Willie Nile – The Day The Earth Stood Still – CD-Review

Review: Michael Segets

Woher nimmt der 73jährige die Energie, am laufenden Band Alben herauszubringen, auf denen er wie ein Jungspund rockt? Mit „The Day The Earth Stood Still“ veröffentlicht Willie Nile den vierten Longplayer in den letzten fünf Jahren. Seit seinem Debüt im Jahr 1980 stehen jetzt zwanzig Tonträger im Katalog, wenn die Live-CDs und seine EP mitgezählt werden. Dabei kam es nach dem zweiten Album zu Rechtsstreitigkeiten, die seine musikalische Karriere erst einmal ausbremsten. Nach zehnjähriger Abstinenz meldete sich Nile erst Anfang 1990er zurück. Mit „Streets Of New York“ startete er dann 2006 richtig durch. Seitdem scheint seine Produktivität keine Grenzen mehr zu kennen.

Nach „New York At Night“ (2020), einem Stimmungsbild seiner Wahlheimat, wendet sich Nile nun in seiner scharfzüngigen Art wieder politischen und sozialkritischen Themen zu. Er knüpft damit an „Children Of Paradise“ (2018) an, was sich auch im Stil der Covergestaltung zeigt.

Willie Nile macht auf „The Day The Earth Stood Still” wieder sein Ding. „Where There’s A Willie, There’s A Way” ist daher das Programm der CD. Der Song weist Anleihen bei The Clash auf und sollte dementsprechend laut gehört werden. „Off My Medication” lässt es ebenso richtig krachen. Wofür die Jugend Aufputschmittel braucht, erreicht man im Alter wohl bereits, wenn die Medikamente weggelassen werden. „Sanctuary“ rockt hingegen in melodiöseren Bahnen. Bei „Expect Change“ und „Time To Be Great” setzt Nile die eingeschlagene Richtung fort. Ein Schelm, wer die Titel als Abgesang auf die Ära Trump sieht.

„The Justice Bell For John Lewis” würdigt den im letzten Jahr verstorbenen, afro-amerikanischen Bürgerrechtler und Kongressabgeordneten der Demokraten. Anfänglich auf Klavierbegleitung reduziert entwickelt der Song später hymnische Züge. Neben den zeitgeschichtlichen Bezügen greift Nile aber auch die Liebesthematik auf, die wohl zeitlos ist. Dies tut er beim Midtempo-Stück „Way Of The Heart“ sowie beim über weite Passagen akustisch gehaltenen „I Will Stand“. „I Don’t Remember You“ hat vor allem im Einstieg einen Country-Einschlag. Die harmlos wirkende Melodie versieht Nile mit einem wunderbar bissigen Text.

Auf dem Longplayer sind also wieder einige äußerst gelungene Willie-Nile-Werke zu hören. Zu meinen Favoriten zählen der Titelsong, der zu den besten gehört, die sich auf seinen letzten Werken finden, sowie „Blood On Your Hands“, das durch die Beteiligung von Steve Earle zusätzlichen Reiz gewinnt.

Willie Nile liefert in schneller Folge hochwertige Alben ab. „The Day The Earth Stood Still” reiht sich ohne Qualitätsverlust in seine Veröffentlichungen der letzten Jahre ein. Nile spielt mit leichten Modifikationen seines Sounds, wobei dessen Wiedererkennungswert erhalten bleibt. Insgesamt gelingt ihm so eine abwechslungsreiche Scheibe, auf der die kräftig rockenden Songs den Gesamteindruck prägen.

River House Records/Indigo (2021)
Stil: Rock

Tracks:
01. The Day The Earth Stood Still
02. Sanctuary
03. Where There’s A Willie, There’s A Way
04. Blood On Your Hands
05. The Justice Bell For John Lewis
06. Expect Change
07. I Don’t Remember You
08. Off My Medication
09. I Will Stand
10. Time To Be Great
11. Way Of The Heart

Willie Nile
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