben an. Rockige Nummern mit einer gewissen Punk-Attitüde wechseln sich mit ruhigen Stücken ab. Selbst bei den leiseren Beiträgen versprühen Brian Fallon und seine Mitstreiter immer noch die Energie, für die die Band bekannt ist.

Rich Mahogany Recordings – Thirty Tigers/Membran (2023)
Stil: Rock

Tracks:
01. Spider Bites
02. History Books (feat. Bruce Springsteen)
03. Autumn
04. Positive Charge
05. Michigan, 1975
06. Little Fires (feat. Stefan Babcock)
07. The Weatherman
08. Empires
09. I Live In The Room Above
10. A Lifetime Of Preludes

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Oktober Promotion

Dave Hause – Drive It Like It’s Stolen – CD-Review

Review: Michael Segets

Dave Hauses musikalische Anfänge in diversen Punkbands liegen nun schon einige Jahre zurück. In seiner Solokarriere, die 2011 mit „Resolutions“ begann, schlägt er gemäßigtere Töne an, wobei seine Songs weiterhin vor Energie strotzen. Stilistisch weisen Hauses Songs eine Nähe zu denen von Brian Fallon auf. Mit dem ehemaligen Frontmann von The Gaslight Anthem war er am Anfang seiner Solounternehmungen auf Tour. Eine weitere Gemeinsamkeit der beiden ähnlich alten Musiker liegt darin, dass sich die besungenen Themen im Laufe der Zeit änderten. Mit dem Überschreiten der Vierzig und der Familiengründung, gehören die wilden Jahren der Vergangenheit an. In den Texten klingt nun oftmals die neue Rolle als Vater an. So stehen auch auf „Drive It Like It’s Stolen“ die Sorgen um die Kinder und deren Zukunft im Zentrum.

Kontinuität beweist Hause bei der Wahl seiner Mitstreiter. Wie bei „Blood Harmony“ (2021) fungiert Will Hoge als Produzent und auch Hauses Bruder Tim ist erneut mit von der Partie. Auffällig ist, dass den Songs im Schnitt lediglich drei Minuten gegeben wird. Die Kürze der Kompositionen, die noch ein Überbleibsel der Punk-Vergangenheit sein kann, kennzeichnet Hauses Songwriting. Dennoch entbehrt dieses nicht einer gewissen Komplexität. Die beiden Stücke zu Beginn des Albums „Cheap Seats (New Years Day, NYC, 2042)“ und „Pedal Down“ dienen dafür als Beleg. Sie starten langsam, entwickeln dabei Spannung und nehmen schließlich Fahrt auf. Bereits hier zeigt sich, dass Hause weiterhin das Herz eines Rockers hat.

Bei dem folgenden „Damn Personal” steigt Hause mit Tempo ein und behält dies durchgängig bei. Danach liefert er mit „Low“ und dem gradlinigen „Hazard Lights” Heartland Rock der Güteklasse ab. Auch zum Abschluss gibt es noch eine Uptempo-Nummer („The Vulture“), die allerdings relativ abrupt endet. Die Songs sind insgesamt druckvoll, bleiben dabei aber stets melodisch.

Cello- und Streicherklänge begleiten „Chainsaweyes“ und geben dem Stück eine dunkle Atmosphäre. Hause kategorisiert sein Werk als Post-apocalyptic Americana. Die Bezeichnung mag auf manche Balladen, die sich überwiegend in der zweiten Hälfte des Albums finden, durchaus zutreffen. So ist das ruhige „Lashingout“ ebenfalls interessant instrumentalisiert. Gegen Ende sind überraschende Passagen eingebaut, bei denen ein Klavier hervortritt und Bläser im Hintergrund wimmern.

Das Piano bekommt auch auf dem akustisch gehaltenen „Tarnish“ seinen Part. An dem persönlichen Hintergrund zur Entstehungsgeschichte des Songs lässt uns Hause in einem Interview teilhaben. Das vorab ausgekoppelte Stück wirkt wie der etwas langsamere Titeltrack etwas zahmer als der Rest des Longplayers. Die beiden klassisch gehaltenen Americana-Beiträge bilden so einen gelungenen Gegenpol zu den anderen.

Dave Hause verbindet Aggressivität und Sensibilität in seinen Songs wie kaum ein anderer. Ausdrucksstarker Gesang und authentisch wirkende Texte lassen den Funken überspringen. Dabei gelingt ihm auf „Drive It Like It’s Stolen“ die Gradwanderung zwischen dem Festhalten an Konventionen und dem kreativen Ausbrechen aus ihnen.

Blood Harmony Records – Soundly Music/Lime Tree Music (2023)
Stil: Rock, Americana

Tracks:
01. Cheap Seats (New Years Day, NYC, 2042)
02. Pedal Down
03. Damn Personal
04. Low
05. Chainsaweyes
06. Hazard Lights
07. Drive It Like It’s Stolen
08. Lashingout
09. Tarnish
10. The Vulture

Dave Hause
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Soundly Music
Lime Tree Music

Lucinda Williams – Have Yourself A Rockin’ Little Christmas with Lucinda Williams – CD-Review

Review: Michael Segets

Aus der letztjährigen Konzertreihe, die Lucinda Williams als Alternative zu den Liveauftritten vor Publikum per Video streamte, steht jetzt passend zur nahenden Weihnachtszeit „Have Yourself A Rockin’ Little Christmas with Lucinda Williams” als fünfte Ausgabe von Lu’s Jukebox in den Regalen. Williams pickt sich dabei Weihnachtsstücke heraus, die nicht zum klassischen Repertoire gehören, welches an den Festtagen rauf und runter gespielt wird. Entgegen dem Titel bedient sie dabei eher den Blues als den Rock.

„Merry Christmas (I Don’t Want To Fight Tonight)“ – im Original von den Ramones – geht natürlich ab. „Santa Claus Want’s Some Lovin‘“ von Albert King ist ebenfalls rockig ausgelegt und mit einer funkigen Gitarre versehen. Bei „Run Run Rudolph“ legt Williams Soul in die Performance. Der von Chuck Berry geschriebene Titel erinnert an den James-Bond-Theme. Buck Owens verfasste „Blue Christmas Lights“ und wird von Williams als Bluesrock interpretiert. Damit sind die temporeicheren Tracks auf dem Longplayer aufgezählt.

Den überwiegenden Teil des Albums bestreitet Williams mit langsameren Blues, versehen mit R&B-Elementen. „Christmas Tears“, „Merry Christmas Baby“, „Please Come Home For Christmas“ sowie „Little Red Rooster”, das von Willie Dixon stammt und von Howlin’ Wolf aufgenommen wurde, gehören in diese Kategorie. Komponiert wurden sie in den 1940ern beziehungsweise den 1960er Jahren. Ebenfalls ruhig, aber mit einem leicht poppigen Americana-Sound versehen, ist „If We Make it Through December“.

Drei Titel gehen in Richtung Swing – allen voran Louis Armstrongs „Christmas In New Orleans“. „I’ve Got My Love To Keep Me Warm“ sowie „Have Yourself A Merry Little Christmas“ gleiten dabei tendenziell in den Jazz über. Bei den beiden Songs überzeugt der Gesang von Williams nicht vollständig, obwohl ich sonst ein Fan ihrer stimmlichen Fähigkeiten bin.

Auf ihrem Weihnachtsalbum „Have Yourself A Rockin’ Little Christmas” unternimmt Lucinda Williams einen Streifzug durch die Geschichte der populären Musik und greift vorwiegend in Vergessenheit geratene Songs heraus. Anders als der Titel vermuten lässt, steht dabei der Blues im Fokus ihrer Interpretationen. Daneben finden sich rockige Versionen auf der Scheibe und auch dem Swing wird Raum gegeben. Wem die bereits vorgestellte CD von Brian Fallon zu den Festtagen zu reduziert ist, bekommt mit der von Lucinda Williams eine Alternative angeboten, um die stille Zeit bis Neujahr zu überbrücken.

Highway 20 – Thirty Tigers/Membran (2021)
Stil: Christmas Songs

Tracks:
01. Blue Christmas Lights
02. Run Run Rudoph
03. Christmas Tears
04. If We Make It Through December
05. Merry Christmas Baby
06. I’ve Got My Love To Keep Me Warm
07. Santa Claus Want’s Some Lovin’
08. Christmas In New Orleans
09. Please Come Home For Christmas
10. Little Red Rooster
11. Merry Christmas (I Don’t Want To Fight)
12. Have Yourself A Merry Little Christmas

Lucinda Williams
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Brian Fallon – Night Divine – CD-Review

Review: Michael Segets

Brian Fallon, der ehemalige Frontmann von The Gaslight Anthem, verfolgt seit fünf Jahren eine Solokarriere. Nach den rockigen „Painkiller“ (2016) und „Sleepwalkers“ (2018) schlug er mit „Local Honey“ (2020) bereits ruhigere Töne an und leg nun ein nochmals reduzierteres Werk vor. Auf „Night Divine“ interpretiert er traditionelle Kirchen- und Weihnachtslieder.

Seine frühesten musikalischen Erfahrungen verbindet Fallon mit dieser Musik. Die Songs nahm er zu Hause auf, wobei auch seine Mutter mitwirkte, die ihm diese Lieder in seiner Kindheit oft vorsang. Die meisten Hörer hierzulande werden zumindest zu Weihnachten an den deutschen Versionen von „Silent Night“, „O Holy Night“ oder auch „The First Noel“ nicht vorbeigekommen sein. Fallon performt sie mit wenig Pathos und unterlegt sie instrumental zurückhaltend hauptsächlich mit Klavier und akustischer Gitarre. Unabhängig davon, ob er bekannte Titel oder selten gehörte interpretiert, gibt Fallon ihnen eine ganz persönliche Note mit.

Weniger eng mit den Festtagen verbunden sind einige Gospel-Klassiker. „Amazing Grace“ wird von Fallon ins Mikro gehaucht und lediglich mit Klavier begleitet, bevor sich am Ende noch etwas Synthesizer hineinmischt. Die Version setzt einen Kontrapunkt zu den oftmals bombastischen Interpretationen der Chöre. Auch „Angels We Have Heard On High“, mit akustischer Gitarre und etwas Slide arrangiert, erweckt nicht den Eindruck eines Kirchenliedes, sieht man von den einzelnen lateinischen Versen ab. Bei „The Blessing“ erzeugen Refrain und Backgroundgesang eine sakrale Atmosphäre, die in den Strophen nicht im Vordergrund steht. Stattdessen geht der sehr stimmungsvolle Song als erdiger Americana-Titel durch.

Gerade den Stücken, die nicht so geläufig sind, merkt man nicht an, dass sie aus dem kirchlichen Kontext stammen, sofern man nicht auf die Texte achtet. „Sweet Hour Of Prayer“, „Leaning On The Everlasting Arms“ oder „Nearer My God To Thee“ könnten auch in der Folktradition der Singer/Songwriter stammen. Besonders bei den beiden letztgenannten Titel transportiert der Gesang von Fallon viel Emotion. Aber an ihm scheiden sich bekanntlich die Geister.

Das Highlight des Albums stellt „Virgin Mary Had One Son” dar. Die Interpretationen von Odetta und Joan Baez inspirierten Fallon zu seiner Version, die als Soundtrack eines Western dienen könnte. Der Song wird vor, während und nach dem Heiligen Abend den Weg durch meine Boxen finden.

Brian Fallon präsentiert auf „Night Divine“ Weihnachtslieder und Gospels stripped-down. Dabei gelingen ihm Versionen, die sich von bekannten absetzen. Darüber hinaus interpretiert er weniger geläufige, akustisch gehaltene Spirituals. Gerade diese Songs sorgen dafür, dass das Album nicht nur zur Weihnachtszeit Gehör finden kann.

Lesser Known Records – Thirty Tigers/Membran (2021)
Stil: Spirituals

Tracks:
01. Virgin Mary Had One Son
02. Amazing Grace
03. O Holy Night
04. Nearer My God To Thee
05. Leaning On The Everlasting Arms
06. The First Noel
07. Sweet Hour Of Prayer
08. Angels We Have Heard On High
09. Silent Night
10. The Blessing

Brian Fallon
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American Aquarium – Lamentations – CD-Review

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Review: Michael Segets

BJ Barham gehört zu den wohl talentiertesten Storytellern seiner Generation. Oftmals mit Bruce Springsteen verglichen zeigt der Bandleader von American Aquarium in seinen Texten, dass er politisch und sozial das Herz auf dem rechten Fleck hat. Mittlerweile glaubhafter als der Boss gibt Barham den Gedanken und Gefühlen der arbeitenden Bevölkerung eine Stimme. Dabei besitzt er die Fähigkeit, empathisch deren Perspektive zu übernehmen und so nachvollziehbare Psychogramme zum Leben zu erwecken. Dies verbindet ihn beispielsweise mit Steve Earle.

In anderen Stücken zeigt Barham eine scharfe Selbstbeobachtung und arbeitet frühere Lebensstationen – wie seine Alkoholabhängigkeit – und aktuelle Situationen – wie seine Rolle als junger Vater – auf. Inhaltlich lamentiert Barham mit „Lamentations“ auf hohem Niveau.

Musikalisch bleibt sich American Aquarium treu. Ohne große Experimente reiht sich die CD in die bisherigen Veröffentlichungen der Band ein. Wenn American Aquarium sonst dem Country tendenziell nähersteht als dem Rock, sind dessen Einflüsse diesmal weniger vordergründig.

„Six Years Come September“ und „A Better South“ sind die countryfiziertesten Nummer auf dem Album. Die Pedal Steel wimmert auch auf einigen anderen Songs wie auf dem stimmungsvollen „How Wicked I Was“ oder der starken ersten Single „The Long Haul“. Slide und Pedal Steel setzt Barham sowieso gerne zur Untermalung ein. Auf „Lamentations“ fährt er deren Einsatz aber im Vergleich zu früheren Longplayern zurück, was den Songs zu Gute kommt.

Wenn Barham und seine Jungs das Tempo anziehen, liefert die Band stets mitreißende Stücke ab. „The Luckier You Get“, die zweite Vorabauskopplung, ist so ein toller Song auf der Scheibe, der – um nochmal einen großen Namen zu nennen – an Tom Petty erinnert. Bei dem Roots Rocker „Starts With You“ kommen die Braun Brüder von Micky And The Motorcars beziehungsweise Reckless Kelly in den Sinn, was für die Qualität des Titels spricht.

Ebenfalls zu den flotteren Stücken zählt „Brightleaf Burley“, dem Barham nochmal einen leichten Country-Einschlag mitgibt. Mit dem längeren instrumentalen Ausklang, ein vergleichbarer findet sich auch bei dem Opener „Me + Mine (Lamentations)“, bringt Barham eine neue Variation in sein Songwriting, die mir bislang auf den Werken von American Aquarium nicht so deutlich aufgefallen ist.

Eine fast intime Stimmung erzeugt die Klavierbegleitung zu Beginn von „The Day I Learned To Lie To You“. Mit dem Einsetzen der kompletten Band gewinnt das Stück dann an Dynamik. Die Songs tragen die typische Handschrift von American Aquarium, bleiben aber voneinander unterscheidbar, sodass „Lamentations“ die Spannung durchgehend aufrechterhält. Neben sanfteren Titeln sind ebenso kraftvoll arrangierte wie das hervorragende „Before The Dogwood Blooms“ vertreten.

Kurz bevor ich American Aquarium 2017 live sah, wurde die Band nahezu komplett umgebaut und vor allem in den letzten Jahren herrschte wenig Kontinuität in der Besetzung. Seit der Gründung von American Aquarium 2005 begleiteten circa 30 Musiker im Wechsel den Frontmann und Songschreiber BJ Barham. Während Gitarrist Shane Boeker schon auf „Things Change“ (2018) mit von der Partie war, sind Alden Hedges (Bass), Rhett Huffman (Keys), Neil Jones (Pedal Steel) sowie Ryan Van Fleet (Schlagzeug) neu hinzugestoßen.

Auf jeder CD von American Aquarium finden sich tolle Stücke. Da bildet auch „Lamentations“ keine Ausnahme. Darüber hinaus überzeugt der Longplayer als homogenes Gesamtwerk und ist hinsichtlich Songwriting und Produktion, bei der Shooter Jennings mitmischte, eine Nuance ausgereifter als beispielsweise der Vorgänger „Things Change“. Neben den kürzlich erschienen Scheiben von Brian Fallon und Lucinda Williams beweist BJ Barham mit seinem durchweg empfehlenswerten Bandalbum, wie abwechslungsreich das Americana-Genre sein kann.

New West Records/Pias – Rough Trade (2020)
Stil: Americana, Rock/

Tracks:
01. Me + Mine (Lamentations)
02. Before The Dogwood Blooms
03. Six Years Come September
04. Starts With You
05. Brightleaf Burley
06. The Luckier You Get
07. The Day I Learned To Lie To You
08. A Better South
09. How Wicked I Was
10. The Long Haul

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New West Records
Pias – Rough Trade
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Brian Fallon – Local Honey – CD-Review

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Review: Michael Segets

Nach einigen eher durchwachsenen Neuerscheinungen im Americana-Bereich, erscheint mit „Local Honey“ von Brian Fallon das erste herausragende Album 2020 dieses Genres, das vollständig überzeugt. Mit The Gaslight Anthem feierte Fallon große Erfolge. Er – wie Bruce Springsteen in New Jersey geboren – stand schon mit dem Boss auf der Bühne. Seit 2016 wandelt der Heartlandrocker auf Solopfaden und schaut bereits auf die beiden Alben „Painkiller“ (2016) und „Sleepwalkers“ (2018) zurück.

„Local Honey“ schlägt nun neue Wege ein. Hinsichtlich der Produktion verabschiedet sich Fallon von dem Major-Vertrag bei Universal und veröffentlicht die CD auf seinem eigenen, vor Kurzem gegründeten Label Lesser Known Records. Konzeptionell wählt er einen ruhigeren Grundton und schraubt damit die aggressiveren Elemente seiner bisherigen Veröffentlichungen zurück, ohne seine Wurzeln zu verleugnen, die nun mal im Rock liegen. Dies bedeutet aber nicht, dass er zahm geworden wäre.

Die Songs haben durchweg eingängige Melodien und entwickeln dank Fallons Gesang atmosphärische Dichte. So erlebt man Fallons Gefühlswelt von dem Opener „When You‘re Ready“, in dem er die Verbindung zu seiner heranwachsenden Tochter besingt, bis zu dem abschließenden Liebeslied „You Have Stolen My Heart“ nach. Inhaltlich wollte sich Fallon auf dem Album ganz mit der Gegenwart auseinandersetzen.

Er verzichtet daher in seinen Texten auf die Aufarbeitung der Vergangenheit oder die Entwicklung von großen Zukunftsplänen. Zurzeit scheint er in eine situierte Lebensphase eingetreten zu sein, in der seine Gefühlslage zu weniger aufwühlenden, aber dennoch intensiven Songs führt.

Das erstklassige „Vincent“ ist der reduzierteste Beitrag auf der CD und damit ein Americana-Stück in Reinform. Mit ihm betritt Fallon Neuland. Auch beim starken „I Don*t Mind (If I‘m With You)“, bei „Horses“ und „Hard Feelings“ zeigt er, dass seine Songs stripped down funktionieren. Etwas opulenter inszeniert sind „21 Days“ sowie „Lonely For You Only“, die sich auf seinen vorherigen Rockalben ohne Bruch einfügen würden.

Auch die vergleichsweise ruhigen Töne, die Fallon auf der CD anstimmt, werden von einem kräftigen Rhythmus getragen. So sind alle Songs dynamisch und viele bleiben durch später einsetzende Instrumente besonders spannend. Die Variationen in Fallons Stimme tragen ihr Übriges dazu bei, dass keine Langeweile aufkommt. Seine Songs auf „Local Honey“ treffen ins Mark.

Die wunderbaren Melodien in Kombination mit seinem ausdrucksstarken Gesang gehen ins Ohr und setzen sich dort fest. Bedauerlich ist lediglich, dass das Vergnügen Brian Fallon zu lauschen, nach einer guten halben Stunde schon vorbei ist. Aber dann lässt man die Scheibe halt nochmal durchlaufen.

Lesser Known Records/Thirty Tigers (2020)
Stil: Americana, Rock

Tracks:
01. When You’re Ready
02. 21 Days
03. Vincent
04. I Don’t Mind (If I’m With You)
05. Lonely For You Only
06. Horses
07. Hard Feelings
08. You Have Stolen My Heart

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Brian Fallon – Sleepwalkers – CD-Review

Fallon_300

Review: Michael Segets

Bruce Springsteen adelte den ebenfalls in New Jersey geborenen Brian Fallon, als er ihn bei seinem Konzert im Hyde Park 2009 auf die Bühne holte. Zuvor trat Fallon als Frontmann von The Gaslight Anthem in Erscheinung. Mit „Handwritten“ (2012) lieferte die Band ein Rockalbum ab, das zu den besten der letzten Dekade gehört. Zwischenzeitlich ruht das Bandprojekt und 2016 veröffentlichte Fallon sein erstes Solowerk „Painkiller“. Nun legt er „Sleepwalkers“ nach, das tendenziell rockiger als sein Debüt ausfällt.

Die beiden ersten Titel des Longplayers wurden vorab herausgebracht und spiegeln die Grundatmosphäre des Werks wider, auf dem es Brian Fallon dank seiner charakteristischen Stimme sowie guten Texten schafft, Gefühle wie Angst, Trotz oder Hoffnung zu verarbeiten und mit den Mittel des Rock auszudrücken. „If Your Prayers Don’t Get To Heaven” legt mit klarem Rock ’n Roll-Rhythmus locker los, wobei Fallon mit seinen stimmlichen Vibes dem Stück seinen Stempel aufdrückt, sodass unverkennbar ist, aus wessen Feder es stammt. Rockig schließt „Forget Me Not“ an. Der klasse Refrain ist eingängig und einzelne rausgeschriene Textzeilen machen den Song zusätzlich interessant.

Auch auf „Come Wander With Me“ transportiert Fallons Gesang Emotionen, die Aggression und Verletzlichkeit zugleich zum Ausdruck bringen. Nicht weniger intensiv ist „Etta James“, bei dem das Tempo etwas heruntergefahren wird. Das Lied um die vor sechs Jahren verstorbene Sängerin klingt am Ende sanft aus und leitet so passend zu „Her Majesty’s Service“ über. Die Nummer weist Tempowechsel auf, ist aber insgesamt im oberen Midtempo-Bereich zu verorten. Sie wirkt schön eingängig, zumal Fallon das raue Kratzen aus seiner Stimme herausnimmt.

„Proof Of Life“ beginnt mit einem irischen Einschlag. Ohne Kitsch baut Brian Fallon hier mehrstimmige Passagen und helle akustische Gitarrentöne in den langsamen Song ein. Bei „Little Nightmares“ packt Fallon wieder die E-Gitarre aus. Das dominierende Schlagzeug, das auch bei den vielen anderen Titeln auffällt, nimmt mit stampfendem Rhythmus richtig Fahrt auf und wird bei Konzerten für viel Bewegung im Publikum sorgen.

Die Bläser auf dem Titelstück „Sleepwalkers“ erzeugen ein Motown-Feeling. Besonders gelungen sind dabei die stilleren Phasen mit den anschließenden Steigerungen des Tempos. Danach folgen noch zwei Rockstücke. „My Name Is The Night“ bietet überraschende Gitarrensequenzen und Fallon bringt mit Hauchen und Schreien sein emotionales Repertoire zum Ausdruck. Bei „Neptune“ kommen Keys zum Einsatz, die den Sound gegenüber dem der anderen Songs leicht variieren. Die Orgel prägt auch „Watson“, das im mittlerem Tempo das Ende des Longplayers vorbereitet. Zum Abschluss unternimmt Fallon noch mit dem akustisch gehaltenen „See You On The Other Side“ einen Ausflug in den Folk.

Brian Fallon liefert mit „Sleepwalkers“ ein homogenes Rockalbum auf hohem Niveau ab, das vor allem auf druckvolle Rhythmen setzt. Es lebt von seiner markanten Stimme und seinen Qualitäten als Songwriter. Fallon hält dabei die Fahne des Heartland Rocks hoch und tritt so mit einem eigenständigen Sound in die Fußstapfen des Bosses.

Island Records/Universal (2018)
Stil: Heartland Rock

01. If Your Prayers Don’t Get To Heaven
02. Forget Me Not
03. Come Wander With Me
04. Etta James
05. Her Majesty’s Service
06. Proof Of Live
07. Little Nightmares
08. Sleepwalkers
09. My Name Is The Night
10. Neptune
11. Watson
12. See You On The Other Side

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