American Aquarium – Lamentations – CD-Review

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Review: Michael Segets

BJ Barham gehört zu den wohl talentiertesten Storytellern seiner Generation. Oftmals mit Bruce Springsteen verglichen zeigt der Bandleader von American Aquarium in seinen Texten, dass er politisch und sozial das Herz auf dem rechten Fleck hat. Mittlerweile glaubhafter als der Boss gibt Barham den Gedanken und Gefühlen der arbeitenden Bevölkerung eine Stimme. Dabei besitzt er die Fähigkeit, empathisch deren Perspektive zu übernehmen und so nachvollziehbare Psychogramme zum Leben zu erwecken. Dies verbindet ihn beispielsweise mit Steve Earle.

In anderen Stücken zeigt Barham eine scharfe Selbstbeobachtung und arbeitet frühere Lebensstationen – wie seine Alkoholabhängigkeit – und aktuelle Situationen – wie seine Rolle als junger Vater – auf. Inhaltlich lamentiert Barham mit „Lamentations“ auf hohem Niveau.

Musikalisch bleibt sich American Aquarium treu. Ohne große Experimente reiht sich die CD in die bisherigen Veröffentlichungen der Band ein. Wenn American Aquarium sonst dem Country tendenziell nähersteht als dem Rock, sind dessen Einflüsse diesmal weniger vordergründig.

„Six Years Come September“ und „A Better South“ sind die countryfiziertesten Nummer auf dem Album. Die Pedal Steel wimmert auch auf einigen anderen Songs wie auf dem stimmungsvollen „How Wicked I Was“ oder der starken ersten Single „The Long Haul“. Slide und Pedal Steel setzt Barham sowieso gerne zur Untermalung ein. Auf „Lamentations“ fährt er deren Einsatz aber im Vergleich zu früheren Longplayern zurück, was den Songs zu Gute kommt.

Wenn Barham und seine Jungs das Tempo anziehen, liefert die Band stets mitreißende Stücke ab. „The Luckier You Get“, die zweite Vorabauskopplung, ist so ein toller Song auf der Scheibe, der – um nochmal einen großen Namen zu nennen – an Tom Petty erinnert. Bei dem Roots Rocker „Starts With You“ kommen die Braun Brüder von Micky And The Motorcars beziehungsweise Reckless Kelly in den Sinn, was für die Qualität des Titels spricht.

Ebenfalls zu den flotteren Stücken zählt „Brightleaf Burley“, dem Barham nochmal einen leichten Country-Einschlag mitgibt. Mit dem längeren instrumentalen Ausklang, ein vergleichbarer findet sich auch bei dem Opener „Me + Mine (Lamentations)“, bringt Barham eine neue Variation in sein Songwriting, die mir bislang auf den Werken von American Aquarium nicht so deutlich aufgefallen ist.

Eine fast intime Stimmung erzeugt die Klavierbegleitung zu Beginn von „The Day I Learned To Lie To You“. Mit dem Einsetzen der kompletten Band gewinnt das Stück dann an Dynamik. Die Songs tragen die typische Handschrift von American Aquarium, bleiben aber voneinander unterscheidbar, sodass „Lamentations“ die Spannung durchgehend aufrechterhält. Neben sanfteren Titeln sind ebenso kraftvoll arrangierte wie das hervorragende „Before The Dogwood Blooms“ vertreten.

Kurz bevor ich American Aquarium 2017 live sah, wurde die Band nahezu komplett umgebaut und vor allem in den letzten Jahren herrschte wenig Kontinuität in der Besetzung. Seit der Gründung von American Aquarium 2005 begleiteten circa 30 Musiker im Wechsel den Frontmann und Songschreiber BJ Barham. Während Gitarrist Shane Boeker schon auf „Things Change“ (2018) mit von der Partie war, sind Alden Hedges (Bass), Rhett Huffman (Keys), Neil Jones (Pedal Steel) sowie Ryan Van Fleet (Schlagzeug) neu hinzugestoßen.

Auf jeder CD von American Aquarium finden sich tolle Stücke. Da bildet auch „Lamentations“ keine Ausnahme. Darüber hinaus überzeugt der Longplayer als homogenes Gesamtwerk und ist hinsichtlich Songwriting und Produktion, bei der Shooter Jennings mitmischte, eine Nuance ausgereifter als beispielsweise der Vorgänger „Things Change“. Neben den kürzlich erschienen Scheiben von Brian Fallon und Lucinda Williams beweist BJ Barham mit seinem durchweg empfehlenswerten Bandalbum, wie abwechslungsreich das Americana-Genre sein kann.

New West Records/Pias – Rough Trade (2020)
Stil: Americana, Rock/

Tracks:
01. Me + Mine (Lamentations)
02. Before The Dogwood Blooms
03. Six Years Come September
04. Starts With You
05. Brightleaf Burley
06. The Luckier You Get
07. The Day I Learned To Lie To You
08. A Better South
09. How Wicked I Was
10. The Long Haul

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New West Records
Pias – Rough Trade
Oktober Promotion

Leaving Spirit – Things Change – CD-Review

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Soviel das Reviewen von Musik auch an Spaß bereitet, manchmal ist allerdings die Aufgabe, die richtigen Worte zu finden, der reinste Balanceakt. Da stürzt sich eine junge deutsche Band mit viel Engagement und Kreativität ins Southern Rock-Geschehen, gibt sogar eine Pressemeldung zu ihrer mit viel Liebe zum Detail gestalteten und eingespielten, ersten CD heraus und doch ist das Ergebnis, zumindest aus meiner persönlichen Sicht, am Ende, aufgrund nur einer einzigen Tatsache, eher ernüchternd.

Deutsche Bands aus dem Dunstkreis Country-, Roots-/Southern Rock haben es zugegebener Maßen bei mir generell schwer. Da lege ich oft letzten Endes den amerikanischen Maßstab an, und dem wird in den seltensten Fällen Genüge getragen. Man hört halt meistens an den im Schulenglischen verfassten Texten, als auch an der Stimme, woher der Wind weht. Unter den rar gesäten positiven Ausnahmen fallen mir spontan Leute wie Stefan Kossmann (Flatman), Tom Ripphahn (Hands On The Wheel), Markus Rill oder, mit noch ganz viel Toleranz, Gerd Rube ein. Dann ist aber auch schon fast das Ende der Fahnenstange erreicht. Selbst bei ehemals mit ganz dezentem Ruhm im Genre aufwartenden Gruppen aus unseren Landen wie Lizard, Street Survivors & Co., gab es letztendlich gleiches anzumerken.

Der vorliegende Fall, die Würzburger Band Leaving Spirit, hat, und das ist das Tragische daran, abgesehen von ein paar marginalen Dingen, eigentlich vieles richtig gemacht. Sehr lobenswert wie bereits erwähnt, die professionelle Herangehensweise, das fängt beim Cover-Artwork mit Booklet, inklusiv aller Texte und Kurzbiografie an und hört beim, mit Rising End-Gitarristen Nico Gwozdz zusammen, transparent produzierten Sound, auf.

Gut, wer sich nun mal in die Höhle des Löwen wagt (ihr Bandchef hatte mich gefragt, ob ich für ein Review parat stehen würde), muss sich dann halt auch der Kritik stellen. Kommen wir zu den verschmerzbaren Dingen. Dass die Texte  keinen lyrischen Hochgenuss darstellen, und manchmal in einen holprigen Gesang münden, ist geschenkt.

Bei den E-Gitarren hätte ich mir angesichts der Beteiligung von gleich drei Leuten etwas mehr Variation gewünscht, oft ist eine recht monoton surrende Spielart im Vordergrund. Bei den ausschließlichen Eigenkreationen wurde zwar das Auge auf so manches Bekannte geworfen, aber auch, bis auf das in Kid Rock-Manier gebrachte „Sweet Home Alabama“-Plagiat „Keep Rockin‘ Alive“, viel Liebe zum musikalischen Detail und kreativer Anspruch, an den Tag gelegt. Hier ist alles absolut im grünen Bereich.

Der letztendlich entscheidende Knackpunkt ist aber eine junge Dame namens Paula Frecot, die, wie ich es aus dem Booklet entnehme,  für das Ergebnis am Mikro zuständig war. Bei aller Liebe, sie hat in einer solchen Sparte nun wirklich nichts verloren, maximal das Punk- oder Indie-Genre erscheinen mir für ihre Art des Singens erschaffen worden zu sein.

Was nutzt einem eine CD mit durchaus 13 passablen Tracks, wenn einem der Gesang bereits von der ersten Strophe an, so richtig auf den Keks geht. Wie wohltuend, als bei „Old Lady“ mal kurz für zwei Strophen männlicher Gesang ertönt (eigentlich ganz ok, ich mutmaße mal, dass sich hier Florian Eppel, der auch die meisten Stücke komponiert hat, das Mikro geschnappt hat), um aber nach diesem kurzem Intermezzo, schon wieder niedergekeift zu werden.

Somit im Prinzip schade, „Things Change“ von Leaving Spirit hätte mit einem guten Fronter ein richtig starker Einstieg ins Genre werden können. Apropos Änderungen: Wie bereits bemerkt, hat sich das Sextett mittlerweile auf drei Positionen verändert und ist schon dabei, eines zweites Werk zu kreieren und einzuspielen.

Eigenproduktion (2019)
Stil: Southern Rock & More

01. Stranger on the Road
02. Mississippi Bridge
03. Free In My Mind
04. Reflections
05. Both Of Us
06. The Girl On The Train
07. Always The Same
08. Fake
09. Old Lady
10. Read Leaves
11. Moonshine
12. Dead Lie
13. Keep Rockin‘ Alive

Leaving Spirit
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American Aquarium – Things Change – CD-Review

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Review: Michael Segets

Auf einem Konzert von American Aquarium im März 2017 sprach ich Daniel an, dass ich gerne gelegentlich Beiträge für Sounds Of South verfassen würde. Vor ziemlich genau einem Jahr erschien dann auch meine erste CD-Besprechung. Heute feiere ich ein kleines Jubiläum und ich freue mich, dass sich mein 50. Artikel um die neue Scheibe von American Aquarium „Things Change“ dreht.

American Aquarium bewegt sich musikalisch hauptsächlich auf den Genregrenzen zwischen Folk, Rock und Country. Die Spezialität von Bandleader, Sänger und Songschreiber BJ Barham sind ausgefeilte Texte, die er zumeist in Balladen verpackt.

Stilistisch bleibt sich American Aquarium mit „Things Change“ treu. Allerdings hat sich die Band um BJ Barham vollständig neu formiert. Zwar wechselten die Mitglieder der Band seit ihrer Gründung 2006 sowieso schon häufig, von der Besetzung des vorangegangenen Studioalbums „Wolves“ (2015) oder der des letztjährigen Konzerts ist aber kein Musiker mehr auf dem aktuellen Longplayer vertreten.

Als neue Mitstreiter für sein Projekt konnte Barham Shane Boeker für die Lead Guitar, Adam Kurtz für die Pedal Steel und Electric Guitar, Ben Hussey für den Bass und Joey Bybee für die Drums gewinnen. Seinen ehemaligen Bandkollegen widmet Barham „When We Were Younger Men“. Die Ballade fängt stark an, nimmt zwischenzeitlich einen Country-Rhythmus auf und bekommt dann durch die wimmernde Pedal Steel eine ziemlich wehmütige Anmutung. Beinahe trotzig wirkt hingegen das kurz und wuchtig gespielte Titelstück „Things Change“ mit der Feststellung, dass es im Leben nicht immer fair zugeht.

Wie der Titel der CD bereits nahelegt, sind Veränderungen das durchgängige Thema des Albums. Barham verarbeitet in seinen Texten persönliche Erlebnisse, die anschlussfähig an Erfahrungen der Hörer sind. Die transportierten Gefühlslagen bleiben daher sehr gut nachvollziehbar und berühren.

In „The World Is On Fire“ äußert Barham – als frisch verheirateter Mann und werdender Vater – seine Besorgnis angesichts der Wahl des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika sowie den damit einhergehenden politischen Entwicklungen. Die Rockballade weist einen langen Refrain auf, der hervorragend ausgearbeitet ist.

Im privaten Bereich passierte in den letzten Jahren einiges bei Barham. Beispielsweise lebt er nach Schwierigkeiten mit seinem Alkoholkonsum nun abstinent. Diesen Wechsel in seiner Lebensführung verarbeitet er in „I Gave Up The Drinking (Before She Gave Up On Me)“ mit einem eingängigen Country-Song. Der Mainstream-Country schlägt auch bei „Work Conquers All“ durch. Thematisch greift Barham das harte Leben als Farmer auf. Der Landbevölkerung zollt er ebenfalls mit dem treibenden Rock-Song „Tough Folks“ Respekt.
Barham stammt aus Reidsville, North Carolina, der er bereits auf seinem Solo-CD „Rockingham“ (2016) ein musikalisches Denkmal setzte. Religiöser Intoleranz als Kehrseite der ländlichen Gemeinschaften kritisiert Barham mit dem zweiten schnellen Rocker „Crooked + Straight“.

Ganz in der Singer-Songwriter-Tradition stehen die von akustischer Gitarre getragenen Folk-Songs „One Day In Time“ und „Shadows Of You“. Das letztgenannte Stück hat einen sehr eingängigen Refrain, der den Schmerz eines verlassenen Liebhabers nachfühlen lässt. Das zweite Liebeslied auf dem Longplayer ist „‘Til The Final Curtain Falls“. Der Titel erscheint von der Grundanlage ebenfalls gelungen, der übermäßige Einsatz der Pedal Steel und das experimentelle Ende treffen jedoch nicht meinen Geschmack.

Auf „Things Change“ zeigt sich BJ Barham literarisch in Hochform. Die selbstkritischen Texte stimmen nachdenklich, sind aber eher kämpferisch als verzweifelt. Die Kompositionen unterstützen die Atmosphäre der Texte gelungen. Musikalisch überwiegen die langsamen Beiträge, das Album bietet mit seinen Uptempo- und Country-Nummern aber eine abwechslungsreiche Mischung. Vielleicht hätten die Pedal Steel und die Slide-Elemente bei einzelnen Tracks etwas reduziert werden können, insgesamt erfüllt „Things Change“ jedoch die hohen Erwartungen, die an Veröffentlichungen von American Aquarium gestellt werden.

New West Records (2018)
Stil: Country/Folk/Roots Rock

01. The World Is On Fire
02. Crooked + Straight
03. Tough Folks
04. When We Were Younger Men
05. One Day At A Time
06. Things Change
07. Work Conquers All
08. I Gave Up The Drinking (Before She Gave Up On Me)
09. Shadows Of You
10. ‘Til The Final Curtain Falls

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