Sunken Lands – Same – CD-Review

Review: Michael Segets

Warum in die Ferne schweifen, wenn Gutes so nahe liegt? Die niederländische Band Sunken Lands führt vor Augen, dass man nicht zwangsläufig über den großen Teich schielen muss, wenn man auf der Suche nach ernstzunehmender Roots- oder Country-Musik ist. Die Band verortet sich selbst zwischen Waylon Jennings und Drive By Truckers im Alternative Country, einer Richtung, die es im europäischen Raum nicht so leicht hat. Das selbstbetitelte Debütalbum der Sunken Lands mit zwölf selbstgeschriebenen Songs erscheint nun in Eigenproduktion.

Der Longplayer startet mit seinem Highlight „We Take It For Granted“, das einen beachtlichen Southern Flair versprüht. Aus einem Vers dieses Songs stammt wohl die Inspiration für den Bandnamen. Ich denke nicht, dass der Name eine vorweggenommene Reminiszenz an die Niederlande ist, sollten die Polkappen weiter schmelzen. Sunken Lands kündigen Sad Songs an und insgesamt verfolgen sie auch eine gemäßigte Gangart bei ihren Kompositionen. Im letzten Drittel des Albums steigert die Band allerdings das Tempo etwas.

Mit „Lighthouse“ und „When The Nights Are Short“ kommen dort roots-rockige Töne zu Gehör, wobei das Quintett beweist, dass sie auch diese beherrschen. Dazwischen liegen zwei schunkelige Country-Stücke, auf denen Katja Kruit Frontmann Edwin Jongedijk beim Gesang begleitet. Während sie bei „Crossroads“ die Harmonien beisteuert, übernimmt sie bei „I‘m Leavin‘ (I Just Don’t Know When)“ einen gleichberechtigen Duett-Part. In eine ähnliche Richtung geht zuvor „Pretty Good Guy“, das den gezogenen Vergleich mit Waylon Jennings eventuell rechtfertig.

Ein Schwerpunkt des Albums liegt auf den Balladen. „His Old Town“ bekommt durch das Wimmern der Steel Pedal einen deutlichen Country-Einschlag. Eine Anlehnung an das Genre zeigen ebenso das reduzierte „Broken Homes And Broken Heads“ sowie „Not My Time“ – einschließlich dezentem Backgroundchor und knackigem Gitarrensolo. Neben diesen schön getragenen Songs finden sich mit „Not A Cloud In the Sky“ und der Single „The Damage Is Done“ zwei hellere Stücke im Midtempo, die ebenso hörenswert sind.

Edwin Jongedijk verfügt über eine angenehme, wenn auch nicht besonders markante Stimme, die sich passend in die melodischen und harmonisch arrangierten Stücke einfügt. Begleitet wird er von Rowdy Prins an der Lead Guitar und Mandoline sowie von Marcel Gerritsen an Pedal Steel, Lap Steel und Dobro. Für den Rhythmus sind Bas Sligter (Bass) und Jaap Vissering (Schlagzeug, Percussion), aus dessen Feder die meisten Songs des Longplayers stammen, zuständig. Für die Tasteninstrumente holen sich die Sunken Lands Unterstützung von Gastmusikern.

Die Band aus unserem Nachbarland hat sich mit ihrem selbstbetitelten Erstlingswerk dem Alternative Country verschrieben. Sunken Lands setzen gutes Songmaterial professionell in Szene. Balladen prägen den Grundtenor des Albums, das einige sehr gelungene Titel bereithält, die denen amerikanischer Formationen in nichts nachstehen.

Eigenproduktion (2023)
Stil: Alternative Country

Tracks:
01. We Take It For Granted
02. Not A Cloud In The Sky
03. The Damage Is Done
04. Andrew
05. Pretty Good Guy
06. Not My Time
07. His Old Tattoo
08. Broken Homes And Broken Hearts
09. Lighthouse
10. I’m Leavin’ (I Just Don’t Know When)
11. Crossroads
12. When The Nights Are Short

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Mike Cooley, Patterson Hood & Jason Isbell – Live At The Shoals Theatre – CD-Review

Cooley_300

Review: Michael Segets

Jason Isbell war von 2001 bis 2007 Mitglied bei Drive-By Truckers, der Band aus Georgia, die von Mike Cooley und Patterson Hood gegründet wurde. Sieben Jahre nach der Trennung fanden sich die drei Musiker zu einem Akustikkonzert im Shoals Theatre in Florence, Alabama, zusammen. Die Aufnahme vom 15. Juni 2014 wird nun auch hierzulande als Doppel-CD und vierfach LP veröffentlicht.

Der von Dennis Crosby aufgenommene, von Gena Johnson gemischte und von Pete Lyman gemasterte Mitschnitt fängt die Live-Atmosphäre des Abends ein, den Cooley, Hood und Isbell allein mit ihren akustischen Gitarren sowie ihrem, teilweise in mehrstimmigen Passagen verschmelzenden, Gesang bestritten. In diesen reduzierten Versionen entfalten die Songs eine andere Wirkung als mit kompletter Band im Studio und sind stärker auf sich selbst zurückgeworfen. Die Kraft gewinnen sie aus den leisen Tönen und feinen Nuancen, wobei die drei Musiker so harmonieren, dass nicht zu bemerken ist, dass sie bereits seit Jahren nicht mehr zusammen aufgetreten waren.

Die Setlist konzentriert sich auf die Phase als Isbell noch Teil der Band war. Dabei liegt der Fokus auf den beiden Platten „Decoration Day“ (2003) und „The Dirty South“ (2004), die mit fünf beziehungsweise sechs Titeln nahezu die Hälfte der Tracks ausmachen. Sie füllen vor allem die erste CD. Noch bevor Isbell als vollwertiges Mitglied, das sich auch am Songwriting beteiligte, bei Drive-By Truckers einstieg, unterstützte er die Band bei der Tour zu „Southern Rock Opera“ (2001). „Women Without Whiskey”, „Zip City” und „Let There Be Rock” stammen von diesem Longplayer.

Während sich von jedem Drive-By Truckers-Album zwischen 2006 und 2014 ein bis zwei Stücke auf der Setlist finden, ist lediglich das Debüt „Gangstabilly“ (1998) mit „The Living Bubba“ aus der Prä-Isbell-Ära vertreten. Auf der zweiten CD spielt das Trio zwei Tracks von Isbells Solokarriere. Sowohl „Cover Me Up“ als auch „Alabama Pines“ gehören mittlerweile zu den Klassikern in Isbells Repertoire. Ebenso wie Patterson, der drei Studioalben veröffentlichte, wandelt auch Cooley, der eine akustische Live-Scheibe herausbrachte, gelegentlich auf Solopfaden. Die beiden konzentrieren sich aber weiterhin auf ihr Bandprojekt.

Cooley, Hood und Isbell bewiesen bei dem Auftritt Ausdauer: Fast 140 Minuten boten sie ihre Songs dar, was nicht nur für ein akustisches Konzert schon eine ordentliche Spielzeit ist. Den Abschluss bildet dabei eine dreizehnminütige Performance von „Let There Be Rock”, die die achte Seite der vierfach LP alleine füllt. Ansonsten sind auf der LP-Ausgabe drei bis vier Tracks pro Seite gepresst. Denjenigen, die nicht zum inneren Kreis der Fangemeinde der Drive-By Truckers beziehungsweise von Jason Isbell zählen, mag der portionsweise Genuss des Konzerts entgegenkommen, denn – obwohl die Qualität der einzelnen Songs überzeugt – bleibt das Konzert insgesamt ohne große Spannungsbögen.

Den besonderen Reiz des Abends macht die Reunion der beiden Köpfe hinter Drive-By Truckers – Mike Cooley und Patterson Hood – mit dem zum Solo-Star aufgestiegenen Jason Isbell aus. Die akustischen Interpretationen lassen die Songs der drei Musiker nochmal in einem anderen Licht erscheinen, wobei das Konzert aus einem Guss wirkt, bei dem die lange Pause des gemeinsamen Musizierens nicht zu spüren oder zu hören ist.

Southeastern Records/Thirty Tigers (2021)
Stil: Americana

Tracks:
CD1
01. Intro
2. Tornadoes
3. Carl Perkins‘ Cadillac
4. Decoration Day
5. Heathens
6. Eyes Like Glue
7. TVA
8. Puttin‘ People on the Moon
9. Marry Me
10. Goddamn Lonely Love
11. My Sweet Annette
12. Women Without Whiskey
13. Outfit
14. Daddy Needs A Drink

CD2
01. Self Destructive Zones
02. Cover Me Up
03. The Living Bubba
04. Space City
05. Danko/Manuel
06. Grand Canyon
07. Cartoon Gold
08. Alabama Pines
09. Zip City
10. Never Gonna Change
11. Let There Be Rock

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Thirty Tigers
Oktober Promotion

Lucero – When You Found Me – CD-Review

Lucero 300

Review: Michael Segets

Lucero veröffentlicht seit über zwanzig Jahren völlig unbemerkt von mir Musik. Auf ein Dutzend Studio-Alben und drei Livemitschnitte blickt die Band aus Memphis, Tennessee, bereits zurück. 2008 brachte die Band sogar ein Album auf einem Major-Label – Universal Music – heraus.

„When You Found Me“ macht jedenfalls Lust, sich zukünftig auch mit deren Backkatalog auseinanderzusetzen. Bei den ersten Durchläufen fallen die kräftigen Gitarren und der mal volle, mal leicht kratzig-nasale Gesang des Frontmanns Ben Nichols angenehm auf.

Die Stimme könnte beim Opener „Have You Lost Your Way” vielleicht etwas weiter nach vorne ausgesteuert sein, aber dennoch entwickelt der Song mit seinem breiten, durch E-Gitarren erzeugten Klangteppich eine ansteigende Dynamik. Auch beim folgenden „Outrun The Moon“ wird eine Spannungskurve erzeugt, allerdings durch den einprägsamen Refrain. Die Instrumentalpassagen sind bei der ersten Single außerdem deutlich differenzierter.

Nach dem bereits gelungenen, rockigen Einstieg folgt ein erstes absolutes Highlight des Albums. Beim countryfizierten „Coffin Nails“ verzichtet Lucero auf dominante elektrische Gitarren und stellt den eindringlich gesungenen Refrain ins Zentrum. Die Band liefert einen starken Song ab, der Reckless Kelly ins Gedächtnis ruft.

„Pull Me Close Don’t Let Go” hingegen zieht mich nicht in seinen Bann. Die sphärischen Klänge und die oftmalige Wiederholung einer Textzeile lassen den Track eher dahinplätschern. Hier setzt Lucero – nach Angabe der Presseinformation – zum ersten Mal einen Synthesizer ein. Der ist ebenso auf „Good As Gone” zu hören. Der Track erlangt durch die Keys den Charme der achtziger Jahre und erinnert an das damalige New Age. Gleichwohl rockt der Song ebenso wie „All My Live”, der Anleihen beim Grunge hat. Lucero bedient sich also in der Rocktradition, ohne dass die Tracks wirklich retro klingen.

Nach Aussage von Nichols wollte er einen klassischen Rock-Sound für den Longplayer. Das von Matt Ross-Spang (Jason Isbell, Drive-By Truckers) produzierte Album löst diesen Anspruch ein, wobei die anderen Bandmitglieder Rick Steff (Keys), Brain Venable (Gitarre), Roy Berry (Schlagzeug) und John C. Stubblefield (Bass) ihren Anteil haben.

Das erdige „The Match“ geht in Richtung Roots Rock und liegt damit genau auf meiner musikalischen Wellenlänge. Eine Steigerung liefert noch der hervorragende Heartland-Knaller „Back In Ohio”. Bei der Abfolge der Gitarrenakkorde und bei den Klavierläufe kommt der Vergleich mit Nils Lofgrens Blütezeit in den Sinn. Eine kurze Saxophon-Passage gibt dem Sound einen zusätzlichen Drive. Das Jahr ist noch jung, aber der Titel wird es auf meinen persönlichen Best-Of-2021-Sampler sicher schaffen.

Mit seinen Zäsuren ist der kräftige Rocker „A City On Fire“ kompositorisch eindrucksvoll. Hardrock-hymnisch angehaucht schallt er wuchtig aus den Boxen. Der Text im Refrain wird im Wechsel von Nichols und dem Background seiner Mitstreiter gesungen. Am Ende setzt sich ein Klavier vor den kräftigen Rhythmus. Bekommen die Hörer hier die volle Breitseite, steht dazu der balladeske Titeltrack in deutlichem Kontrast. „When You Found Me“ erinnert wiederum an Reckless Kelly und schließt das Album ruhig und melodiös ab.

Nichols, der vor vier Jahren Vater einer Tochter geworden ist, greift seine Lebenssituation in einigen Texten auf. Mit der rockig-aggressiven Ausrichtung der Scheibe und anderen, leicht bitteren Lyrics kann sie allerdings nicht als zahm oder familientauglich bezeichnet werden.

Auf „When You Found Me“ verarbeitet Lucero eine breite Palette an Rockeinflüssen. Vielleicht zünden nicht durchgängig alle Songs, aber mit den außerordentlichen „Back In Ohio“ und „Coffin Nails“ spielt die Band in der obersten Liga des Heartland Rock beziehungsweise des Alternative Country mit.

Liberty & Lament – Thirty Tigers/Membran (2021)
Stil: Rock

Tracks:
01. Have You Lost Your Way
02. Outrun The Moon
03. Coffin Nails
04. Pull Me Close Don’t Let Go
05. Good As Gone
06. All My Live
07. The Match
08. Back In Ohio
09. A City On Fire
10. When You Found Me

Lucero
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Thirty Tigers
Oktober Promotion

Jason Isbell And The 400 Unit – Live From The Ryman – CD-Review

Isbell_300

Review: Michael Segets

Jason Isbell konnte in den letzen Jahren einige Erfolge verbuchen. Der ehemalige Drive-By-Truckers-Gitarrist stürmte mit den beiden Alben „Something More Than Free“ (2015) und „The Nashville Sound“ (2017) die US-Charts. In den allgemeinen Listen landeten sie mit jeweils fast 150.000 Verkäufen auf Rang Sechs beziehungsweise Vier. In den Sparten Indie, Country, Folk und Rock nahmen sie Spitzenplätze ein. Jason Isbell And The 400 Unit gewannen bislang vier Grammys.

In Europa gehört Jason Isbell dennoch eher zu den Geheimtipps. Mir war er bislang hauptsächlich als Produzent der American Aquarium-CD „Burn. Flicker. Die.“ (2012) in Gedächtnis. Dabei zeigte er sich seit seinem Ausstieg bei Drive By Truckers 2007 sehr produktiv. Isbell veröffentlichte sechs Studio-Alben und zwei beziehungsweise drei Live-Scheiben, wenn man eine Sonderpressung zum Record-Store-Day 2017 mitzählt. Auf dem aktuellen Werk „Live From The Ryman“ sind Titel der letzten drei Studio-Alben vertreten, sodass es keine Überschneidungen zu den vorherigen, regulären Live-Aufnahmen gibt. Der Songwriter aus Green Hill, Alabama, bewegt sich musikalisch zwischen Roots Rock und Americana.

Die Mitschnitte mehrerer Auftritte in Nashvilles The Ryman aus dem Jahr 2017 haben einen unmittelbaren und erdigen Sound, der die Live-Atmosphäre gut einfängt. Die Stimme von Isbell ist so ausgesteuert, dass sie deutlich im Vordergrund steht, was für mich immer einen Pluspunkt darstellt. Der ausdrucksstarke Gesang in Verbindung mit kräftigen Gitarren erzeugt ein authentisches Konzert-Feeling. Der Opener „Hope The High Road“, „The Life You Chose“, „Flying Over Water“ als Stücke im mittlerem Tempo wirken rau und ungeschliffen, bleiben dabei aber harmonisch.

Sie spiegeln das Grundtempo des Albums wider, das gelegentlich einen Zahn zulegt („Super 8“), tendenziell aber häufiger in einem balladesken Bereich angesiedelt ist.

Die langsameren Tracks bekommen durch den intensiven Gesang von Jason Isbell allerdings eine enorme Dynamik. „Flagship“, „Elephant“, „Cover Me Up“ und „If We Were Vampires“ stellen solche eher reduziert instrumentalisierten Stücke dar. Der erdige Sound wird durch die Geige von Amanda Shires veredelt. Auf dem starken „Last Of My Kind“ dominiert eine Slide Guitar. Am Ende des Songs stellt Jason Isbell The 400 Unit vor: Seine Frau Amanda Shires spielt die Fidel, Sadler Vaden die Gitarre und Jimbo Hart den Bass. Derry DeBorja (Son Volt) bedient das Keyboard sowie das Akkordeon. Chad Gamble sitzt am Schlagzeug.

Teilweise haben Isbells Songs etwas von seinem musikalischen Vorbild Neil Young. Bei „White Man’s World“ und „Cumberland Gap“ werden die Parallelen besonders deutlich. Auch wenn die Stimme von Isbell bei weitem nicht so warm und samtig klingt wie die von Todd Thibaud, so erinnern doch die Anlage mancher Stücke – wie „Something More Than Free“ –, oder der Refrain und das Gitarrenspiel bei „24 Frames“ stellenweise an den Musiker aus Burlington.

Jason Isbell And The 400 Unit gelingt mit „Live From The Ryman” eine aufwühlende Scheibe, die ihren Reiz durch die intensive Darbietung guten Songmaterials gewinnt. Der ehrliche und handgemachte Roots Rock der Band hätte es verdient, auch hierzulande mehr Aufmerksamkeit zu bekommen.

Southeastern Records/Thirty Tigers/Alive (2018)
Stil: Roots Rock, Americana

Tracks:
01. Hope The High Road
02. 24 Frames
03. White Man’s World
04. Flagship
05. Cumberland Gap
06. Something More Than Free
07. The Life You Chose
08. Elephant
09. Flying Over Water
10. Last Of My Kind
11. Cover Me Up
12. Super 8
13. If We Were Vampires

Jason Isbell
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