Auch ich muss es zugeben. Das große Kribbeln im Bauch bei einer Album-Neuveröffentlichung von Lynyrd Skynyrd, in diesem Fall bei „God & Guns“, wie es früher immer üblich war, ist schon lange nicht mehr da. Das hat in erster Linie gar nicht mal mit den Leistungen der Band zu tun. Der Hauptgrund liegt, was meine Person betrifft, sicher in der extremen Reizüberflutung, der man heutzutage als Musik-Redakteur ausgesetzt ist, in Sachen Skynyrd speziell an dem immensen Grad an Identifikationsverlust, den die hohe, bandinterne Sterblichkeitsrate nun mal zwangsweise mit sich brachte.
Mit dem Ableben von Hughie Thomasson und Billy Powell sind zwei weitere Pfeiler und Sympathieträger des Fundaments der einstigen Rockmusik-Institution, mit der ich groß geworden bin (Ean Evans möge mir bitte verzeihen, dass er von mir bereits als einer der beliebig austauschbaren Musiker eingestuft wird) gewichen, das verbliebene Trio Van Zant, Rossington, Medlocke, versprüht längst nicht mehr die Aura des einstigen Kollektivs. Die Alben der posthumen Ronnie Van Zant-Ära fand ich eigentlich im Großen und Ganzen, mit leichten Schwankungen nach oben („Twenty“, „Edge Of Forever“) oder unten (Vicious Cycle) immer recht gut, es gibt ohne Zweifel zahlreiche, tolle Stücke auch mit Johnny Van Zant-Beteiligung.
Ihren großen Kredit hat die Truppe eigentlich mit ihren Konzerten bei mir verspielt. Statt sich zu einer eigenen Identität zu bekennen und schwerpunktmäßig das eigens erarbeitete Material zu präsentieren, wurde bis zum heutigen Tage immer wieder das übliche „Greatest Hits“-Programm runtergedudelt. Was Anfang der neunziger Jahre vielleicht noch ok war, ist für den mündigen Skynyrd-Freund, Ronnie Van Zant-Kult hin oder her, einfach nur noch nervig. Das Weltbild, was die Band in ihren Texten zum Teil dank seines jüngsten Bruders verkörpert, kommt mittlerweile erschwerend hinzu (schlimme Beispiele sind leider auch wieder auf diesem Werk zu beklagen).
Aber egal, kommen wir zu dem, wofür wir Lynyrd Skynyrd lieben gelernt haben, der Musik. Entgegen den entrüsteten und teilweise recht unsachlich erscheinenden Kritiken anderer Magazine, bin ich der Meinung, dass man bei „God & Guns“ den Ball etwas flacher halten sollte. Das Album bietet bis auf eine unsägliche Phase von drei aufeinander folgenden Stücken („Unwrite That Song“, „Floyd“, „That Ain’t My America“), die allerdings das Gesamtgefüge des Werkes sichtlich stören, eigentlich vom übrigen Rest her gute Southern Rock-Kost, mit jeder Menge schöner Melodien, guter instrumenteller Umsetzung (gewohnt starke, southern-typische E-Gitarrenarbeit) und eine von Bob Marlette (Ozzy Osbourne, Nickelback) modern ausgeführte Produktion.
Das bereits im Vorfeld im Net veröffentlichte rockige „Still Unbroken“, das swampige „A Little Thing Called You“, das melodische an „Sweet Home Alabama“ angelehnte „Southern Ways“, das großartige Van Zant-Medlocke-Duett „Skynyrd Nation“, die fetten Gitarrenpassagen bei „God & Guns“ (den Text bitte ignorieren, echt übel) und das vermutlich Billy Powell gewidmete „Gifted Hands“ (mit einem Hauch von „Free Bird“-Flair) machen richtig Spaß und lassen das Southern-Herz kurz wieder auf höheren Frequenzen schlagen. Ob die integrierten Strings in letztgenanntem Song in Zusammenarbeit mit dem Kölner Gürzenich-Orchester erarbeitet wurden (wir erinnern uns an unseren Artikel vom 1. April dieses Jahres…) gaben die Infos der Promo-CD leider nicht her…
Fazit. Das neue Album „God & Guns“ ist keinesfalls so schlecht, wie es bisher dargestellt worden ist. Wenn man den extremen personellen Aderlass der letzten Zeit berücksichtigt, ist den Skynyrd-Überbleibseln insgesamt ein akzeptables Werk gelungen, das eben auch den Wandel der Zeit repräsentiert. Wer die heutigen Skynyrd politisch als ewig Gestrige (zu Recht) abstempelt, sollte nicht in gleichem Zuge auch auf Gedeih und Verderb nach den guten alten Rockmusik-Zeiten schreien. Die sind nämlich seit fast drei Dekaden passé. Die Entwicklung einer den Bandstrukturen angepassten musikalischen Identität halte ich für richtig, solange das Niveau noch überwiegend in Ordnung ist. Die sollte dann allerdings auch live dementsprechend verkörpert werden. Bei „God & Guns“ stehen insgesamt drei kapitale Böcke neun ganz guten Songs gegenüber. Mit den genannten Abstrichen von daher ein durchaus empfehlenswerter Longplayer!
Roadrunner Records (2009)
Stil: Southern Rock
01. Still Unbroken
02. Simple Life
03. Little Thing Called You
04. Southern Ways
05. Skynyrd Nation
06. Unwrite That Song
07. Floyd
08. That Ain’t My America
09. Comin‘ Back For More
10. God & Guns
11. Storm
12. Gifted Hands