The Gaslight Anthem – History Books – Short Stories – EP-Review

Review: Michael Segets

Der Erfolg von „History Books“ blieb hinter den Erwartungen zurück. In Amerika hat das Album sogar den Sprung in die Top-100 verpasst. Die lange Auszeit der Band, während der sich Brian Fallon seinen Solo-Projekten widmete, mag sich da gerächt haben. Pünktlich für die diesen Sommer geplante Tour durch Europa und die USA legen The Gaslight Anthem die EP „History Books – Short Stories“ nach. Vielleicht puschen die Tour sowie die EP ja die Verkaufszahlen des Longplayers aus dem Vorjahr.

Auf „History Books – Short Stories“ finden sich vier Tracks mit einer Gesamtspielzeit von einer Viertelstunde. Der Untertitel ist also berechtigt, früher hätte man das Werk wahrscheinlich eher als Maxi-Single bezeichnet, dies ist jedoch im Streaming-Zeitalter völlig egal. Angesichts der längeren Abstinenz von The Gaslight Anthem ist das Nachschieben der Veröffentlichung sicherlich unter Marketinggesichtspunkten sinnvoll. Andererseits führt die Band eine Tradition fort, denn sie hat mittlerweile ebenso viele EPs wie Studioalben herausgebracht. Wie auch immer, die Songs sind eine willkommene Ergänzung zu „History Books“.

Zwei Singles dieses Werks sind in akustischen Versionen vertreten, wobei beide mit der kompletten Band eingespielt und nicht etwa dem Folk verschrieben sind. „Positive Charge“ bleibt ein schmissiger Track, der geradeheraus rockt – nun in einer erdigeren Variante. Bei „History Books“, das im Original von Fallon und Bruce Springsteen im Duett gesungen wird, ist die Veränderung größer. Das Tempo des Songs wird reduziert, sodass er in eine Ballade transformiert wird. Die Atmosphäre ändert sich daher vollständig. Die neue Interpretation hat für mich sogar die Nase gegenüber der vorherigen vorn, obwohl der Boss nicht mit von der Partie ist.

Während also bei „History Books“ ein Rocker in eine Ballade verwandelt wird, verhält es sich bei dem Cover „Ocean Eyes“ umgekehrt. The Gaslight Anthem macht aus der Komposition von Billie Eilish eine Uptempo-Nummer im eigen Stil einschließlich typischen E-Gitarrensounds. Die Modifikationen bei „Blue Jeans And Tees“ erscheinen hingegen dezent. Der Song aus der Anfangsphase der Band erschien bereits auf „Señor And The Queen“ (2008). Fallon und seine Mitstreiter setzen nun etwas weniger Keys ein, stattdessen wirkt die akustische Gitarre dominanter. Der ruhige Vertreter wirkt daher rootsiger und klingt etwas voller – insgesamt bewegt er sich aber nah an der ersten Einspielung. Er kann mit Blick auf die Konzerte als Hinweis auf den Backkatalog gedeutet werden, der ja einige hervorragende Stücke umfasst.

Die EP hält mit „History Books” und dem Cover „Ocean Eyes“ von Billie Eilish zwei beachtliche Neuinterpretationen bereit, die die Songs in gänzlich neuem Licht erscheinen lassen. Auf den beiden anderen Varianten ihrer Stücke bewegt sich The Gaslight Anthem in Richtung Roots Rock. „History Books – Short Stories“ gibt so einen Vorgeschmack auf die kommenden Konzerte. In Deutschland sind Auftritte in Nürnberg (26. Juni), Saarbrücken (30. Juni) sowie beim Bandhaus Festival in Erfurt (28. Juni) vorgesehen.

Rich Mahogany Recordings – Thirty Tigers/Membran (2024)
Stil: Rock

Tracks:
01. Ocean Eyes
02. Positive Charge
03. Blue Jeans And White Tees
04. History Books

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Dave Hause – Drive It Like It’s Stolen – CD-Review

Review: Michael Segets

Dave Hauses musikalische Anfänge in diversen Punkbands liegen nun schon einige Jahre zurück. In seiner Solokarriere, die 2011 mit „Resolutions“ begann, schlägt er gemäßigtere Töne an, wobei seine Songs weiterhin vor Energie strotzen. Stilistisch weisen Hauses Songs eine Nähe zu denen von Brian Fallon auf. Mit dem ehemaligen Frontmann von The Gaslight Anthem war er am Anfang seiner Solounternehmungen auf Tour. Eine weitere Gemeinsamkeit der beiden ähnlich alten Musiker liegt darin, dass sich die besungenen Themen im Laufe der Zeit änderten. Mit dem Überschreiten der Vierzig und der Familiengründung, gehören die wilden Jahren der Vergangenheit an. In den Texten klingt nun oftmals die neue Rolle als Vater an. So stehen auch auf „Drive It Like It’s Stolen“ die Sorgen um die Kinder und deren Zukunft im Zentrum.

Kontinuität beweist Hause bei der Wahl seiner Mitstreiter. Wie bei „Blood Harmony“ (2021) fungiert Will Hoge als Produzent und auch Hauses Bruder Tim ist erneut mit von der Partie. Auffällig ist, dass den Songs im Schnitt lediglich drei Minuten gegeben wird. Die Kürze der Kompositionen, die noch ein Überbleibsel der Punk-Vergangenheit sein kann, kennzeichnet Hauses Songwriting. Dennoch entbehrt dieses nicht einer gewissen Komplexität. Die beiden Stücke zu Beginn des Albums „Cheap Seats (New Years Day, NYC, 2042)“ und „Pedal Down“ dienen dafür als Beleg. Sie starten langsam, entwickeln dabei Spannung und nehmen schließlich Fahrt auf. Bereits hier zeigt sich, dass Hause weiterhin das Herz eines Rockers hat.

Bei dem folgenden „Damn Personal” steigt Hause mit Tempo ein und behält dies durchgängig bei. Danach liefert er mit „Low“ und dem gradlinigen „Hazard Lights” Heartland Rock der Güteklasse ab. Auch zum Abschluss gibt es noch eine Uptempo-Nummer („The Vulture“), die allerdings relativ abrupt endet. Die Songs sind insgesamt druckvoll, bleiben dabei aber stets melodisch.

Cello- und Streicherklänge begleiten „Chainsaweyes“ und geben dem Stück eine dunkle Atmosphäre. Hause kategorisiert sein Werk als Post-apocalyptic Americana. Die Bezeichnung mag auf manche Balladen, die sich überwiegend in der zweiten Hälfte des Albums finden, durchaus zutreffen. So ist das ruhige „Lashingout“ ebenfalls interessant instrumentalisiert. Gegen Ende sind überraschende Passagen eingebaut, bei denen ein Klavier hervortritt und Bläser im Hintergrund wimmern.

Das Piano bekommt auch auf dem akustisch gehaltenen „Tarnish“ seinen Part. An dem persönlichen Hintergrund zur Entstehungsgeschichte des Songs lässt uns Hause in einem Interview teilhaben. Das vorab ausgekoppelte Stück wirkt wie der etwas langsamere Titeltrack etwas zahmer als der Rest des Longplayers. Die beiden klassisch gehaltenen Americana-Beiträge bilden so einen gelungenen Gegenpol zu den anderen.

Dave Hause verbindet Aggressivität und Sensibilität in seinen Songs wie kaum ein anderer. Ausdrucksstarker Gesang und authentisch wirkende Texte lassen den Funken überspringen. Dabei gelingt ihm auf „Drive It Like It’s Stolen“ die Gradwanderung zwischen dem Festhalten an Konventionen und dem kreativen Ausbrechen aus ihnen.

Blood Harmony Records – Soundly Music/Lime Tree Music (2023)
Stil: Rock, Americana

Tracks:
01. Cheap Seats (New Years Day, NYC, 2042)
02. Pedal Down
03. Damn Personal
04. Low
05. Chainsaweyes
06. Hazard Lights
07. Drive It Like It’s Stolen
08. Lashingout
09. Tarnish
10. The Vulture

Dave Hause
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Brian Fallon – Night Divine – CD-Review

Review: Michael Segets

Brian Fallon, der ehemalige Frontmann von The Gaslight Anthem, verfolgt seit fünf Jahren eine Solokarriere. Nach den rockigen „Painkiller“ (2016) und „Sleepwalkers“ (2018) schlug er mit „Local Honey“ (2020) bereits ruhigere Töne an und leg nun ein nochmals reduzierteres Werk vor. Auf „Night Divine“ interpretiert er traditionelle Kirchen- und Weihnachtslieder.

Seine frühesten musikalischen Erfahrungen verbindet Fallon mit dieser Musik. Die Songs nahm er zu Hause auf, wobei auch seine Mutter mitwirkte, die ihm diese Lieder in seiner Kindheit oft vorsang. Die meisten Hörer hierzulande werden zumindest zu Weihnachten an den deutschen Versionen von „Silent Night“, „O Holy Night“ oder auch „The First Noel“ nicht vorbeigekommen sein. Fallon performt sie mit wenig Pathos und unterlegt sie instrumental zurückhaltend hauptsächlich mit Klavier und akustischer Gitarre. Unabhängig davon, ob er bekannte Titel oder selten gehörte interpretiert, gibt Fallon ihnen eine ganz persönliche Note mit.

Weniger eng mit den Festtagen verbunden sind einige Gospel-Klassiker. „Amazing Grace“ wird von Fallon ins Mikro gehaucht und lediglich mit Klavier begleitet, bevor sich am Ende noch etwas Synthesizer hineinmischt. Die Version setzt einen Kontrapunkt zu den oftmals bombastischen Interpretationen der Chöre. Auch „Angels We Have Heard On High“, mit akustischer Gitarre und etwas Slide arrangiert, erweckt nicht den Eindruck eines Kirchenliedes, sieht man von den einzelnen lateinischen Versen ab. Bei „The Blessing“ erzeugen Refrain und Backgroundgesang eine sakrale Atmosphäre, die in den Strophen nicht im Vordergrund steht. Stattdessen geht der sehr stimmungsvolle Song als erdiger Americana-Titel durch.

Gerade den Stücken, die nicht so geläufig sind, merkt man nicht an, dass sie aus dem kirchlichen Kontext stammen, sofern man nicht auf die Texte achtet. „Sweet Hour Of Prayer“, „Leaning On The Everlasting Arms“ oder „Nearer My God To Thee“ könnten auch in der Folktradition der Singer/Songwriter stammen. Besonders bei den beiden letztgenannten Titel transportiert der Gesang von Fallon viel Emotion. Aber an ihm scheiden sich bekanntlich die Geister.

Das Highlight des Albums stellt „Virgin Mary Had One Son” dar. Die Interpretationen von Odetta und Joan Baez inspirierten Fallon zu seiner Version, die als Soundtrack eines Western dienen könnte. Der Song wird vor, während und nach dem Heiligen Abend den Weg durch meine Boxen finden.

Brian Fallon präsentiert auf „Night Divine“ Weihnachtslieder und Gospels stripped-down. Dabei gelingen ihm Versionen, die sich von bekannten absetzen. Darüber hinaus interpretiert er weniger geläufige, akustisch gehaltene Spirituals. Gerade diese Songs sorgen dafür, dass das Album nicht nur zur Weihnachtszeit Gehör finden kann.

Lesser Known Records – Thirty Tigers/Membran (2021)
Stil: Spirituals

Tracks:
01. Virgin Mary Had One Son
02. Amazing Grace
03. O Holy Night
04. Nearer My God To Thee
05. Leaning On The Everlasting Arms
06. The First Noel
07. Sweet Hour Of Prayer
08. Angels We Have Heard On High
09. Silent Night
10. The Blessing

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Brian Fallon – Sleepwalkers – CD-Review

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Review: Michael Segets

Bruce Springsteen adelte den ebenfalls in New Jersey geborenen Brian Fallon, als er ihn bei seinem Konzert im Hyde Park 2009 auf die Bühne holte. Zuvor trat Fallon als Frontmann von The Gaslight Anthem in Erscheinung. Mit „Handwritten“ (2012) lieferte die Band ein Rockalbum ab, das zu den besten der letzten Dekade gehört. Zwischenzeitlich ruht das Bandprojekt und 2016 veröffentlichte Fallon sein erstes Solowerk „Painkiller“. Nun legt er „Sleepwalkers“ nach, das tendenziell rockiger als sein Debüt ausfällt.

Die beiden ersten Titel des Longplayers wurden vorab herausgebracht und spiegeln die Grundatmosphäre des Werks wider, auf dem es Brian Fallon dank seiner charakteristischen Stimme sowie guten Texten schafft, Gefühle wie Angst, Trotz oder Hoffnung zu verarbeiten und mit den Mittel des Rock auszudrücken. „If Your Prayers Don’t Get To Heaven” legt mit klarem Rock ’n Roll-Rhythmus locker los, wobei Fallon mit seinen stimmlichen Vibes dem Stück seinen Stempel aufdrückt, sodass unverkennbar ist, aus wessen Feder es stammt. Rockig schließt „Forget Me Not“ an. Der klasse Refrain ist eingängig und einzelne rausgeschriene Textzeilen machen den Song zusätzlich interessant.

Auch auf „Come Wander With Me“ transportiert Fallons Gesang Emotionen, die Aggression und Verletzlichkeit zugleich zum Ausdruck bringen. Nicht weniger intensiv ist „Etta James“, bei dem das Tempo etwas heruntergefahren wird. Das Lied um die vor sechs Jahren verstorbene Sängerin klingt am Ende sanft aus und leitet so passend zu „Her Majesty’s Service“ über. Die Nummer weist Tempowechsel auf, ist aber insgesamt im oberen Midtempo-Bereich zu verorten. Sie wirkt schön eingängig, zumal Fallon das raue Kratzen aus seiner Stimme herausnimmt.

„Proof Of Life“ beginnt mit einem irischen Einschlag. Ohne Kitsch baut Brian Fallon hier mehrstimmige Passagen und helle akustische Gitarrentöne in den langsamen Song ein. Bei „Little Nightmares“ packt Fallon wieder die E-Gitarre aus. Das dominierende Schlagzeug, das auch bei den vielen anderen Titeln auffällt, nimmt mit stampfendem Rhythmus richtig Fahrt auf und wird bei Konzerten für viel Bewegung im Publikum sorgen.

Die Bläser auf dem Titelstück „Sleepwalkers“ erzeugen ein Motown-Feeling. Besonders gelungen sind dabei die stilleren Phasen mit den anschließenden Steigerungen des Tempos. Danach folgen noch zwei Rockstücke. „My Name Is The Night“ bietet überraschende Gitarrensequenzen und Fallon bringt mit Hauchen und Schreien sein emotionales Repertoire zum Ausdruck. Bei „Neptune“ kommen Keys zum Einsatz, die den Sound gegenüber dem der anderen Songs leicht variieren. Die Orgel prägt auch „Watson“, das im mittlerem Tempo das Ende des Longplayers vorbereitet. Zum Abschluss unternimmt Fallon noch mit dem akustisch gehaltenen „See You On The Other Side“ einen Ausflug in den Folk.

Brian Fallon liefert mit „Sleepwalkers“ ein homogenes Rockalbum auf hohem Niveau ab, das vor allem auf druckvolle Rhythmen setzt. Es lebt von seiner markanten Stimme und seinen Qualitäten als Songwriter. Fallon hält dabei die Fahne des Heartland Rocks hoch und tritt so mit einem eigenständigen Sound in die Fußstapfen des Bosses.

Island Records/Universal (2018)
Stil: Heartland Rock

01. If Your Prayers Don’t Get To Heaven
02. Forget Me Not
03. Come Wander With Me
04. Etta James
05. Her Majesty’s Service
06. Proof Of Live
07. Little Nightmares
08. Sleepwalkers
09. My Name Is The Night
10. Neptune
11. Watson
12. See You On The Other Side

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Universal Music