John Fullbright – The Liar – CD-Review

Review: Michael Segets

Wurde bereits bei dem letze Woche erschienenen Comeback von Niki Lane davon gesprochen, dass eine fünfjährige Pause zwischen zwei Alben im Musikgeschäft bereits eine lange Zeit sind, meldet sich nun John Fullbright nach der kleinen Ewigkeit von acht Jahren mit „The Liar“ zurück. Der Singer/Songwriter kann selbst nicht richtig erklären, warum der neue Longplayer so lange auf sich warten ließ. Veränderte Lebensumstände wie der Umzug von dem 130-Seelen-Dorf Bearden nach Tulsa mit seinen über 400.000 Einwohnern, mögen dabei eine Rolle gespielt haben. Ganz untätig in musikalischer Hinsicht war Fullbright jedoch nicht. So steuerte er drei Tracks zu dem Sampler „Back To Paradise. A Tulsa Tribute To Okie Music“ bei.

Letztlich hat es einen äußeren Anstoß gebraucht, damit Fullbright ein weiteres Album aufnimmt. Nach Steve Ripleys (The Tractors) Tod spielte seine Frau Charlene mit dem Gedanken, das gemeinsame Studio zu verkaufen. Bevor das Studio in unbekannte Hände übergeht, trommelte Fullbright eine Reihe von Musikern aus der Szene in Oklahoma zusammen – unter ihnen der ebenfalls auf dem erwähnten Tribute vertretene Jesse Aycock sowie Aaron Boehler, Paul Wilkes, Stephen Lee und Paddy Ryan.

Dieser Umstand förderte dann auch eine neue Art, wie Fullbright bei seiner Musikproduktion operiert. War früher das Verfassen von Songs für ihn wohl ein isolierter und mühsamer Prozess, ging er nun lockerer an die Sache und verließ sich auf die spontane Kreativität im Zusammenspiel mit der Band. „The Liar“ stellt daher das Ergebnis eines kooperativen Vorgehens dar, das Fullbright von seinen selbstgesetzten Zwängen befreite. Neben neuen und bisher unfertigen Stücken bearbeitete er auch älteres Material. So findet sich „Unlocked Doors“ bereits auf „Live At The Blue Door“ (2009).

Gleich zu Beginn steigt das Album mit den beiden Highlights „Barden, 1645“ und der Single „Paranoid Heart“ ein. Die Presse-Infos rücken den letztgenannten Song in die Nähe von Tom Petty. Ich höre eher Parallelen zu Jason Isbell. Wenn schon Referenzpunkte angeführt werden, dann sei erwähnt, dass „Social Skills“ von der Struktur an den frühen Steve Earle erinnert. Der Titel hebt sich von dem balladesken Grundton des Werks etwas ab.

Das Album umfasst hauptsächlich langsame Stücke. Auf „Stars“ begleitet sich Fullbright lediglich selbst am Klavier. Bei „Safe To Say“ dominiert die Orgel, bevor die Band dezent einsteigt. Der abschließende Rausschmeißer „Gasoline“ gibt seinen Mitstreitern allerdings mehr Raum. Eine eigene Dynamik erhalten die Songs oftmals durch Fullbrights Gesang, sodass keine Langeweile aufkommt. Variationen bringt er zudem dadurch in sein Werk, dass er sich gelegentlich am Country („Where We Belong“, „Blameless“) oder am Blues („The Liar“, „Poster Child“) orientiert.

Nach langer Wartezeit erscheint mit „The Liar“ ein Lebenszeichen von John Fullbright, auf dem der Songwriter mit einer Band im Rücken unverkrampft aufspielt. Im Zentrum steht aber weiterhin Fullbright an seinem Klavier. Die überwiegend ruhigen Tracks, zum Teil ausdrucksstark gesungen, eignen sich dabei sowohl zum konzentrierten Zuhören als auch zur Untermalung eines entspannten Abends.

Blue Dirt Records – Thirty Tigers (2022)
Stil: Americana

Tracks:
01. Bearden, 1645
02. Paranoid Heart
03. Stars
04. The Liar
05. Unlocked Doors
06. Where We Belong
07. Social Skills
08. Lucky
09. Blameless
10. Poster Child
11. Safe To Say
12. Gasoline

John Fullbright
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Thirty Tigers
Oktober Promotion

Jeffrey Halford & The Healers – Soul Crusade – CD-Review

Review: Michael Segets

In der Werkschau „ Beware Of Worthless Imitations, Vol. 1 (1999-2019)“ zeigten Jeffrey Halford & The Healers mehrere musikalische Facetten und seinerzeit wurde die Vermutung geäußert, dass sich der in Kalifornien lebende Jeffrey Halford zukünftig in Richtung Americana bewegt. Diese Prognose bestätigt sich mit „Soul Crusade“ nur zum Teil, wenn man den Americana weit auslegt und als Konglomerat verschiedener Richtungen der Roots-Musik versteht.

In der ersten Hälfte des neuen Longplayers wendet sich Halford vorwiegend dem Blues zu. Bei den Stücken in der zweiten Hälfte zeigt er erneut, dass er sich nicht auf ein bestimmtes Genre festlegen lässt. Halford bietet eine bunte Mischung unterschiedlich gelagerter Beiträge.

Das entspannte „Another Skyline“ eröffnet das Werk, das mit dem Midtempo-Stück „Take It Slow“ und dem souligen „Pie Eyed Poet’s Plea“ fortgeführt wird. Später folgt noch das reduzierte „Sinner Man“, das Halford nahe am Sprechgesang performt. Es stellt das intensivste Stück unter den bisher genannten Songs dar, bei denen sich Halford am Blues orientiert. Highlight der ersten Hälfte der CD ist „Kitchen Door“. Den im Titel des Albums versprochene Soul lösen The Healers hier ohne Kompromisse ein.

Getoppt wird der Track noch durch das gospelige „Walk To The River“ und das rockige „Devil“. Besonderen Drive erhalten die beiden Beiträge durch den Backgroundgesang von Hannah Halford und Kira Kessel. Den Weg auf das Album haben zwei reine Americana-Balladen („Wandering Kind“, „Picture In My Mind“) gefunden, die mit Pedal Steel begleitet werden.

Halford zieht die Country-Nummer „Pescadero“ im klassischen Stil auf, variiert sie aber durch Einsprengsel einer Orgel. Auch „Sad Sinking Feeling“ wirkt wie aus einer anderen Zeit. Das Bild eines Nachtclubs in den 1940ern kommt mir bei mir vor das innere Auge, in dem der Song in den frühen Morgenstunden als Rausschmeißer die letzte Zigarette begleitet. Er passt als Abschlusstrack und schlägt eine Brücke zurück zum Anfang des Albums.

Neben Jeffrey Halford gehören Mike Anderson und Adam Rossi, der „Soul Crusade“ auch produzierte, zu The Healers. Aaron Halford sowie eine Reihe von Gastmusikern, unter diesen Bruce Kaphan (The Black Crowes, Sheryl Crow) und Tom Heyman (Alejandro Escovedo, Chuck Prophet), unterstützten die Band beim Einspielen der Tracks. Im Oktober führt ihr Soul-Kreuzzug The Healers durch Norddeutschland, die Niederlande und Belgien.

Kreuzzüge verlaufen ja nicht immer gradlinig. „Soul Crusade“ von Jeffrey Halford & The Healers startet beim Blues, streift Rock, Country, Gospel und Soul, schwenkt zum Americana über und kehrt zum Blues zurück. Das Album lässt sich daher nicht in eine bestimmte Schublade pressen, sondern zeigt, dass die Band in mehreren Musikrichtungen unterwegs ist. Eine Verbindung der Einzeltitel schafft der bodenständige Sound und der markante Gesang von Halford.

Continental Song City (2022)
Stil: Blues, Americana and more

Tracks:
01. Another Skyline
02. Take It Slow
03. Pie Eyed Poet’s Plea
04. Wandering Kind
05. Kitchen Door
06. Sinner Man
07. Walk To the River
08. Pescadero
09. Devil
10. Picture In My Mind
11. Sad Sinking Feeling

Jeffrey Halford & The Healers
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Nikki Lane – Denim & Diamonds – CD-Review

Review: Michael Segets

Nach „Highway Queen” (2017) verspürte Nikki Lane erst mal keine Lust mehr, ein weiteres Album aufzunehmen. Stattdessen widmete sie sich Ihrem Vintage-Laden. Ganz vom Musikgeschäft sagte sie sich aber nicht los, sondern arbeitete in der Zwischenzeit mit einigen Künstlern wie Lana Del Rey und Brent Cobb zusammen. Vor zwei Jahren führte ein Telefonat zwischen ihr und Joshua Homme zu dem Plan, einen neuen Longplayer in Angriff zu nehmen. Mit Homme als Produzenten fühlte sich Lane motiviert, ihre schlummernden Ideen zu konkretisieren und in neue Songs zu gießen. Als Ergebnis finden sich auf „Denim & Diamonds“ nun zehn von Lane – teilweise in Kollaboration mit Homme, Gabe Simon und Alain Moschulski – geschriebene Stücke.

Homme stellte sein Pink Duck Studio im kalifornischen Burbank als Aufnahmeort zur Verfügung und engagierte mit Alain Johannes, Dean Fertita und Michael Shuman seine Bandkollegen der Queens of the Stone Age. Mit von der Partie sind ebenso Matt Helders (Arctic Monkeys), Carla Azar (Autolux, Jack White) und Matthew Pynn (Dwight Yoakam, Miley Cyrus). Die deutlichsten soundtechnischen Spuren hinterlässt Homme wohl auf dem Titeltrack. Insgesamt versuchte er Impulse in Richtung Rock’n Roll zu setzen.

Tatsächlich sind auf der Scheibe einige frische, gradlinige roots-rockige Nummern vertreten. Die klassischen Riffs auf „Born Tough“ sowie die beiden Singles „First High“ und „Black Widow“ sprechen da eine klare Sprache. Auch „Try Harder“ hat einen rockigen Einschlag, obwohl Lane den Song etwas langsamer anlegt. Mit seinem eingängigen Refrain geht er direkt ins Ohr und zählt ebenfalls zu den Beiträgen, bei denen die Qualität von Lanes Songwriting offenkundig ist.

Wurde Lane früher als moderne Vertreterin des Outlaw-Country gehandelt, die auch eine Affinität zum Rock hat, stehen die Verbindungen zum Country auf „Denim & Diamonds“ nicht im Vordergrund. Zwar klingen diese gelegentlich an, wie bei „Pass It Down“, aber lediglich mit „Good Enough“ hat ein reines Country-Stück den Weg auf das Album gefunden. Die countryfizierten Titel zählen ebenso wie das etwas dramatisch geratene „Chimayo“ allerdings nicht zu meinen Favoriten.

Die ruhigeren Songs sind eher dem Americana zuzuordnen. „Live/Love“ sticht durch die Mandoline heraus. Zudem punktet Lane hier erneut mit dem Refrain. Sie legt zudem mit „Faded“ eine wunderbar gefühlvolle Ballade vor. In einem Vers des Songs spricht sie davon, dass ihr Zerstörung im Blut liegt. Ob dies so ist, weiß ich natürlich nicht, aber Erwartungen und Konventionen scheinen sie wenig zu stören. Lanes Lebensweg verlief jedenfalls nicht gradlinig. Sie rieb sich an der Religion, die in ihrem Elternhaus eine Rolle spielte, verließ früh die Schule und versuchte sich als Designerin, bevor sie zur Musik fand.

Wenn man sich Lanes Portrait auf dem Cover ansieht, mit dem neckischen Hütchen, dem braven Pony auf der einen Seite und den knallroten Lippen, dem traurigen Blick der kalten blauen Augen auf der anderen Seite, dann lässt sich eine gewisse Widersprüchlichkeit nicht leugnen. Aber diese Widersprüchlichkeiten machen Menschen interessant und sind womöglich ein Antrieb dafür, Kunst zu schaffen.

In den Texten setzt sich Lane mit Widerständen in ihrer Jugend auseinander, die aber nicht nur schlecht war, wie sie sich bei „First High“ erinnert. Wer wünscht sich nicht selbst nochmal die großen Gefühle und Hoffnungen seiner Sturm-und-Drang-Zeit zurück? Wenn man dann wie Lane an Springsteen – beziehungsweise die 501 – denkt, muss sie zumindest teilweise glücklich gewesen sein.

Nikki Lane widersetzte sich dem Zwang des Musikbusiness, in kurzen Abständen Material auf den Markt zu werfen. So ließ sie sich fünf Jahre für „Denim & Diamonds“ Zeit. Das Album bietet eine ausgewogene Mischung aus starken Rocksongs, gefühlvollen Balladen und einer Prise Country. Wenn man in Lanes Fall von einem Comeback sprechen will, dann ist es gelungen.

New West Records (2022)
Stil: Rock/Americana

Tracks:
01. First High
02. Denim & Diamonds
03. Faded
04. Born Tough
05. Try Harder
06. Good Enough
07. Live/Love
08. Black Widow
09. Pass It Down
10. Chimayo

Nikki Lane
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New West Records
Oktober Promotion

Lauren Anderson – Burn It All Down – CD-Review

Review: Jörg Schneider

Nach ihrem von der Kritik gefeierten Vorgängeralbum „Love On The Rocks“ bringt Lauren Anderson nun am 9. September ihre dritte, wiederum selbst produzierte, Scheibe „Burn It All Down“ in die Läden. Und auch diesmal ist prominente Unterstützung in Form von Albert Castiglia und John Salaway (hat mit Peter Frampton, Zach Williams, The Zombies und vielen anderen gespielt) mit an Bord.

Während „Love On The Rocks“ noch fast ausschließlich auf ruhige und nachdenkliche Töne gesetzt hat, geht ihre neue Scheibe wesentlich härter zur Sache und dürfte daher vor allem die Freunde eines eher rockig orientierten Blues ansprechen, obwohl ihre musikalische Bandbreite auf dieser Scheibe auch schöne Bluesnummern mit leichtem Americanaeinfluss („I Know“ und „Still Here“) und sogar einen fast radiotauglichen, leichtfüßigen Midtempo-Popsong („Never Too Late“) beinhaltet.

Zunächst aber beginnt die Scheibe mit dem Titelsong „Burn It Down“ ziemlich wild, ein rockiger Sound mit einem Pianogehämmer, das den Song schweißtreibend förmlich nach vorne peitscht. Und das hart rockende „Soul Is Mine“ mit Anderson‘s megaphonartigem Gesang erinnert stilistisch an längst vergangene Led Zeppelin-Zeiten. Ganz anders hingegen, aber nicht weniger fetzig, kommt der Boogie-Woogie „Zombie Blues“ mit Albert Castaglia als Gastgitarrist daher. Mit den nachfolgenden Tracks geht es dann etwas weniger rockig, aber immer noch flott, zu. Den Auftakt dazu macht der melodiöse und zum Tanzen einladende Americana-Shuffle „Lose My Head“, gefolgt von dem Midtempo-Blues „Tell Me Baby“.

Bevor sich Lauren Anderson auf ihrer neuen Scheibe schließlich mit dem bereits erwähnten, bittersüßen „Still Here“, der Bluesballade „Fool“ und dem traurigen Slowblues „Rain Down On Me“ dem reinen Blues zuwendet, ist John Salaway als weiterer Gastgitarrist in dem harten Chicagorocker (starke Basslinie!) zu hören. Mit dem kräftig stampfenden und von sägenden Gitarrenriffs begleiteten „Like A Woman“ endet das Album schließlich.

Mit „Burn It All Down“ hat Lauren Anderson ein energiegeladenes, rockiges (und abwechslungsreiches) Album herausgebracht, welches stilistisch komplett anders ist als das ruhigere Vorgängeralbum „Love On The Rocks“. Aber wie sagt sie selbst so treffend: „Willst Du ein neues Haus bauen, musst Du das alte vorher abrennen.“ Die einzige Konstante dabei ist nur ihre, mitunter leicht rau klingende und mitunter an Joplin erinnernde, kräftige Altstimme, die den Songs eine besondere Note und Tiefe verleiht.

Label: Independent
Stil: Blues, Americana

Tracks:
01. Burn It All Down
02. Soul Is Mine
03. Zombie Blues
04. Lose My Head
05. Tell Me Baby
06. I Know
07. Never Too Late
08. Hit The Spot
09. Still Here
10. Fool
11. Rain Down On Me
12. Like A Woman

Lauren Anderson
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Shovelin Stone – Summer Honey – CD-Review

Review: Michael Segets

2019 debütierten die beiden Freunde Makenzie Willox und Zak Thrall als Indie-Folk-Duo Shovelin Stone. Mittlerweile ist Shovelin Stone zum Quartett angewachsen. Russick Smith am Bass und Brett Throgmorton am Schlagzeug erweitern als Rhythmusfraktion den Sound, der durch akustische Gitarre und Banjo geprägt ist. „Summer Honey“ stellt ein mehrschichtiges Americana-Album dar, das seine Wurzeln im Bluegrass-orientierten Folk nicht verleugnet. Die Band aus Colorado hat die Tracks in West Virginia mit dem Produzenten Chance McCoy (Old Crow Medicine Show) aufgenommen, der für einen unmittelbaren und erdigen Klang gesorgt hat.

Der Titelsong „Summer Honey“, zugleich Single und Opener des Albums, besticht durch die starke Rhythmusarbeit, das feine Banjo von Thrall und den coolen Gesang von Willox. Sommerlich-luftig schließt sich „Won’t You Tell Me“ an, der im positiven Sinne unaufgeregt daherkommt. Im Gegensatz zur musikalischen Gestaltung steht der Inhalt, der sich um eine Beziehungskrise dreht.

Den Texten kann eine poetische Qualität nicht abgesprochen werden. Sie sind meist ernsthaft und wirken aufrichtig, wie es sich für Songwriter gehört. Ein atmosphärisch dichter Song ist „Ain’t No Shooting Star“, der die Reue über begangene Taten thematisiert. Inhaltlich in eine ähnliche Richtung bewegt sich „Here’s To Jesus“, bei dem sich das lyrische Ich eingesteht, dass ihm die Größe zur Verzeihung oder Vergebung von erlittenen Schandtaten fehlt. Ausgefeiltes Storytelling bietet „Wash Over You“, das auch musikalisch eine runde Nummer geworden ist.

Ein weiteres Highlight stellt „Note To Self“ dar: Ein toller Track mit kraftvollem Refrain, der Anleihen beim Irish-Folk aufweist. Willox bläst hier in die Mundharmonika, wodurch der Sound der Band nochmal eine neue Facette erhält. Mit dem Banjo-Picking drückt Thrall den meisten Songs seinen Stempel auf. Bei dem lockeren „No Good At Waiting“ wird es durch die Mandoline von Smith ergänzt. Hier scheint die Nähe zum Bluegrass ebenso durch wie bei dem leicht countryfizierten „Drunk When I Get There“. Das Stück könnte von The Dead South stammen. Eine Parallele der Bands besteht auch im Einsatz des Cellos. Multiinstrumentalist Smith untermalt mit ihm das stimmungsvolle „Love Me Too“ und gibt dem Abschlussstück „Black + White“ eine zusätzliche dramatische Note.

Da das Debüt von Shovelin Stone hierzulande wohl kaum wahrgenommen wurde, kann die Band mit ihrem Nachfolgealbum „Summer Honey“ als die bislang interessanteste Neuentdeckung des Jahres gefeiert werden. Das Quartett glänzt mit einer Reihe hervorragender Americana-Songs, bei denen das Banjo zwar stets präsent ist, der Soundvielfalt aber nicht im Wege steht. Es bleibt also zu hoffen, dass man von der jungen Band bald mehr hört – gerne auch live.

Eigenproduktion (2022)
Stil: Americana/

Tracks:
01. Summer Honey
02. Won’t You Tell Me
03. Ain’t No Shooting Star
04. Note To Self
05. Drunk When I Get There
06. WingSong
07. Love Me Too
08. Here’s to Jesus
09. Wash Over You
10. No Good At Waiting
11. Black + White

Shovelin Stone
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Loudon Wainwright III – Lifetime Archievement – CD-Review

Review: Michael Segets

Der Wunsch etwas zu hinterlassen, das überdauert, trieb Loudon Wainwright III schon in jungen Jahren um. Aus einem heute wohl nicht mehr nachzuvollziehenden Grund dachte er, dass er mit 25 Jahren versterben würde. Es ist zum Glück anders gekommen, aber das Bedürfnis, sich zu verewigen, treibt den nun 76jährigen immer noch an. In dem Bewusstsein, dass „Lifetime Archievement“ sein letztes Album sein könnte, feilte Wainwright III solange an den Songs, bis er dachte, dass er nichts mehr an ihnen verbessern kann. „Lifetime Archievement“ ist eine Reflexion auf den Prozess des Alterns und zugleich eine Momentaufnahme seines derzeitigen musikalischen Stands.

Loudon Wainwright III schaut auf eine lange und erfolgreiche Karriere zurück. Neben seinen musikalischen Ambitionen widmete er sich auch der Schauspielerei und trat in Filmen („28 Tage“, „Aviator“) und im Fernsehen („M.A.S.H.“, „Ally McBeal“) auf. Als Musiker veröffentlichte er fast dreißig Alben, wobei er immer noch denkt, dass er seine Zeit hätte besser nutzen können, um mehr Song zu schreiben. Dafür, dass ihm einige gelungen sind, zeugen ein Grammy für das Album „High Wide & Handsome“ sowie die Tatsache, dass sie von Größen wie Johnny Cash und Bonnie Riatt interpretiert wurden.

Wainwright III wollte ein Album traditioneller Machart vorlegen und so kann „Lifetime Archievment“ als Folkalbum durchgehen, obwohl einige Songs zum Teil mit großer Bandbesetzung eingespielt wurden. Er präsentiert sich – nur mit Gitarre und Mundharmonika bewaffnet – auf dem wortgewaltige „I Been“ als klassischer Singer/Songwriter. Tolstoi und Sartre zitiert er bei „Fam Vac“. Der dort besungene Familienurlaub wird nicht als Urlaub mit, sondern als Urlaub von der Familie ersehnt. Die Texte von Wainwright III sind also nicht durchgängig schwere Kost, sondern tragen durchaus amüsante Züge.

Bei den Folksongs variiert Wainwright III die Begleitung, indem er mal ein Akkordeon hinzufügt („It Takes 2“) oder die Gitarre durch die Ukulele ersetzt („Fun & Free“). Besonders gelungen ist „Hell“, das trotz des Titels durch die Mandolinenbegleitung entspannt wirkt. Mit Banjo und Streichern wurde das getragene „How Old Is 75?” eingespielt. Bei „One Wish“ und „It“ verzichtet Wainwright III gänzlich auf die Instrumente und sing a cappella, bei letztgenanntem unterstützt durch Chaim Tannenbaum.

Ein Highlight stellt der flotte Bluegrass „Little Piece Of Me“ dar. Das sanfte „Back In Your Town” und das rauere „Town & Country” sind weitere. Bei meinem Favoriten „Town & Country” zahlt sich die Ergänzung durch Schlagzeug und Bläsersektion aus. Einzelne Songs, wie das Titelstück, tragen leicht sentimentale Züge, aber diese halten sich im Rahmen und sind für ein Alterswerk ja auch nicht untypisch. Insgesamt hat Wainwright III das Album gemeistert und der Pokal auf dem Cover mag dafür sprechen, dass er dies auch so sieht.

Loudon Wainwright III muss sich nichts mehr beweisen, will es aber immer noch wissen. Er blickt – zum Teil mit einem Augenzwinkern – auf sein bisheriges Leben mit erfüllten und unerfüllten Wünschen sowie mit begründeten und unbegründeten Ängsten zurück. Dies tut er vor allem mithilfe von Folksongs. „Lifetime Archievement“ ist dabei nicht puristisch, sondern unternimmt Ausflüge in Americana und Bluegrass.

Proper Records – H’Art/Bertus (2022)
Stil: Folk/Americana

Tracks:
01. I Been
02. One Wish
03. It Takes 2
04. Fam Vac
05. Hell
06. Little Piece Of Me
07. No Man’s Land
08. Back In Your Town
09. Town & Country
10. Island
11. It
12. Hat
13. Lifetime Archievement
14. How Old Is 75?
15. Fun & Free

Loudon Wainwright III
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Bertus
V2 Records

Gretchen Peters – The Show. Live From The UK – CD-Review

Review: Michael Segets

Vor fünfundzwanzig Jahren trat Gretchen Peters das erste Mal im Vereinigten Königreich auf und legte damit den Grundstein für ihren Erfolg auf der Insel. Anlässlich dieses Jubiläums entstand die Doppel-CD „The Show. Live From The UK“, mit der die Songwriterin ihren treuen Fans in Großbritannien eine besondere Freude machen will. Das Werk enthält einen Zusammenschnitt von drei Konzerten, die Ende April 2019 aufgenommen wurden.

Die Hälfte der Songs stammt von einem Auftritt in Bristol, die anderen von welchen in Bexhill-On-Sea und Bury St. Edmunds. Auf dem erste Tonträger begleitet ein schottisches Streicher-Quartett die Band. Neben Peters besteht diese aus Barry Walsh (Klavier), Colm McClean (elektrische Gitarre) und Conor McCreanor (Bass). Ein Schlagzeug kommt also nicht zum Einsatz und so bietet „The Show“ einen insgesamt ruhigen Hörgenuss.

Peters, die 2014 in die Nashville Songwriter Hall Of Fame aufgenommen wurde, schreibt eingängige Songs mit teilweise bissigen Texten. So steigt die erste Scheibe stimmungsvoll mit „Arguing With Ghosts“ und „Hello Cruel World“ ein. Es folgen ruhige Balladen im gleichen Stil, unter denen „Revival“ besonders gut gesungen ist. „Blackbirds“ sticht durch seine dramatische Atmosphäre heraus. Das Stück heimste seinerzeit die Auszeichnung als bester Americana-Song des Jahres in Großbritannien ein.

Im Anschluss stellt Peters die Musiker vor und gibt eine Anekdote zu „When You Love Someone“, das als Soundtrack zusammen mit Bryan Adams geschrieben wurde, zum Besten. Das Track-Splitting ist hier unverständlich, da sich die Einleitung des Songs am Ende des vorherigen findet. Allerdings sind Live-Alben ja so konzipiert, dass man sie sich durchgehend anhört und so stört dieser Umstand nicht weiter. Während die einzelnen Beiträge durchweg gelungen sind, bleibt in der Gesamtsicht auf die erste CD doch festzuhalten, dass sie keinen großen Spannungsbogen entfaltet. Die Stücke ähneln sich in Tempo und Arrangement. Die zweite Scheibe zeigt sich deutlich variabler.

Der Opener des zweiten Durchgangs „When All You Got Is A Hammer” ist ein inhaltlich und musikalisch starker Song, bei dem Colm McClean zum Zuge kommt. Auch bei dem reduzierteren „Disappearing Act” setzt er erneut mit seiner E-Gitarre Akzente. Peters singt dort wunderbar mit trotziger Energie. Der leichte Country-Einschlag bei „Wichita“ passt zu der gewalttätigen Story, die der Text erzählt.

Nach launigen Bemerkungen über sonnenverbrannte Engländer performt Peters nochmal eine gefühlvolle Ballade („Say Grace“). Bei „Everything Falls Away” dominiert Barry Walsh am Klavier die Begleitung und legt ein längeres Solo hin. Für „The Matador“ holt Peters nochmal Seonaid Aitken mit ihrer Geige und für „Five Minutes“ die Cellistin Alice Allen auf die Bühne, bevor mit „Idlewild“ das Werk ausklingt.

Auf dem zweigeteilten „The Show. Live From The UK“ zeigt Gretchen Peters ihre Qualität als Songwriterin und Sängerin mit einem Querschnitt aus ihrer mehr als fünfundzwanzigjährigen Solokarriere. Die erste CD verläuft – durchgängig von einem Streicher-Quartett begleitet – in ruhigen Bahnen. Atmosphärisch abwechslungsreicher stellt sich die zweite CD dar, auf der das Können ihrer Begleitband deutlich wird.

Mit der neuen Scheibe im Gepäck gibt die gebürtige New Yorkerin im August erneut Konzerte in England und Schottland, wobei sie wieder einen Auftritt in Bristol hat. Dieser dürfte also ein Heimspiel in der Fremde sein.

Proper Records – Bertus (2022)
Stil: Americana

Tracks:
CD 1
01. Arguing With Ghosts
02. Hello Cruel World
03. The Secret Of Life
04. Revival
05. Love That Makes A Cup Of Tea
06. Blackbirds
07. When You Love Someone
08. On A Bus to St. Cloud
09. To Say Goodbye
10. When You Are Old

CD 2
01. When All You Got Is A Hammer
02. Disappearing Act
03. Whichita
04. Say Grace
05. Everything Falls Away
06. The Matador
07. Five Minutes
08. Idlewild

Gretchen Peters
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Bertus
V2 Records

Amanda Shires – Take It Like A Man – CD-Review

Review: Michael Segets

Wenn man Amanda Shires lediglich auf ihre Rolle als Ehefrau von Jason Isbell und Mitglied seiner Band The 500 Unit reduziert, dann geschieht ihr sicherlich Unrecht. Als Violinistin, die unter anderem Aufnahmen mit John Prine, Neal Casal, Todd Snider , Justin Townes Earle und Blackberry Smoke vorzuweisen hat, erarbeitete sie sich einen hervorragenden Ruf. Mit The Highwomen, eine Kollaboration zwischen ihr, Brandi Carlile, Natalie Hemby und Maren Morris, startete Shires 2019 ein viel beachtetes Bandprojekt. Die mehrfach ausgezeichnete Texanerin veröffentlicht nun ihr siebtes Soloalbum „Take It Like A Man“.

Die Zwangspause der Pandemie nutzte Sie, um sich auf das Schreiben neuer Songs zu konzentrieren, bei denen sie vor allem ihre familiären Beziehungen bearbeitet. In einem kreativen Schub entstanden innerhalb eines Monats 26 Stücke. Zehn davon schafften es schließlich auf den Longplayer, wobei sie sich für die musikalische Umsetzung hauptsächlich bei Lawrence Rothman Unterstützung holte.

Der Opener „Hawk For The Dove“ stellt zugleich das Highlight des Albums dar. Die erste Single – im Pressetext als Southern Gothic bezeichnet – beeindruckt durch ihre dunkle Atmosphäre und geht direkt in die Gehörgänge. Der düstere Hall von Isbells Gitarre erinnert an Gunner & Smith. Shries glänzt bei einem kurzen, kratzigen Geigensolo. Zudem wirkt ihr Sopran hier eher lasziv als süßlich, wie bei einigen anderen Stücken. Weniger expressiv und deutlich reduzierter, aber gleichfalls stimmungs- und spannungsvoll sind „Don’t Be Alarmed“ und „Fault Lines“.

Shires liefert perfekt produzierte Songs ab, die überwiegen opulent arrangiert sind. Dass Streicher durchgängig präsent sind, versteht sich fast von selbst. Daneben übernimmt manchmal ein Klavier die Führungsrolle („Empty Cup“, „Everything Has Its Time“), mal fallen die Bläser („Stupid Love“) besonders auf. Wie die zweite Single „Take It Like A Man“ bewegen sich die meisten Stücke insbesondere in der ersten Hälfte des Albums im unteren Tempobereich.

Das einzige Stück mit einem Upbeat ist das lockere „Here He Comes“. Der Titel wurde als letzter aufgenommen, wurde aber in der Mitte des Albums geschickt platziert. In der zweiten Hälfte des Longplayer zieht Shires das Tempo gemäßigt an und gibt ihren Kompositionen „Bad Behavior“ und „Lonely At Night“ leicht jazzige Züge mit. Die Klangfarbe ihrer Stimme würde man wahrscheinlich eher im Country verorten, aber Shires setzt ihre Stimme durchaus variabel ein und steht gesanglich bei sämtlichen Songs ihren Mann.

In den dunklen Momenten fesselt Amanda Shires Album „Take It Like A Man“. Vor allem mit dem expressiven „Hawk For The Dove“ setzt sie ein Ausrufezeichen als Songwriterin und Musikerin. Darüber hinaus finden sich auf dem Album gelungene Balladen, sauber arrangiert mit vollem Begleitprogramm durch Streicher, Bläser und Keys. Diese werden bei einem eher auf Harmonien bedachtem Publikum in Nashville und Umgebung sicherlich Anklang finden.

ATO Records/PIAS-Rough Trade (2022)
Stil: Americana

Tracks:
01. Hawk For The Dove
02. Take It Like A Man
03. Empty Cup
04. Don’t Be Alarmed
05. Fault Lines
06. Here He Comes
07. Bad Behavior
08. Stupid Love
09. Lonely At Night
10. Everything Has Its Time

Amanda Shires
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Pias/Rough Trade
Oktober Promotion

Arlo McKinley – This Mess We’re In – CD-Review

Review: Michael Segets

Nach der Veröffentlichung von „Die Midwestern“ (2020) stand Arlo McKinley in den Startlöchern, als Musiker durchzustarten und seine Karriere voranzutreiben. Eine große internationale Tour war geplant, bevor ihn die Pandemie auf den Boden der Tatsachen zurückholte. Damit nicht genug, kam es noch zu mehreren Todesfällen in Familie und engem Freundeskreis. McKinley blickt also auf schwere Zeiten zurück, einschließlich Alkohol- und Drogensucht. Mit „This Mess We’re In“ kämpft er sich aus diesem finsteren Tal, bereit nach vorne zu blicken.

Mit der Vorgeschichte und dem Titel dürfte klar sein, in welche Richtung die elf Songs des Albums gehen. Es ist keine Partyscheibe geworden, sondern ein getragenes und introvertiertes Werk, das sich für ruhige Stunden anbietet. Der zweiundvierzigjährige McKinley gewährt dem Hörer einen Einblick in sein Innenleben und nimmt ihn mit auf eine Reise durch seine bisherigen Lebenserfahrungen. In diesen findet man seine eigenen durchaus in der einen oder anderen Hinsicht wieder, sodass man eine Beziehung zu den Songs aufbaut. Durch die reflexive Selbstbeobachtung in den Texten finden sich Parallelen zu BJ Barham, der mit American Aquarium unlängst „Cicamacomico“ vorlegte. Neben diesem reiht sich „This Mess We’re In“ nun als weiteres, diesjähriges Referenzwerk ein, an dem sich andere Musiker in Sachen Authentizität messen lassen müssen.

Bei der Produktion vertraute McKinley erneut Matt Ross-Spang (Jason Isbell, The Allman Betts Band, Charley Crockett), der bereits „Die Midwestern“ betreute. Wie auf dem vorangegangenen Album setzt McKinley bei den Arrangements seiner Songs auf eine vollständige Bandbegleitung, diesmal durch orchestrale Streicher ergänzt. Auf dem Titelstück und auf „I Wish I“ sind die Streicher besonders opulent vertreten, passen sich in der Kombination mit einem Klavier aber sehr gut in die melancholische Stimmung der Songs ein. McKinley findet so eine Alternative zur Steel Pedal, die sich häufiger als Untermalung im Americana findet.

Bei anderen Stücken übernimmt eine akustische Gitarre die Führungsrolle, so bei „Dancing Days“ oder beim Opener „I Don’t Mind“, bei dem die Streicher später kräftig einsteigen. Elektrische Gitarren werden seltener ausgepackt, sorgen aber bei „Rushintherug“ für einige Akzente. Die Songs bewegen sich im unteren („Stealing Dark From The Night Sky“)
bis mittleren („Back Home“) Tempobereich, unterscheiden sich jedoch aufgrund der Refrains, die oft einen hohen Wiedererkennungswert haben, sowie durch rhythmische Variationen („Where You Want Me“) voneinander. Die Spannweite reicht von leicht countryfizierten Balladen („City Lights“) bis zu fast hymnischen Beiträgen („Here’s To The Dying“).

Die Scheibe überzeugt durch das ausgereifte Songwriting, das sich bei mehrmaligen Durchläufen immer mehr erschließt, und die angenehme Klangfarbe von McKinleys Stimme. Das Album wirkt homogen, aber niemals langweilig. Das Stück, das sich direkt von den anderen abhebt ist „To Die For“. Der rockigste Track auf dem Longplayer geht sofort ins Ohr und bekommt, wenn die Orgel einsetzt, eine gewaltige Wucht. Der mittig platzierte Song bildet so einen gelungenen Kontrast zu den anderen und schafft es sicher auf meine persönliche Bestenliste von 2022.

„This Mess We’re In“ besticht durch seine lyrischen Qualitäten und seine mehrschichtigen Kompositionen. Arlo McKinley kleidet seine authentisch wirkende Auseinandersetzung mit seinen vergangenen Krisen in ruhige Songs und setzt dabei auf ausgiebige Streicherarrangements. Während das Gesamtwerk nach wiederholten Durchläufen einen immer größeren Eindruck hinterlässt, liefert McKinley mit „To Die For“ einen herausragenden Einzeltitel ab, der sich unmittelbar in die Gehörgänge einbrennt.

Oh Boy Records – Thirty Tigers/Membran (2022)
Stil: Americana

Tracks:
01. I Don’t Mind
02. City Lights
03. Back Home
04. Stealing Dark From The Night Sky
05. To Die For
06. Dancing Days
07. This Mess We’re In
08. Rushintherug
09. Where You Want Me
10. Here’s To The Dying

Arlo McKinley
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Thirty Tigers
Oktober Promotion

American Aquarium – Chicamacomico – CD-Review

Review: Michael Segets

„In meiner sechzehnjährigen Karriere war ich noch nie stolzer auf eine Reihe von Songs, weder textlich noch stilistisch. Sie haben Gewicht, aber sie sind nicht beschwert. Es ist eine traurige Platte, die einem ein gutes Gefühl gibt.“ Mit diesen Worten beschreibt BJ Barham sein neues Album „Chicamacomico“, das er mit seiner Band American Aquarium einspielte. Nun ist immer Vorsicht geboten, wenn Musiker über ihr aktuelles Werk sprechen. Tendenziell ist es stets das beste ihrer Karriere. Im Falle von „Chicamacomico“ bin ich aber geneigt, der Einschätzung von Barham zu folgen.

Mit der CD legt American Aquarium den insgesamt stärksten Longplayer der Bandgeschichte vor, bei dem jeder Song ein ziemlich hohes Niveau hält. Auf ihren früheren Veröffentlichungen finden sich zwar herausragende Songs, die als Einzeltitel die neuen Tracks toppen, als Gesamtwerk ist „Chicamacomico“ allerdings die erste Wahl aus dem Bandkatalog, auch wenn es mit seinen zehn Tracks nur auf eine gute halbe Stunde Spielzeit kommt.

Die Songtexte handeln von Verlust, Trennung und Abschied. Jede Textzeile wirkt authentisch und persönlich. Die aufgegriffenen Situationen, wie beispielsweise der Tod von Familienangehörigen oder das Ende von Beziehungen, durchlebt wohl jeder Mensch, daher haben die Texte etwas allgemeingültiges. Die Gefühle und Gedanken, an denen uns Barham teilhaben lässt, zeugen von einer hohen Sensibilität und einer schonungslosen Reflexivität. Diese wird beispielsweise bei „Little Things“ deutlich, wenn er davon singt, wie sich sein Selbstverständnis im Laufe der Zeit wandelte. Verstand er sich früher als Musiker mit Familie, fühlt er sich nun als Vater und Ehemann, der Musik macht. In den nuancierten Lyrics liegt ein Grund, warum Barham zu den besten Songwritern seiner Generation zählt.

Die Kraft der Musik, die helfen kann, mit dem Leiden an dem Schicksal umzugehen, beschwört er beim abschließenden „All I Needed“. Der Schlusstrack ist zugleich das rockigste Stück auf der CD. Bei „Built To Last“ schlagen American Aquarium ebenfalls kräftigere Töne an, ansonsten bewegt sich das Album in ruhigen Gefilden. Nicht nur thematisch, auch musikalisch stellt sich „Chicamacomico“ daher als sehr homogen dar. Die einzelnen Songs bleiben dennoch gut unterscheidbar, was vor allem an den eingängigen und ausgefeilten Refrains liegt. Unterstützung beim Songwriting holte sich Barham bei Lori McKenna und Hayes Carll.

Jeder Titel entwickelt seinen eigenen Reiz, der mit mehrmaligen Hören noch wächst. Daher bleibt es eigentlich überflüssig, einzelne hervorzuheben. Bei den ersten Durchläufen fallen „Little Things“ und „Wildfire“ auf. Mittlerweile sprechen mich der Titeltrack sowie „The First Year“ besonders an. Bei dem vorangegangenen Album „Lamentations“ (2020) fuhren American Aquarium bereits die Country-Einflüsse zurück. Auf „Chicamacomico“ sind sie minimiert – am deutlichsten noch bei „Just Close Enough“ durchscheinend – und auch die Pedal Steel ist insgesamt nicht mehr so dominant wie auf einigen früheren Werken. Gesanglich zeigt sich Barham auf der Höhe und setzt mit ihm überraschende Akzente („The Hardest Thing“).

Das Line-Up von American Aquarium weist wenig Kontinuität auf. Als derzeitige Mitglieder begleiten Zack Brown (Klavier), Bill Corbin (Bass), Colin DiMeo (Gitarre), Ryan Johson (Gitarre), Kevin McClain (Schlagzeug) und Whit Wright (Pedal Steel) Barham bei seinem Bandprojekt. Brad Cook löst Shooter Jennings, der beim sozialkritischen „Lamentations“ mitarbeitete, als Produzent ab.

Mit „Chicamacomico“ ist American Aquarium, der Band von BJ Barham, ein Geniestreich gelungen. Wie das Cover zunächst unscheinbar wirkend entwickelt jeder einzelne Song bei näherer Betrachtung Tiefe. Trotz der schweren Thematik, die um Verluste kreist, hat das Werk eine reinigende und befreiende Wirkung jenseits aller Durchhalteparolen. Die Konstanz der Songqualität macht „Chicamacomico“ zum bislang gelungensten Longplayer von American Aquarium und wahrscheinlich auch zum besten Americana-Album dieses Jahres.

Losing Side Records – Thirty Tigers/Membran (2022)
Stil: Americana

Tracks:
01. Chicamacomico
02. Little Things
03. Just Close Enough
04. The First Year
05. Built To Last
06. Wildfire
07. The Things We Lost Along The Way
08. Waking Up The Echoes
09. The Hardest Thing
10. All I Needed

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