Hayes Carll – We’re Only Human – CD-Review

Review: Michael Segets

Während Hayes Carll seine letzten Alben Schlag auf Schlag veröffentlichte, gingen vier Jahre ins Land, bis er nun den Nachfolger zu dem von der Kritik hoch gelobten „You Get It All“ (2021) nachschiebt. Das Warten hat sich jedenfalls gelohnt. Carll liefert auf „We’re Only Human“ wieder formidable Singer/Songwriter-Kost ab. Seinen scharfzüngigen Sarkasmus hat Carll nicht verloren. Dabei vermeidet er den erhobenen Zeigefinger, nimmt aber die menschlichen – und damit auch die eigenen – Schwächen aufs Korn. Dabei behält der Texaner den lebensbejahenden Tenor, der bereits seine früheren Alben durchzieht, weiterhin bei.

So zeichnet Carll beim Titelsong ein durchaus tiefsinniges Bild vom Menschen in einem Leben zwischen Angst und Hoffnung. Während hier die Klavierbegleitung bemerkenswert ist, steht bei „Progress Of Man (Bitcoin & Cattle)“ die Geige und das Fingerpicking im Vordergrund. Das Stück fängt als Bluesgrass-Nummer an, weicht dann jedoch mit Schlagzeug- und Klaviereinsatz von der klassischen Instrumentierung ab. Der bissige Humor des Textes wird im Lyric-Video durch die Bilder noch verstärkt. Es ich anzusehen, sind gut investierte vier Minuten.

Rockigere Töne, wie auf dem vorherigen Album vereinzelt zu finden, schlägt Carll diesmal nicht an. Der Schwerpunkt des Longplayers liegt auf langsamen Beiträgen. Dabei gelingen ihm eingängige Stücke („Stay Here Awhile“), die er manchmal mit viel Slide unterlegt („One Day“, „Making Amends“), die dann in Richtung Country weisen. Mit dem definitiv im Country zu verortenden „What I Will Be“ zieht das Tempo etwas an. Den Track schrieb Carll zusammen mit den Brothers Osborne. Er führt so eine bewährte Kollaboration fort.

Bei „I Got Away With It“ besticht der Einsatz der elektrischen Gitarre, der dem Song eine gewisse Dynamik mitgibt. Das schwächere „High” steigt mit einem einzelnen Horn ein, plätschert danach aber vor sich hin. Insgesamt bieten die balladesken Tracks trotz ihrer ähnlichen Ausrichtung eine gewisse Varianz hinsichtlich der Instrumentalisierung. Einen Big Band-Sound hat der ausgelassene Swing „Good People (Thank Me)“. Mit ihm hält das Album nochmal einen überraschenden Beitrag parat.

Carll setzt seinem Werk mit dem abschließenden „May I Never“ das Sahnehäubchen auf. Der stimmungsvolle Song zwischen Folk und Gospel lässt Parallelen zu Pete Seeger zu. Carll lud befreundete Musiker*innen ein, jeweils einen Vers zu singen: Ray Wylie Hubbard, Shovels & Rope, Darrell Scott, Nicole Atkins, Gordy Quist und Ed Jurdi (The Band Of Heathens).

Auf Hayes Carlls Alben finden sich stets einige Songperlen. „We’re Only Human“ bildet da keine Ausnahme. Intelligente Texte, die oftmals zum Schmunzeln einladen, zeichnen Carll aus. Musikalisch bedient er sich traditioneller Muster des Singer/Songwriter-Genres, bleibt aber nicht in diesen stecken, sondern führt sie souverän fort. Der neue Longplayer reiht sich so in die Linie seiner Veröffentlichungen ein und Carll erweist sich erneut als verlässliche Größe der Szene.

HWY 87 Records – Thirty Tigers/Membran (2025)
Stil: Americana

Tracks:
01. We’re Only Human
02. Stay Here Awhile
03. Progress Of Man (Bitcoin & Cattle)
04. High
05. One Day
06. What I Will Be
07. Good People (Thank Me)
08. I Got Away With It
09. Making Amends
10. May I Never

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The Mavericks – Moon & Stars – CD-Review

Review: Michael Segets

„The Years Will Not Be Kind“ lautet der Titel des Openers von „Moon & Stars“. Die Jahre gehen nicht spurlos vorbei, auch nicht an den Mavericks. Vielleicht kann man noch hinzufügen, dass früher vieles besser war. Bei dem Urteil mag die Vergangenheit verzerrt sein oder die Wahrnehmungen sich verändert haben, bezogen auf das neue Album der Mavericks lässt sich aber konstatieren, dass man sich in die alten Zeiten zurückwünscht. Positiv formuliert könnte man natürlich auch sagen, dass sich die Band musikalisch weiterentwickelt hat.

In den 1990ern heimsten The Mavericks einen Grammy sowie zahlreiche weitere Preise ein und waren eine feste Größe in den Country-Charts. Auch nach der Reunion in den 2010ern verbuchte die Band einige Erfolge. In den letzten fünf Jahren brachte sie das Cover-Album „Play The Hits“ sowie „En Español“ mit durchgängig spanischen Texten heraus. Daran schließt sich nun „Moon & Stars“ an, auf dem weiterhin Latino-Sounds dominieren, allerdings mit englischen Lyrics. Auf dem Longplayer sind elf Eigenkompositionen vertreten, die häufig unter Mitwirkung weiterer Songwriter wie Bernie Taupin, Sam Hollander und Wally Wilson entstanden.

Mehrere Beiträge wie beispielsweise der voraus herausgegebene Titeltrack, bei dem Sierra Ferrell mitsingt, wirken ziemlich schwülstig. Vor allem Raul Malos kräftiger, tiefer Gesang bringt oft melodramatische Züge in die Songs, die mit leichten karibischen Rhythmen aufwarten. Dieser Eindruck gipfelt dann in den letzten Tracks, die einen zirzensischen Einschlag („The Name Of The Game“, „Turn The World Around“) mitbekommen.

Zuvor finden sich einzelne Songs, die ein Reinhören lohnen. Die Single „Live Closer By (Visit Often)“ ist der stärkste Beitrag des Albums. Mit Duett-Partnerin Nicole Atkins liefert Malo eine schmissige, soulige Nummer ab. Das Stück wurde von Malo und der verstorbenen K. T. Oslin geschrieben, die es auf ihrem gleichnamigen Album (2001) bereits veröffentlichte. „Here You Come Again“ weist ebenfalls in Richtung Soul. „Overnight Success“ stellt hingegen eine lockere Tex-Mex-Nummer dar, die an die frühen Los Lobos erinnert. Diese Verbindung lässt sich auch bei dem langsameren „A Guitar And A Bottle Of Wine“ herstellen, das weniger überladen erscheint als manch anderer Track.

The Mavericks verfolgen auf „Moon & Stars“ eine Spielart des Tejano, die mehr dem Latino folgt als dem Country. Wenn man nach mehreren Cocktails an einem karibischen Strand die Abendstimmung genießt, mögen die Songs durchaus passen. Im verregneten Deutschland greift man wohl doch eher auf die älteren Werke der Band zurück.

Mono Mundo Recordings – Thirty Tigers/Membran (2024)
Stil: Tejano

Tracks:
01. The Years Will Not Be Kind
02. Live Close By (Visit Often)
03. Moon & Stars
04. Look Around You
05. And We Dance
06. Without A Word
07. Overnight Success
08. Here You Come Again
09. A Guitar And A Bottle Of Wine
10. The Name Of The Game
11. Turn Yourself Around

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