
Review: Michael Segets
Mary Chapin Carpenter legt dieses Jahr einen Doppelschlag hin. Der Veröffentlichung „Looking For The Thread“ zusammen mit Julie Fowlis und Karine Polwart folgt nun das Soloalbum „Personal History“. Der Longplayer wurde wie die vorangegangen in Peter Gabriels Real World Studios in Großbritannien aufgenommen und erneut von Josh Kaufmann (Bonny Light Horseman) produziert. Chapin Carpenter setzt also auf Kontinuität. Diese zeigt sie auch in musikalischer Hinsicht. „Personal History“ liefert Balladen, wie sie für die Songwriterin charakteristisch sind.Bereits der Titel des Werks lässt seine autobiographische Prägung vermuten. Nach Chapin Carpenter ist es in einem höheren Maße persönlich als ihre bisherigen. Mit ihren zahlreichen Erfolgen – unter anderem fünf Grammy Awards – kann sie sicherlich auf einige berufliche Höhepunkte zurückblicken. Abseits vom Showbiz thematisiert sie jedoch die Momente, die das Leben vieler Menschen prägen – Momente, die sie einfühlsam mit einer gewissen Zerbrechlichkeit und Wärme einfängt.
Man spricht ja nicht über das Alter von Damen, aber ich verrate kein Geheimnis, wenn ich feststelle, dass Chapin Carpenter – wäre sie Arbeitnehmerin in Deutschland – ihr Berufsleben hinter sich hätte. Auf alle Fälle bewegt sie sich in einer Phase, in der ein Rückblick auf das bisherige Leben nicht ungewöhnlich ist. Was bleibt? Was wäre gewesen, wenn …? Das sind Fragen, die sich Chapin Carpenter stellt. Auf „What Did You Miss“ formuliert die Songwirterin das zentrale Thema, mit dem sich die Stücke des Albums auseinandersetzen. Es ist eine Suche nach etwas, das sich schwer fassen lässt, das sich nur annäherungsweise beschreiben lässt und, wenn man meint, es zu haben, wieder flüchtig erscheint. Sinn und Glück werden von Chapin Carpenter an einzelnen Episoden oder Erlebnissen festgemacht. Und die Erinnerungen an diese machen eben die persönliche Geschichte aus.
So schwingt bei den Lyrics etwas Wehmut an vergangene Zeiten mit, gerade wenn manche Ziele und Träume sich nicht erfüllten. In Chapin Carpenters Rückschau spiegeln sich Gelassenheit und Milde, bei denen Resignation keinen Platz findet. So gehören Enttäuschungen und Gedanken an verpasste Gelegenheiten („The Night We Never Met“) zwar zum Leben, zentral ist aber, wie man mit diesen umgeht. Die Prioritätensetzung verschiebt sich im Laufe der Zeit, die Selbstdefinition bleibt jedoch in jedem Alter eine Herausforderung. Ein Motiv, das sich durch mehrere Songs zieht, ist dabei das Spannungsfeld zwischen Alleinsein und Einsamkeit („Hello, My Name Is“). Im Alter genießt man einfache Dinge („Girl And Her Dog“) und baut eine gewisse Distanz zu den Erwartungen auf, die man mit fünfundzwanzig hatte („Paint + Turpentine“).
Musikalisch hat „Personal History“ durchgängig einiges zu bieten. Ob mit akustischer Gitarre („Coda“) oder Klavierbegleitung („Say It Anyway“) weisen die Balladen eine gewisse Variamz auf. Das sanfte „The Night We Never Met“ sowie „Paint + Turpentine“ mit seinem ins Ohr gehenden Refrain sind ebenso hervorzuheben, wie „The Saving Things“, bei dem Bläser den Titel untermalen. „Bitter Ender“ ragt als flotterer Song im Midtempo nochmal unter den anderen Songs heraus. Der Track wurde daher folgerichtig als Single herausgegeben.
In der Aufarbeitung ihrer „Personal History“ erweist sich Mary Chapin Carpenter wieder einmal als brillante Songwriterin. Ihre autobiographisch gefärbten Texte greifen Situationen auf, die hohe Identifikationspotenziale für Menschen mittleren Alters aufweisen. Wie gereifter Wein mundet das aktuellen Album von Chapin Carpenter in besonderem Maße.
Chapin Carpenter plant im Anschluss an die Veröffentlichung des Longplayers zusammen mit Brandy Clark auf eine ausgedehnte Tour durch die Vereinigten Staaten zu gehen.
Lambent Light Records – Thirty Tigers/Membran (2025)
Stil: Singer/Songwriter
Tracks:
01. What Did You Miss
02. Paint + Turpentine
03. New Religion
04. Girl And Her Dog
05. The Saving Things
06. Hello, My Name Is
07. Bitter Ender
08. The Night We Never Met
09. Home Is A Song
10. Say It Anywhere
11. Coda
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