American Aquarium – The Fear Of Standing Still – CD-Review

Review: Michael Segets

Die Besetzung von American Aquarium wechselt ständig. In den achtzehn Jahren seit dem Bestehen der Band gab es eine kaum zu überschauende Fluktuation der beteiligten Musiker. Die einzige Konstante ist Songwriter und Frontmann BJ Barham. Auf „The Fear Of Standing Still“ begleiten ihn Shane Boeker (Guitar), Neil Jones (Pedal Steel), Rhett Huffman (Keys), Ryan Van Fleet (Drums) und Alden Hedges (Bass). Nach „Lamentations“ (2020) nimmt Shooter Jennings nun zum zweiten Mal auf dem Produzentensessel Platz.

BJ Barham unterstreicht mit der aktuellen Scheibe von American Aquarium erneut, dass er zu den wenigen hervorragenden Songwritern seiner Generation gehört, die durchgängig hohe Qualität abliefern. Nach dem überragenden „Chicamacomico“ (2022) folgt nun „The Fear Of Standing Still“ mit Texten, die eine vergleichbare Tiefe haben. Anders als auf dem vorangegangenen Album gibt Barham dem Roots Rock wieder mehr Raum. Im Zentrum stehen aber weiterhin Americana-Balladen, in denen er Einblicke in seine Gefühls- und Gedankenwelt gibt. Dabei schlägt Barham auch sozialkritische Töne an.

Gerahmt wird der Longplayer von zwei rockigen Stücken. Die erste Auskopplung „Crier“, die Barham zusammen mit Stephen Wilson Jr. schrieb, macht den Anfang. Im Video präsentiert sich Barham mit Oberlippenbart – das einzige Zugeständnis an derzeitige Modeerscheinungen. Ansonsten schrammelt sich die Band mit ordentlichen Riffs in bester Roots Rock-Manier durch den Song. Zum Abschluss gibt es dann den aufgekratzten Rock’n Roll „Head Down, Feet Moving“, das Huffman mit seinen Keys antreibt.

Bei „Messy As A Magnolia“ und „The Getting Home“ geht American Aquarium die Sache etwas zahmer an. Die Stücke sorgen aber dafür, dass das Album einen ausgewogenen Tempo-Mix aufweist. Es zeigt sich diesbezüglich abwechslungsreicher als der Vorgänger. Ab der Mitte des Longplayers liegt der Schwerpunkt auf balladesken Tönen, bei denen sich die Pedal Steel oftmals einmischt. Die Band behält damit ein Markenzeichen ihres Sounds bei. Vielleicht sind ein paar Melodien etwas weniger nuancenreich als auf „Chicamacomico“, was den Hörgenuss jedoch nicht schmälert.

Ein wiederkehrendes Thema der Songs ist die Zerrissenheit zwischen dem Drang in die Welt hinauszuziehen, neue Ufer zu entdecken und der Geborgenheit im Schoß der Familie („The Getting Home“, „The Fear To Stand Still“). Die Texte sind autobiographisch geprägt, auch wenn das stets präsente lyrische Ich natürlich nicht mit dem Songwriter identisch ist. So schwingt in den Lyrics etwas Überindividuelles mit, in dem sich der Hörer wiederfindet. Besonders einfühlsam und berührend ist die Perspektive, die „The Curse Of Growning Old“ auf das Altwerden und die Einsamkeit wirft, wenn Freunde und Verwandte vor einem gegangen sind.

Wie es sich für ernstzunehmende Songwriter gehört, scheut Barham nicht vor kontroversen Themen zurück. Er kommentiert soziale oder politische Ansichten, von denen man zwar annehmen könnte, dass sie sich in einer aufgeklärten Gesellschaft überholt haben, die dennoch jenseits des Atlantiks eine gewisse Aktualität besitzen. Hierzulande sind die immer noch bestehenden Konflikte zwischen dem Norden und dem Süden der USA wahrscheinlich weniger im Bewusstsein. Gemeinsam mit Katie Pruitt verfasste Barham „Southern Roots“, das sich mit der historisch geprägten Südstaaten-Identität auseinandersetzt. Ebenso greift Barham die in den Vereinigten Staaten wieder aufgeflammte Abtreibungsdebatte auf („Babies Having Babies“) und bezieht deutlich Stellung.

Unter Federführung von BJ Barham legt American Aquarium mit „The Fear Of Standing Still“ erneut ein tiefsinniges und scharfzüngiges Album vor. Gewohnt souverän bewegen sich die Songs zwischen Roots Rock und Americana. Die Angst vor Stagnation ist dabei unbegründet. American Aquarium führt den eingeschlagenen Weg mit dem aktuellen Markstein konsequent fort.

Losing Side Records – Thirty Tigers (2024)
Stil: Americana, Roots Rock

Tracks:
01. Crier
02. Messy As A Magnolia
03. Cherokee Purples
04. The Getting Home
05. Southern Roots
06. The Curse Of Growing Old
07. The Fear Of Standing Still
08. Piece By Piece
09. Babies Having Babies
10. Head Down, Feet Moving

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