The Warren Brothers – Portrait

Eine weitere Band, die sich, ähnlich wie die Sons Of The Desert, in angenehmer Weise vom alten Countryklischee „Meine Frau hat mich verlassen und mein Hund wurde von einem Truck überfahren“ abhebt, sind die aus Tampa, Florida, stammenden Warren-Brüder.

Aufgewachsen in „Amish-People ähnlicher Art“ – so gab es bis zum 17. Lebensjahr kein Fernsehen – in der Realität einer modernen Großstadt, schöpften Brett Warren (lead vocals, acoustic guitars, keyboards, harmonica, mandolin) – äußerlich ein wenig dem jungen Elvis ähnelnd, und Brad Warren (electric-/acoustic guitars, harmony vocals), ein wenig sensibler und intellektueller wirkend, schon frühzeitig viel ihres zwiespältigen Humors, der heute größtenteils in ihren Songs reflektiert wird.

Nach dem Motto „die Rolling Stones oder Missionare werden“, beginnen sie ihr Leben nach dem High School-Abschluss als Full Time-Musiker. Es folgten um die 300 Gigs jährlich, meist in den Beach Clubs Floridas Küste entlang, bis beide eines Tages zur Einsicht gelangten, dass dies nicht die geeignte Atmosphäre für echte Songwriter ist.

Sie beschließen, nach Nashville zu gehen, um Platten zu verkaufen mit dem Anspruch, nicht zu sein, wie die meisten anderen. Man wird ansässig in einem Vorstadt-Club, namens „The Bunganut Pig“ und lernt den Songwriter Tom Douglas kennen, über den Kontakte zu „RCA“-Frau Renee Bell und „RLG-Nashville“-Chef Joe Galante geknüpft werden.

Die beiden letztgenannten sind nach einem ihrer Konzerte von der enthusiastischen Atmosphäre so angetan, dass sie schon einen Tag später einen Plattendeal mit beiden unter dem „RCA“-Schwester-Label „BNA“ abschließen. Und so entsteht 1998 ihr Debutalbum „Beautiful Day In The Cold Cruel World“, unter der Regie von Deanna Carter-Produzent Chris Farren.

Beautiful Day In The Cold Cruel World Die CD startet direkt mit dem funkigen Hammerstück „Guilty“ und bietet zwölf abwechslungsreiche Songs, allesamt aus der eigenen Feder. Die Scheibe ist sehr von Eeagles-Einflüssen geprägt, allerdings ohne damit die eigene Note zu sehr zu übertünchen. Höhepunkte sind für mich, neben dem erstgenannten Stück, das nachdenkliche „Better Man“, das selbstironische und für ihren Humor typische Gute-Laune-Stück „Just Another Sad Song“, dass alles andere als traurig rüberkommt, übrigens das einzige Stück über und aus ihrer Beach Club-Zeit und der Abschlussknüller „Nowhere Fast“, das ein wenig an John Mellencamp erinnert und in echter Manier der großen Songwriter geschrieben ist.

Die CD besticht durch ihren klaren Sound, die schöne Instrumentierung sowie die unglaublich angenehm ins Ohr gehende Stimme von Brett Warren, bei der immer wieder die Assoziation mit Don Henley in meinem Kopf herumschwirrt. Die Resonanz auf dieses tolle Werk lässt nicht lange auf sich warten: Es gibt jeweils eine Nominierung für das „Vocal Duo Of The Year“ von der „Country Music Association“ als auch für das ‚Top New Vocal Duo/Group‘ von der „Academy Of Country Music“.
Der Verkauf wird durch große Touren mit dem Faith Hill/Tim McGraw-Clan und den Dixie Chicks nachhaltig gepuscht.

Eine weitere positive Synergie ist die professionelle Einstellung, die beide mit ihrer Band, laut eigener Aussage, aus diesen „Majoracts“ für sich und ihre Entwicklung mitnahmen. Darin liegt für mich auch einer der Gründe, warum es beiden gelingt, mit ihrem zweiten Album, „King Of Nothing“, die Qualität ihres Erstlingswerkes noch zu toppen.

King Of Nothing Produziert wieder von Chris Farren, diesmal coproduziert von Brett und Brad, neun von elf Songs wieder selbst geschrieben, mit Beteiligung namhafter Leute, wie Bob DiPiero, Danny Wylde (The Rembrandts) und Benmont Tench (Tom Petty & The Heartbreakers). Alles klingt noch einen Tick moderner, rauer und rockiger. Bei den zwei Honky-Tonk-Stücken „Strange“ und „It Ain’t Me“ kommt ihre Liebe zu Lynyrd Skynyrd-Songs deutlich zum Tragen. Gerade bei „It Ain’t Me“ glänzt Keyboarder Rob Stoney in Billy Powell-typischer Art und im Break nach dem zweiten Refrain könnte man meinen, Johnny Van Zant persönlich wäre hinters Mikro geschritten.

Bei einigen Liedern wie z.B. „Do Ya“, „Superstar“, „That’s The Beat Of My Heart“, aus dem Soundtrack zum Film „Where The Heart Is“ und der größte Singleerfolg bisher, oder dem starken Titelstück „King Of Nothing“ drängt sich komischerweise immer wieder der Vergleich ,Bryan Adams plays New-Country“ in mein Hinterstübchen.

Ein weiterer Höhepunkt: die Killerballade „Waiting For The Light To Change“, bei der Brad Warren eine Kostprobe seines vorzüglichen Gitarrenspiels abliefert.
Alles in allem ein toll gelungenes, sehr abwechslungsreiches Werk mit wunderbaren Gitarrenpassagen und herrlichen Melodien. Auch Brett Warrens wandlungsfähige Stimme verleiht der CD ihren besonderen Touch und den erneuten kleinen Kick nach vorne. Man darf schon jetzt auf ihre nächste Scheibe gespannt sein, die Messlatte liegt jedenfalls ungeheuer hoch.

Die beiden haben, nach Meinung vieler Experten, bisher dem Anspruch, frischen Wind nach Nashville zu bringen, in allen Bereichen Genüge getan und der New Country Musik der heutigen Zeit, gerade auch was ihre Live Shows angeht, die Richtung vorgegeben.

Typisch Brett Warrens Statement in einem Interview dazu, was ihre Art, Musik zu machen bewirken sollte: „Tanzende, singende und trinkende Leute sowie gutaussehende Girls überall, Cowboys, die sich fragen ‚Was geht denn hier ab?‘, wenn wir plötzlich Songs von Jimi Hendrix, Stevie Ray Vaughan oder Lynyrd Skynyrd am Ende der Show auspacken, das ist, was wir wollen!“

The Warren Brothers: Brüder, die ernste Songs schreiben wollen, für die das Leben aber zu kurz ist, um ernst zu sein. Engel und Bengel gleichzeitig. Möge uns ihre flapsig-zwiespältige, selbstironische Art und ihre tolle Musik noch lange auf diesem hohen Niveau erhalten bleiben. Von mir aus bis in alle Ewigkeit!

P.S.
Die beiden brachten 2004 eine weitere starke CD „Well-Deserved Obscurity“ heraus (dazu 2005 auch noch eine ‚Best Of‘), die in diesem Magazin separat beleuchtet ist.

„Beautiful Day in The Cold Cruel World“

RCA Country (Sony Music) (1998)
Stil: New Country

01. Guilty
02. Surviving Emily
03. Better Man
04. Greyhound Bus
05. The Enemy
06. Loneliest Girl In The World
07. Cold Cruel World
08. She Wants To Rock
09. I Tried
10. The One I Can’t Live Without
11. Just Another Sad Song
12. Nowhere Fast

„King Of Nothing“

BNA Records (2000)
Stil: New Country

01. Strange
02. Waiting For The Light To Change
03. Where Does It Hurt
04. Superstar
05. Move On
06. No Place To Go
07. Do-Ya
08. What We Can’t Have
09. King Of Nothing
10. It Ain’t Me
11. That’s The Beat Of A Heart

The Warren Brothers
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Bärchen Records

Storyville – Live At Antones – CD/DVD-Review

Stor

Freunde des Rocks, des bluesigen Rocks, des rockigen Blues oder schlicht des Blues Rocks aufgepasst, hier geht es um eine Sahneschnitte! Storyville (siehe auch unser Bandportrait) hatten nach drei tollen Studio-Werken vor einigen Jahren ihre Wege getrennt, die Musiker entschieden, sich fortwährend den eigenen Projekten zu widmen. Zwischenzeitlich hatte man sich aber wohl doch mal wieder zu sporadischen Gigs zusammen gefunden. Einer dieser wurde im Januar des Jahres 2006 im legendären Club Antones in Austin gespielt, wo die Truppe auch einst zusammenfand, und in Form einer Doppel-CD plus einer DVD für die Fangemeinde in digitaler Form gesichert.

Was soll man großartig schreiben, dieses Musikdokument muss man erleben! Sänger Malford Milligan ist vom Erscheinungsbild (albino-negroides Schwergewicht mit rötlichen Rastalocken und aufgrund der wulstigen Lippen, fast karpfenähnlichem Gesangsorgan) und seinem schweißtreibenden Temperament allein schon ein Blickfang, die glänzende (Ex-Arc Angels/-Stevie Ray Vaughans Double Trouble-) Rhythmus-Fraktion in persona von Chris Layton mit seinem druckvollen und konzentrierten Drumming und Tommy Shannon (beeindruckend seine Ruhe und seine Fingerfertigkeit, fast wie ein Mütterchen, das gerade routiniert den gefühlten fünfhundertsten Pulli runterstrickt) und die über alles erhabenen Saitenzauberer David Holt (Ex-Joe Ely, The Mavericks) und David Grissom (Ex-Joe Ely, John Mellencamp, mittlerweile auch vielbeschäftigter Gitarrist in der Nashville-/Texas- Studio-Szene), die absolute Weltklassearbeit in Sachen sich ergänzendem Rhythmus- und Soli-Spiel abliefern.

Den Löwenanteil des Repertoires bildet ihr Zweitalbum „A Piece Of Your Soul“, das mit neun Stücken vertreten ist, die beiden restlichen Werke sind aber auch mit jeweils drei Songs berücksichtigt. Dazu kommen noch zwei furiose Coverversionen von Jimi Hendrix und Ray Charles, die von diesen Legenden sicherlich mit Stolz im Rock’n’Roll Heaven registriert werden. Es geht überwiegend recht rockig zu (nur zwei langsamere Nummern), immer wieder werden aber auch ganz dezent soulige und funkige Elemente mit eingeflochten, was durch Milligans Performance natürlich begünstigt wird. Bei den Gitarristen ist Grissom sicherlich der aktivere und auch variablere von beiden (wechselt ständig die Gitarren), ist aber im Vergleich zu Holt etwas leiser abgemischt. Letztgenannter vertraut ausschließlich auf seine doch äußerlich schon arg bearbeitete Stratocaster und liefert bei etwas weniger Soli, die eher eingängigeren, aber genau so filigran gespielten Passagen ab. Er erinnert von der Optik her dezent an einen gewissen Rory Gallagher.

Die Zusammenstellung von Do-CD und DVD macht trotz fast gleicher Trackfolge doch Sinn, da es kleine Änderungen gibt, die dann doch ins Gewicht fallen. Zum einen sind mit „Cynical“ und „Wings Won’t Let Me Fly“ noch zwei Stücke auf CD2, die auf der DVD nicht enthalten sind, dafür fehlt bei dieser das Ray Charles-Cover, aber es gibt auf diesem Silberling noch zwei brandneue Studio-Bonustracks, die es in sich haben. Das bluesig-funkige „Nice Ain’t Got Me Nothing“ hat tanzbaren Charakter, wird herrlich rotzig von Milligan besungen und enthält neben kratziger E-Rhythmusuntermalung noch zwei starke Soli, sowie herrlich weibliche Backs von der Texanerin Bonnie Bishop, die vor geraumer Zeit auch ein tolles Solo-Album rausgebracht hat, bei dem David Grissom natürlich auch mitwirkte. Dazu gibt es eine relaxte, furztrockene, slow-bluesartige Coverversion des CCR-Klassikers „Bad Moon Rising“, die einfach mit zwei geilen Gitarrenparts allein die Anschaffung schon wert ist. Grandios! Dies zieht natürlich unweigerlich den Ruf nach einem neuen Studioalbum der Band hinter sich her.

Zu erwähnen ist noch, dass das Gesamtwerk Clifford Antone, dem Besitzer des Antone, gewidmet ist, der als Förderer mit seinem berühmten Laden in Austin zum Sprungbrett für viele Größen des Genres wurde. Er verstarb leider nur wenige Monate nach diesem Gig an einem Herzinfarkt. Er ist auf der DVD kurz zu sehen, als er vor den Zugaben dem gut aufgelegten Publikum die Band vorstellt.

Alles in allem haben Storyville mit „Live At Antones“ ein unabdingbares rockmusikalisches Zeitdokument in Eigenregie auf die Beine gestellt. Quasi eine Lehrstunde/Anschauungsunterricht für alle (Möchtegerne-) Blues-Rocker und Nachwuchsleute, die ja doch sehr zahlreich in dieser Sparte auch durch unsere Lande ziehen. Ich vergebe eher selten Tipps, aber hier es absolut angebracht. Superb, genial, ein Pflichtkauf für alle Qualitätsrockmusikfanatiker!

Eigenproduktion (2006)
Stil: Blues Rock

DVD:
01. Blind Side
02. Bitter Rain
03. Keep A Handle On It
04. Under Stone
05. Bluest Eyes
06. Don’t Make Me Cry
07. Born Without You
08. Piece Of Your Soul
09. What Passes For Love
10. Solid Ground
11. Luck Runs Out
12. Good Day For The Blues
13. Writing On The Wall
14. Tell Me How Do You Feel
15. Spanish Castle Magic

CD 1: 
01. Blind Side
02. Bitter Rain
03. Keep A Handle On It
04. Under Stone
05. Bluest Eyes
06. Don’t Make Me Cry
07. Born Without You
08. Piece Of Your Soul
09. What Passes For Love

CD 2: 
01. Cynical
02. Wings Won’t Let Me Fly
03. Solid Ground
04. Luck Runs Out
05. Good Day For the Blues
06. Writing On The Wall
07. Spanish Castle Magic
Bonus Studiotracks.
08. Nice Ain’t Got Me Nothing
09. Bad Moon Rising

David Grissom
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Bärchen Records

Greg Trooper – Upside-Down Town – CD-Review

In den Staaten sämtliche gute und hochtalentierte Musiker zu kennen, grenzt an eine so hohe Unwahrscheinlichkeit wie Chinas Reservoir an starken Tischtennisspielern überblicken zu können. Obwohl mein Horizont, ohne mich jetzt selber loben zu wollen, in Sachen Country, New Country, Southern Rock, Red Dirt, Americana und Roots Rock sicher nicht von schlechten Eltern ist, werde ich doch immer noch mit Interpreten überrascht, von denen ich noch nie einen Ton gehört habe (allerdings meistens bei Newcomern).

Der aus New Jersey stammende Greg Trooper ist so ein Fall und dabei scheint er laut seiner Biographie bereits ein alter Hase zu sein, der schon viele Sachen selbst veröffentlicht und bereits auch mit einigen Größen im Business gearbeitet hat und unter den Kollegen auch ein hohes Standing besitzt. Zurecht wie mein Resümee nach dem Hören seiner neuen CD „Upside-Down Town“ nur geschlussfolgert werden kann. Der Mann schreibt richtig gute Songs und weiß diese auch entsprechend in Szene zu setzen.

GT, so wie er in den Credits aufgeführt ist, serviert uns am Anfang ein wenig Blues Rock, dafür aber umso überragender. Der Opener „Nobody In The Whole Wide World“ groovt richtig herrlich und soult auch ganz dezent, Orgel, E-Piano und E-Gitarre (inkl. zweier Soli) geben den Ton an. Dazu kommt Troopers starker Gesang, der auch im weiteren Verlauf besonders durch seine Variabilität beeindruckt. Der Song erinnert mich vom Flair ein wenig an Ronnie Milsaps „Stranger In My House“. Das war es dann aber auch aus dieser Sparte.

Danach bewegt sich Greg ausschließlich in Country-, Roots Rock- und Singer/Songwriter-Gefilden, sprich, alles geht dann doch deutlich gediegener zu. Bob Dylan (ähnlicher Erzählstil – „They Call Me Hank“, „Second Wind“), Johnny Cash („First Time Love“, Everything Will Be Just Fine“),
John Hiatt (kauziger Gesang – „Dreams Like This“, „Bulletproof Heart“), gemäßigte Bottle Rockets („Time For Love“, „Just One Hand“), Van Morrison („Could Have Been You“) sind Musiker, zu denen einem Assoziationen kommen, wenn Trooper seine hochmelodischen und mit sehr guten Musikern (u.a. Kevin McKendree, Kenneth Belvins, Jack Trooper, Stewart Lerman, Michael McAdam, Chip Dolan) eingespielten Stücke leicht rauchig daherraspelt. Die Produktion ist glasklar.

Eine ganz nette Geschichte für die Leute in NRW (und natürlich gerne darüber hinaus). Unter dem Motto ‚Movies & Men‘ präsentiert der Freundeskreis Filmmuseum Düsseldorf e.V. am 16.11.2010 (Beginn 20.00 Uhr) in der Black Box Greg Trooper live in Kombination mit dem Kultfilm „Einer flog übers Kuckucksnest“ (der folgt einen Tag später), wobei Greg sogar auf einen Teil seiner Gage verzichtete und auch bei der Gestaltung der Eintrittspreise für seinen Gig Abstriche machte (beides von daher zusammen für moderate 15 Euro).

Ein toller und angenehmer Zeitgenosse also, dieser Greg Trooper und ein guter Musiker und Singer/Songwriter sowieso. Und ich persönlich habe wieder eine musikalische Wissenslücke geschlossen!

Blue Rose Records (2010)
Stil: Country Rock

01. Nobody In The Whole Wide World
02. Dreams Like This
03. They Call Me Hank
04. Bulletproof Heart
05. We’ve Still Got Time
06. Might Be A Train
07. First True Love
08. Could Have Been You
09. Time For Love
10. Second Wind
11. Just One Hand
12. Everything Will Be Just Fine

Greg Trooper
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Blue Rose Records

The Warren Brothers – Well-Deserved Obscurity – CD-Review

War

Dass die Kündigung ihres Major-Labels „BMG“ eine Trotzreaktion hervorrufen würde, dürfte jedem klar gewesen sein, der sich etwas intensiver mit der Biographie, den Texten und der Musik der Warren Brothers beschäftigt hat. Freuen darf man sich daher mit der kleineren Firma „429 Records“, die den beiden eine neue musikalische Heimat gewährt hat.

Gespart wurde eigentlich nur an dem recht knapp gehaltenen Booklet, ansonsten konnten Brad und Brett Warren aus dem Vollen schöpfen. Man spürt förmlich, dass ihr neues Album „Well-Deserved Obscurity“ frei von allen Zwängen produziert wurde, und man kann guten Gewissens behaupten, dass sie nie stärker und rockiger herüberkamen als jetzt, wobei man natürlich nicht verschweigen sollte, dass man auch ihre beiden Erstwerke blind kaufen kann.
Sämtliche Songs stammen wieder aus der eigenen Feder. Erwähnenswert finde ich auch, dass in der Zwischenzeit so namhafte Interpreten wie Lynyrd Skynyrd, Tim McGraw oder Rushlow ihre kreativen Dienste in Anspruch genommen haben.

Um dem Interessenten nicht ganz die Spannung zu nehmen, hier nur einige Highlights von vielen. „Comeback“ macht seinem Namen alle Ehre, sofern man das so nach einer dreijährigen Albumpause sehen will; sehr melodisch gehalten mit schöner Pianobegleitung, aber auch tollen Slidegitarren. Das Lied könnte von der Art her auch auf einem guten Bryan Adams-Album platziert sein, ein Ohrwurm eben.

Der absolute Knaller und sicher einer meiner Songs des Jahres 2004 ist „Between The River And Me“. Zunächst erfolgt ein bedächtiger rootsmäßiger Einstieg, dazu eine nette Mandolinenbegleitung, dann plöztlich ein typisches Allman Brothers-Break, Refrain im Lynyrd Skynyrd-Stil, danach ein zum Headbanging einladender Metalpart und nach einem weiteren Allman-Break noch mal klasse E-Gitarren. Hört sich wüst an, begeistert aber ungemein. Ein Wahnsinns Rocksong im Wechselbad der Gefühle und das auf einem in Richtung New-Country konzipierten Tonträger – alle Achtung!

„Change“ beginnt mit einem wunderbaren Mandolinenintro und entwickelt sich zu einem rhythmischen Rocker der Marke John Hiatt oder Bottle Rockets.
Ihre Liebe zu Lynyrd Skynyrd bekommt man bei folgenden drei Stücken zu spüren. Wohl auch als humorvolle Anspielung auf ihre frühere Kellnertätigkeit anzusehen ist „Sell A Lot Of Beer“. Ein typischer Mitgröler, der jeden Saal in Wallung bringen wird („… we’re just one big redneck family and that’s why we’re in here, ‚cause we don’t sell a lot of records, but we sure sell a lot of beer…“).

Der Southern-Boogie „Quarter To Three“ erinnert an „White Knuckle Ride“, auffällig die Stimmähnlichkeit von Brett Warren und Johnny Van Zant.
„Liquid Confidence“ hat ein wenig den Charakter von „Devil In The Bottle“ vom „Endangered Species“-Album, ein semiakustischer Southern-Blues mit klasse Dobro- und Harpeinsätzen.

Einiges an Southern-Flair kommt auf den Hörer zu, aber auch leichte Westcoastansätze der Gattung Eagles und ein wenig dezenter Pop-Rock wie bereits eingangs erwähnt. Also, schnell bei Jürgen Thomä von Bärchen Records anklingeln und bestellen. Ob der schon mal in seinem Leben Bier an den Mann gebracht hat, bleibt wohl sein Geheimnis, aber dass er jede Menge toller Platten verkauft hat und verkaufen wird, kann ich Ihnen versichern…

429 Records (2004)
Stil: New Country

01. Comeback
02. Between The River And Me
03. Change
04. Southern Baptist Heartbreak
05. Goodbye To Neverland
06. Pretty
07. Sell A Lot Of Beer
08. Trouble Is
09. Quarter To Three
10. Little Saviour Of Brooklyn
11. Running Out Of Heroes
12. Liquid Confidence
13. The Lucky

The Warren Brothers
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Bärchen Records

Sons Of The Desert – Portrait

Sons

Ich entdeckte die Gruppe durch eine Anfrage bei Bärchen-Records. Nachdem ich Jürgen Thomä meine Geschmacksrichtung grob vorgegeben hatte, bat ich um ein paar Empfehlungen. Im Angebot befand sich eine Band namens Sons Of The Desert. Nach einem Blick auf seine toll gestaltete Homepage und der kurzen Kritik zu ihrem Zweitwerk „Change“, bestellte ich die Scheibe kurze Zeit später. Freitags darauf bekam ich den ersten Appetithappen in der Sendung Country Roads auf 3sat geboten. Das Titelstück „Change“, eine wunderschöne Nummer mit klasse Tempowechseln und einer unglaublich tollen Stimme des Sängers.

Die Burschen machten schon im Videoclip sofort einen sympathischen Eindruck. Einen Tag später kam prompt die erwartete Bestellung. Mitten im Umzugsstress ließ ich es mir nicht nehmen, kurz in die CD reinzuhören. Schon bei den ersten Tönen von „Goodbye To Hello“ war es um mich geschehen. Der Gesang bohrte sich förmlich in mein Ohr, dazu eine Melodie, die unter die Haut ging und trotzdem knackig über mich hinwegfegte. Von dem Augenblick an war mir klar, dass meinen bisherigen Favoriten in diesem Genre, Wynonna und Tim McGraw, ernsthafte Konkurrenz ins Haus stehen würde. Zäumen wir das Pferd jedoch nicht von hinten auf, sondern blicken zunächst auf den Werdegang der Band.

Ihre Story beginnt eigentlich vor ca. zehn Jahren in Waco, Texas, als die Brüder Drew (voc, g) und Tim Womack (g) nach dem Ausstieg des bisherigen Sängers zum Original-Sons-Line-Up, Doug Virden (b), Brian Westrum (dr) und Scott Saunders (key), stießen. Benannt nach einem Laurel-und-Hardy-Film tourten die Jungs mit damals unbekannten Größen wie Ty Herndon und Lonestar die Countryclubs und Honkytonkbars im Umkreis von Dallas rauf und runter, bis 1997 der Vertrag für ihr Debütalbum, „Whatever Comes First“ bei Epic Records zustande kam. Die Scheibe beinhaltet u. a. einen bunten Mix aus peppigen Uptemponummern „Hand Of Fate“, „Whatever Comes First“, „Drive Away“, herrlichen Balladen „Leaving October“, „Colorado“, „Burned In My Heart“ sowie zwei tolle Honkytonkstücke „Bring On The Angel“, „Devil Right On My Shoulder“, die auch das Herz manch eines Southern-Fan höher schlagen ließen.

Zwei Dinge wurden besonders ans Tageslicht gefördert: Zum einen ein deutlich zu spürender Teamgeist, bedingt durch die Großzügigkeit der Plattenfirma, die Band an der langen Leine zu führen, was die Vorstellungen bzgl. der Umsetzbarkeit ihrer Songs anging, zum anderen die Einzigartigkeit des hochtalentierten Sängers und Songwriters Drew Womack. Ob allein oder mit externen Schreibpartnern schafft er es, die Hörer in seinen Bann zu ziehen und nicht mehr gehen zu lassen. Just in dem Moment, als der steile Aufstieg der Sons vorprogrammiert zu sein schien, trennt man sich, zur Überraschung aller, von Epic.

Die Gunst der Stunde nutzte Tony Brown, MCA-Nashville-Chef, bereits schon vorher großer Sons-Fan. Er erinnert sich: Es war genau der richtige Moment, um die Band eine Stufe höher zu puschen, wie schon bei Vince Gill oder Chely Wright. Man muss den Zeitpunkt genau treffen, eine äußerst glückliche Entscheidung.

Die Befürchtungen der Jungs, eine komplette Generalüberholung über sich ergehen lassen zu müssen, trat nicht in Kraft. Auf der Strecke blieben lediglich Drews lange Haare und ein etwas geändertes Bühnenkonzept, dass die drei Gitarristen mit viel Harmoniegesang kompakter in den Vordergrund stellen soll, um durch bessere Kommunikation ein breiteres Spektrum an Fans erreichen zu können. Es gab, gegenüber dem Debütwerk, eine größere Songauswahl; erfolgreiche Songwriter wie Craig Wiseman, Chris Lindsey und Mark Selby als auch namhafte Gästemusiker wie Keith Urban und Paul Franklin wurden zur Verfügung gestellt, der Kreativität Drew Womacks aber weiterhin alle Türen offen gelassen.

Drews Kommentar: Ich bin in dem Business, weil die Leute es lieben, Bands zu hören, die ihre eigenen Songs schreiben und spielen. Brown fügt hinzu: Drews Songwriting als Ergänzung zur Begabung der Musiker ist unglaublich. Kommen wir zur CD selbst. Neben den schon erwähnten Liedern, „Goodbye To Hello“ und „Change“, enthält sie u. a. weitere Sahnestücke wie „Blue Money“, eine Nummer, die unweigerlich an alte Eagles-Klassiker im modernen Gewand erinnert, „Real Fine Love“ eine Killer-John Hiatt-Coverversion, „I Need To Be Wrong“, das persönliche Lieblingsstück der Band, das funkige „Everybody’s Gotta Grow Up“ (dazu wurde ein toller, humorvoller Videoclip mit der Band auf einer Plattform inmitten eines riesigen Swimmingpools gedreht) und „The Ride“ mit toller Banjobegleitung von Keith Urban.

Dazu natürlich auch wieder Balladen wie „Albuquerque“, aus der Epic-Schlussphase neu überarbeitet, oder „Too Far To Where You Are“, dass eigentlich für Tim McGraw bestimmt war, aber großzügig an die Jungs abgetreten wurde. Alles in allem muss man feststellen, dass sich der ‚Wechsel‘, sofern man ihn als diesen bezeichnen kann, gelohnt hat. Es ist alles noch ein wenig knackiger und moderner geworden. Mir gefällt besonders der klare Sound, d. h. die Stimme sowie die einzelnen Instrumente für sich sind zur jeder Phase eindeutig differenzierbar und fließen dennoch wieder in einem Ganzen zusammen.

Abschließen möchte ich mit einem Statement von Drew Womack: Es gibt viele Leute in diesem Geschäft, die Angst haben, neue Dinge zu probieren, sie wollen sich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen. Aber Musik muss sich weiterentwickeln, dazu muss man neue Ideen einbringen. In anderen Worten: Ein Wechsel tut gut! Zu erwähnen sei auch noch das soziale Engagement der Gruppe. Sie unterstützt eine gemeinnützige Organisation namens Jason Foundation, die sich der Vorbeugung von Jugendselbstmorden verschrieben hat.

P.S.
Die Band löste sich trotz allen musikalischen Potentials 2004 auf, lediglich Drew Womack konnte als Solokünstler weiter von sich Reden machen.

„Whatever Comes First“

Sons_1

Epic Records (1997)
Stil: New Country

01. Hand of Fate
02. Whatever Comes First
03. Leaving October
04. Bring On The Angel
05. You Can Come Cryin‘ To Me
06. Colorado
07. When It’s Right
08. Promises
09. Drive Away
10. Devil On Both Shoulders
11. Burned In My Mind

„Change“

Sons_2

MCA Nashville (2000)
Stil: New Country

01. Goodbye To Hello
02. Albuquerque
03. What I Did Right
04. Everybody’s Gotta Grow Up Sometime
05. Too Far To Where You Are
06. I Need To Be Wrong Again
07. That’s The Kind Of Love You’re In
08. Real Fine Love
09. Blue Money
10. Change
11. Ride

Drew Womack
Bärchen Records

Paul Thorn – Too Blessed To Be Stressed – CD-Review

thorn

Der Lebensweg von Paul Thorn und meiner Wenigkeit ähnelt sich ein wenig. Wir beide teilen sowohl eine Sportvergangenheit als auch die Liebe zur Rockmusik. Während ich damals zu meinen Hochzeiten einen kleinen weißen Zelluloidball gegen klangvolle Tischtennis-Namen wie Jan-Ove Waldner, Jörgen Persson, Jean-Michel Saive, diverse Chinesen dieser Epoche oder Jörg Rosskopf und Steffen Fetzner (die Doppel-Weltmeister aus unserem Lande) über die Platte schlug, ließ Paul als Highlight seiner Karriere die Fäuste gegen keinen geringeren als ‚die steinerne Hand‘ Roberto Duran aus Panama um einen seiner vielen Titel durch den Ring fliegen (Ausschnitte davon kann man auf seiner früheren Live-CD/-DVD „So Far So Good“ im Bonusteil ansehen).

Wie oben bereits erwähnt, verbindet uns beide in jedem Fall auch unser Hang zu guter Musik. Da ich zeitlebens, bis auf die übliche Blockflöte, in der Schule kein Instrument in die Hände ließ (die waren 30 Jahre nur dem TT-Schläger und der TT-Kugel vorbehalten) landete meine Person bekannterweise letztendlich bei der über Musik schreibenden Zunft, während sich Paul nun seinen weiteren Talenten (der Mann kann übrigens auch richtig gut malen, wie er es z. B. auf dem Coverbild von „Pimps And Preachers“ dokumentiert – ebenfalls eine weitere Passion von mir) wie dem Songschreiben und aktiven Musizieren intensiv widmen konnte.

Und das macht der Mann aus Tupelo ebenfalls bravourös, wie es seine mittlerweile sieben starken Studioalben zweifelsfrei untermauern. Dabei kann er sich auch immer wieder auf ein eingespieltes Ensemble an Mitstreitern verlassen. Auf der neuen CD „Too Blessed To Be Stressed“, produziert von Billy Maddox, sind es hauptsächlich sein variabler Gitarrist Bill Hinds (viele Slide-Passagen) und der wunderbar klimpernde Tastenspieler Michael Graham (herrliches Orgel-Gegurgel, flotte HT-Piano-Einlagen), die neben dem Protagonisten die markanten Akzente zu setzen wissen.

Für den Hauptfarbtupfer sorgen allerdings auf diesem Werk, bei dem Paul diesmal den Fokus auf Lieder setzt, die eine positive, fröhliche Aura vermitteln sollen (was ihm auch mit seinen augenzwinkernden, teilweise sehr humorvollen Texten bestens gelingt), die nicht nur stimmlich gewaltig erscheinenden McCrary Sisters. Die geben Stücken wie dem soulig-funkigen Titellied, „Get You A Healin'“ (erinnert ein wenig an eine gospelige Ausgabe von Claptons „Lay Down Sally“), oder dem rhythmisch groovenden „What Kind Of Roof Do You Live Under“, mit seinen voluminösen Harmoniegesängen, einen bunten Anstrich (fast wie das – ich vermute von Paule selbst knallig bemalte Klavier, das sich als Eyecatcher wie ein roter Faden durch die gesamte Covergestaltung, mit allen Texten, hindurchzieht).

Vom polternden Opener „Everything’s Gonna Be Alright“ (klasse E-Solo), über das Springsteen-umwehte „Everybody Needs Somebody“ (am Ende mit einem Hauch von U2-Stimmung), dem countryfizierten „I Backslide On Friday“ (zum Abrollen. Es geht um einen Verlierer-Typen der seine guten Vorsätze immer wieder auf den nächsten Tag verschiebt), sowie herrlichen Barroom Blues-Stampfer „This Is A Real Goodbye“ bis zu den mit dezenter Introvertiertheit und Melancholie in der Tradition eines Radney Fosters versehenen „Old Stray Dogs & Jesus“ und „No Place I’d Rather Be“ (sehr emotional gestricktes Dankeschön an seine Familie) liefert PT ein solides und sympathisches Werk ab, mit dem man sofort auf einer Wellenlänge schwebt und dessen Refrains sich mit Leichtigkeit einprägen.

Auch wenn der Ex-Boxer auf seinem neuen Album keinen richtig spektakulären Knockout rauslässt, reicht es nach elf unterhaltsam launigen Songrunden trotzdem für ihn wieder mal zu einem glatten Punktsieg. „Too Blessed To Be Stressed“ ist ein klarer Beleg dafür, dass sich der Künstler mit konstant guten Leistungen längst in den Reigen toller zeitgenössischer Musiker und Songwriter wie Mark Selby, Todd Thibaud, Will Hoge, Wade Bowen, Radney Foster & Co. hineingespielt hat. Toller stress-resistenter Typ, dieser Paul Thorn!

Blue Rose Records (2014)
Stil: Blues Rock & More

01. Everything’s Gonna Be Alright
02. Too Blessed To Be Stressed
03. Everybody Needs Somebody
04. I Backslide On Friday
05. This Is A Real Goodbye
06. Mediocrity Is King
07. Don’t Let Nobody Rob You Of Your Joy
08. Get You A Healin‘
09. Old Stray Dogs & Jesus
10. What Kind Of Roof Do You Live Under
11. No Place I’d Rather Be

Paul Thorn
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Blue Rose Records

Tow Truck Tom & The Roadside Wrecks – Sophomore Slump – CD-Review

Tow

Obwohl ich mich schon seit einigen Jahren mehr zum New Country hingezogen fühle, galt meine Liebe jedoch von Jugend an schon immer dem Southern Rock, dem Musikstil, der im groben und ganzen auch von allen meiner musikalischen Bekannten geschätzt wird. Zu  Reviews meinerseits ist es ist es in letzter Zeit weniger gekommen, weil die Veröffentlichungen in den letzten Jahren ohnehin nicht so in Hülle und Fülle sprudelten. Mit dem Kauf von Tow Truck Tom (And The Roadside Wrecks) möchte ich nun auch mal die Gunst der Stunde nutzen, ein paar Worte in diesem Bereich loszuwerden. Ja, der gute Southern Rock, wo steht er eigentlich heute?

Wenn man ehrlich ist, so sehr die Erkenntnis auch schmerzen mag, ist der einstige Glanz schon lange verschwunden. Man fragt sich verzweifelt, warum selbst die überlebenden Bands bei CD-Verkäufen und Live-Konzerten kaum noch einen Hering vom Teller ziehen, obwohl ihre Klientel doch eigentlich heute in einem Alter ist, wo die finanziellen Mittel da sind und bei guter Leistung auch gerne ausgegeben würden.

Südstaaten Rock hat sich für meine Begriffe immer dadurch ausgezeichnet, dass die Bands der ersten und zweiten Generation einerseits Musiker mit Charisma in ihren Reihen hatten, zum anderen enormes spielerisches Können an den Tag legten und in der Lage waren mehrere Scheiben mit vielen Songs, die so was wie einen gewissen Wiedererkennungswert besaßen, zu kreieren.

Übrig geblieben sind davon 38 Special, deren letztes Werk auch schon wieder fünf Jahre zurück liegt, Molly Hatchet, die mit einer Live-Scheibe, sich an den Strohhalm des Nicht-Vergessens-Werdens, klammern und natürlich Lynyrd Skynyrd. Die Neuen, wie ich sie zu nennen pflege, hatten richtigerweise viele Kräfte gebündelt, vier sehr gute CDs produziert und mit „Edge Of Forever“ eines der stärksten Werke dieses Genres geschaffen. Trotzdem vermisse ich nach wie vor das Bekenntnis zur eigenen Identität, besonders bei Live-Konzerten. Die auch schon wieder recht lange Pause wurde wenigstens durch zwei ganz ordentliche Solo-Scheiben der Van Zant Brüder kompensiert.

Was ist aber mit dem Rest? Atlanta Rhythm Section und Southern Rock Allstars demonstrierten eindrucksvoll, wie man Southern Rock nicht interpretieren sollte, Aufhorcher gelangen Catawompus, Alligator Stew und den Regulators. Das meiste kreative und spielerische Potential entdecke ich eigentlich bei Calibre 12, aber der französische Gesang passt zu dieser Stilart wie das Doppelpassspiel zu unserer deutschen Fußballnationalmannschaft. Unsere zwei deutschen Bands geben sich zwar redlich Mühe, aber das gewisse Etwas fehlt meiner Meinung nach.

Henry Paul hat zumindest erkannt , dass mit Blackhawk im New-Country der Zahn der Zeit eher getroffen wird. Die Band liefert regelmäßig mit Erfolg ihre Alben ab, und bringt auch nach Van Stephensons schmerzlichem Tod demnächst eine neue CD raus. Als Ersatz für ihn transportiert Billy Crain vielleicht wieder ein wenig Southern-Esprit rüber.

Einen Leuchtstreifen am Horizont lassen auf jeden Fall Tow Truck Tom & The Roadside Wrecks aufblitzen, der eigentliche Grund für meine Ausführungen. Die 1998 gegründete Band veröffentlich ihre zweite CD, die sich in keiner Southern Rock- Sammlung verstecken braucht. Traditionelles Line-Up mit drei Lead Gitarren und das Album beinhaltet im Prinzip das gesamte Südstaaten Rock ABC, frisch, abwechslungsreich und unverbraucht dargeboten. Jede Menge Drive und Power, Slide-, Twin-Gitarren und Soli en Masse, eben alles was das Herz des Fans höher schlagen lässt.

Der Gesang ist auch ok. Man merkt, das die Leute nicht mit der Intension ans Werk gegangen sind, irgendwas krampfartig abzuliefern, wie zum Beispiel bei den Southern Rock Allstars. Nein, hier regiert offensichtlich der Spaß und ich vermute, dass die Band ein richtiger Live-Knüller ist. Geboten wird ein bunter Reigen quer durch die Southern Rock-Landschaft von Outlaws, Marshall Tucker, Allman Brothers, Lizard bis zur Southern Highway Band, um einige zu nennen, wobei viele Soli Molly Hatchet mäßig angelegt sind, trotzdem wird so was wie ein eigener Charakter sichtbar. Bis auf das Abschlussstück, das man, wenn überhaupt, besser als Hidden Track hätte bringen sollen, hat jedes Lied seinen eigenen Charme und irgendeines explizit herauszuheben, fällt schwer.

Meine Favoriten sind der Opener „Legacy“ mit seinem Finish, das gitarrenlastig rhythmisch dahinstampfende „Middle Of Nowhere“ und das leicht im Ohr hängen bleibende „Cold Outside“. Vielleicht werden mich jetzt einige selbst ernannte Puristen der Szene zerreißen, und mir nahe legen, ich sollte mich doch lieber der New Country Musik zuwenden, was mir aber relativ egal ist. Ich ziehe jedenfalls meinen Hut vor Tow Truck Tom! So kann Southern Rock weitergehen, Nachzügler sind gern gesehen, vielleicht gibt es dann auch so was, wie eine kleine Renaissance. Zu wünschen wäre es jedenfalls…

P.S.
Die Band hat mittlerweile den Zusatz ‚The Roadside Wrecks‘ aus ihrem Namen gestrichen.

Eigenproduktion (2002)
Stil: Southern Rock

01. Legacy
02. Dawn Breaks
03. Middle Of Nowhere
04. Turn Towards Tomorrow
05. Shake Me Break Me
06. When The Wave Hits The Shore
07. Cold Outside
08. Spanish Fly
09. We Lied
10. Still Be Your Fool
11. Guy In A Bar

Tow Truck Tom
Bärchen Records

Billy Bob Thornton – Private Radio – CD-Review

Thornton

Der Typ sieht wie einer aus, dem man nicht im Dunkeln begegnen, geschweige denn zum Feind haben möchte. Und doch zählt der in Hot Springs, Arkansas geborene 46-jährige Billy Bob Thornton, nicht nur durch die Heirat mit Lara-Croft-Darstellerin Angelina Jolie, zu den schillernden Lichtgestalten des aktuellen Showbusiness. Vier Scheidungen, jede Menge Tätowierungen, Blutschwur und extravagantes Auftreten; ein gefundenes Fressen für die Boulevardmedien der heutigen Tage.

Zwei aktuelle Filme, ‚The Man, Who Wasn’t There‘, eine Homage an die Filme der 40er Jahre, in dem er einen wortkargen Barbier spielt, der letztendlich auf dem elektrischen Stuhl landet, und die Krimi-Liebeskomödie ‚Banditen‘, in der er mit Bruce Willis um die Gunst von Cole Blanchett buhlt, dienen als Beleg dafür, dass der Mann in der momentanen Szene angesagt ist.

Zu den Wurzel zu Beginn seiner Künstlerkarriere zurückkehrend – Thornton startete als Sänger und Schlagzeuger – veröffentlichte Billy Bob jetzt, zu einem nicht ganz unpassenden Augenblick, unter dem US-Label Lost Highway Records, hier vertrieben durch die Firma UMIS, seine erste CD „Private Radio“.
Und der Typ scheint es wirklich nicht nur schauspielerisch drauf zu haben. Er bietet zwölf unaufdringliche Songs, die schwerpunktmäßig durch seine angenehm raue Stimme und gitarrenmäßig durch Freund und Produzent Marty Stuart ihren Stempelaufdruck erhalten.

Teils im Erzählstil eines Johnny Cash („Dark And Mad“, „Forever“, „Beauty At The Backdoor“), oder leicht Tom Petty-beeinflusst („Walk Of Shame“, „He Was A Friend Of Mine“), mal als Ballade mit persönlichem Bezug („Angelina“, „Your Blue Shadow“), einmal im Duett mit Holy Lamar („Starlight Lounge“) dargeboten, ergänzt durch ein paar traditionelle Rock’n’Roll-, Blues- und Hillbilly-Elemente („Smoking In Bed“, „That Mountain“, „Lost Highway“) zeugt davon, dass Mr. Thornton auch im musikalischen Bereich auf Flexibilität steht.

Die Scheibe wird sicher nicht unbedingt zu einem großen Favoriten in meiner Sammlung avancieren, aber man kann sie als insgesamt recht ordentlich bezeichnen. Der „Bad Boy“ hat sich einen Herzenswunsch erfüllt, die Sache scheint ihm großen Spaß bereitet zu haben, das nötige Kleingeld ist ohnehin dafür vorhanden und das Ergebnis liegt im grünen Bereich. Warum also eigentlich nicht?

Universal Records (2001)
Stil: Country & More

01. Dark And Mad
02. Forever
03. Angelina
04. Starlight Lounge
05. Walk Of Shame
06. Smoking In Bed
07. Your Blue Shadow
08. That Mountain
09. He Was A Friend Of Mine
10. Private Radio
11. Beauty At The Backdoor
12. Lost Highway

Billy Bob Thornton
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Travis Tritt – Strong Enough – CD-Review

Tritt

Travis Tritt zählt sicherlich ohne Umschweife zu den Interpreten, die sich ihren Platz in unserem New Country-Herzen redlich verdient haben. Schließlich kann der 1963 in Marietta, Georgia geborene Künstler auf eine fast zwanzig Jahre andauernde erfolgreiche Karriere zurückblicken. Attribute wie sympathisch, ehrlich, solide oder bodenständig kann man guten Gewissens attestieren.

Der Mann mit der Reibeisenstimme hat es immer geschafft, Musik massenkompatibel zu gestalten, ohne sein Gesicht dabei zu verlieren. Seinen Wurzeln, dem rootsigen Country, durchsetzt mit Honky Tonk, Rock- und Southernelementen sowie schönen Balladen ist er eigentlich bis zum heutigen Tag treu geblieben.

Der Hardliner wird bei seiner neuen Scheibe „Strong Enough“ sicherlich ohne mit der Wimper zu zucken zugreifen, den außen stehenden Rest könnte sein aktuelles Album in zwei Lager spalten.

Die Leute, die eher auf die rockigere Variante stehen, werden zwar mit drei wirklich tollen Slide-Honky-Tonk-Stücken belohnt („You Can’t Count Me Out Yet“, „If You’re Gonna Straighten Up – Brother Now’s The Time“, „Time To Get Crazy“), der übrige Teil, und das sind gute zwei Drittel der Scheibe, ist doch ziemlich balladendurchtränkt (besonders toll: „Can’t Tell Me Nothin'“, „Strong Enough To Be Your Man“, „Doesn’t Anyone Hurt Anymore“), was Leuten wie mir, die ruhigere Sachen bevorzugen, wohl mehr entgegenkommt.

Das Gesamtergebnis ist in etwa mit dem seiner letzten CD „Down The Road I Go“ vergleichbar. Was mir an seinen Songs immer gefällt, ist, dass Tritt nicht, wie im New-Country oft üblich, von Friede-Freude-Eierkuchen singt, sondern schon mal kaputte Beziehungen oder unangenehme Begleiterscheinungen des Alltags aufgreift; Dinge, die Leute aus dem Herzen sprechen und nachvollziehbar sind.

Als Beispiel einige Zeilen aus „Country Ain’t Country“:

„…The back forty was sold to make up for hard times
Then sold by the half acre lot overnight
The houses went up and the trees were cut down
And there went the finest deer hunting around
Lord everyone’s locking their doors
‚Cause country ain’t country no more
There’s no turning back
And you just can’t ignore
That country ain’t country no more…“

Zeilen, die viel über unsere heutige dahinrasende Zeit aussagen; da empfinde ich es nur als legitim und angenehm, dass Travis dann auch mal beim Tempo seiner Stücke ein wenig auf die Bremse ‚tritt’…

Sony Music (2002)
Stil: New Country

01. You Can’t Count Me Out Yet
02. Can’t Tell Me Nothin‘
03. Strong Enough To Be Your Man
04. Country Ain’t Country
05. If You’re Gonna Straighten Up (Brother Now’s The Time)
06. Doesn’t Anyone Hurt Anymore
07. You Really Wouldn’t Want Me That Way
08. I Don’t Ever Want Her To Feel That Way Again
09. Time To Get Crazy
10. Now I’ve Seen It All
11. God Must Be A Woman
12. I Can’t Seem To Get Over You

Travis Tritt
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Bärchen Records

Shania Twain – Up! – CD-Review

Twain

Es ist schon lustig, mit was für Dingen man als Redakteur konfrontiert wird. Folgende Mail erhielt ich neulich und ist wohl nicht als Scherz gemeint gewesen.

Hallo Daniel!
Ich melde mich mit einer wahrscheinlich höchst ungewöhnlichen Bitte. Also, kurze Einleitung. Ich habe am Nelkensamstag in Moers-City beim Karnevalszug eine nette Frau kennen gelernt. Dummerweise habe ich Ihr nicht meine Nummer gegeben. Ich weiß aber, dass sie Heavy-Metal gerne hört und aus einem Becher von einem Open Air ( W.O.A.??) trank. Jetzt meine Bitte. Kannst Du mir sagen, ob und wenn ja, wo in Moers es Kneipen oder Treffpunkte gibt, wo diese Musik überwiegend gespielt wird. Ich bin im Internet auf Deine Seite gestoßen als ich bei Google die Suchbegriffe Heavy-Metal und Moers eingab und anklickte (dies nur zur Erklärung, falls Du Dich gewundert haben solltest wie ich gerade auf Dich komme). Ich hoffe Du kannst mir weiterhelfen und es macht nicht soviel Umstände. In hoffnungsvoller Erwartung einer positiven Nachricht.
Ralf

Probleme gibt’s… Sollten wir uns Gedanken machen, eine Partneragentur an unsere Sache anzugliedern? Vielleicht kommt man ja dann an das große Geld. Eine Frau, die sicherlich eine ähnliche Energieleistung wie die des o.a. Zeitgenossen gerechtfertigt hätte, ist zweifelsohne Shania Twain.
Darüber, ob es auf diesem oder ähnlichem Wege zur ihrer Liaison mit dem renommierten Produzenten Robert John „Mutt“ Lange (Bryan Adams / Def Leppard / AC/DC) kam, kann ich nur Vermutungen anstellen. Zumindest dürfte sie endgültig die Weichen für eine sorgenfreie finanzielle Zeit bis in die nächsten drei Generationen gestellt haben.

Allerdings steht fest, dass die Dame nicht nur für die Männerwelt eine äußert ansehnliche Person mit vielen schönen Gesichtern ist, was ihr die neidischen Blicke des Großteils ihrer weiblichen Artgenossinnen garantieren dürfte, sondern auch ein echtes Talent als Sängerin und Songwriter im Musikbusiness darstellt.

Untermauert wird diese Tatsache nicht zuletzt durch ihre millionenfach verkaufte CD „Come On Over“ und die klasse gemachte DVD „The Platinum Collection“. Jetzt stellt sie ihr neustes Werk „Up!“ direkt in dreifacher Ausführung vor und Herr Lange scheint sämtliche kommerziellen Käuferschichten ansprechen zu wollen.

Kommen wir zunächst zur Multikulti-Dancefloor-Version. Sie erscheint, trotz Shanias Beteuerungen auf dem Beipackzettel wie „… bei meinen Konzerten sind so viele Leute aller Altersgruppen und Nationalitäten…“ ein wenig aufgesetzt und künstlich. Statt einem Umzug in eine Villa am Genfer See hätte meiner Meinung nach die Belegung einer 2 1/2 Zimmer Wohnung in einem von der Sanierung bedrohten Mehrfamilienhaus in Berlin-Kreuzberg mehr Glaubwürdigkeit vermittelt. Das einzige was mir da gefällt, ist das Bildchen auf dem Rohling, aber Schwamm drüber.

Die New Country-Version, die ich gerne erhalten hätte, war bei ‚Mercury‘ leider nicht verfügbar. Dafür ist als zweites Stück die Poprockversion mit dabei und immerhin die Genugtuung, als Medium von einem Majorlabel zur Kenntnis genommen zu werden. Aller Anfang ist halt schwer… Anderseits sind bei Shania Twain die Übergänge von New-Country zu Rock und Pop eh fließend. Da machen ein paar Fiddels, Banjos oder Steel Guitars mehr oder weniger den Braten auch nicht fett.

Die CD ist mit 19 Songs bis an den Rand gefüllt und geballte Unterhaltung pur. Sonne, Swimmingpool, kalte Getränke, nette Mädels, feiern mit guter Musik. Das alles fällt mir spontan dazu ein. Shania strahlt einfach positive Energie aus. Die Lieder gehen locker flockig ins Ohr. Wahnsinnig peppig gemacht.

Für Cowboys um die Anfang Vierzig, von der Persönlichkeitsstruktur einfach und genügsam gestrickt, jedenfalls ein großer Spaß. Ihre Stimme klingt irgendwie noch frischer und ich bin mir sicher, dass dieses Werk im Frühling und Sommer noch öfter den Weg in meine CD-Player finden wird.

Meine Lieblingssongs der Hit „I’m Gonna Getcha Good“, die Midtemposachen wie „Ain’t No Particular Way“ und „(Wanna Get To Know You) That Good! „, Balladen a là „Juanita“, „It Only Hurts When I’m Breathing“ und „I’m Jealous“, das rockig dahinstampfende „Waiter! Bring Me Water! „, das fetzige „In My Car (I’ll Be The Driver) “ und nicht zuletzt wegen Shanias Vielseitigkeit mein absoluter Favorit „She’s Not Just A Pretty Face“. Yes indeed, Mr. Lange!

Mercury Records (2003)
Stil: (New Country) Pop

01. Up!
02. I’m Gonna Getcha Good!
03. She’s Not Just A Pretty Face
04. Juanita
05. Forever And For Always
06. Ain’t No Particular Way
07. It Only Hurts When I’m Breathing
08. Nah!
09. (Wanna Get To Know You) That Good!
10. C’est La Vie
11. I’m Jealous
12. Ka-Ching!
13. Thank You Baby! (For Makin‘ Somebody Come So Soon)
14. Waiter! Bring Me Water!
15. What A Way To Wanna Be!
16. I Ain’t Goin‘ Down
17. I’m Not In The Mood (To Say No)!
18. In My Car (I’ll Be The Driver)
19. When You Kiss Me

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