Melissa Carper – Ramblin‘ Soul – CD-Review

Hätte ich ohne Vorabinformationen tippen müssen, aus welchem Jahrzehnt „Ramblin‘ Soul“ stammt, läge ich mindestens sechzig Jahre daneben. Klingt beispielsweise Charley Crockett mit seinem New Traditional Country und seinen Bluesinterpretationen schon Old School, dann toppt Melissa Carper dies bei weitem. Die totale Rückwärtsgewandtheit und die Weigerung irgendwelche Modernismen zu integrieren, beweist Mut und Konsequenz.

Aufgewachsen mit der Musik von Hank Williams, Patsy Cline, Loretta Lynn, Ray Charles, Elvis Presley und Jimmie Rodgers, setzte sich Carper später mit den Werken von Billie Holiday, Ella Fitzgerald, Frank Sinatra, Nat King Cole oder auch Lead Belly auseinander. Entsprechend vielfältig sind die musikalischen Stile, die auf „Ramblin‘ Soul“ mitlaufen: Blues, Soul, Jazz und Swing. Demgegenüber spielt beispielsweise der Country eine untergeordnete Rolle. Das Artwork des Covers führt daher leicht in die Irre.

Die Stücke am Anfang des Longplayers sind tendenziell stärker als die folgenden. Diese Einschätzung kann aber auch damit zusammenhängen, dass sich bei mir leichte Ermüdungserscheinungen beim Durchhören einstellen. Das Album erscheint insofern zwar homogen, dass die Songs durchweg sorgfältig arrangiert und durchaus rund sind, aber Titel, die Aufhorchen lassen, sind eher rar gesät.

Dabei sprechen mich die Uptempo-Nummern stärker an als die langsameren. „Ramblin‘ Soul“, „Zen Buddha“ und „1980 Dodge Van“ gehören daher zu meinen Favoriten. Den meiner Ansicht nach besten Song stellt „I Do What I WANNA“ dar, der vom frühen Rock’n Roll inspiriert ist. Der Western-Swing „Texas, Texas, Texas“ zählt ebenso wie das lockere „Boxers On Backwards“ zu den schnelleren Beiträgen.

Die Balladen sind oft von Doo Wop, Slide, Geige geprägt, die einen etwas süßlich schmachtenden Eindruck hinterlassen. In den Toleranzbereich fallen noch „Ain’t A Day Goes By“ und „Hit Or Miss“. „Hanging On To You” hat einen sanften Soul-Einschlag, den man mitgehen kann. Die vom Jazz beeinflussten „Holding All The Cards“ und „From What I Recall“ liegen hingegen nicht auf meiner Linie.

Wenn hier etwas kritischere Töne angeschlagen wurden, dann täuschen diese darüber hinweg, dass die Platte durchaus einen Retro-Charme versprüht und ein schlüssiges Konzept verfolgt. Auch wenn nicht alle Tracks fesseln, so sind doch einige dabei, die in ihrer quasi antiken Machart erfrischend sind.

Melissa Carper bringt mit „Ramblin’ Soul” ein für heutige Tage ungewöhnliches Album heraus, das sich an Nostalgiker richtet. Gute Musik ist zeitlos und manche Songs auf dem Werk hören sich nach alten Klassikern an. Auf Dauer fehlen dem Longplayer aber überraschende Impulse, obwohl Carper Elemente unterschiedlicher Stile, von Blues, Soul, Swing und Jazz aufnimmt.

Mae Music – Thirty Tigers (2022)
Stil: Blues and more

Tracks:
01. Ramblin’ Soul
02. Zen Buddha
03. Ain’t A Day Goes By
04. 1980 Dodge Van
05. Texas, Texas, Texas
06. That’s My Only Regret
07. Boxers On Backwards
08. I Do What I WANNA
09. Hit Or Miss
10. I Don’t Need To Cry
11. Holding All The Cards
12. From What I Recall
13. Hanging On To You

Melissa Carper
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Thirty Tigers
Oktober Promotion

John Hiatt With The Jerry Douglas Band – Leftover Feelings – CD-Review

cover John Hiatt with The Jerry Douglas Band - Leftover Feelings 300

Review: Michael Segets

Als ich las, dass „Leftover Feelings“ von John Hiatt with The Jerry Douglas Band ohne Schlagzeug eingespielt wurde, war mir zum einen klar, keine Rockplatte erwarten zu dürfen, zum anderen stand zu befürchteten, dass Hiatt nun einen Ausflug in Bluegrass-Gefilde unternimmt wie seinerzeit Steve Earle mit der Del McCoury Band. Schon nach dem ersten Reinhören folgte die Entwarnung. John Hiatt legt mit seiner neuen Begleitband ein hörenswertes und abwechslungsreiches Americana-Album vor, bei dem das Fehlen des Schlagzeugs kaum auffällt.

Tatsächlich rockt der Opener „Long Black Electric Cadillac” entgegen den Erwartungen in klassischer Manier und kann als Verneigung vor Elvis Presley gedeutet werden. Ebenfalls traditionell gehalten ist die sanfte Ballade „The Music Is Hot”. Durch Lap Steel und Streicher bekommt sie einen leicht süßlichen Country-Einschlag, den auch „I‘m In Asheville” aufweist. Bei „Mississippi Phone Booth” und „Buddy Boy“ schlägt die Nadel eher in Richtung Blues aus. Mit „All The Lilacs In Ohio” schleicht sich dann doch Bluegrass, die Domäne von Jerry Douglas, auf die Scheibe. Wenn ich mich anfangs despektierlich über diese Musikrichtung geäußert habe, muss ich in diesem Fall das Urteil revidieren. Der flotte Track zählt zu meinen Favoriten auf dem Album und wurde vorab mit Video veröffentlicht. Versteht man Americana als Verschmelzung unterschiedlicher musikalischer Richtungen der Roots-Musik, dann liefert Hiatt dafür ein prototypisches Album, das Blues, Rock und Bluegrass zu einer Einheit verbindet.

Das ruhige, semiakustische „Light Of The Burning Sun” verdeutlicht Hiatts Fähigkeiten als Songwriter, die er seit seinem ersten Album aus dem Jahr 1974 immer wieder unter Beweis stellte. Im Text greift er den Selbstmord seines Bruders auf. Auch sonst sind die Lyrics retroperspektiv angelegt. Ein gewisses Maß an Nostalgie schwingt bei einigen Songs mit, wobei Hiatt überbordende Sentimentalitäten umschifft. Neben weiteren Balladen wie „Sweet Dream“ und „Changes In My Mind”, die die abendliche Atmosphäre südlicher Gefilde einfangen, finden sich durchaus Songs mit einem akzentuierten, groovenden Rhythmus. „Little Goodnight“ und das schnelle „Keen Rambler“ zählen zu dieser Kategorie.

Während Hiatt mit seiner markanten Stimme Akzente setzt, konzentriert sich Douglas, der bislang auf 1.500 Alben – so bei Ray Charles und James Taylor – zu hören ist, auf das Zupfen von Dobro und Lap Steel. Die beiden Nachbarn wohnen außerhalb von Nashville und holten sich Daniel Kimbro (Bass), Mike Seal (Gitarre), Christian Sedelmyer (Geige) und Carmella Ramsey (Background Vocals) mit ins RCA Studio B, um den Longplayer einzuspielen.

Hiatt feiert im nächsten Jahr seinen siebzigsten Geburtstag. Da verwundert es nicht, dass er auf „Leftover Feelings“ selbstreflexive Reminiszenzen versammelt. Insgesamt ist die Scheibe eine runde Sache, die trotz seiner thematischen Rückwärtsgewandtheit Lust auf die zukünftigen Werke von John Hiatt – gerne auch mit Unterstützung von der Jerry Douglas Band – macht.

New West Recordings/PIAS-Rough Trade (2021)
Stil: Americana

Tracks:
01. Long Black Electric Cadillac
02. Mississippi Phone Booth
03. The Music Is Hot
04. All The Lilacs In Ohio
05. I’m In Asheville
06. Light Of The Burning Sun
07. Little Goodnight
08. Buddy Boy
09. Changes In My Mind
10. Keen Rambler
11. Sweet Dream

John Hiatt
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New West Records
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