Thomas Kraft – Americana. Ein zerrissenes Land im Spiegel der Country Music – Buch-Rezension

Review: Michael Segets

Thomas Kraft zieht in „Americana. Ein zerrissenes Land im Spiegel der Country Music“ Verbindungslinien zwischen Country Music und nationaler Identität der Vereinigten Staaten von Amerika. In dem Buch finden viele Musiker_innen Erwähnung, die in der Interpretenskala von Sounds-of-South vertreten sind, sodass es für unsere Leser_innen bereichernd sein könnte. Die Anregung für die erste Buch-Rezension bei SoS gab Andreas Reiffer, in dessen Verlag das Werk am 27.09.2024 erscheint.

Musik muss nicht politisch sein, aber ihre Entstehung ist stets durch den kulturellen und gesellschaftlichen Kontext geprägt. Offensichtlich wird die Verbindung von Musik und Politik, wenn sich die Künstler_innen öffentlich zu politischen oder gesellschaftlichen Problemen äußern oder solche Themen in ihren Texten verarbeiten. Für Politiker_innen wird die Musik interessant, wenn sie deren Popularität für ihre Zwecke instrumentalisieren können. Dass sich die Urheber_innen dagegen wehren, zeigen die zahlreichen Unterlassungsklagen gegen Trump, der ohne Zustimmung Musiktitel in seinem Wahlkampf einsetzt. Kraft zeichnet im ersten Kapitel seines Werks einige Skandale und Kontroversen nach, die im Spannungsfeld von Politik und Musik – speziell der Country Music – in den letzten Jahren aufflammten. Dabei reichen die Beispiele von den Dixie Chicks, den heutigen The Chicks, über Jason Aldeam bis zu Taylor Swift. Gefüllt mit hierzulande kaum wahrgenommenen Hintergrundinformationen bemüht sich Kraft um die Darstellung mehrerer Perspektiven. Deutlich wird dabei, dass die Country-Szene nicht nur in Bezug auf politische Ansichten, sondern auch hinsichtlich der dahinter stehenden Werte gespalten ist.

Eine zentrale Frage wird im zweiten Kapitel, in dem eine Analyse der gesellschaftlichen Situation in den Vereinigten Staaten von Amerika erfolgt, aufgeworfen: „Hat das Land seinen moralischen Kompass verloren?“ (S. 39) Diese Frage stellt sich nicht erst seit der Präsidentschaft von Trump, tritt seitdem aber immer offener zutage. Eine grundlegende These des Autors ist, dass Brüche in der nationalen Identität der USA bestehen, die historische Wurzeln haben. Obwohl sich die Vereinigten Staaten Freiheit und Demokratie auf die Fahnen schreiben, sieht die gesellschaftliche und soziale Realität anders aus. Der Umgang mit der indigenen Bevölkerung während der Kolonalisierung des Kontinents oder die Sklaverei haben Spuren hinterlassen, die bis heute nachwirken. Wie Kraft diagnostiziert, durchziehen tiefe Gräben die amerikanische Gesellschaft, die unter anderem in der Kluft zwischen arm und reich offensichtlich werden.

In weiten Teilen der Bevölkerung besteht ein Gefühl der Unsicherheit, der Benachteiligung oder gar der Existenzbedrohung sowie das Bedürfnis nach Orientierung in einer komplexen Welt. Damit geht ein Rechtsruck in der Gesellschaft einher. Der Ruf nach einem starker Mann, der Klarheit im Sinne einfacher Wahrheiten schafft und Sicherheit verspricht, wird nachvollziehbar. Kraft kommt zu dem Schluss, dass das Phänomen Trump erst aufgrund der existierenden Polaritäten möglich wurde, die er zugleich schürt. Für den Autor stellen sich die Vereinigten Staaten von Amerika als ein gespaltenes Land dar, dessen Risse sich in mehreren Dimensionen und damit auch in der Musik zeigen.

Vor dem Hintergrund dieser Gesellschaftsanalyse widmet sich Kraft in dem folgenden, umfangreichsten Kapitel des Buches wieder der Country Music. Er unterscheidet mehr als zwei Dutzend Spielarten des Country, die er unter dem Sammelbegriff „Americana“ zusammenfasst. Unabhängig davon, ob man alle angeführten Richtungen der Country Music oder dem Americana zuordnen möchte, verdeutlichen die Ausführungen, dass diese kein homogenes Bild abgibt. Der klassische Country, der in ländlichen Regionen seinen Ursprung fand, ist heute nur noch eine Sparte unter anderen. Er dreht sich thematisch um das Leben der arbeitenden Bevölkerung mit ihren mehr oder weniger alltäglichen Problemen. Als traditionelle Volksmusik ist er „weiß, männlich, patriotisch“ (S. 69).

Indem Kraft den Einfluss einzelner Musiker_innen auf den Country in lebendig geschilderten Episoden und Zitaten schildert, verfolgt er dessen Wandlungen und Entwicklungen. Dabei spannt er einen Bogen beginnend in den 1920ern bis in die Gegenwart. Die Verbindungen zum Rock in den sechziger Jahren sowie gesellschaftliche Faktoren wie die Friedens- und Protestbewegung vor dem Hintergrund des Vietnam-Krieges brachten neue Impulse in die Country Music, sodass sich spätestens seitdem die Frage stellt, was noch Country ist und was nicht. „Die Musiker hat diese Frage meist nicht interessiert. Sie wollen kreativ sein, experimentieren und neue Stilrichtungen ausprobieren.“ (S. 126) Gleiches gilt für Künstler_innen, die eher nicht aus der Country-Ecke kommen, aber deren Tradition aufgreifen und verarbeiten. Die Country Music verliert damit endgültig ihre klaren Abgrenzungen und differenziert sich aus, sodass Kraft den Oberbegriff „Americana“ für angemessen hält, um die Facetten neben dem klassischen Country zu erfassen.

Der Autor geht unterschiedlichen Spielarten nach und weist Verknüpfungen zu anderen Musikrichtungen auf, wobei er diese Entwicklungen unter den jeweiligen sozialen und gesellschaftlichen Aspekten im historischen Kontext beleuchtet. Seine Ausführungen sind gespickt mit vielen Details und Querverbindungen. So enthält das Buch auch eine Vielzahl von Informationen, die für die meisten Leser_innen wohl neu sind. Wer hätte gewusst, dass das „erste offen schwule Country-Album der Welt“ (S. 193) von Lavender Country bereits im Jahr 1973 veröffentlicht wurde?

Die Ausführungen machen deutlich, dass die Country Music nicht per se für ein tradiertes, typisch amerikanisches Wertebewusstsein steht. Sie widmet sich auch kritisch und progressiv gesellschaftspolitischen Fragen. Um die Verbindung zwischen Gesellschaft und musikalischer Offenheit zum Ausdruck zu bringen, wählt Kraft den Begriff „Americana“. Kraft beendet seine Ausführungen mit dem Appell in Richtung der Vereinigten Staaten von Amerika – und vielleicht auch in Richtung sämtlicher Country-Fans –, Co-Existenz und Vielfalt nicht als Bedrohung, sondern als Chance zu sehen und Freiheit tatsächlich ernst zu nehmen.

Dem weiten Begriff „Americana“ folgend stellt der Verfasser zum Abschluss eine Empfehlungsliste von rund 500 Alben mit Anspieltipps zusammen. Die Liste beginnt mit dem Jahr 1966 und umfasst auch Longplayer, die man vielleicht nicht unmittelbar im Bereich der Country Music verortet hätte. Die meisten Werke werden mit ein bis zwei Sätzen kommentiert. Manchmal fallen die Bemerkungen auch ausführlicher aus. Die Aufstellung bereitet Freude, wenn man bekannte Alben wiederfindet und zudem liefert sie Anregungen zur weiteren Auseinandersetzung und Recherche im weiten Bereich der Country affinen Tonträger. Von den sieben bereits aus dem laufenden Jahr in der Liste verewigten Longplayern sind zumindest zwei – „Chains & Stakes“ von The Death South sowie „Mellow War“ von Taylor McCall – auch bei SoS besprochen. Wünschenswert wäre ein Register über die Musiker_innen und Bands gewesen, um gezielt nachschlagen zu können. Ansonsten gibt es nicht viel an dem Buch auszusetzen. Hervorzuheben sind die vielen Fotographien von Musiker_innen, die den Text begleiten. Sie stammen oft von Helmut Ölschlegel.

Thomas Kraft liefert in seinem flüssig zu lesenden Buch eine Bestandsaufnahme der amerikanischen Gesellschaft und diagnostiziert ihr eine Identitätskrise. Zusammenhänge zwischen Politik, Gesellschaft und Country Music zeichnet er in unterhaltsamer, aber oft nachdenklich stimmender Weise nach. Dabei zeigt sich ein facettenreiches Bild des Country, der eben nicht mehr als die traditionsverbundene Volksmusik der Amerikaner zu betrachten ist. Country Music entwickelt sich, schafft kreative Verbindungen zu anderen Stilrichtungen und greift aktuelle und kontroverse Themen auf. Das Buch regt Musikliebhaber an, den Blick über den Tellerrand zu werfen, und eröffnet eine Perspektive, Country Music als „Americana“ neu zu hören und zu entdecken.

Der Schriftsteller und Literaturwissenschaftler Thomas Kreft ging bereits dem Einfluss literarischer Werke auf die Rockmusik nach. „Rock’n Read. Wie Literatur Rockmusik inspiriert“ erschien ebenfalls im Verlag Andreas Reiffer. Das Programm des seit fünfundzwanzig Jahren bestehenden Verlags legt einen Schwerpunkt auf Veröffentlichungen zur Popkultur und berücksichtigt dabei besonders Titel, die um Musik kreisen. Ein Besuch der Website mag sich daher lohnen.

Kraft, Thomas (2024)
Americana. Ein zerrissenes Land im Spiegel der Country Music
Verlag Andreas Reiffer. 320 Seiten.
Hardcover, mit zahlreichen Fotographien von Helmut Ölschlegel und andern
ISBN 978-3-910335-25-7
25,00 €

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Verlag Andreas Reiffer

Corb Lund – El Viejo – CD-Review

Review: Michael Segets

Das stylische Cover der Scheibe – weißer Sattel auf schwarzem Grund – weckt schon eine gewisse Erwartungshaltung, was die musikalische Ausrichtung angeht. Diese erfüllt Corb Lund auf „El Viejo“ auch. In seiner kanadischen Heimat ist Lund bereits eine Institution im Bereich des Country. Während seiner fast dreißigjährigen Karriere gewann Lund zahlreiche Preise in diesem Genre und wurde unter anderem mit einem JUNO-Award ausgezeichnet.

Die Produktion hebt sich vom Nashville-Mainstream ab. Mit seinem semi-akustischen Sound wirkt das Album erdig und ohne großen Firlefanz durchgespielt. Die Songs bewegen sich meist im gemäßigten Tempo, sind dabei jedoch abwechslungsreich,. Der Longplayer startet mit dem Bluegrass „The Cardplayer“, aber schon im folgenden Track kommt ein Schlagzeug zum Einsatz. „I Had It All“ erhält durch die Mundharmonika einen leicht bluesigen Einschlag.

Im weiteren Verlauf finden sich auf der Setlist einige pure Country-Nummern. „Was Fort Worth Worth It“ gehört ebenso wie „Stratocaster“ in die Gruppe von gut gemachten, klassisch aufgebauten Songs. In die Richtung geht auch die Single „Old Drunken Familar Feeling“ und das Titelstück „El Viejo“, welches in der Übersetzung „Der alte Mann“ bedeutet. Die etwas schwülstige Anmutung der beiden Beiträge wird durch ein gelegentliches Augenzwinkern in den Texten aufgebrochen.

Lund gibt neben dem Country auch anderen Stilrichtungen Raum – beziehungsweise lässt sie in seine Kompositionen einfließen. Die Kombination von Reggae und Banjo bei „It Takes Practice“ ist originell und funktioniert. Zwischen Folk und lateinamerikanischen Rhythmen bewegt sich das insgesamt schwere „Insh’allah“. Lockerer, gemäßigt jazzig, geht es bei „The Game Gets Hot“ zu, das sicherlich zu den auffälligsten Tracks der CD gehört. Rundum überzeugt „Out On A Win“ – ein klasse Song mit akzentuiertem Rhythmus und eingängig Chorus. Ebenso stark ist „Redneck Rehab“ mit treibenden Banjo. Besonders der Einstieg erinnert entfernt an „Jesus Set Me Free“ von Derek Davis, auch wenn das Stück nicht so aufgekratzt weitergeht.

Corb Lund liefert auf „El Viejo“ handgemachten Country und experimentiert mit anderen Musikrichtungen, was das Album belebt. Vor allem die Integration von Reggae-Rhythmen auf einem Track macht Spaß. Die Anspieltipps „Out On A Win“ und „Redneck Rehab“ erklären, warum Lund in seiner Heimat Kanada einen hervorragenden Ruf genießt. Hierzulande dürfte sich sein Bekanntheitsgrad in Grenzen halten, was sich möglicherweise mit seiner Europatour ab Mai ändert. Bei einigen Konzerten supportet er The Dead South.

New West Records (2024)
Stil: Alternative Country

Tracks:
01. The Cardplayer
02. I Had It All
03. Was Fort Worth Worth It
04. Out On A Win
05. Redneck Rahab
06. El Viejo
07. The Game Gets Hot
08. Stratocaster
09. It Takes Practice
10. Insh’allah
11. Old Familiar Drunken Feeling

Corb Lund
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Lime Tree Music

The Dead South – Chains & Stakes – CD-Review

Review: Michael Segets

The Dead South mauserte sich in den letzten Jahren zu dem Referenzpunkt in Sachen Bluegrass. Vor allem durch den experimentellen Umgang mit Genre-Klischees sowie durch ihre Affinität zum Rock nehmen sie in diesem oftmals durch einen konventionellen Sound geprägten Genre eine Ausnahmestellung ein. Die Tendenz zum nervigen Gefiedel und Gezupfe, das im Bluegrass manchmal anzutreffen ist, umschiffen die Kanadier Nathaniel Hilts, Scott Pringle, Colton Crawford und Danny Kenyon auch diesmal.

Sieht man von den drei kurzen – meines Erachtens verzichtbaren – Instrumentals („Where Has The Time Gone“, „ Clemency“, Yore“) ab, bietet „Chains & Stakes“ zehn für die Band typische Tracks. Insgesamt gibt sich The Dead South etwas weniger experimentierfreudig als beispielsweise auf ihren Coverprojekten „Easy Listening For Jerks“ (2022). Eine Ausnahme bildet das expressive Zwischenspiel mit kraftvollen Backgroundrufen bei „Tiny Wooden Box“, dem zunächst auffälligsten Stück des Albums. Der Song wurde zu Recht als erste Single mit Video vorab herausgegeben.

Die Rock-Attitüde, die die Band gelegentlich an den Tag legt, blitzt zwar lediglich bei „Completely, Sweetly“ auf, dennoch haben es die Songs in sich. Wie üblich spielen The Dead South mit Rhythmus- und Tempowechseln wie beim Opener „Blood On The Mind“, das nach bluesigem Anfang Fahrt aufnimmt. „A Little Devil“, die zweite Auskopplung, unterbricht den Galopp im Zwischenspiel, um dann wieder loszulegen. Das Banjo von Colton Crawford treibt die Tracks voran – so auch auf „20 Miles Jump“ sowie „The Cured Contessa“. Beim letztgenannten Song zeugt die Idee, eine Obsession für Frühstücksspeck in den thematischen Fokus eines Textes zu stellen, schon von einer gewissen Originalität und Humor.

Die Lyrics zu verfolgen, macht bei The Dead South sowieso Sinn. So bieten auch „Son Of Ambrose“ oder „Father John“ feines Storytelling. Beide Titel sind Country-Nummern – „Son Of Ambrose“ eher hufeisenschwingend, „Father John“ in einer balladesken Ausprägung. Mit „A Place I Hardly Know“ findet sich noch eine getragene, tief gesungene Ballade, die neben den bereits angesprochenen Instrumentalstücken etwas Tempo aus dem Longplayer nimmt.

„Yours To Keep“ zeugt erneut von der Qualität des Quartetts, das gekonnt ausgefeilte Rhythmusarbeit, mit melodischen Schlänkern und einprägsamen Chorus verbindet. Diese Stärke spielt The Dead South auf vielen Tracks des neuen Albums aus, das dem prämierten „Sugar & Joy” (2019) in nichts nachsteht. Die Band bestätigt mit „Chains & Stakes”, dass der Hauptsitz des modernisierten Bluegrass‘ zurzeit nördlich der Vereinigten Staaten von Amerika liegt. Im Mai und Juni ist The Dead South in Deutschland unterwegs und wird bei einigen Auftritten von Corb Lund, einem kanadischen Landsmann, supportet.

DevilDuck Records/Indigo (2024)
Stil: Bluegrass

Tracks:
01. Blood On The Mind
02. Yours To Keep
03. 20 Miles Jump
04. Where Has The Time Gone
05. A Little Devil
06. Son Of Ambrose
07. Clemency
08. Completely, Sweetly
09. A Place I Hardly Know
10. The Cured Contessa
11. Tiny Wooden Box
12. Yore
13. Father John

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Shovelin Stone – Summer Honey – CD-Review

Review: Michael Segets

2019 debütierten die beiden Freunde Makenzie Willox und Zak Thrall als Indie-Folk-Duo Shovelin Stone. Mittlerweile ist Shovelin Stone zum Quartett angewachsen. Russick Smith am Bass und Brett Throgmorton am Schlagzeug erweitern als Rhythmusfraktion den Sound, der durch akustische Gitarre und Banjo geprägt ist. „Summer Honey“ stellt ein mehrschichtiges Americana-Album dar, das seine Wurzeln im Bluegrass-orientierten Folk nicht verleugnet. Die Band aus Colorado hat die Tracks in West Virginia mit dem Produzenten Chance McCoy (Old Crow Medicine Show) aufgenommen, der für einen unmittelbaren und erdigen Klang gesorgt hat.

Der Titelsong „Summer Honey“, zugleich Single und Opener des Albums, besticht durch die starke Rhythmusarbeit, das feine Banjo von Thrall und den coolen Gesang von Willox. Sommerlich-luftig schließt sich „Won’t You Tell Me“ an, der im positiven Sinne unaufgeregt daherkommt. Im Gegensatz zur musikalischen Gestaltung steht der Inhalt, der sich um eine Beziehungskrise dreht.

Den Texten kann eine poetische Qualität nicht abgesprochen werden. Sie sind meist ernsthaft und wirken aufrichtig, wie es sich für Songwriter gehört. Ein atmosphärisch dichter Song ist „Ain’t No Shooting Star“, der die Reue über begangene Taten thematisiert. Inhaltlich in eine ähnliche Richtung bewegt sich „Here’s To Jesus“, bei dem sich das lyrische Ich eingesteht, dass ihm die Größe zur Verzeihung oder Vergebung von erlittenen Schandtaten fehlt. Ausgefeiltes Storytelling bietet „Wash Over You“, das auch musikalisch eine runde Nummer geworden ist.

Ein weiteres Highlight stellt „Note To Self“ dar: Ein toller Track mit kraftvollem Refrain, der Anleihen beim Irish-Folk aufweist. Willox bläst hier in die Mundharmonika, wodurch der Sound der Band nochmal eine neue Facette erhält. Mit dem Banjo-Picking drückt Thrall den meisten Songs seinen Stempel auf. Bei dem lockeren „No Good At Waiting“ wird es durch die Mandoline von Smith ergänzt. Hier scheint die Nähe zum Bluegrass ebenso durch wie bei dem leicht countryfizierten „Drunk When I Get There“. Das Stück könnte von The Dead South stammen. Eine Parallele der Bands besteht auch im Einsatz des Cellos. Multiinstrumentalist Smith untermalt mit ihm das stimmungsvolle „Love Me Too“ und gibt dem Abschlussstück „Black + White“ eine zusätzliche dramatische Note.

Da das Debüt von Shovelin Stone hierzulande wohl kaum wahrgenommen wurde, kann die Band mit ihrem Nachfolgealbum „Summer Honey“ als die bislang interessanteste Neuentdeckung des Jahres gefeiert werden. Das Quartett glänzt mit einer Reihe hervorragender Americana-Songs, bei denen das Banjo zwar stets präsent ist, der Soundvielfalt aber nicht im Wege steht. Es bleibt also zu hoffen, dass man von der jungen Band bald mehr hört – gerne auch live.

Eigenproduktion (2022)
Stil: Americana/

Tracks:
01. Summer Honey
02. Won’t You Tell Me
03. Ain’t No Shooting Star
04. Note To Self
05. Drunk When I Get There
06. WingSong
07. Love Me Too
08. Here’s to Jesus
09. Wash Over You
10. No Good At Waiting
11. Black + White

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The Dead South – Easy Listening For Jerks – Part 2 – EP-Review

Review: Michael Segets

The Dead South haben ihr Coverprojekt „Easy Listening For Jerks” zweigeteilt. Die beiden EPs hätten von der Spielzeit locker auf ein Album gepasst, allerdings gibt es einen Grund, warum doch zwei getrennt Veröffentlichungen gewählt wurden. Während bei „Part 1“ klassische Titel aus der Country- und Bluegrass-Geschichte neu interpretiert werden, bedient sich die Band auf „Part 2“ bei Rocksongs, die im Original meist der härteren Gangart zuzurechnen sind.

Der zweite Teil bricht daher eher mit den Erwartungen, die mit dem Repertoire einer Bluegrass-Band verbunden werden. Ergebnis dieser Wilderei in anderen Musikrichtungen sind dabei Versionen, die teils wirklich gelungen sind, teils skurrile Züge tragen.

Nach dem halbminütigen Intro „Yahoos And Triangles“ folgt direkt das Highlight der EP „People Are Strange“. Der Song von The Doors wurde vorab als Single mit Video ausgekoppelt. Mit modernster Tricktechnik erzählt das Video die Entführung der Band durch Außerirdische, die in einem Raumschiff reisen, das bezeichnenderweise die Form eines Banjos hat.

„Chop Suey“ von System Of A Down hat nervige Passagen und auch die Version von The Dead South ändert daran nicht viel. Bei „We Used To Vacation“ ersetzen die Kanadier die experimentelleren E-Gitarren-Intermezzi des Originals, das von Cold War Kids stammt, durch Banjo-und Cello-Einlagen. Nach mehrmaligen Durchläufen stören diese Abschnitte nicht mehr, sodass der Transformation durchaus etwas abgewonnen werden kann. Den Rock-Habitus retten The Dead South bei „96 Quite Bitter Beings“ (CKY) in den Bluegrass rüber.

Eingängiger sind „Saturday Night“ und „Help Me Scrape The Mucus Of My Brain“. Das letztgenannte Stück von Ween liegt bereits in der ursprünglichen Fassung nah am Country, was die Adaption erleichtert. Erstmalig übernimmt Colton Crawford dort den Leadgesang, wodurch er mit seinen Bandkollegen Nate Hilts, Scott Pringle und Danny Kenyon gleichzieht. Dass „Crying On Saturday Night“ auch in akustischer Instrumentalisierung funktioniert, bewies Michale Graves bereits selbst. The Dead South machen aus dem Song eine schön schmachtende Ballade.

Mit der auf den ersten Blick abwegigen Idee, harte Rocksongs mit einer Bluegrass-Instrumentierung zu interpretieren, erweisen sich The Dead South erneut als musikalische Grenzgänger. Aufgeschlossene Metal- und Hardrock-Fans erleben so ihre Musik mal ganz anders. Bluegrass- und Country-Liebhaber haben mit den Brüchen in den Songs wahrscheinlich Anlaufschwierigkeiten. Der Titel „Easy Listening For Jerks – Part 2” ist natürlich wieder sarkastisch aufzufassen.

Leichtes Zuhören ist sicherlich nicht durchgängig möglich und ob Trottel oder Vollidioten notwendigerweise die Zielgruppe sind, sei mal dahingestellt. Insgesamt stellen sich die Songs der zweiten Cover-EP als deutlich sperriger dar als die der ersten. Originalität kann man The Dead South aber auf jeden Fall bescheinigen.

DevilDuck Records/Indigo (2022)
Stil: Bluegrass

Tracks:
01. Yahoos And Triangles (Intro)
02. People Are Strange
03. Chop Suey
04. We Used To Vacation
05. Help Me Scrape The Mucus Of My Brain
06. Saturday Night
07. 96 Quite Bitter Beings

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The Dead South – Easy Listening For Jerks – Part 1 – EP-Review

Review: Michael Segets

Gefühlt sind Cover-CDs derzeit groß in Mode. Neben dem persönlichen Bedürfnis, die Songs, die gut gefunden oder die eigene musikalische Sozialisation geprägt haben, selbst aufzunehmen, spielen manchmal vielleicht auch kommerzielle Interessen mit in die Entscheidung hinein, eine solche Zusammenstellung zu veröffentlichen. Auf der einen Seite bleibt man bei seinen Fans im Gedächtnis, bis das nächste eigene Material fertig ist, auf der anderen Seite erlangt man auch die Aufmerksamkeit von Käuferschichten, die an den gecoverten Musikern Interesse haben. Wie dem auch sei, bei Musikern und Bands, die ihren eigenen Sound entwickelt haben, machen die neuen Versionen oftmals auch unter künstlerischem Blickwinkel Sinn.

The Dead South haben längst ihren eigenen Stil gefunden. Als Bluegrass-Combo vollführt das Quartett das Kunststück, wie eine Rockband zu klingen, wenn es will. Auf alle Fälle ist The Dead South Experimenten gegenüber aufgeschlossen und bringt so einen innovativen Touch in den Bluegrass, womit sie auch Musikliebhaber ansprechen, die mit den traditionellen Spielweisen dieser Richtung wenig anzufangen wissen. So sind bereits sämtliche für März in Deutschland angekündigte Konzerte ausverkauft. Dabei ziehen sie durch größere Hallen wie das Frankfurter Batschkapp oder das Kölner E-Werk.

Das aktuelle Cover-Projekt von The Dead South umfasst zwei EPs: „Easy Listening For Jerks – Part 1“ und „Part 2“, die parallel erscheinen. Auf dem ersten Tonträger widmen sich die Kanadier traditionellen Titeln, die teilweise aus dem 19. Jahrhundert stammen. Jeder dürfte „Keep On The Sunny Side“ und „You Are My Sunshine“ kennen. Meist als beschwingte Gute-Laune-Nummern performt, können die Titel als Evergreens gelten. So finden sich beide Titel beispielsweise auch auf der Deluxe-Edition des Soundtracks von „O Brother, Where Art Thou?“. The Dead South geben „You Are My Sunshine“ eine depressive Ausrichtung und auch „Keep On The Sunny Side” bekommt eine neue Dynamik verpasst. Am Anfang noch nach Johnny Cash klingend, gibt die Band beim Refrain richtig Gas. Flottes Fingerpicking und dramatisch-leidender Gesang treiben durch den Song.

Beide Stücke nahm u. a. Johnny Cash auf, ebenso wie „Will The Circle Be Unbroken“. Die Country- Ballade klingt bei The Dead South sehr harmonisch. Das Banjo setzt dezente Akzente und das Cello untermalt die getragene Atmosphäre. Sehr schön ist, dass der Lead-Gesang wechselt. „Flint Hill Special“ präsentiert hingegen die volle Ladung Banjo. Das Instrumental bleibt wie die meisten anderen Stücke unter der Drei-Minuten-Marke und stellt ein vielleicht verzichtbares Intermezzo auf der Scheibe dar.

Bei „Matterhorn“ von den Country Gentlemen umschifft die Band trotz kräftiger Harmonien den Schmalz. Auch hier glänzt Colton Crawford erneut in den Banjo-Passagen. Das flotte Traditional „Pallet On The Floor“ rundet schließlich den eigenwilligen Streifzug durch die Musikgeschichte des Bluegrass‘ ab.

The Dead South entstauben auf „Easy Listening For Jerks – Part 1” altbackene Songs aus der Country- und Bluegrass-Ecke. Vor allem den Gassenhauern „Keep On The Sunny Side“ und „You Are My Sunshine” gewinnt die Band eine dunkle Seite ab. Die Bezeichnung ‚modern‘ und Bluegrass schließen sich eigentlich aus, aber die Songs wirken allemal frisch. Dabei schwingt bei der Combo stets eine gehörige Portion Selbstironie mit, wovon Titel und Cover der EP zeugen.

DevilDuck Records/Indigo (2022)
Stil: Bluegrass

Tracks:
01. Keep On The Sunny Side
02. Pallet On The Floor
03. Will The Circle Be Unbroken
04. Flint Hill Special
05. You Are My Sunshine
06. Matterhorn

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The Dead South – Sugar & Joy – CD-Review

DeadS_300

Review: Michael Segets

„Es kommt nicht darauf an, was du spielst, sondern wie du spielst!” ist das Motto von The Dead South. Die Band macht Bluegrass mit einem Rock-Habitus. Von der akustischen Instrumentalisierung sind The Dead South tief in der amerikanischen Volksmusik verwurzelt. Allerdings schlagen einige Songs auf „Sugar & Joy“ eine experimentelle Richtung ein, andere könnten sich auch auf einem Country-Rockalbum finden.

Neben Gitarren wird Sänger Nate Hilts Banjo (Colton Crawford) und Mandoline (Scott Pringle) begleitet. Typisch für den Bluegrass ist, dass kein Schlagzeug eingesetzt wird. Ungewöhnlich ist das Cello von Danny Kenyon, das den Kontrabass beziehungsweise die Geige ersetzt.

Gerahmt wird das Album von den beiden kurzen instrumentalen Miniaturen „Act Of Approach“ und „Distance Oneself“. Mit diesen wie mit den ebenfalls Banjo-getriebenen „Blue Trash” und „Heaven In A Wheelbarrow“ oder dem mit dominanter Mandolinen-Begleitung performten „Snake Man, Pt. 2“ bewegen sich die Kanadier aus Regina, Saskatchewan, in bekannten Gefilden des Bluesgrass‘ – allesamt gut gesungene und souverän gespielte Genrebeiträge. Dabei geht es durchaus flott zur Sache.

Mit „Crawdaddy Served Cold“ findet sich zudem eine schnellere Country-Nummer, die von einer akustischen Gitarre getrieben wird, auf der Scheibe. Die Texte sind oftmals mit einem bitteren Humor gewürzt, wie bei „Fat Little Killer Boy“. Der Titel des Albums geht auf eine Textzeile aus dem Song zurück, der sich um einen Kerl dreht, der in mehrerlei Hinsicht Probleme mit der Selbststeuerung hat.

Das instrumentale „Snake Man, Pt. 1“ sowie „Alabama People“ schlagen experimentelle Töne an. Das letztgenannte Stück wiederholt ständig einen marginal veränderten Vers vor dem Hintergrund eines Dreivierteltackes. Der Titel wurde auf Facebook veröffentlicht und wird anscheinend die zweite Single. Er wäre nicht meine Wahl gewesen.

Besser gefallen mir die langsameren Tracks, auf denen der Bluegrass-Instrumentalsierung nicht so vordergründig ist. Das epische, in Storyteller-Manier vorgetragene „Broken Cowboy“ und das mit eingängigen Refrain versehene „Spaghetti“ stellen hervorragende Country-Balladen dar. Weitere Highlights sind die erste Auskopplung „Diamond Ring“, dessen Video den speziellen Humor der Band visualisiert, und „Black Lung“, das durch die rhythmischen Chop-Schläge das Fehlen eines Schlagzeugs vergessen lässt. Der Song wäre mein Tipp für die zweite Single.

Neben ihrem Erfolg mit dem vorangegangenen Werk „Illusion And Doubt“ (2016), für das The Dead South eine JUNO-Award erhielt, hat die Band sich mit ihren Live-Shows einen beachtlichen Ruf erworben. Ich kenne keine andere Bluegrass-Band, die in Deutschland mittelgroße Hallen buchen könnte. Im Frühjahr spielt das Quartett einige Konzerte hier – unter anderem im Kölner E-Werk und im Frankfurter Batschkapp.

Also: Wenn Bluegrass, dann The Dead South! Nate Hilts und seine Begleiter geben der leicht angestaubten Musikrichtung ein modernes Gewand. Obwohl die stilprägende Instrumentalisierung konsequent auf „Sugar & Joy“ beibehalten wird, wirken einige Songs wunderbar (country-)rockig. Vor allem mit diesen Titeln und ihren bissigen Texten punkten die Kanadier.

DevilDuck Records/Six Shooter Records (2019)
Stil: Bluegrass

Tracks:
01. Act Of Approach
02. Diamond Ring
03. Blue Trash
04. Black Lung
05. Fat Little Killer Boy
06. Broken Cowboy
07. Snake Man, Pt. 1
08. Snake Man, Pt. 2
09. Heaven In A Wheelbarrow
10. Crawdaddy Served Cold
11. Alabama People
12. Spaghetti
13. Distance Oneself

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