Todd Snider – High, Lonesome And Then Some – CD-Review

Review: Michael Segets

Flossen auf der letzten Veröffentlichung „Crank It, We’re Doomed” (2023) viele Stilrichtungen ein, verfolgt Todd Snider mit „High, Lonesome And Then Some“ ein Konzept, das sich deutlich am Blues orientiert und sich mit totaler Verlangsamung recht gut beschreiben lässt.

Während sich nach Aussage von Snider der Vorgänger thematisch um einen Mann drehte, der den Verstand verliert, zeigen die Texte nun einen Mann, der auf Situationen seines Lebens zurückblickt und versucht, nicht gegangene Wege vielleicht doch noch einzuschlagen. Hört sich nach jemanden in der Midlifecrisis an? Snider umgeht pathetische Floskeln durch seine scharfe Selbstbeobachtung und eine distanzierte Reflexion. Die in den Texten thematisierten Lebenskrisen werden – zumindest teilweise – mit Humor getragen. Dieser schlägt auch bei seiner Bearbeitung eines Stücks von Don Covay durch. Mit einem selbstkritischen Augenzwinkern werden in „Older Women“ eher ernüchternde Erfahrungen mit jüngeren Frauen geschildert.

Allerdings singt Snider öfter über verstorbene Freunde als über Frauen, wie er in einem Interview sagt. Seine musikalischen Vorbilder wie Kris Kristofferson, Guy Clark, John Prine oder Jerry Jeff Walker sind mittlerweile von uns gegangen. Snider setzt die dort angelegten Traditionslinien fort und bereitet die Übergabe des Staffelstabs an die nächste Generation vor, indem er beispielsweise Sierra Ferrell oder Hayes Carll unterstützt.

Beim Opener „The Human Condition (Dancing Like I Don’t Know How)“ sinniert Snider über die Natur des Menschen und dessen eingeschränkte Erkenntnisfähigkeiten. Snider tut das mit minimalistischer Begleitung. Beim folgenden „Unforgivable (Worst Story Ever Told)“ verfährt er ähnlich. Hier sind die Backgroundsängerinnen auffällig, die Snider nahezu durchgängig einsetzt. Erica Blinn und Brooke Gronemeyer milden bei mehreren Songs deren Sperrigkeit etwas ab und geben den Stücken mehr Harmonien mit. So gewinnt auch der eingängigste Track „While We Still Have A Chance“ durch die Sängerinnen. Den folgerichtig als erste Single vorab ausgekoppelten Song schrieb Snider zusammen mit Chris Robinson (Chris Robinson Brotherhood, The Black Crowes).

Typisch für Sniders Alben sind eingestreute Songs, die er mit Sprechgesang vorträgt. Auch diesmal findet sich ein entsprechender Titel („One, Four Five Blues“). Ansonsten brummt der Singer/Songwriter mal mehr und mal weniger ins Mikro. Dies ist natürlich auch dem Albumkonzept geschuldet. Ab „It’s Hard To Be Happy (Why Is For Redneck?)“, gefolgt von „Stoner Yodel #2 (Raelyn Nelson)”, dem bereits erwähnten „Older Women” und dem Titelstück bis hin zum abschließenden „The Temptation To Exist“ gelingt es dem Longplayer, einen gewissen Groove zu entwickeln.

Nach Anlaufschwierigkeiten steigert sich die zweite Hälfte von „High, Lonesome And Then Some”. Dennoch erscheint der Longplayer zwischen Americana und Blues insgesamt etwas schwerfällig. Dies liegt nicht an den introspektiven Texten, die Todd Sniders gewohnte Qualitäten zeigen, sondern an der entschleunigten musikalischen Umsetzung. „High, Lonesome, Then Some” ist ein Konzeptalbum, das es den Hörenden nicht ganz leicht macht.

Lightning Rod Records – Thirty Tigers (2025)
Stil: Americana, Blues

Tracks:
01. The Human Condition (Dancing Like I Don’t Know How)
02. Unforgivable (Worst Story Ever Told
03. While We Still Have A Chance
04. One, Four Five Blues
05. It’s Hard To Be Happy (Why Is For Redneck?)
06. Stoner Yodel #2 (Raelyn Nelson)
07. Older Women
08. High, Lonesome And Then Some
09. The Temptation To Exist

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Thirty Tigers
Oktober Promotion

The Mavericks – Moon & Stars – CD-Review

Review: Michael Segets

„The Years Will Not Be Kind“ lautet der Titel des Openers von „Moon & Stars“. Die Jahre gehen nicht spurlos vorbei, auch nicht an den Mavericks. Vielleicht kann man noch hinzufügen, dass früher vieles besser war. Bei dem Urteil mag die Vergangenheit verzerrt sein oder die Wahrnehmungen sich verändert haben, bezogen auf das neue Album der Mavericks lässt sich aber konstatieren, dass man sich in die alten Zeiten zurückwünscht. Positiv formuliert könnte man natürlich auch sagen, dass sich die Band musikalisch weiterentwickelt hat.

In den 1990ern heimsten The Mavericks einen Grammy sowie zahlreiche weitere Preise ein und waren eine feste Größe in den Country-Charts. Auch nach der Reunion in den 2010ern verbuchte die Band einige Erfolge. In den letzten fünf Jahren brachte sie das Cover-Album „Play The Hits“ sowie „En Español“ mit durchgängig spanischen Texten heraus. Daran schließt sich nun „Moon & Stars“ an, auf dem weiterhin Latino-Sounds dominieren, allerdings mit englischen Lyrics. Auf dem Longplayer sind elf Eigenkompositionen vertreten, die häufig unter Mitwirkung weiterer Songwriter wie Bernie Taupin, Sam Hollander und Wally Wilson entstanden.

Mehrere Beiträge wie beispielsweise der voraus herausgegebene Titeltrack, bei dem Sierra Ferrell mitsingt, wirken ziemlich schwülstig. Vor allem Raul Malos kräftiger, tiefer Gesang bringt oft melodramatische Züge in die Songs, die mit leichten karibischen Rhythmen aufwarten. Dieser Eindruck gipfelt dann in den letzten Tracks, die einen zirzensischen Einschlag („The Name Of The Game“, „Turn The World Around“) mitbekommen.

Zuvor finden sich einzelne Songs, die ein Reinhören lohnen. Die Single „Live Closer By (Visit Often)“ ist der stärkste Beitrag des Albums. Mit Duett-Partnerin Nicole Atkins liefert Malo eine schmissige, soulige Nummer ab. Das Stück wurde von Malo und der verstorbenen K. T. Oslin geschrieben, die es auf ihrem gleichnamigen Album (2001) bereits veröffentlichte. „Here You Come Again“ weist ebenfalls in Richtung Soul. „Overnight Success“ stellt hingegen eine lockere Tex-Mex-Nummer dar, die an die frühen Los Lobos erinnert. Diese Verbindung lässt sich auch bei dem langsameren „A Guitar And A Bottle Of Wine“ herstellen, das weniger überladen erscheint als manch anderer Track.

The Mavericks verfolgen auf „Moon & Stars“ eine Spielart des Tejano, die mehr dem Latino folgt als dem Country. Wenn man nach mehreren Cocktails an einem karibischen Strand die Abendstimmung genießt, mögen die Songs durchaus passen. Im verregneten Deutschland greift man wohl doch eher auf die älteren Werke der Band zurück.

Mono Mundo Recordings – Thirty Tigers/Membran (2024)
Stil: Tejano

Tracks:
01. The Years Will Not Be Kind
02. Live Close By (Visit Often)
03. Moon & Stars
04. Look Around You
05. And We Dance
06. Without A Word
07. Overnight Success
08. Here You Come Again
09. A Guitar And A Bottle Of Wine
10. The Name Of The Game
11. Turn Yourself Around

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Oktober Promotion

Old Crow Medicine Show – Jubilee – CD-Review

Review: Michael Segets

Der Dezember ist ja der Monat, in dem Jahresrückblicke Konjunktur haben. Gewöhnlich nutze ich die etwas ruhigere Zeit zur Sichtung der Alben, die im Tagesgeschäft so liegengeblieben, aber einer Besprechung würdig sind. Diesmal fällt die Wahl auf „Jubilee“ der Old Crow Medicine Show. Der Longplayer erschien bereits im September anlässlich des fünfundzwanzigjährigen Bandjubiläums. Den größten Erfolg feierte die Band mit dem Grammy für „Remedy“ (2014) als bestes Folkalbum.

Von den Gründungsmitgliedern sind noch Frontmann Ketch Secor und Bassist Morgan Jahnig dabei. Zu diesen zählt auch Willie Watson, der sich aktuell bei „Miles Away“ nochmal die Ehre gibt. Auf der Gästeliste stehen weiterhin Sierra Ferrell („Belle Meade Cockfight“) sowie Mavis Staples („One Drop“). Alle drei Songs sind als Singles beziehungsweise Videos veröffentlicht.

Matt Ross-Spang (Jason Isbell, Will Hoge, Lucero, Arlo McKinley) fungierte wie bereits bei „Paint This Town“ (2022) als Produzent. „Jubilee“ erscheint gegenüber dem vorangegangenen Album stilistisch weniger breit aufgestellt. Es bietet vor allem Bluegrass und steigt mit „Jubilee Jones“ dementsprechend ein. Im weiteren Verlauf streut die Old Crow Medicine Show einige Americana-Balladen ein. Zum Abschluss überrascht der Gospel „One Drop“, der den insgesamt positiven Eindruck des Werks verstärkt.

Die Bluegrass-Nummern bewegen sich zwischen aufgekratzten („Belle Meade Cockfight“, „Wolfman Of The Ozarks“), flott durchgespielten („I Want It Now“) und entspannten Beiträgen, wie dem countryfizierten „Smoky Mountain Girl“. Ein Highlight ist „Keel Over And Die“ mit hereingerufenem, mehrstimmigem Refrain und quietschender Mundharmonika. Mehrmalls bestimmt die Geige den Sound wie bei „Shit Kicked In“. Aber auch das Banjo kommt zum Zuge, so auf der Ballade „Allegheny Lullabye“, die eine ordentliche Dynamik entwickelt. Die anderen Balladen können sich ebenfalls hören lassen – sei es das sanfte, atmosphärisch dichte „Daughter Of The Highlands“, das eingängige „Miles Away“ mit Willie Watson oder das folkige „Nameless, Tennessee“.

Die Lyrics widmen sich Liebesdingen oder subtiler Sozialkritik und sind häufig mit Ketch Secors eigenwilligen Sinn von Humor gewürzt. Texte und Musik machen jedenfalls Lust, sich intensiver mit dem Backkatalog der Band auseinanderzusetzen. Das könnte ein Vorsatz für 2024 werden – aber bleiben wir lieber beim Hier und Jetzt:

Nach den Ausflügen in rockigeres Gelände auf „Paint This Town“ bewegt sich Old Crow Medicine Show nun wieder in Richtung Bluegrass und Americana. „Jubilee“ mag so auch eine Reminiszenz an die Anfänge der Band vor fünfundzwanzig Jahren verstanden werden. Witzige, temporeiche und nachdenklich stimmende, ruhige Songs halten sich dabei die Waage. In beiden Kategorien können Ketch Secor und seine Mannen glänzen.

ATO Records – Pias/Rough Trade (2023)
Stil: Bluegrass, Americana

Tracks:
01. Jubilee Jones
02. Miles Away (feat. Willie Watson)
03. Keel Over And Die
04. Allegheny Lullabye
05. I Want It Now
06. Smoky Mountain Girl
07. Belle Meade Cockfight (feat. Sierra Farrell)
08. Shit Kicked In
09. Daughter Of The Highlands
10. Wolfman Of The Ozarks
11. Nameless, Tennessee
12. One Drop (feat. Mavis Staples)

Old Crow Medicine Show
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Pias/Rough Trade