
Review: Stephan Skolarski
“Look Out Highway” heißt das neue Studioalbum von Charlie Musselwhite. Schon eine kurze Hörprobe verlangt geradezu nach tiefer gehender Recherche, nach Retrospektive auf die Biografie des heute 81-jährigen Blues-Harp Spielers, Sängers, Songwriters und Gitarristen. Geboren in Mississippi, aufgewachsen in Memphis in den 1940/50er Jahren als Kind musikaffiner Eltern, kam “Memphis Charlie” früh mit vielen Stilrichtungen und vor allem Blues-Einflüssen in Berührung. Auf Jobsuche zog der 18-jährige nach Chicago, wo die Szene gerade die Elektrifizierung des ländlichen Delta-Blues zum Chicago-Style vorantrieb und spielte seine Harp-Power bereits 1965 auf dem John Hammond Album “So Many Roads”, u.a. mit The Band als Begleitung. Nur ein Jahr später erschien das eigene Debut-Album “Stand Back! Here Comes Charlie Musselwhite’s South Side Band”, ein legendäres Blues-Meisterwerk.
Charlie Musselwhite hatte mit 22 Jahren den Durchbruch geschafft und ist heute fast sechs Jahrzehnte und über 20 Alben, sowie unzähligen Kollaborationen später (u. a. Tom Waits, John Lee Hooker, Gov’t Mule, Eddie Vedder – um nur wenige zu nennen), Urgestein der US-Blues-Geschichte. Wieder in Clarksdale, Mississippi-Delta (dem Geburtsort seines Freundes John Lee Hooker) zu Hause, hat Musselwhite nach “Mississippi Sun” (2022) nun “Look Out Highway” aufgelegt. Ein Album, das erneut dazu auffordert, das Blues Revival der 60er zu erkunden. Klassisch und modern zugleich kommen der straighte Titelsong und das Memphis-soulige “Sad Eyes” aus den Startlöchern. Das neu eingespielte “Baby Won’t You Please Help Me” schließt übrigens den Kreis zum Meisterwerk “Stand Back!”, progressiv, ohne Hinweis auf sein Alter.
Natürlich sind es wesentlich die Harmonica-Parts, die “zweite Stimme” Musselwhite’s, die “Storm Warning“ stürmisch klingen und auf dem “Highway 61” die Wheels rollen lassen. Die 11 Eigenkompositionen, mit unbändiger Blues-Energie ausgestattet, üben unterschwellig eine temperamentvolle Anziehungskraft aus. Titel, wie “Hip Shakin’ Mama” oder “Ramblin’ Is My Game”, die in stompigen Rhythmus-Elementen nach Bewegung verlangen und unwillkürlich in den Bann ziehen. Wenig überraschend erscheint in diesem Zusammenhang, dass Dan Aykroyd als Harmonica spielender Blues Brother Elwood seinem Vorbild in “Blues Brothers 2000” mit der Supergroup The Louisiana Gator Boys ein kultiges Denkmal setzte.
Diese Erinnerungskultur pflegt Charlie Musselwhite selbst mit dem Instrumentalstück “Blue Lounge” als Reminiszenz an Chuck Berry und entwickelt dabei ebenso dezent schwebende Blues-Flügel wie Peter Greens “Albatros”. Eine musikalisch-emotionale Verbundenheit auch mit Künstlern der jüngeren Generation bieten der Gastbeitrag von Blues-Sängerin Edna Luckett beim entspannten Midtempo-Titel “Ready For Times To Get Better”, sowie der standesgemäße Sprechgesang von Memphis-Rapper Al Kapone auf dem rasanten “Ghosts In Memphis”. Die unbeschwerte Highway Freiheit im klassischen Blues Akkord zu genießen, wird zum Schluss von “Open Road” noch einmal in Szene gesetzt. Mit 33 Blues Music Awards, 15 Grammy Nominierungen, dem Grammy für “Get Up”, sowie der Aufnahme in die Blues Hall of Fame 2010, hat Charlie Musselwhite eine ganze Reihe von Auszeichnungen erhalten. Ob damit seine Kunst, durch ein kleines Instrument, welches wunderbar zum Blues passt, ausreichend bewertet ist, sei dahingestellt. In unseren Breiten wird sein Lebenswerk wahrscheinlich unterschätzt.
Charlie Musselwhites neues Album “Look Out Highway” enthält eine brillante Mischung, ein zündendes Feuerwerk, handgemachter Delta und Chicago Blues Aufnahmen, die mit Memphis Soul und etwas Americana angereichert sind. Eine ausgezeichnete Produktion der traditionellen Roots-Music, die den Titel des Best Blues Harp Album of the Year mehr als verdient – also Stand Back, Here comes Charlie Musselwhite!
Forty Below Records (2025)
Stil: Blues, Roots
Tracks:
01. Look Out Highway
02. Sad Eyes
03. Storm Warning
04. Baby Won’t You Please Help Me
05. Hip Shakin‘ Mama
06. Highway 61
07. Ready For Times To Get Better
08. Ramblin‘ Is My Game
09. Blue Lounge
10. Ghosts In Memphis
11. Open Road
Charlie Musselwhite
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