Was für eine Location, was für ein Konzert! Ziemlich Southern Rock-süchtig hatten wir uns auf den Weg gemacht, denn zum einen habe ich die Nummer Eins der deutschen SR-Szene bisher noch nicht live gesehen, und zum anderen ist meine letzte Begegnung mit Doc Holliday auch schon mehr als ein Jahrzehnt lang her.
Großes Staunen gab es erst mal, als wir den Ort des Geschehens betraten. Nach Gang durch einen Biergarten auf der Rückseite des Gebäudes und einem kleinen Raum mit Kasse und Merchandiseartikeln, sowie recht schmalen Gängen, kam man in die dunkel gehaltene Kneipe (schließlich war ja auch Halloween), die auf der rechten Seite mit Aquarien und Terrarien noch mal unterteilt war. In diesem Bereich, um ein Drittel kleiner als unser Wohnzimmer zu Hause (!), war dann die Bühne eingerichtet, die wiederum ca. die Hälfte des Platzes einnahm und den Musikern ein ölsardinenartiges Dasein bei der Ausübung ihrer Tätigkeit bescheren sollte.
Um 21.30 Uhr brachen die drei Eidechsen im Terrarium, die bis dahin stoisch ruhig auf ihren Baumstümpfen verharrt hatten, komischerweise in einen ungewöhnlichen Aktionismus aus, als ihre Namensvettern endlich zu ihren Instrumenten traten. Lizard begannen mit dem rockigen Opener ihres vorletzten Albums, „Money World“. Sehr gut abgemischter Sound, beide Gitarren waren glasklar zu hören. Im weiteren Verlauf der knappen Stunde, die sie spielten, lag der Fokus mit sechs Songs auf ihrem neuen Album „Lonely Are The Brave“. Über „Tell Me“, „Riding On A Train“, „Run Away“ und „Boys Are On The Road“ ging es zu meinem ersten Favoriten des Abends, „Travelling Band“. Rockige Gitarrenriffs, schöne Slides, klirrendes Piano: Knackiger Honky-Tonk, der Spaß machte!
„No Tomorrow“ mit klasse gespielten Double Leads und „Don’t You Know“ mit starkem Keyboardeinsatz machten deutlich, dass die Band mittlerweile auf technisch höchstem Niveau angelangt ist, was ich aber leider auch ein wenig als Problem ansehe. Die Stücke sind in ihrer Art mehr was für reine Musiker, Insider und Instrumentalpuristen und gehen trotz ihrer unbestrittenen Reize nicht so in Herz und Blut über, wie die eher einfach gestrickten Sachen von Doc Holliday.
Also, obwohl es mit „Running With The Horses“, meinem persönlichen Lieblinsstück der Truppe, und dem rockigen „Bring Me Some Water“, noch mal mit Riesen-Solo von Volker Dörfler, einen fantastischen Ausklang gab, kam die Band doch eher cool und reserviert rüber. Keine Zugabe, da hätte ich gerne noch das Titelstück „Lonely Are The Brave“ gehört. Anerkennenden Applaus gab es jedoch eine Menge und ich denke, dass Lizard ihr Auswärtsspiel im Westen mit Bravour bestanden haben.
Eine gute halbe Stunde später kam der Prediger mit schneeweißem Hemd (großes Kreuz auf der Brust) und Cowboyhut samt seiner Mannen auf die Minibühne. Trotz relativ grottigem Sound ging mit „Last Ride“ standesgemäß direkt die Post ab. „Never Another Night“, „Dixie“ und „Redneck Rock’n’Roll Band“ sorgten in der vom Rauch vernebelten Bude und mittlerweile ansteigenden Hitze für Swamp-Feeling. Und da kommen wir zu dem Punkt, den ich bei Lizard aufgegriffen habe.
Die Songs haben, so simpel sie sich auch anhören, einfach diesen gewissen Spirit und Wiedererkennungswert. Das Publikum brodelte sichtlich.
„Southern Man“, „Doin‘ It Again“, „Magic Midnight/Moonshine Runner“ fegten hinterher, bis die ersten Titel der neuen Scheibe „Good Time Music“ anstanden. „Trudy“ und „Simple Man“, die ich auf der CD als ziemlich überflüssig empfinde, weil ohne jede Überraschung interpretiert, sondern eher lieblos nachgespielt, verwandelten live dargeboten den Raum und die Kneipe in einen endgültigen Hexenkessel und bescherten Wirt und den auf Zack gewesenen Bedienungen jede Menge Arbeit und Getränkeumsatz. Beim CDB-Cover wippten die Cowboystiefel und einige langhaarige und nicht mehr ganz nüchtern wirkende Rockerbräute tanzten sich in eine regelrechte Rage.
Bruce Brookshire spielte sich dagegen beim Gitarrenpart des Skynyrd-Klassikers in einen Rausch. Die Nummer habe ich weder von der Ursprungsband noch anderen, die sich an dem Lied versucht haben, jemals besser gehört. Die plötzlich glasklare Gitarre erzeugte ein Wechselbad aus Gänsehaut auf den Armen und Schauer auf dem Rücken, Wahnsinn!
„Keep On Running“, „Song For The Outlaw“ und „Lonesome Guitar“, wieder mit breiigem Gitarrenfinish und technischen Problemen bei John Samuelson, ließen endgültig alle Dämme platzen. Das war Honky-Tonk-Clubatmosphäre pur! Kriegt man wahrscheinlich wirklich nur im Southern Rock derartig geboten.
Aus auflagentechnischen Gründen gab es auch bei Doc Holliday keine Zugabe. So blieb es bei einer Nettospielzeit von 75 Minuten. Schade ich hätte gerne noch den einen oder anderen Song der „Legacy“-Phase wahrgenommen. Aber was soll’s, ein letztendlich starker Auftritt.
Ein bisschen Wehmut ergreift mich eigentlich nur, wenn man sieht, wie wenig Akzeptanz diese tolle Musik bei der Jugend von heute findet. So waren die gut 120 Leute ein repräsentativer Querschnitt aus Leuten meines Alters, tätowierten Bikertypen, Musikdinos und nicht älter werden wollender Rockerladies. Den einzigen Ausreißer bildete der Bengel an der Kasse, der den Eintritt kassierte.
Nach dem Konzert wurden wir von Lizard-Frontmann George Beyer freundlich begrüßt und ich hatte noch Zeit mit Keyboarder Klaus Brosowski (sehr netter Typ) ein paar Worte zu wechseln. Dann ging es auf den Heimweg nach Rheinberg. Danke an die Organisatoren und beide Bands für einen tollen Live-Abend: Keep Southern Rock Alive!
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