Amos Lee – Dreamland – CD-Review

Review: Michael Segets

Amos Lee hat in der Vergangenheit einige gute Songs veröffentlicht und mit dem Album „Mission Bell“ (2011) in Amerika eine Top-Platzierung in den Charts eingefahren. Nach „Mountains Of Sorrow, Rivers Of Songs“ (2013) habe ich seinen musikalischen Werdegang nicht weiter verfolgt. Zwei Studioalben und knapp zehn Jahren später bietet „Dreamland“ nun die Gelegenheit, den aktuellen Stand des Singers/Songwriters wieder in den Blick zu nehmen.

„Dreamland“ steht wie viele andere Alben, die in dem letzten Jahr auf den Markt gebracht wurden, unter den Eindrücken, die die Pandemiezeit mit sich brachte. Lee thematisiert Isolation und Ängste auf seinem Werk. Dabei versucht er durchaus Optimismus zu versprühen und sich nach eigener Aussage stärker den Mitmenschen zuzuwenden, als er es bisher als Songwriter getan hat.

Mit dem Produzenten Christian Langdon an seiner Seite entstand ein sorgsam, voll arrangiertes Werk, das teilweise in das Pathetische und Bombastische hinübergleitet. Der titelgebende Opener mit sich einbrennenden Klavierlauf und fast hypnotisch gehauchtem Gesang dient mit seinem dramatischen Refrain als Beispiel dafür. „Seeing Ghosts“ bekommt mit dem Einsatz von Streichern einen orchestralen Einschlag. Bei „It’s Real“ wagt sich Lee in stimmliche Höhen, die den schmachtenden Song nicht aufwerten. Sein Gesang überzeugt mich auf „Invisible Oceans“ ebenfalls nicht.

Bei „Hold You“ wird das Gefühl letztlich durch die opulente Instrumentalisierung erdrückt. „Clean“ hält den schmalen Grat gerade noch. Eine schöne Ballade gelingt Lee allerdings mit „Into The Clearing“, bei dem das Arrangement die Atmosphäre des Songs unterstützt. Den Titel als eine Single auszuwählen, war die richtige Wahl. Das dynamische „How You Run“ ist ebenfalls noch auf der Habenseite zu verbuchen.

Während auf „Mission Bell“ Lucinda Williams und Willie Nelson mitwirkten, gibt Lee an, sich in seiner weiteren musikalischen Entwicklung an Norah Jones orientiert zu haben. Mit diesem Vergleich im Hinterkopf lassen sich durchaus Parallelen herausfiltern. Lee bedient sich beim R&B und Soul, was bei der Single „Worry No More“ und bei „See The Light“ zu hören ist. Mit „Shoulda Known Better“ geht er in Richtung eines leicht angejazzten Pop.

Auf „Dreamland“ blitzen die Qualitäten von Amos Lee als Songwriter auf, werden aber durch die üppigen Arrangements überstrahlt. Die meisten Balladen wirken stellenweise überladen. Lee gibt auf anderen Stücken Elementen von R&B, Soul und Pop einigen Raum, sodass diejenigen, die seine älteren Aufnahmen noch im Ohr haben, ihn kaum wiedererkennen. Unter diesen Songs finden sich eingängige Titel, die aber die SoS-Leserschaft wohl eher nicht als Zielgruppe haben.

Dualtone Records – MNRK/Bertus (2022)
Stil: Singer/Songwriter and more

Tracks:
01. Dreamland
02. Worry No More
03. How You Run
04. Into The Clearing
05. Hold You
06. See The Light
07. It’s Real
08. Seeing Ghosts
09. Shoulda Known Better
10. Clean
11. Invisible Oceans

Amos Lee
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Lucinda Williams – Good Souls Better Angels – CD-Review

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Review: Michael Segets

Die Grande Dame der Americana- und Country-Music Lucinda Williams legt mit „Good Souls Better Angels” ein Album vor, das Kritiker lieben werden, bei dem jedoch fraglich ist, ob es Anklang beim breiten Publikum findet. Mit diesem Phänomen hatte Williams bereits in der Anfangszeit ihres musikalischen Schaffens zu kämpfen.

Vor über vierzig Jahren veröffentlichte sie ihren ersten Longplayer, einen kommerziellen Durchbruch erzielte sie aber erst zwei Dekaden später mit „Car Wheels On A Gravel Road“ (1998). Auf die Musikerin bin ich erstmals durch ihr Duett mit Steve Earle „You’re Still Standing There“ aufmerksam geworden, das sich auf seiner CD „I Feel Alright“ (1996) findet. Ray Kennedy, der mit Earle das Produzententeam The Twangtrust bildet, produzierte sowohl Williams Erfolgsalbum als auch das neue „Good Souls Better Angels” mit. Seit der Jahrtausendwende bringt Williams regelmäßig neues Material heraus.

Unter ihren Kollegen ist die dreifache Grammy-Gewinnerin sehr beliebt, was ihre Vielzahl an Kollaborationen beweist. Sie veröffentliche Tracks mit ganz unterschiedlichen Künstlern wie Julian Dawson, Nanci Griffith, Bruce Cockburn, John Prine, Sue Foley, Colin Linden, Elvis Costello, Willie Nelson, North Mississippi Allstars, Michael Monroe, Amos Lee, Blackie & The Rodeo Kings und Tom Russel.

„Good Souls Better Angels” ist ein atmosphärisch finsteres, aber faszinierendes Album. Schien bei den früheren Longplayern diese Seite von Williams Songwriting immer wieder durch, verfolgt sie die dunklen Töne auf ihrer aktuellen CD nun konsequent. Sie bearbeitet in ihren Songs das Leiden an der Welt, Depressionen und psychische Belastungen auf der einen Seite, Durchhaltevermögen und Hoffnung auf der anderen. Inspiration holte sich Williams bei dem Werk von Leonard Cohen und Nick Cave. Die Tracks bewegen sich tatsächlich zwischen diesen musikalischen Polen.

Bei einem Drittel der Stücke zelebriert – bei „Good Souls” über siebeneinhalb Minuten – Williams einen getragenen, melancholischen Americana, der durch ihren Gesang rau und unmittelbar klingt. Mal singt sie leicht gebrochen („Big Black Train“, „When The Way Gets Dark”), mal leiernd („Shadows & Doubts“), aber immer passend und intensiv.

Bei „Man Without A Soul” legt sie etwas Samt in ihre Stimme, die sich hier stellenweise nach Tanita Tikaram anhört. Auf „Pray The Devil Back To Hell” klingt Williams hingegen wie ein weiblicher Tom Waits. Zusammen mit „Bad New Blues” spiegeln die beiden Stücke die bluesige Seite der Scheibe wider.

„You Can’t Rule Me“ eröffnet als treibend-rollender Blues Rock das Werk. In gemäßigtem Tempo rockt „Big Rotator”, härter geht es mit „Down Past The Bottom” zur Sache. Nicht nur bei den Rocksongs sind die starken Gitarren hervorzuheben, denen viel Raum auf dem Album gegeben wird. Kräftige Riffs, zerrende Rückkopplungen sowie angemessen lange Soli passen sich hervorragend in die Songs ein und ergänzen so den ungeschliffen wirkenden Gesang.

Einen beinah rotzigen Slang legt Williams bei dem experimentelleren „Wakin‘ Up“ an den Tag. Dieser – in Kombination mit expressiven Gitarren und unterlegt mit einem Rhythmus, der dem Hip Hop entliehen scheint – macht den Song zu einem besonders hervorstechenden auf dem Werk. Ebenso bemerkenswert ist „Bone Of Contention”, das Williams mit einer für sie ungewohnten Punk-Attitude performt, durch die ein Vergleich mit Patti Smith nicht fern liegt.

„Good Souls Better Angels” ist ein spannendes Meisterwerk der Amerikanerin. Mutig und souverän bewegt sich Lucinda Williams in Americana-, Rock- und Bluesgefilden. Neben ausgereiften Melodien machen kraftvolle Rhythmen und krachende Gitarren, verbunden durch den ausdrucksstarken und variationsreichen Gesang, das Album zur ersten großen Überraschung des Jahres.

Highway 20/Thirty Tigers (2020)
Stil: Americana, Rock, Blues/

Tracks:
01. You Can’t Rule Me
02. Bad News Blues
03. Man Without A Soul
04. Big Black Train
05. Wakin‘ Up
06. Pray The Devil Back To Hell
07. Shadows & Doubts
08. When The Way Gets Dark
09. Bone Of Contention
10. Down Past The Bottom
11. Big Rotator
12. Good Souls

Lucinda Williams
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