Craig Finn– Always Been – CD-Review

Review: Michael Segets

In der Literaturtheorie gibt es flache Figuren, die eindimensional, ohne tiefere Charakterzüge dargestellt werden und lediglich einer erzähltechnische Funktion haben. Das Problem ist, dass diese flachen Figuren nicht nur in fiktiven Erzählungen auftreten, sondern einem auch in der Realität begegnen. Dieses Problem potenziert sich, sobald man ihnen nicht wirklich aus dem Weg gehen kann. Es ist daher durchaus nachzuvollziehen, wenn Craig Finn in seiner vorab ausgekoppelten Single „People Of Substance“ feststellt, dass er zu viel Zeit mit Leuten ohne Substanz verbracht hat.

Die Songtexte von Finn durchziehen tatsächlich Figuren, die durchaus komplexere Charakterzüge und Gedankengänge aufweisen. Das Storytelling ist die Stärke von Craig Finn. Nicht umsonst veröffentlichte er bereits eine Sammlung seiner Texte als Buch. Es sind Gedichte, die über ihre lyrische Qualitäten hinaus Geschichten erzählen. Mit „Always Been“ legt er nun ein Konzeptalbum vor, dessen Kern sich letztlich um Glaube, Liebe, Hoffnung dreht.

Widersprüchlichkeiten in ihrem Verhältnis zum Glauben und zur Kirche durchleben die Figuren in einigen Texten. So identifizieren sich die ehemaligen Priester bei „Bethany“ und „The Man I’ve Always Been“) nicht mehr mit ihrem Glauben und ihrem früheren Leben. Andere Scheitern an der Liebe wie das entfremdete Paar in „Luke & Leanna“ oder die Protagonisten, die ihren Verflossenen nachtrauert („I Walk With A Cane“, „Clayton“ „Postcards“). In anderen Lyrics („A Man Needs A Vocation“) scheint etwas Hoffnung durch, die trotz eigentlich verzweifelter Lebenslagen nicht vollständig aufgegeben wird. Diese kommt auch in einem wiederholten Vers in „Crumbs“ zum Ausdruck: „We’ll never win this war but maybe we can wait it out“.

Die insgesamt eher düsteren Texte kleidet Finn vor allem in der ersten Hälfte des Albums in rockige Arrangements. Mit „People Of Substance“, „Crumbs“ und „Luke & Leanna“ sind dort ganz starke Titel vertreten. In der zweiten Hälfte geht er mit „A Man Needs A Vocation“ und „Postcards“ erneut in den Uptempo-Bereich. An manchen Stellen ist eine Nähe zu Joe Grushecky festzustellen. Bei „Clayton“, einem der langsameren Tracks, können gar Parallelen zu Bruce Springsteen gezogen werden.

Insgesamt bietet der Longplayer eine ausgeglichene Mischung zwischen Rock und Balladen. Finn arbeitet wenig mit Refrains oder wiederkehrenden Textpassagen, was die Eingängigkeit der Songs nicht unbedingt fördert, aber auf den Stellenwert der Texte hinweist. Mit Ausnahme von „Fletcher’s“, bei dem er einen fast sechsminütigen Sprechgesang zelebriert, können alle Tracks auf der Habenseite verbucht werden.

Der Frontmann von The Hold Steady holte sich für seinen sechsten Longplayer unter seinem Namen neben Jonathan Low (Taylor Swift) am Mischpult einen weiteren Grammy-Gewinner ins Studio. Adam Granduciel produzierte das Werk und begleitete Finn beim Einspielen der Songs zusammen mit Mitgliedern seiner Band The War On Drugs. Finn geht im April auf eine ausgiebige Promotion-Tour durch die USA, bei der er Bob Mould supportet.

Craig Finn lotet die Ambivalenzen des Lebens und des Glaubens mit seinem hervorragenden Storytelling aus. Obwohl Finn bei der Hälfte der Songs seinem Rockerherz freie Bahn lässt, ist „Always Been“ eher eine Scheibe zum Hinhören und weniger zum Mitsingen. Dennoch kann auch in musikalischer Hinsicht eine Empfehlung mit gutem Gewissen ausgesprochen werden.

Tamarac Recordings – Thirty Tigers/Membran (2025)
Stil: Rock, Americana

Tracks:
01. Bethany
02. People Of Substance
03. Crumbs
04. Luke & Leanna
05. The Man I’ve Always Been
06. Fletcher’s
07. A Man Needs A Vocation
08. I Walk With A Cane
09. Clayton
10. Postcards
11. Shamrock

Craig Finn
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Oktober Promotion

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