Sass Jordan – Support: Chris Caddell And The Wreckage – 15.09.2017, Arnheim, Luxor Live – Konzertbericht

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Ein Gig, auf den ich mich dieses Jahr schon seit längerem gefreut habe, war der von Sass Jordan, die anlässlich des 25-jährigen Jubileums ihres Paradealbums „Racine“  (jetzt zeitgleich neu eingespielt, wieder aufgelegt als „Revisted“-Ausgabe, siehe unsere Besprechung), in Europa tourt.

Die Kinnlade ging natürlich immens runter, als das geplante Konzert im Kölner Jungle Club wegen zu geringem Kartenabsatzes kurzfristig abgesagt wurde. Der deutsche Michel besucht in der Domsadt scheinbar lieber anonyme Kommerz-orientierte Massenveranstaltungen zu horrenden Preisen – Metallica lassen grüßen.

Sounds Of South, das Magazin, das immer auf Zack und flexibel ist, reagierte sofort, und organisierte  in Verbindung mit Brooke-Lynn Promotion noch spontan eine Akkreditierung für den Gig im niederländischen Arnheim, übrigens Gernots und mein erster Auslandseinsatz in Sachen Live-Berichterstattung seit Bestehen dieses Magazins.

An dieser Stelle muss ich mal eine Lanze für unser Nachbarland brechen. Als Hundebesitzer und demnach passionierter langjähriger Zeeland-Urlauber bewundere ich immer wieder den Sinn für deren Gemeinschaftsleben, die recht entspannt und gebildet wirkenden Menschen, u. a. auch besonders die Pflege der dortigen Infrastruktur.

Das Land scheint nicht von einer, durch eine kleine elitäre geldgeile Klicke, infiltrierten selbstsüchtigen und entrückten Politikerschaft sowie einer weitestgehend unfähigen und nicht belastbaren Beamtenschaft delegiert zu werden. Und so auch in Arnheim: Eine einladende Stadtstruktur, perfekte Straßen, gepflegte Sauberkeit, wohin das Auge blickte, ein durch Elektrobusse befahrener Stadtkern, bezahlbare Parkhäuser (2 Euro für den Abend), dazu eine wunderbar hergerichtete Konzert-Location, eine straffe, freundliche Top-Organisation des Events eingeschlossen.  Der gerechte Lohn: Ein volles Haus (geschätzt etwas mehr als 500 Leute)!

Beim Jordan-Abend wurden direkt zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Die Kanadierin wurde von Chris Caddell begleitet, der als Vorband mit den beiden anderen involvierten Musikern Cassius Pereira und Derrick Brady, die Gelegenheit erhielt, für sein Solo-Projekt Werbung zu machen.

Das Trio (blues-) und (southern-) rockte mit einer wuchtigen Intensität, wobei sich Caddell  als angenehmer Sänger und starker E-Gitarrist (auch als Slide-Spieler) profilieren konnte. Stücke wie „From The Wreckage“, „Workin'“, „The Rescue“, „Through My Hands“ und die abschließenden „Ohio“ (fette rockige Version zur Freude des Neil Young-Liebhabers Gernot) und „Killing Me“ füllten eine toll performte erste halbe Stunde. Ich habe selten eine so gute Vorgruppe erlebt.

Nach einer halben Stunde Pause in dem eindrucksvoll gestalteten Konzertsaal, den die drei Burschen auch zum Kleidungswechsel nutzten, ging es mit der Protagonistin der Veranstaltung im Quartett weiter.

Schon der Auftakt mit den vier „Racine“-Stücken „If You Gonna Love Me“, „Who Do You Think You Are“, „Where There’s A Will“ und der herrlichen Ballade „Remind Me“ ließ einem wohlige Schauer, den Rücken runter laufen. Das Publikum, wie auch wir beiden, waren absolut begeistert und sofort auf Betriebstemperatur!

Sass Jordan ist einfach eine einnehmende Frontfrau. Für Ihr Alter immer noch toll aussehend, körperlich absolut erstklassig in Form, sympathisch, kommunikativ, dazu diese extravagante Stimme, sowohl zahm wie ein Lamm, aber auch überwiegend kräftig und aggressiv wie ein beute-hungriges Raubtier.

Sass, wie sich ihren Ansagen entnehmen ließ, wohl nicht zum ersten Mal an dieser Stelle auftretend, zeigte sich gut gelaunt, redefreudig, tanzte, gestikulierte, schlängelte mit den Armen, ließ die blonde Mähne wehen und zog mit einem gut ausgewähltem Programm ihres Schaffensspektrums, die Leute über die gesamte Dauer in ihren Bann. Auch hier bewiesen die drei Mitstreiter wieder ihre instrumentelle Klasse (Caddell mit toller Rhythmus-, Fill- und auf den Punkt gebrachter Solo-Arbeit an der E-Gitarre, der ungemein agile Brady mit seinem pumpenden Bass – beide auch mit guten Harmoniegesängen – sowie der heftig polternde Pereira).

Und so schloss sich in einem erstklassigen Wechselbad der musikalischen Gefühle, mit Songs wie „Mobile Again“, „Shuffle“ (herrliches Slide-Solo von Caddell, Schatten-Box-Einlage von Sass am Ende), dem fulminanten „Pissin‘ Down“ (Jordan knurrt regelrecht zum Abschluss des Liedes), dem grandiosen „The Feeling’s Gone“ (Sass mit schrillem Cockerschem Urschrei), dem stampfenden „Ugly“, „Damaged“ und „High Road Easy“, der „Racine“-Kreis des Hauptteils mit dem allseits beliebten „Make You A Believer“, das den Saal in euphorische Sphären bewegte.

Die nicht lange auf sich warten lassenden Zugaben wurden mit einer unter die Haut gehenden Cover-Version vom einstigen Stevie Nicks-Debütwerk „Bella Donna“, „Stop Dragging My Heart Around“ (damals im Duett mit Tom Petty), bei dem Sass und Chris diesmal duettierten, und dem knackigen „So Hard“ zelebriert.

Ein Wahnsinns-Abend, der in allen Belangen überzeugte. Selbst Kollege Gernot, bei dem meine anfängliche Überzeugungsarbeit gefruchtet hatte, war richtig ‚von den Socken‘. Ich bin mir relativ sicher, gestern mit Sass Jordan & Band, das vermutliche Konzert-Highlight des Jahres 2017 erlebt zu haben. Einfach wunderbar!

Danke an Birgit Bräckle von Brooke-Lynn Promotion und SJ-Tour-Manager Wouter Bakker für die verlässliche und spontane Unterstützung.

Line-up Chris Caddell And The Wreckage:
Chris Caddell (lead vocals, electric guitar)
Derrick Brady (bass, vocals)
Cassius Pereira (drums)

Line-up Sass Jordan:
Sass Jordan (lead vocals)
Chris Caddell (electric guitar, vocals)
Derrick Brady (bass, vocals)
Cassius Pereira (drums)

Bilder: Gernot Mangold
Text: Daniel Daus

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Luxor Live, Arnheim

Sass Jordan – Racine Revisited – CD-Review

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Review: Michael Segets

Als mir Daniel einen Review zu der Wiederveröffentlichung von Sass Jordans „Racine“ mit den Worten anbot: „Das könnte genau dein Ding sein!“, war ich zunächst skeptisch. Ein 25 Jahre altes Album von einer Künstlerin, deren Name mir völlig unbekannt war, soll meine bevorzugte Musik, also Rock mit Ecken und Kanten, der dennoch melodisch bleibt, über gute Refrains verfügt und ausdrucksstark gesungen wird, bieten? Genau das tut jedoch Sass Jordans Scheibe „Racine Revisited“.

Die Kanadierin ist jenseits des Atlantik kein unbeschriebenes Blatt. Nach ihrem Debütalbum „Tell Somebody“ aus dem Jahr 1988 feierte sie in den 1990ern einige Erfolge. Vor allem „Racine“ sticht dabei heraus. Das Album stieg in den USA bis auf den zweiten Platz der Billboard Charts. Sass Jordan tourte mit Aerosmith und der Jeff Healey Band, steuerte mit Joe Cocker einen Song zum Soundtrack von „Bodyguard“ bei und schrieb Songs für Mariah Carey. Bislang veröffentlichte sie sieben Longplayer.

Bereits bei dem Auftakt „Make You A Believer“ wird deutlich, dass Sass Jordans gewaltige Stimme den Vergleich mit anderen weiblichen Rockgrößen nicht zu scheuen braucht. Hier werden Assoziationen zu Janis Joplin wach, während sich beim folgenden „If You’re Gonna Love Me“ welche zu Melissa Etheridge aufdrängen.

Nach dem fetzigen Einstieg überzeugt Sass Jordan auch bei dem langsameren Stück „You Don’t Have To Remind Me“ mit ihrer kraftvollen Stimme, die vor allem im Refrain eine hohe Intensität entwickelt. „Who Do You Think You Are“ rockt locker mit einem eingängigen Refrain drauflos. Diesen weist auch das Midtempo-Stück “Windin´ Me Up” auf. Dereck Sharp und Chris Caddell setzen bei dem Song – wie auch bei mehreren anderen – mit ihrer Gitarrenarbeit gelungene Akzente. Rudy Sarzo am Bass und Brent Fitz am Schlagzeug vervollständigen die Band, mit der Sass Jordan das Album jetzt neu einspielte.

Bei „I Want To Believe“ gönnt Sass Jordan der Band eine Verschnaufpause. Ihr gefühlvoller Gesang und das filigrane Gitarrenspiel prägen die akustisch gehaltene Ballade. Mit „Cry Baby“ findet sich eine weitere Rockballade auf der CD, bei der aber, anders als bei der vorherigen, eine kreischende E-Gitarre zum Einsatz kommt und dabei einen Spannungsbogen rund um den herausgeschrienen Refrain aufbaut.

„Goin‘ Back Again“, „Do What Ya Want“, bei dem sich auch Southern-Elemente finden, und „Where There’s A Will“ sind tolle Nummern, die alles haben, was meiner Ansicht nach gute Rocksongs ausmacht. Im letzten Stück „Time Flies“ wird das Tempo noch weiter erhöht und steuert nach einem kurzen Break auf ein fulminantes Finale zu.

Gelungene Rockmusik ist zeitlos, wie „Racine“ schon immer bewies. Die modifizierte Wiederveröffentlichung dieses hierzulande weniger bekannten Werks als Update ist daher eine gute Idee. Das „Revisited“ im Titel bezieht sich somit auf eine doch recht nah am Original gehaltene Neueinspielung mit von Sass dafür eigens dafür auserwählten Musikern.

Diejenigen, die Sass Jordan früher als ich entdeckt und bereits „Racine“ im Regal haben, werden damit zu tun haben, die Unterschiede herauszuarbeiten, allen anderen sei dieses Album – in welcher Fassung auch immer – eh ans Herz gelegt.

True North Records (2017)
Stil: Rock

01. Make You A Believer
02. If You’re Gonna Love Me
03. You Don’t Have To Remind Me
04. Who Do You Think You Are
05. Windin‘ Me Up
06. I Want To Believe
07. Goin‘ Back Again
08. Do What You Want
09. Cry Baby
10. Where There’s a Will
11. Time Flies

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