
Review: Michael Segets
Ende der 1980er wurde ich auf das Debüt von James McMurtry aufmerksam, das der von mir verehrte John Mellencamp produzierte. Die beiden folgenden Alben von McMurtry finden sich ebenfalls in meinem Regal. Um die Jahrtausendwende tut sich dann eine Lücke in meiner Sammlung seiner Werke auf. Erst seit „Just Us Kids“ (2008) verfolge ich seine Veröffentlichungen wieder. Mit seinem überragenden „The Horses And The Hounds” (2021) reifte der Entschluss, McMurtrys Diskographie zu vervollständigen. Bevor ich diesen Vorsatz umgesetzt habe, liegt ein neuer Longplayer des Texaners vor.
Die hohen Erwartungen, die das vorangegangene Werk schürten, erfüllt „The Black Dogs And The Wandering Boy“, auch wenn es nicht ganz an es heranreicht. McMurtry verfolgt weiterhin seine typische Mischung zwischen Americana und Roots Rock, die er mit der Unterstützung zahlreicher Gastmusiker*innen, darunter Sarah Jarosz, Bonnie Whitmore, Charlie Sexton und Bukka Allen, umsetzt. Don Dixon produzierte vor dreißig Jahren bereits „Where‘d You Hide The Body“ und übernahm die Aufgabe nun auch bei dem aktuellen Album.
Zwei Cover rahmen den Longplayer. „Laredo (Small Dark Something)“ von Jon Dee Graham (The Resentments) steht am Anfang, „Broken Freedom Song” von Kris Kristofferson am Ende. Dazwischen finden sich acht Eigenkompositionen von McMurtry. Unter diesen packen mich „South Texas Lawman“, „Pinocchio In Vegas“ sowie „Sons Of The Second Sons“ am meisten. Beim letztgenannten Track äußert McMurtry eine bissige Kritik am ideologischen Zustand der Vereinigten Staaten. Auch in anderen Texten greift er soziale und politische Verhältnisse mit scharfem Blick auf. So ist „Annie“ eine Reflexion des Anschlags auf das World Trade Center und des Umgangs mit ihm.
Neben den gesellschaftlichen Beobachtungen dient McMurtrys Familiengeschichte als Inspirationsquelle. Er greift Episoden und Gegebenheiten auf, die er bei seinem Storytelling in einen neuen Kontext setzt. James wuchs in einem kreativen Umfeld auf. Sein Vater Larry war Schriftsteller und Ken Kesey, der die Vorlage für „Einer flog über das Kuckucksnest“ verfasste, war ein Freund der Familie. Eine wieder aufgetauchte Bleistiftskizze von Kesey, die wohl den jungen James zeigt, wurde für das Cover verarbeitet. Der ungewöhnliche und etwas sperrige Titel des Albums geht auf eine wiederkehrende Halluzinationen von Larry McMurtry zurück, der vor seinem Tod an Demenz erkrankt war. In dem gleichnamigen Song liefert Tim Holt ein prägnantes Gitarrensolo.
McMurtry zitiert im Titeltrack eine Zeile von Weird Al Yankovic und greift für „South Texas Lawman“ auf ein Gedicht von T. D. Hobart zurück. Neben den literarischen Verweisen verarbeitet er auch aktuellere persönliche Erlebnisse. Jason Isbell , engagierte McMurtry als Support für eine Tour. Dieser Umstand wird auf „Sailing Away“ aufgegriffen und Isbell in den Lyrics ausdrücklich genannt.
James McMurtry hält mit seinem charakteristischen Folkrock den hohen Standard, den er mit „The Horses And The Hounds“ erreicht hat. Auch wenn der Vorgänger eine Nuance die Nase vorn hat, qualifiziert sich das von persönlichen Familiengeschichten geprägte „The Black Dogs And The Wandering Boy” mit seinen gesellschaftspolitischen Facetten für die Bestenliste des Jahres.
New West Records – Redeye/Bertus (2025)
Stil: Americana/Roots Rock
Tracks:
01. Laredo (Small Dark Something)
02. South Texas Lawman
03. The Color Of Night
04. Pinocchio In Vegas
05. Annie
06. The Black Dog And The Wandering Boy
07. Back To Coeur D’Alene
08. Sons Of The Second Sons
09. Sailing Away
10. Broken Freedom Song
James McMurtry
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