Gary Allan – Ruthless – CD-Review

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Ups, habe ich irgendetwas in Sachen Gary Allan in der Zwischenzeit verpasst, dachte ich spontan, als ich vom Erscheinen seiner neuen CD „Ruthless“ Kenntnis genommen hatte. Es ist eine gefühlte Ewigkeit her, dass ich seine letzte Scheibe reviewt hatte. Und tatsächlich ist seit seinem Nr. 1-Album „Set You Free“ nichts Großartiges passiert, zu dieser Zeit vor acht Jahren existierte dieses Magazin noch gar nicht.

Der einst von einer kalifornischen Ranch aus nach Nashville aufgebrochene Musiker hält sich seit 1996 fortwährend mit seinen Werken, die es alle in die oberen Regionen schafften (seit 1999 dann immer unter den Top-10), in Major-Status-Gefilden, hat es aber trotz der konstanten und guten Leistungen irgendwo nie in die ganz großen Star-Gefilde der Marke Tim McGrawBlake Shelton & Co. geschafft.

Als ‚a maverick in the mainstream‘ hat ihn ein US-Magazin, wie ich finde, ganz treffend charakterisiert. Allan hat sich ja zunächst aus der traditionelleren Bakersfield-Schule à la Buck Owens und Merle Haggard, peu à peu zu einem moderneren New Country-Interpreten entwickelt, aber seine ‚Roots‘ eigentlich dabei nicht ganz aus den Augen verloren. Vielleicht hat auch der Selbstmord seiner dritten Ehefrau 2004 eine Rolle gespielt, dass er immer eine gewisse Ernsthaftigkeit behalten hat.

Sei neuer Longplayer „Ruthless“, der zehnte insgesamt, nach einer Pause also von acht Jahren, zeigt Gary wieder in Bestform. Zusammen mit einer ganzen Riege von Produzenten an seiner Seite , die ihn während seiner Karriere begleitet hatten, (Gary Allan – Tracks 3, 5-7, 12, 13; Tony Brown – Tracks 1, 2, 4, 8-10; Greg Droman Tracks 3, 5-7, 12, 13; Jay Joyce – Track 11; Mark Wright – Tracks 1, 2, 4, 8-10), tollen Musikern und Songwritern (er selbst hat nur das wunderbar emotionale „Pretty Damn Close“ mit geschrieben) ist es ihm wieder gelungen, genau das passende Liedgut für sich auszuwählen.

Vieles erinnert an den Stoff, der dem New Country in den Neunziger Jahren zu seiner Popularität verholfen hat, aber in diesem Fall mit der typischen Allan-Euphoriebremse. Nach den beiden fluffigen eingängigen, aber etwas beliebigen Openern „Temptation“ und „Waste Of A Whiskey Drink“, reicht sich eigentlich ein toller Song dem nächsten die Klinke in die Hand.

Herrlich die beiden stark gespielte E-Gitarren-Soli in „Till It Felt Like You“, das obligatorische surrende Slidespiel zu „Slide“, die immer wieder zu den Titeln stimmungsvollen Instrumentierungen, die im bluesigen Titelschwofer „Ruthless“ (mit dezent souligen Bläsersätzen) ihren Höhepunkt finden. Auch das an Erich Church erinnernde „Unfiltered“ (wenn wundert es, dass hier Jay Joyce mit an den Strippen gezogen hat…) ist ein Ohrwurm par exellence.

Richtig klasse, allerdings ein wenig auch wie ein Fremdkörper im Gesamtkontext wirkend, ist das von Jesse Winchester geschriebene „Little Glass Of Wine“. Das mit Violine, Piano, Jazz-Gitarre, weinender Steel und dezentem Harmoniegesang sowohl kammermusikartig als auch Chanson-artig in Szene gesetzte Kleinod, hätte meiner Ansicht nach besser zu Musikern der Ära Frank Sinatra, Dean Martin und Konsorten gepasst.

Bevor man jedoch schlummernd mit dem schweren Roten im Sessel ins Reich der Träume einkehrt, holt einen der zünftige Heartland-Rocker „The Hard Way“ im Stile von John Mellencamp, Will Hoge & Co. wieder auf den harten Boden der Tatsachen zurück. Ein klasse Abschluss.

Mit „Ruthless“ bleibt sich Gary Allan schonungslos seinem gefundenen Stil treu. Klasse Musik, die ihren Erfolg mit sich bringt, ihn aber wie gewohnt aus dem ganz großen Glitzerlicht raushalten wird. Ganz sicher eines der besten New Country-Alben des Jahres, tolles Comeback des Eigenbrötlers!

MCA Nashville (2021)
Stil:  New Country

01. Temptation
02. Waste Of A Whiskey Drink
03. Till It Felt Like You
04. Slide
05. Pretty Damn Close
06. High As I’ve Ever Been
07. What I Can’t Talk About
08. SEX
09. Trouble Knows Trouble
10. Ruthless
11. Unfiltered
12. Little Glass Of Wine
13. The Hard Way

Gary Allan
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Gary Allan – Set You Free – CD-Review

Der Mann aus Southern California mit einem neuen, hervorragenden Album. Lange haben wir ihn nicht mehr so gut gehört. Gary Allen gab sein Debüt bereits 1996 und zählt mit seinem 9. Studioalbum bereits zum Inventar der Szene. Trotz wirklich beachtlicher Erfolge (immerhin drei Nr.1-Hits), fortwährend exzellenter Alben und stetiger Major-Präsenz (Allan ist quasi seit Beginn bei MCA unter Vertrag) schaffte er es nie ganz, in den Kreis der ganz großen Superstars wie Tim McGraw, Kenny Chesney oder Keith Urban & Co. vorzustoßen.

Seine Vorliebe für traditionellen „Bakersfield-derived Country“ und auch seine etwas nach innen gekehrte Art (dafür liegt allerdings auch ein triftiger Grund vor. Seine von Depressionen geplagte Frau hatte 2004 Selbstmord begangen) standen ihm für den ganz großen Durchbruch immer ein wenig im Weg. Das könnte sich allerdings mit seinem neuen Album „Set You Free“ gravierend ändern. Ein tolles, modernes New Country-Werk mit vielen starken, sehr abwechslungsreichen Songs, klasse produziert und natürlich von exzellenten Musikern eingespielt.

Gary selbst hat fünf der Tracks mitkomponiert, sieben co-produziert, zum einen mit Greg Droman, der auch für das Vorgängerwerk „Get Off On The Pain“ verantwortlich war, zum anderen mit Freund und Langzeitweggefährten Mark Wright. Den Rest übernahm Jay Joce, der schon Interpreten wie Eric Church und Little Big Town betreut hat. Zum ersten Mal spielt er auf einem seiner Longplayer Akustik- und E-Gitarre. Auch wenn sein neues Werk wieder voller Zitate steckt, die an seine verstorbene Frau erinnern, so ist diesmal aber eine deutlich positive Tendenz erkennbar. Es scheint, dass Allan den Verlust weitestgehend verarbeitet hat – eine Art spürbare Aufbruchsstimmung durchzieht dieses hervorragende Album.

Dazu legte er mit der herrlich flockigen Single „Every Storm (Runs Out Of Rain)“ (klasse Harmoniegesänge von Rachel Proctor) und einer derzeitigen Top-5-Platzierung (Tendenz steigend) einen Traumstart hin. Und die CD beinhaltet noch jede Menge weiterer Stücke, die entsprechendes Potential aufweisen, womit auch der komplette Silberling gute Chancen auf großen Chart-Erfolg haben sollte. Ganz stark direkt der von knackigen E-Gitarren getragene Opener „Tough Goodbye“, der mit seiner starken Melodie sofort richtig Laune macht.

Auch ein absoluter Hitkandidat. Gleiches gilt für die beiden kitschfreien Powerballaden (mit den typisch kräftigen Refrains) „You Without Me“ (Richtung Jason Aldean) und „One More Time“ (das Lied erinnert dezent an Diamond Rios gleichnamiges Stück), sowie das wieder von markanter Gitarrenarbeit getragene, rhythmische „Pieces“ (schön rockiger Refrain). Aber es gibt auch jede Menge unkonventionelle Tracks, die einiges an Überraschungen aufweisen. „Bones“ beispielsweise erweist sich als knochentrockener, fetter Southern Rocker, der auch Van Zant gut zu Gesicht stünde (Gary singt im Stile von Donnie Van Zant, klasse Bluesharp von Matt Warren, der auch stark beim Songwriting involviert war).

Die teilweise etwas düstere „Crying in My Beer“-Ballade „It Ain’t The Whiskey“ (mit weinender Steel im Refrain – Parallelen in den Strophen und im Aufbau zu Bleu Edmondsons „The Band Plays On“) fesselt sehr und das mit dem deutlichen Stempel der Warren Brothers (beide haben das Stück mit Blair Daly komponiert) versehene „Sand In My Soul“ ist im Refrain gar mit einer dezenten „Hotel California“ Westcoast-Note behaftet. Das sehr relaxte „Hungover Heart“ steckt voller Southern Soul – sehr stark hier die typischen E-Gutarren-Fills.

Die beiden außergewöhnlichsten Songs sind „No Worries“ und „Drop“. Erstgenanntes ist eine launige Mischung aus Country und Reggae (Marke Jimmy Buffet, Kenny Chesney – mit den obligatorischen Steel Drums), bei dem sofort der nächste Karibik-Urlaub am geistigen Auge vorbeifliegt (Blake Sheltons „Some Beach“ schlägt in eine ähnliche Kerbe), letztgenanntes Lied verbeugt sich vor Sachen wie Tennessee Ernie Fords „16 Tons“ oder Randy Newmans „Leave Your Hat On“ (bekannt durch Joe Cocker). sehr cool und leicht jazzig swingend von Nashvilles Parademusikern in Szene gesetzt. Den Ausklang bildet das überaus angenehme, mit Streicherbegleitung atmosphärisch aufgewertete „Good As New“ (toll das raue Cello, dazu wieder herrliche Gitarrenarbeit).

Gary Allan hat mit „Set You Free“ schon ganz früh im Jahr ein heftiges Ausrufezeichen in Music City gesetzt. Es klingt frischer und knackiger als je zuvor. Das gesamte Songmaterial ist „erste Sahne“ und sehr kurzweilig. Dazu auch gesanglich eine Top Leistung von ihm. Selbst die unterschiedlichen Produzenten erweisen sich hier als außerordentlicher Glücksfall. So ist „Set You Free“ noch viel mehr als ein echter persönlicher Befreiungsschlag. Hut ab für diese überragende Leistung, Mr. Allan!

MCA Nashville (2013)
Stil:  New Country

01. Tough Goodbye
02. Every Storm (Runs Out Of Rain)
03. Bones
04. It Ain’t The Whiskey
05. Sand In My Soul
06. You Without Me
07. One More Time
08. Hungover Heart
09. No Worries
10. Drop
11. Pieces
12. Good As New

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