Rodney Crowell – Triage – CD-Review

cover Rodney Crowell - Triage 300

Review: Michael Segets

Rodney Crowell betitelt sein neues Album „Triage“. In der Corona-Pandemie war der Begriff in den Medien präsent. Er stammt aus der Militärmedizin und bezeichnet das Problem, bei mangelnden Ressourcen eine Entscheidung darüber fällen zu müssen, wer ärztliche Versorgung erhält und wer nicht. Der Titelsong bezieht sich jedoch weder auf dieses ethische Dilemma noch auf Corona. Triage kann auch als Sichtung übersetzt werden, was mit Blick auf die thematische Ausrichtung des Longplayers passend erscheint.

Der siebzigjährige Crowell zieht auf seinem Werk eine Bilanz, die durchaus ambivalent ausfällt. Auf der einen Seite schlägt er einen versöhnlichen Ton an, auf der anderen Seite schwingt eine Bitterkeit durch die Texte, die sich so zwischen Optimismus und Fatalismus bewegen. „Triage“ und „I’m All About Love“ sind Reflexionen über die Liebe. Dabei beweist er ein großes Herz, auch für Personen (z. B. Putin und Trump), die mir bisher nicht besonders liebenswert erscheinen. Vielleicht hat Crowell eine Stufe der Altersweisheit erreicht, für die mir noch ein paar Jahre fehlen. Er zeigt tiefes Mitgefühl mit dem „Girl On The Street“, wobei die menschliche Tragödie und die Hilflosigkeit im Umgang mit ihr in direkte, aber dennoch berührende Verse gepackt werden.

Mit dem Bewusstsein, dass der Lebensabend begonnen hat, sind wohl „Here Goes Nothing“ und das mit Mundharmonika ausklingende „This Body Isn’t All There Is To Who I Am“ entstanden. Auch die einzige countryfizierte Nummer auf der Scheibe – „One Little Bird“ – kündet von einem nahenden Lebensende.

Crowell feierte seinen Durchbruch im Country. 1988 erschien sein Erfolgsalbum „Diamonds & Dirt“, das mit fünf Singles die Genre-Charts toppte. Für den Hit „After All That Time“ erhielt er den ersten von zwei Grammys. Als Songwriter war er allerdings noch erfolgreicher. Johnny Cash, Waylon Jennings, The Oak Ridge Boys, Bob Seger, Keith Urban, Lee Ann Womack und Tim McGraw nahmen seine Songs auf. Crowell erntete die ersten Lorbeeren in der Band von Emmylou Harris, danach begleitete er die Karriere seiner damaligen Gattin Rosanne Cash.

Musikalisch lässt sich Crowell bei seinen eigenen Veröffentlichungen allerdings nicht auf den Country festlegen. So präsentiert er auch auf „Triage“ unterschiedliche Facetten. Auf dem reduzierten „Hymn #43“ zeigt er sich als Singer/Songwriter. Das textlastige, musikalisch im etwas sperrigen Sprechgesang vorgetragene „Transient Global Amnesia Blues“ steht ebenfalls in dieser Tradition. Stilistisch lassen sich mehrere Stücke zwischen Americana und Rock/Pop verorten und schlagen ein mittleres Tempo ein. Die Intonation von Crowells Gesang erinnert in manchen Passagen an Bob Dylan oder in anderen an Willie Nile.

Ein Highlight stellt für mich der Opener „Don’t Leave Me Now“ dar, der mit leicht klagender Stimme und akustischer Gitarre beginnt, bevor die Band kraftvoll einsetzt und den Titel in einen Rocksong verwandelt. Ein weiteres Glanzlicht setzt Crowell mit seiner Single „Something Has To Change“. Hier sorgt Raymond James Mason mit seinem Solo an der Zugposaune für einen besonders intensiven Moment.

Rodney Crowell beweist mit „Triage“ erneut seine Qualität als Songwriter, wobei er seine ehrlich wirkenden, aus genauer (Selbst-)Beobachtung gewonnenen Texte mit Hilfe seiner Band gekonnt arrangiert. Das Album kann so zwar gut nebenbei gehört werden, gewinnt seinen Reiz jedoch vor allem durch das Hinhören oder das Mitlesen der Lyrics.

RC1 Records – Thirty Tigers/Membran (2021)
Stil: Singer/Songwriter and more

Tracks:
01. Don’t Leave Me Now
02. Triage
03. Transient Global Amnesia Blues
04. One Little Bird
05. Something Has To Change
06. Here Goes Nothing
07. I’m All About Love
08. Girl On The Street
09. Hymn #43
10. This Body Isn’t All There Is To Who I Am

Rodney Crowell
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