Kommen wir mal wieder zu den bisherigen musikalischen Versäumnissen in meinem Leben. Die in Ohio aufgewachsene Elle King, Tochter von Comedian Rob Schneider und des ehemaligen Modells London King, ist wieder so ein Fall. Sie ist seit 2015 im Business unterwegs und har bereits zwei Alben veröffentlicht, die unbemerkt an mir vorüber gegangen sind.
Ich bin auf ihren Namen erstmals bewusst im Rahmen des bald erscheinenden Stones-New Country-Samplers (kein April-Scherz!) gestoßen, der uns bereits zur Besprechung vorliegt (der geschätzte Kollege Segets wird hier demnächst seine Eindrücke dazu schildern), wo sie eine sehr gelungene Version von „Tumbling Dice“ mit beisteuert.
Daraufhin habe ich mir noch ihr gerade, seit kurzem auf dem Markt befindliches Album „Come Get Your Wife“ mit freundlicher Unterstützung von Sony Music zur Besprechung besorgt. Und es hat sich zweifellos gelohnt. Schon mit den ersten lässigen Banjo-Introtönen des hier insgesamt auch überragend agierenden Todd Lombardo und ihrer grandiosen Stimme, die man zunächst eher im Indie-Pop verorten würde, bahnt sich beim Opener „Ohio“ ein ganz besonderes Gebräu an, das auch im weiteren Verlauf durchgehend zu begeistern weiß.
Elle hat neben einigen klug ausgesuchten Fremdkompositionen den überwiegenden Teil der Tracks mit einigen Co-Writern selbst komponiert, dazu hat sie, abgesehen von einem Lied, auch die Produktion zusammen mit Star-Producer Ross Coppermann übernommen. Apropos Ross Copperman: Ich hoffe, ich tue ihm nicht unrecht, gefühlt bringe ich ihn immer mit sehr modernen Produktionen, oft mit den heute üblichen technischen Spielereien in Sachen Keyboards, Loops etc., in Verbindung, um auch eine gewisse Pop-Kompatibilität zu gewährleisten.
Keine Ahnung, ob Elle direkt ein Veto eingelegt hat, aber hier wurde eine knackige, organische (New) Countryplatte mit vielen Facetten erschaffen, die mit allen klassischen Countryinstrumenten von den bekannten Nashville-Studio-Könnern eingespielt wurde, trotzdem aber auch ungemein modern und kräftig wirkt.
Für das eher kommerzielle Moment gibt es mit Miranda Lambert („Drunk (And I Don’t Wanna Go Home„) und Dierks Bentley (beim launigen Barsong „Worth a Shot„) zwei prominente Duett-Partner, die dann auch als Singles vorab erschienen sind. Ziemlich melodisch geht es in der ersten Hälfte auch noch beim grandiosen, mit herrlichem Gospelflair umgarnten Southern Christian Rock-Song „Try Jesus“ (könnte auch von Third Day sein) und dem flockigen „Lucky“ zu, hier sei aber auch noch das rotzig-frech gesungene, slide-trächtige Southern-Redneck-Country-Stück „Before You Meet Me“ zu erwähnen.
Mit „Tulsa“ wendet sich das Blatt zu deutlich traditioneller konzipierten Klängen, wobei immer wieder das Banjo oder auch Steel (Dan Dugmore) involviert sind. „Crawlin‘ Mood“ sowie das textlich zwiespältige „Bonafide“ schlagen in die gleiche Kerbe – traditionell, aber absolut knackig und ohne Staub von gestern.
Das treibende „Blacked Out“ (mit klasse E-Solo) wird sicherlich die Southern-Freunde begeistern und das folgende „Out Younder“ überzeugt mit seinem coolen Country Rock-Groove. Und wie es dann auf einer durch und durch begeisternden Scheibe eben so ist, gibt es am Ende mit „Love Go By“ noch eine gospelige Killer-Country-Soul-Nummer, die mich entfernt an „Wrecking Ball“ von Eric Church erinnert.
Wenn Rob McNelly am Anfang nur in die E-Saiten greift und sich Elle zunächst mit ihrer eigenwilligen Stimme darüberlegt, ist Gänsehaut garantiert. Sobald dann auch noch die restlichen Instrumente und die Gospel-Harmoniegesänge einsetzen, ist man zum Ausklang vollends geflasht. Ein Hammersong!
Mein Tipp zu Elle Kings „Come Get Your Wife“ kann von daher nur ohne jedes ‚Wenn und Aber‘ lauten: „Kommt Leute, schnappt euch dieses megastarke Album!“
RCA Nashville / Sony (2023)
Stil: New Country
01. Ohio
02. Before You Meet Me
03. Try Jesus
04. Drunk (And I Don’t Wanna Go Home) feat. Miranda Lambert
05. Lucky
06. Worth a Shot feat. Dierks Bentley
07. Tulsa
08. Crawlin‘ Mood
09. Bonafide
10. Blacked Out
11. Out Yonder
12. Love Go By